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Was ist bloß mit Ian los? Teil 80: Das „gefühlte“ Alter & John Fogerty live

Seid gegrüßt, meine lieben Freunde !

Tja, Wilfried, die Danksagung von Mrs. Bush an Dave Palmer ist ein weiteres Beispiel für meine selektive Wahrnehmung. Der durchschnittliche Homo Sapiens Sapiens hört und sieht das, was er kennt und / oder hören und sehen will. Ich freue mich natürlich für Mr. Del Palmer, dass er aus so berufenem Munde gewürdigt wird; eine Würdigung von Mrs. Bush in Richtung Dave Palmer wäre ja auch zu schön gewesen.

Der Vollrausch ist bei Shane McGowan seit vielen Jahren der Normalzustand. Jeden Tag besoffen ist auch ein geregeltes Leben. Kannst Du sagen, wie lange der Konzertbesuch Deines Schwagers zurückliegt ? Ich las irgendwo, dass Mr. McGowan eine neue Freundin habe und deshalb mit dem Alkohol etwas verantwortungsvoller umgehen wolle. Es waren sogar neue Zähne im Gespräch.

Ein betrunkener McGowan auf der Bühne ist eine Zumutung für Augen und Ohren. Wie so oft bei mir schätze ich bei ihm seine früheren Auftritte und seine Fähigkeiten als Songwriter. Durch den jahrzehntelangen Alkoholmissbrauch ist er ziemlich aufgequollen; er sieht aus, als wäre er vier Wochen im Wasser getrieben. Ähnlich wie bei Mr. Anderson ist es die ruhmreiche Vergangenheit, die mich als Fan an seine Werke bindet.

Ach ja, Mr. Anderson: Ein Foto von den Auftritten im diesjährigen Sommer ziert bereits seine Wikipedia-Seite.

Gestern schauten meine Söhne im TV „Die Simpsons“, als sie mich plötzlich aufgeregt zum Fernseher riefen: Im Abspann der Sendung lief „Thick As A Brick“ ! Mr. Anderson begegnet uns an den unerwartetsten Stellen; zuerst im „Tatort“, jetzt bei den „Simpsons“.

Nun zu Deinem letzten Beitrag, liebe Kretakatze:
Dass Frauen in der Rockmusik unterrepräsentiert sind, kann ich mir nur so erklären: Rockmusik als solche ist für das schöne zarte Geschlecht zu grob, zu rau, zu laut, zu primitiv. Wenn in diesem Metier doch mal eine Frau eine bedeutende Rolle spielt, dann ist es ein so herber Typ wie Patti Smith.

Kate Bush würde ich nicht als Rock-Musikerin bezeichnen. Allgemein wird ihre Musik als Popmusik bezeichnet; dieses Etikett gefällt mir aber auch nicht. Popmusik klingt irgendwie nach Michael Jackson. Für ihre Musik habe ich noch keine passende Bezeichnung gefunden. (P. Smith / K. Bush – meine Gedankensprünge werden immer gewagter)

Vorschläge für Andersons neue Garderobe: Ich habe kein Bild greifbar, das ich Euch präsentieren könnte. Ich muss es mit einer verbalen Beschreibung versuchen. Ein schickes unifarbiges, nicht zu enges Hemd vom Designer, eine passende Weste hierzu, dunkle Hose, von mir aus eine Reithose mit Schaftstiefeln (die hat er in seiner Vergangenheit so gerne getragen). Wenn es denn unbedingt sein muss, kann er seinen breiten Scheitel mit einer angemessenen (!) Kopfbedeckung kaschieren. Es gibt sehr schöne Hüte, Kappen oder Baretts. Der Kerl kann, wenn er will. Auf dem Cover von „Rupi’s Dance“ zeigt er uns, dass er auch edlen Zwirn tragen kann !

Liebe Kretakatze, an dieser Stelle möchte ich Dir ein Kompliment machen: Du verstehst es, auf erfrischende Weise Kritik an Mr. Anderson anzubringen. Hier ist keine Spur von unkritischer Anbetung zu finden. Deine Urteile sind in einer Art „respektlos“, die ich gern häufiger lesen würde. Genau dazu sind wir in diesem Forum angetreten. Also, weiter so !!

Ein Wort zu Cat Steven’s „Tuesday’s Dead“: Das Liedchen ist ganz nett. Auf dem gelinkten Video fällt mir seine Gitarre auf. Sie ist ziemlich groß, die Zargen sind aus dem gleichen hellen Holz wie der Rest des Korpus. Von der Seite aus betrachtet sieht das Instrument aus wie ein Fichtensarg. Möglicherweise hat er sie gewählt, damit sie zum Titel passt.

Meinen Urlaub verbringen wir traditionsgemäß zu Hause. Das schont Nerven und Kasse. Ende Mai haben meine drei Söhne neue Fahrräder bekommen, richtig „große“, mit 28″ – Bereifung. Sie sind jetzt in der Lage, längere Strecken zu fahren als auf ihren Kinderrädchen. Dadurch habe ich meine verloren geglaubte Leidenschaft fürs Radeln wiederentdeckt. Ich habe mein altes Bike beim Händler zur Kur geschickt und nun hoffe ich, im Urlaub einige schöne Touren machen zu können. Mein altes Rad ist acht Jahre alt und ich habe geplant, bevor ich an Alterschwäche sterbe, ein Neues anzuschaffen. Ich bin in letzter Zeit viel im Internet unterwegs, um mir ein wenig Marktransparenz anzueignen. Aber diese Überlegungen sind noch rein strategischer Natur; das alte treue Rad muss noch ca. zwei Jahre halten.

Lieber Wilfried, falls wir nichts mehr von einander lesen sollten, wünsche ich Dir und den Deinen einen wunderschönen entspannenden Urlaub !

Bis bald
Lockwood

13.07.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

nun habe ich mir also doch noch das Kontrastprogramm zu „Jethro Tull auf Kreta“ gegönnt. Nicht Sonnenschein und 40°C im Schatten sondern wolkenverhangener Himmel bei 15°C. Nicht Samstag, Urlaub, Zeit en masse sondern Mittwoch, Arbeit, Hetze. Nicht bequemer Sitzplatz im Gartentheater an historischer kretischer Stadtmauer sondern ölsardinenmäßiger Stehplatz im Open Air zwischen deutschen Burgmauern. Und natürlich nicht zuletzt: Nicht Jethro Tull sondern – Ihr werdet’s schon ahnen – John Fogerty.

Ich hatte bis zuletzt geschwankt, ob ich mir dieses Konzert auch noch antun sollte, Gründe dagegen waren meine knappe Zeit, die nicht unbeträchtliche Entfernung und das miese Wetter. Von vornherein war für mich nur das letzte Konzert von Fogerty’s diesjähriger Deutschlandtour in Frage gekommen, der Open Air Auftritt am 11.07. auf der Burg Abenberg bei Nürnberg. Aber das sind von mir aus auch ungefähr 150 km Entfernung und knapp 2 Stunden Fahrzeit. Dazu herrschte bei uns am Montag und Dienstag praktisch Dauerregen. Das sah alles nicht besonders einladend aus.

Am Mittwoch erschien das Wetter aber etwas besser, es war zwar wolkig aber zumindest trocken, und so entschloss ich mich kurzfristig es doch zu wagen. Nachmittags um 16 Uhr verlies ich – für meine Kollegen unerwartet früh – meinen Arbeitsplatz und machte mich auf Richtung Nürnberg, natürlich mal wieder ohne Ticket. Die lange Autofahrt nutzte ich dazu bei voller Lautstärke Musik zu hören und mitzugrölen, und so war ich bereits leicht heiser, aber bester Stimmung, als ich exakt um 18 Uhr in Abenberg auf die als Parkplatz ausgeschilderte Wiese fuhr.

Abenberg ist wirklich ein romantisch gelegenes Dörfchen, in dessen Mitte malerisch die Burg tront – oder ist es eher eine romantische Burg, um die herum sich malerisch einige Häuser scharen? So genau kann ich das nicht sagen. Auf jeden Fall fiel mir beim Anblick der Burg sofort auf, dass ich meine Kamera vergessen hatte. Ihr werdet also keine selbstgemachten Bilder von mir zu sehen bekommen. Dabei hätte ich diesmal vielleicht wirklich brauchbare Bilder schießen können, denn Fogerty trat noch bei Tageslicht auf – das hätte vielleicht sogar meine Kamera geschafft. Stattdessen habe ich mir erlaubt einige Bilder von der Website www.creedence-choogle-rockers.de zu verlinken. Sie stammen alle vom Abenberg-Konzert und sind besser als ich es je hinbekommen hätte. Aber machen wir mal der Reihe nach.

Es hatte sich bereits eine nicht unerheblich lange Schlange vor der Burg gebildet, deren genaue Länge ich nicht abschätzen konnte, da der Eingang der Burg nicht zu sehen war. Die Suche nach einer Abendkasse blieb mir erspart (es gab wohl auch gar keine, jedenfalls habe ich nirgends eine gesehen – vermutlich war ausverkauft), da an der Schlange ein Mann entlang lief der fragte, wer noch Karten brauchen könnte. Ich meldete mich sofort. Er meinte die Karten hätte sein Freund, der demnächst vorbei käme. Ich solle mich schon mal in die Schlange stellen. Ich tat wie mir geheißen war.

30 Minuten später stand ich immernoch an gleicher Stelle in der Schlange und hatte immernoch kein Ticket. Was wäre doch so ein Konzert ohne den Nervenkitzel der Unsicherheit, ob man reinkommt oder nicht? Inzwischen hatte ich erfahren, dass eigentlich ab 18 Uhr Einlass sein sollte. Es war 18:40 Uhr und bis jetzt hatte sich die Schlange noch nicht einen Zentimeter bewegt. Andererseits war ich gottfroh darum. Hätte sie sich in Bewegung gesetzt, solange ich kein Ticket hatte, wäre ich vermutlich wirklich ein wenig nervös geworden.

Um 18:45 Uhr erschien schließlich tatsächlich der Kerl mit den Karten. Werden solche Eintrittskarten eigentlich manchmal auch gefälscht? Es war ein „Eventim“-Ticket, das er mir in die Hand drückte, und es stand 50 EUR darauf. Mehr wollte er auch nicht dafür. Ich hatte bei Eventim im Internet schon nach Karten geschaut, dort sollten sie 52,50 EUR zuzüglich Versand kosten. Das kam mir irgendwie komisch vor. Aber ich hatte weder Zeit noch Lust länger darüber nachzudenken, denn inzwischen war Leben in die Schlange gekommen. Meine dumpfe Befürchtung, mein Ticket könnte am Einlass als Fälschung erkannt werden, erwies sich als unbegründet, und so stand ich ca. 19 Uhr im Burghof und stellte fest, dass mir der Magen knurrte. Ich hatte nichts zu essen dabei.

Zum Glück hatte man auf diesem Open Air Event offensichtlich mit gedankenlosen Menschen wie mir gerechnet, der Burghof war mit Getränke- und Imbissbuden gesäumt. Ich entschied mich für eine labbrige Pizzaschnitte und versuchte dann mir einen günstigen Platz vor der Bühne zu sichern. Da ich auch in kleinere Lücken passe, konnte ich mich noch bis auf etwa 3 oder 4 Meter an die Bühne heranarbeiten. Im Prinzip war ich vermutlich näher an der Bühne als in Iraklio. Allerdings ist halt die Übersicht bei solchen Steh-Veranstaltungen deutlich schlechter. Ein bzw. zwei Reihen vor mir standen zwei Männer, denen ich gerade mal knapp über die Schulter schauen konnte. Meistens hatte ich allerdings einen ganz guten Blick zwischen beiden hindurch direkt aufs Mikrophon. Auch nach rechts hatte ich freien Blick auf die Bühne.

Im Publikum waren nahezu alle Altersklassen vertreten, allerdings mit einem deutlichen Schwerpunkt bei Männern über 40. Frauen waren in der Minderzahl und wenn dann nur in Begleitung von Männern anzutreffen. Jugendliche konnte ich nicht entdecken, was allerdings an der Location liegen könnte. Abenberg liegt 30 km von Nürnberg entfernt und ist nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Wer kein Auto hat ist aufgeschmissen. Das schließt Jugendliche unter 18 praktisch von der Teilnahme aus.

Die Vorband betrat um 19:29 Uhr die Bühne – das nenne ich deutsche Pünktlichkeit. Die sechs Jungs nennen sich Stanfour und kommen von der Insel Föhr. Der Ausdruck „Jungs“ war hier mehr als gerechtfertigt, mindestens 3 der 6 Bandmitglieder sind mit Sicherheit noch keine 20, der Jüngste könnte 16 sein. Nette Jungs, die mich an meinen eigenen in der Altersklasse erinnerten, der zu diesem Zeitpunkt gerade zuhause eine Mandelentzündung auskurierte. Da kam ein bißchen schlechtes Gewissen bei mir auf. Das hätte es früher auch nicht gegeben, dass Muttern sich auf Rock-Konzerten rumtreibt, während das Kind zuhause krank im Bett liegt – na ja, das Kind ist 20 und liegt wahrscheinlich eher auf dem Sofa vor dem Fernseher. Ich versuchte den Gedanken zu verdrängen.

Stanfour boten geradlinigen Rock, der für meine Begriffe durchaus anhörbar war – nichts Sensationelles, aber auch nicht schlecht. Beim Anblick des Sängers wurde mir wieder bewußt, wie unterschiedlich doch verschiedene Sänger mit ihrem Mikrophon umgehen. Mark Knopfler stellt es sich immer so hoch ein, dass er von unten nach oben singen muss, teilweise hat man den Eindruck er stellt sich auf die Zehenspitzen, damit er es noch erreicht. Im exakten Gegensatz dazu bevorzugt Mr. Anderson offensichtlich ein Mikrophon, das so niedrig eingestellt ist, dass er sich hinunterbücken und von oben hineinsingen muss. Gerne stürzt er sich auch von oben auf sein Mikrophon wie eine Raubkatze auf die Beute. Dieser Sänger dagegen klammerte sich ständig mit beiden Händen am Mikrophon fest, es sah aus als ob er in jeder Bedeutung des Wortes „an seinem Mikrophon hängt“. Mr. Fogerty geht mit dem Mikrophon eher achtlos um, es kommt schon mal vor dass er nicht ständig den richtigen Abstand einhält oder den Kopf zur Seite dreht und dadurch der eine oder andere Ton etwas leiser kommt. Es scheint für ihn nicht den Mittelpunkt des Universums darzustellen. Das könnte man sicher alles auch noch tiefenpsychologisch deuten. Aber ich denke damit verschone ich Euch jetzt besser.

Stanfour spielten bis 20 Uhr, dann wurde auf der Bühne umgebaut – und das zog sich hin. Nach einer halben Stunde wurde das Publikum langsam unruhig, es gab Pfiffe, Gegröle und „John, John“-Rufe. Dabei lag die Verzögerung vielleicht auch daran, dass zu diesem Zeitpunkt die Sonne tief unter den Wolken stand und direkt von vorne auf die Bühne schien. Die Roadies, die die 25 oder wieviel Gitarren des Mr. Fogerty nochmals durchcheckten waren offensichtlich von dem Licht geblendet. Ein Auftritt war so vermutlich garnicht möglich. Meiner Meinung nach ein Mangel der Organisation, denn dass im Sommer die Sonne scheint und wo sie um wieviel Uhr untergeht sollte eigentlich bekannt sein. Da muss man halt ggf. die Bühne an anderer Stelle aufbauen. Interessant auch, was zur Überbrückung der Wartezeit aus den Lautsprechern tönte. Nach „Sultans Of Swing“ war auch noch John Fogerty selbst mit „Almost Saturday Night“ zu hören, was vom Publikum mit Beifall und „Zugabe, Zugabe“-Rufen quittiert wurde.

Dann, um 21 Uhr endlich, betrat die Band die Bühne und nahm die Plätze ein. Fogerty erschien nicht lang danach in einem seiner besten blaukarierten Hemden – damit war der Abend für mich gebont! Nach kurzer Begrüssung legte er auch ohne Umschweife gleich richtig los mit „Travellin‘ Band“. Ich hatte sofort das Gefühl, dass die Anlage seit der Vorband noch einmal um einige Watt aufgedreht worden war. Das alte Burggemäuer erbebte und das Erdreich vibrierte. Das war deutlich lauter als Jethro Tull in Iraklio, aber doch nie so laut, dass ich befürchtet hätte bleibende Gehörschäden davonzutragen.

Bei Jethro Tull war mir seinerzeit der glasklare Sound aufgefallen, in dem jeder Ton einzeln aus der Anlage perlte und jede Nuance des Flötenspiels und der Stimme detailgenau wiedergegeben wurde (wobei das in Bezug auf die Stimme nicht unbedingt nur von Vorteil war). Von glasklarem Sound war bei Mr. Fogerty nichts zu hören, der ist für seine Musik aber auch nicht notwendig. Hier geht’s um’s Eingemachte, die Basics des Rock, auf das Wesentliche reduziert, ohne Schnörkel und Verzierungen, ohne facettenreiche Arrangements und ohne den Anspruch mit Bach oder Beethoven konkurrieren zu wollen. Es standen nicht weniger als 5 Gitarristen (einschließlich Bass) auf der Bühne, wobei der eine gelegentlich auch Keyboard spielte. Dazu noch Schlagzeug (auf das eingedroschen wurde, als ob man es ermorden wollte), das war’s mit der Instrumentierung. Solche Musik muss nicht filigran aus der Anlage rieseln sondern einem wuchtig und satt um die Ohren donnern. Und das tat sie auch.

Nach dem ersten Titel meinte Mr. Fogerty, das wäre das erste Mal, dass er auf einer Burg spiele, und er hoffe er wecke den König nicht auf. Falls es auf dieser Burg je einen König gegeben haben sollte, war der aber vermutlich bereits bei den ersten Takten von „Travellin‘ Band“ vor Schreck aus dem Grab gefallen und an Herzinfarkt gestorben. Das hat sich sicher auch Mr. Fogerty gedacht, denn er machte auch im weiteren Verlauf des Abends nicht den Eindruck als ob er sich bemühen würde leise zu sein.

Natürlich habe ich versucht bei YouTube ein paar passende Videos zu finden, die den einen oder anderen Eindruck des Konzerts vermitteln können, aber leider gibt es kaum ein brauchbares Bootleg von der Europa-Tour. Die Amateurkameras (oder waren es Handys?) scheinen alle von der Lautstärke des Fogerty’schen Sounds überfordert zu sein – es schäppert, knistert, knackt, drönt und jault zum Steinerweichen, das kann man sich wirklich nicht anhören. Zur Einstimmung daher erst einmal eine Aufnahme aus New York vom letzten Dezember: Good Golly Miss Molly. Sie zeigt wie es aussieht, wenn ein wildgewordener 62-Jähriger keine Lust hat sich mit dem Pfeifchen hinter den Ofen zurückzuziehen.

Kleiner Einschub zu diesem Video: Diesen Song konnte ich eigentlich noch nie leiden, aber was Fogerty hier aufführt hat mich glatt umgepustet. Ich muss zugeben, dass ich keine Ahnung habe worum es in dem Lied geht, und von dem was er singt verstehe ich kein Wort, aber er scheint ziemlich wütend zu sein. Wie er wild mit den Armen herumfuchtelt erinnert mich bereits stark an Mr. Andersons Auftritt in Witch’s Promise anno 1970. Leider hat Mr. Fogerty keine so schöne Flöte, die er drohend schwingen könnte, und das Gitarren-Plektrum ist ein etwas mickriger Ersatz, aber dafür haut er anschließend damit umso wilder in die Saiten. Bisher habe ich bei diesen Bildern noch jedesmal lachen müssen, und solche Videos stehen auf meiner Hitliste ganz oben.

Für einen der ersten Songs griff Mr. Fogerty zu einem türkisgrünen Instrument, und als er kurz über die Saiten strich um zu testen, ob es auch funktioniert, da fuhr es mir durch Mark und Bein. Ich musste sofort an Dich denken, lieber Lockwood, und an Brian May – das war der Düsenjet. Ich glaube ich schrieb schon nach dem Jethro Tull Konzert, dass live so ein Düsenjet nicht unbedingt zu verachten ist, und der von Mr. Fogerty geht noch ganz anders ab als der von Mr. Barre. Seither habe ich ein Auge auf dieses grüne Maschinchen geworfen, zumal es dieselbe Farbe hat wie mein Auto. Allerdings ist mein Auto bedeutend leiser. Ich habe auch nur einen kleinen Toyota. Dieses Modell schien mir eher ein Porsche zu sein. Der zugehörige Titel heißt – passend zum Düsenjet – It Came Out Of The Sky (hier auch eine Version aus New York).

Bei solcherlei Klängen kam im Publikum schnell Stimmung auf. Die sichtlich gute Laune, mit der Mr. Fogerty während der Instrumentalpassagen über die Bühne stapfte, hüpfte wie ein Gummiball und sich wie ein Kind über den selbsterzeugten Lärm freute, übertrug sich mühelos auf die Menge. Bei fast jedem Song schallte ihm aus dem Zuschauerraum zumindest der Refrain entgegen. Mehrfach dirigierte er auch vom Bühnenrand aus das Publikum und ließ es alleine singen. Er mußte sich nicht über mangelnde Mitwirkung beklagen. Nach kürzester Zeit war – zumindest vorne an der Bühne – Party angesagt.

Bei Fogerty gibt es praktisch nach jedem Titel Gitarrenwechsel (wobei die eine oder andere Gitarre im Laufe des Abends schon auch mehrfach zum Einsatz kam). Bei dieser Gelegenheit überreicht er seinen ausgebrauchten Gitarren-Pick jemandem aus dem Publikum. Einmal holte er auch eine ganze Hand voll neue Picks aus der Hosentasche um sie zu verteilen. Auch ausrangierte Drumsticks wurden in die Menge geworfen. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, die Veranstaltung nahm immer mehr den Charakter einer größeren Familienparty an. Einen kleinen Eindruck von der Atmosphäre vermittelt vielleicht dieses Video aus Paris, das mit einem Halstuch-Tausch beginnt. Fogerty’s Markenzeichen ist ein rotes Halstuch, er tritt nie ohne auf. Hier tauscht er es gegen das Halstuch eines Zuschauers ein.

Vor dem Titel „Down On The Corner“ schlich sich ein siebter Musiker auf die Bühne, und da ich schon Setlists von anderen Konzerten gelesen hatte, ahnte ich bereits wer das sein musste: Tyler Fogerty. Der Junge ist höchstens 14, das Hemd ist natürlich kariert und die Frisur erinnert stark an Papa anno 1970. Es gibt da auch noch einen Shane Fogerty, der vielleicht zwei Jahre älter ist und im Prinzip genauso aussieht, in Abenberg aber nicht mit von der Partie war. Tyler durfte gleich neben Daddy zu „Down On The Corner“ die Gitarre spielen (Bild), aber so richtig locker und gutgelaunt wie der Herr Papa wollte er auf mich nicht wirken. Er schien mir eher etwas angestrengt. Es muss auch ziemlich hart sein für einen 14-Jährigen, wenn er nach seinem Auftritt auf offener Bühne vor versammeltem Publikum von Old Daddy abgeknutscht wird. Der Kleine tat mir fast ein bißchen leid. Andererseits sagte ich mir, dass man nicht früh genug lernen kann, dass das Leben hart ist, und ich denke mal er wird keine bleibenden psychischen Schäden davontragen.

Um gleich bei den Kindern zu bleiben: Schräg vor mir trug jemand während des ganzen Konzerts ein etwa fünfjähriges, blondes Mädchen auf den Schultern, und dieses Kind stach auch Mr. Fogerty ins Auge. „Baby“ wurde eigens begrüßt, wobei die Reaktion eher schwach war – vermutlich hat sie sein Englisch nicht verstanden. Fogerty erklärte sie erinnere ihn stark an seine fünfjährige Tochter Chelsea, für die er das folgende Lied geschrieben habe, es war „I Will Walk With You“. Ich begann langsam die Übersicht über die zahlreiche Nachkommenschaft des Mr. Fogerty zu verlieren, wobei ich eine diesbezügliche Übersicht eigentlich noch nie besessen habe. Ich meine er habe schon Ende der 60er Jahre einen Sohn gehabt, und auch aus den 70ern oder 80ern müsste es noch mindestens eine Tocher geben. Jedenfalls scheint Mr. Fogerty nicht nur seit bald 50 Jahren in der Rockmusik aktiv zu sein, sondern sich außerdem seit 40 Jahren unermüdlich und erfolgreich in der Arterhaltung zu betätigen. Das sollte vielleicht auch einmal die gebührende Anerkennung finden.

Gegen Ende des Konzerts kam mir in den Sinn, dass man manche Menschen einfach für alle Zeiten so konservieren können sollte, wie sie gerade sind. Wenn ich wüsste wie, dann würde ich gleich mit John Fogerty anfangen. Nicht, dass ich jetzt missverstanden werde: Ich will damit nicht zum Ausdruck bringen, dass Mr. Fogerty so wirkt als ob er dringend konserviert werden müsste – das klingt so nach Mumie. Ich will damit nur sagen, dass ich ihn gerne noch ein paar Jahre in alter Frische wiedersehen würde, am besten nächstes Mal ein bißchen näher bei Stuttgart – da gibt es auch sehr schöne Burgen. Wenn er kommt bin ich bestimmt wieder dabei!

Mein einziger Kritikpunkt: Das Konzert war zu kurz, viel zu kurz! Nur 1:36 Std Spielzeit, das finde ich für einen Eintritt von 50 Mäusen doch ziemlich mickrig. Und es ist ja nicht so, dass Mr. Fogerty keine Songs mehr auf Lager gehabt hätte. Er hat nicht einmal alle seine Top Ten Hits gespielt, er hat nicht einmal alle seine No. 1 Hits gespielt. Mir persönlich haben jetzt „Hey Tonight“ und „Sweet Hitch-Hiker“ nicht gefehlt, aber „Up Around The Bend“, „I Put A Spell On You“ und „Deja Vu“ schon. In Hamburg standen die alle noch auf der Setlist. Oder wie wär’s noch mit „Lodi“, „Rock and Roll Girls“, „Walking In A Hurricane“, „Premonition“ und und und….

Überhaupt ist mir aufgefallen, dass Fogerty’s Konzerte offensichtlich unterschiedlich lang sind. In Abenberg standen 23 Titel auf der Setlist, in Berlin sogar nur 22, in Hamburg waren es 24, in Dänemark 25, in Paris 26 und in Mainz 27 (anscheinend 3 extra Zugaben!). Nach was entscheidet er das? Wenn er keine Lust mehr hat und früher ins Bett will, lässt er einfach ein paar Songs weg? So geht’s aber auch nicht! Ich würde ihm ja die Kürze seines Auftritts nachsehen, wenn man nach anderthalb Stunden Spielzeit befürchten müsste, dass er demnächst auf der Bahre rausgetragen wenn muss, wenn er nicht bald aufhört. Aber den Eindruck hatte ich wirklich nicht. Er ist so locker-flockig und frisch von der Bühne gegangen, wie er angefangen hat, ich glaube er war während des ganzen Abends nicht einen Moment außer Atem und hat nicht eine Schweißperle verloren (es war allerdings auch nicht besonders warm…). Der ganze Auftritt sah aus als wär’s für ihn ein Spaziergang. Also 2 Stunden könnte er gut durchstehen, und die fände ich für den Preis auch angemessen.

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Eines ist mir im Anschluss an dieses Konzert erst so richtig bewusst geworden, und um näher zu erläutern, was ich meine, werde ich jetzt gar noch mich selbst als krasses Extrembeispiel anführen. Ich muss zugeben ich war ziemlich überrascht, als ich zum ersten Mal dieses Photo gesehen habe. Wenn ich nicht wüsste, dass ich das selbst bin, dann würde ich sagen das ist ein 14- bis 15-jähriger Junge. Nun war mir schon länger klar, dass ich nicht gerade so aussehe, wie man sich üblicherweise eine 48-jährige Frau vorstellt. Dass der Eindruck aber so weit davon entfernt liegen könnte, hätte ich dann doch nicht erwartet. Nach kurzem Nachdenken bin ich aber zu dem Schluss gekommen, dass es vermutlich genau das ist, was ich im Grunde meines Wesens tatsächlich bin: Ein 14- bis 15-jähriger Junge. Das Bild passt, ich fühle mich auch in keinster Weise unwohl damit. Sonst hätte ich mich auch von vornherein garnicht in diese Klamotten geworfen.

Nicht jeder ist das, was er aufgrund von Alter, Geschlecht, sozialer Herkunft oder sonstigen Umständen nach herkömmlicher Meinung sein sollte. Darauf kommt es auch garnicht an. Das Einzige das zählt ist, dass das äußere Erscheinungsbild mit dem übereinstimmt, was man tatsächlich ist. Wenn das nicht zusammenpasst, hat man wirklich ein Problem. Das Aussehen ist wie eine Visitenkarte, die man ständig vor sich herträgt, und die 99,9% aller Menschen, denen man begegnet und die einen nicht näher kennen, Aufschluss darüber gibt, wie sie einen behandeln sollten und was sie von einem zu erwarten haben (mit den Erwartungen hatte ich es ja schon einmal…). Wenn man äußerlich etwas anderes darstellt, als man tatsächlich ist, wird das ständig zu falschen Reaktionen, enttäuschten Erwartungen und Missverständnissen führen. Jeder kennt von sich selbst, wie es einem geht, wenn man morgens aus Versehen den falschen Griff in den Kleiderschrank getan und etwas angezogen hat, das nicht zur Tagesform passt. Man fühlt sich unsicher und fehl am Platz, weil man unbewußt ständig mit den falschen Erwartungen und Reaktionen seiner Umwelt rechnet.

Wer also anders aussieht als er sich fühlt – z.B. auch durch einen fortschreitenden äußerlichen Alterungsprozess, dem kein entsprechender innerlicher folgt – wird üblicherweise bestrebt sein alles zu tun, um sein Aussehen mit seiner Persönlichkeit wieder in Einklang zu bringen. Das ist meiner Meinung nach auch völlig in Ordnung, solange man sein Aussehen anpasst an das, was man ist, und nicht an das, was man gerne wäre, in der Hoffnung durch das geänderte Aussehen zu dem zu werden, als was man erscheint. Damit macht man sich wirklich nur lächerlich.

Um jetzt langsam einmal auf den Punkt zu kommen: Was auch immer Mr. Fogerty getan haben sollte um so auszusehen, wie er das tut – die Haare gefärbt hat er allemal, die Zähne sind runderneuert (dabei wäre das meiner Meinung nach wirklich nicht notwendig gewesen, mit den originellen Originalzähnen sah er doch auch sehr nett aus), selbst wenn er sich fünfmal hätte liften lassen (was ich eigentlich nicht annehme) – das Ergebnis gibt ihm recht. Er sieht so aus, wie er ist. Und wenn er auf der Bühne steht, oder rennt, oder hüpft, oder was auch immer – man merkt, dass da einfach alles zusammenpasst. Auch wenn die Haare, die Zähne oder sonstige Details an Mr. Fogerty nicht mehr echt sein sollten, der Mensch ist es, und das ist das Einzige, das zählt.

Bei Mr. Anderson ist das leider anders. In den 70ern hat er auch noch glaubhaft gewirkt: Die Musik, das Aussehen, die Kostüme, die Bühnenshow – das war ein Gesamtkunstwerk, das seine Persönlichkeit stimmig repräsentiert hat. Im Laufe der 80er ist das mehr und mehr verloren gegangen, irgendwie hat er mit zunehmendem Alter das, was er ist und das, was er darstellen möchte, nicht mehr unter einen Hut gebracht. Da passt das Benehmen nicht zum Aussehen, die Kleidung passt schon in sich nicht (Was soll dieses Kostüm darstellen – Pirat? Torrero? Gondoliere?) und leider passt auch das was er sagt häufig nicht zu dem was er tut. Wie alt ist er eigentlich wirklich? Fogerty ist, so würde ich mal schätzen, in der Art deutlich unter 30, vielleicht sogar unter 20. Anderson ist bestimmt auch keine 60, aber er sieht so aus. Es mag absurd klingen zu sagen es passt nicht, wenn ein 60-Jähriger aussieht als wäre er 60, aber genau das scheint mir bei Mr. Anderson der Fall zu sein.

Die letzten Auftritte des Mr. Anderson, in denen er nach meiner Kenntnis ein stimmiges Gesamtbild abgegeben hat, stammen aus dem Jahr 1982, wie z.B. hier bei Pussy Willow – da war er 35. Ungefähr in dieser Gegend würde ich die Höchstgrenze für sein gefühltes Alter vermuten. Andererseits ist das natürlich auch nur die halbe Wahrheit. Ich bin ja auch nicht nur der 15-jährige Junge sondern gleichzeitig auch immer noch die 48-jährige Frau – wenigstens einige dazugehörige Eigenschaften und die entsprechende Lebenserfahrung habe ich jedenfalls. In der Gesamtheit ergibt das eine Kombination aus beidem (die ich mir in meinem Fall als ziemlich gewöhnungsbedürftig vorstellen könnte). Das wird bei Mr. Anderson nicht anders sein. Vielleicht kann er sich auch nur einfach nicht entscheiden, ob er nun 30 oder 60 ist, seriös oder Hofnarr, Pirat oder Entertainer oder…. Wer oder was auch immer er ist, er schafft es nicht mehr es
seiner Umwelt schlüssig zu vermitteln – ich werde jedenfalls nicht schlau aus ihm.

Meinetwegen soll er sich die Haare rot färben, ein Toupet aufkleben, sich Fett absaugen und sich liften lassen, Hauptsache er passt hinterher wieder zu sich selbst und man weiß mit wem man es zu tun hat. Nicht, dass ich das jetzt als Lösung vorschlagen wollte, ich habe keine Ahnung was die Lösung wäre. Prinzipiell wäre es sicher nach heutigem Stand der Technik möglich, Mr. Anderson wieder (fast) so aussehen zu lassen wie 1975. Andererseits könnte ich mir vorstellen, dass gerade diejenigen seiner Fans, die sich nichts sehnlicher herbeiwünschen als die Wiederkehr des Jahres 1975, vor Schreck vom Stuhl fallen oder entsetzt aufschreien würden, wenn er plötzlich tatsächlich wieder so daher käme. Ein Mr. Anderson mit dem Aussehen von 1975 und der Stimme von 2007 wäre allerdings vermutlich auch eine ernüchternde Erfahrung. Ach, es ist ein Jammer, was machen wir nur mit unserem Mr. Anderson!?! Und mit dieser rhetorischen Frage beende ich meinen heutigen Beitrag.

Liebe Grüße an Euch beide (Fast-)Urlauber
Kretakatze

PS.: Zum Thema Songtexte hier noch dieses Video von einem Rock-Festival in Belgien 2007, in dem ab 1:00 John Fogerty zuerst mit einem kurzen Ausschnitt aus „Travellin‘ Band“ zu hören ist und er dann ab ca. 1:25 erklärt nach welchem Prinzip er seine Lieder schreibt. Das klingt ganz ähnlich wie das, was ich bereits an anderer Stelle hier vermutet hatte. Was mich trotzdem überrascht hat war die Tatsache, dass er es offensichtlich für wichtig hält mit möglichst wenig Worten auszukommen. Das müsste doch der ideale Texter für Dich sein, lieber Wilfried, wo Dir doch auch jedes Wort zuviel zu sein scheint (zumindest von den Songtexten, die ich letztes Mal verlinkt hatte 😉 …).

19.07.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Dein Bericht über das Fogerty-Konzert, liebe Kretakatze, war sehr plastisch. Ich hatte fast das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Zwischen Deinen Zeilen konnte ich eine unverhohlene Euphorie lesen, die ich bei Deiner Beschreibung des JT – Konzerts auf Kreta nicht festgestellt habe. Ich denke, der Auftritt von Mr. Fogerty hat Dir besser gefallen als der Auftritt des Mr. Anderson.Den aktuellen Anderson würde ich mir nicht anschauen, wenn er auf unserer Burg (100 m Luftlinie von meiner Haustür) spielen würde. Ich möchte ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn aus seinen besseren Zeiten kenne. Aber selbst wenn ich fernbliebe, würde ich seinen „Gesang“ bis in den Garten hören. Ich hoffe also, dass seine Tourneen ihn nicht in unser Städtchen führen.

In Deiner letzten Mail hast Du etwas geschrieben, mit dem ich mich sofort identifizieren konnte: Du wirst nicht schlau aus Mr. Anderson. So geht es vielen. Dieses Phänomen ist der Grund dafür, dass Wilfried die Rubrik „Was ist bloß mit Ian los ?“ ins Leben rief. Du stößt einen ähnlichen Seufzer aus; ich zitiere: „Ach, es ist ein Jammer, was machen wir nur mit unserem Mr. Anderson!?!“Er ist eine komplexe Persönlichkeit, unser Mr. Anderson. Mehrere Seelen wohnen ach, in seiner Brust. Die aktuelle Garderobe ist ein möglicher Ausdruck dessen.

Eine andere Erklärung seines Outfits der letzten Jahre ist ebenfalls denkbar, würde mir aber noch weniger gefallen: Es kommt mir so vor, als ob er sich klamottenmäßig einfach keine Mühe mehr gibt. Als ob es ihm egal sei, wie er daher kommt (soll schon mal vorkommen bei älteren Herren). Das Video zu „Pussy Willow“ zeigt uns, dass das bis 1982 noch anders war. Aber in der Zwischenzeit hat er es zum Fels in der Brandung des Musikgeschäfts gebracht. Vielleicht betrachtet er sich als Selbstläufer, zu dem die Fans strömen, unabhängig von dem, was er auf dem Leib trägt oder wie er die höheren Töne trifft. Demnach wäre seine aktuelle Physiognomie eine Nagelprobe auf die Treue der Anhängerschaft.

Ein gutes Beispiel für ein gelungenes (weil zum Typ und zur Musik passendes) Bühnenoutfit fand ich auf diesem Video. Nicht, dass ich Mr. Anderson in diesen Klamotten sehen möchte; sie würden eben so wenig zu ihm passen wie sein jetziges Kostüm als Raupenbahnaufspringer, Schiffschaukelbremser oder was auch immer. Nein, dieser Link sollte nur verdeutlichen, dass es durchaus möglich ist, ein angemessenes Outfit zu finden. Wenn man es denn will. Die rustikalen Lederklamotten aus den frühen 70ern oder der Broadsword-Zeit standen dem Meister gut zu Gesicht. Etwas in dieser Art hätte er bis heute tragen können. Aber nein….

Ich möchte keinen abgeschlossenen Fall wiederaufnehmen, aber auf dem Pussy Willow – Video wirkt der Meister tatsächlich dunkelblond. Woran liegt’s ? Friseur ? Beleuchtung ? Aber lassen wir das.

Ein Gedanke zu dem 15jährigen Jungen mit dem Banjo:
Ehrlich gesagt ist es mir fremd, wie man von einer Fotografie dermaßen überrascht sein kann. Was Du über Aussehen und innerem Gefühl gesagt hast, findet meine volle Zustimmung. (Dass die Kleidung zur momentanen Gefühlslage passen muss, ist bei Frauen wohl etwas stärker ausgeprägt als bei Männern). Bei mir ist der Fall einfacher. Ich empfinde mich als „untergroßen“ Mann und so komme ich auf Fotos auch rüber. Punkt aus. Alles sehr simpel.

Bis zum nächsten Mal grüßt Euch
Lockwood

21.07.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

bevor ich mich in den Urlaub verabschiede, hier doch noch einige Anmerkungen von mir. Bekanntlich hinken Vergleiche. Und so kann man Herrn Fogerty schlecht mit Herrn Anderson vergleichen, wenn sich der Vergleich natürlich auch anbietet. Beide sind rund 60 Jahre alt, beide sind mehr oder weniger bekannte Größen der Rockmusik und Frontmann ‚ihrer’ Band. Und beide bringen ihren Nachwuchs auf die Bühne (wenigstens ab und zu). Aber damit hört es dann auch schon auf. Ian Anderson würde nie seinen Sohn als seinen Sohn vorstellen (so unterschlägt James Duncan selbst seinen Nachnamen), wenigstens wüsste ich nicht, dass er das je einmal getan hätte. Und die Knutscherei verbietet sich wohl schon aufgrund des Alters (wobei sich gerade auch 14-, 15-Jährige ungern öffentlich von einem Elternteil küssen lassen). Dass mit dem ‚gefühlten’ Alter ist natürlich so eine Sache. Grundsätzlich stimme ich Dir, Kretakatze, zu. Man sollte sich so geben (und kleiden), wie man IST. Aber wie ist ein Künstler, ein Rockmusiker, der allabendlich auf einer Bühne vor großem Publikum auftritt?

Herrn Anderson wird man wohl kaum in den Klamotten auf der Straße antreffen, mit denen er aufgetreten ist. Früher nicht, heute erst recht nicht. Wie ist das mit Herrn Fogerty? Trägt er auch im normalen Leben Jeans, karierte Hemden und dazu sein ‚Markenzeichen’, das rote Halstuch? Vielleicht bevorzugt er in Wirklichkeit Designer-Klamotten?! Gut, sein Auftreten wirkt authentisch. Aber IST das wirklich der reale John Fogerty oder doch nur ein Trugbild …?

In einem ähneln sich die beiden Herren. Beide haben ein ganz bestimmtes Image aufgebaut, so unterschiedlich es auch sein mag. Fogerty ist der Naturbursche, der locker-flockig seine Lieder herunterspult. Anderson dagegen der eher unnahbare Intellektuelle, der sich gern in kurioser Kostümierung zeigt. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Bei John Fogerty, wie geschrieben, wirkt das trotz falscher Zähne und gefärbter Haare immer noch sehr authentisch, also echt und glaubhaft. Bei Herrn Anderson dagegen nicht mehr. Aber warum nur? Weil er trotz Kostümierung wie ein 60-Jähriger aussieht?

Kretakatze schreibt: … irgendwie hat er mit zunehmendem Alter das, was er ist und das, was er darstellen möchte, nicht mehr unter einen Hut gebracht. Da passt das Benehmen nicht zum Aussehen, die Kleidung passt schon in sich nicht …

Das ist meiner Meinung nach durchaus richtig. Nur stellt sich die Frage, ob Ian Anderson auf der Bühne wirklich das darstellen möchte, was er ansonsten im wirklichen Leben ist, oder besser: sein muss. Ich denke nein. Eher versucht er sich auf der Bühne so zu geben, wie er ist (oder glaubt zu SEIN) … Und das wirkt natürlich grotesk. Wie kann sich ein 60-Jähriger so zum Kasper machen. Aber was IST Ian Anderson nun wirklich?

Sicherlich ist Herr Anderson ein geschäftstüchtiger Mensch. Dazu bedarf es einer gewissen Seriosität, die er bestimmt an den Tag legt, wenn es Not tut. Dann ist er Musiker, also Künstler, die bekanntlich etwas Exaltiertes an sich haben. Lockwood sagt es: Mehrere Seelen wohnen ach, in seiner Brust. Dass sich Anderson auf der Bühne geschäftsmäßig gibt, ist nicht zu erwarten. Also kaspert er herum … wie er es früher immer schon getan hat. Weil sich in den Jahren sein Aussehen so dramatisch verändert hat, führt das natürlich dazu, dass, was früher glaubhaft wirkte, heute für viele wie ein schlechter Witz erscheint.

Ich stelle mir Ian Anderson in den Klamotten früherer Jahre vor (das Tampa-Kostüm lassen wir einmal außen vor): Sähe der gealterte Ian Anderson nicht ähnlich lächerlich aus?

Ich fürchte fast, wir kritisieren Herrn Anderson, weil er alt geworden ist – optisch alt. Sein Bühnen-Outfit passt nicht mehr zu dieser äußeren Erscheinung, die er heute darstellt. Oder anders gesprochen: Herr Anderson genügt nicht mehr unseren Ansprüchen, Erwartungen, was auch immer.

Aber machen wir hier nicht zu viel Wirbel um Äußerlichkeiten? Gehen wir vielleicht nicht sogar Herrn Anderson auf dem Leim – oft genug kam die Weisheit in Form des Narrentums einher. Und macht sich nicht der zum Narren, der andere für einen solchen hält?

Und noch eines, ganz allgemein: Wir denken zu wissen, wer wir sind und sind enttäuscht, wenn andere uns anders sehen. Aber wissen wir das wirklich? Sind wir nicht zu oft mit uns selbst beschäftigt … und haben uns dabei selbst längst aus dem Blick verloren? Aber jetzt werde ich philosophisch … Genug für heute!

Nun, Lockwood, Du bist ja schon mittendrin im Urlaub. Letztes Jahr hatte ich mit meinen Lieben auf einen größeren Urlaub verzichtet, weil viel Geld für eine neue Heizung draufgegangen war; aber für eine Radtour (nach Fehmarn, Du weißt) hat es natürlich gelangt. Wenn das Wetter halbwegs mitspielt, macht so eine Tour mit den Fahrrädern wirklich Spaß. Allerdings merkte ich schon, dass meine Knochen nicht mehr die jüngsten sind. Ich hoffe, Du hast mit Deiner Familie schöne Urlaubstage, entspannst Dich und tankst neue Energie. Weiterhin schöne Urlaubstage.

Wir lesen beizeiten wieder voneinander.
Bis dahin
Wilfried

23.07.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 79: Al, Ian & starke Frauen

Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

die Urlaubsbeschreibungen aus Kreta haben einen Umfang, der manchen professionellen Autor von Reiseberichten vor Neid erblassen lässt. Liebe Kretakatze, vielen Dank dafür und welcome back !

Besonders interessant fand ich naturgemäß Deine Schilderungen über das Jethro Tull – Konzert. In einigen Punkten denke ich genau wie Du:

Warum tritt der Kerl immer noch auf ?
Muss die Flöten-Phallus – Geste auch mit knapp 60 Jahren immer noch sein ?
Warum vergleicht der Meister sich ständig mit anderen Rock-Größen ?

Gerade der letzte Punkt bringt mich zum Grübeln. Dieses Gebaren zeugt -trotz seines Könnens- nicht von einer großen Souveränität. Es ist, wie Du sagst: Ständig muss er sich und der Welt vor Augen halten, wer der Beste und Schönste im ganzen Land ist. Das Publikum wird sein Zauberspiegel. Dazu noch der Flötenphallus. „Spieglein, Spieglein, an der Wand, wer hat den Längsten in der Hand ?“ Ich bin kein Fachmann in solchen Dingen, aber in meinen Augen krebst Mr. Anderson seit Jahren haarscharf am Rande einer Profilneurose.

Frauen in der Rockmusik:
Es gab und gibt doch einige: Joan Jett, Suzie Quattro, Doro Pesch, Nina Hagen, die beiden Schwestern von Heart, Tina Turner. Bestimmt habe ich einige vergessen und bei den genannten sind die Grenzen zwischen Rock und Pop fließend. Auch kann ich nichts darüber sagen, ob sie ihre Stücke selber schreiben. Ich stimme Dir zu, liebe Kretakatze, dass Frauen in Foren zur Rockmusik eher die Ausnahme sind. Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass das bei der Popmusik schon ganz anders aussieht. Ohne es beweisen zu können oder zu wollen, behaupte ich, dass auf Fanseiten von Enrique Eglesias oder Robbie Williams die Damen in der Mehrzahl sind.

Ach ja, apropos Fan: Der Schock, den Euro Reaktion auf meine Queen-Links ausgelöst hat, ist lange überwunden. Was Ihr über Brighton Rock und March of the Black Queen geschrieben habt, ist bei objektiver Betrachtung korrekt. Man muss wohl Fan sei, um sich dafür begeistern zu können. Das ist mit Vielem so, nicht nur mit der Musik.

Zu guter Letzt noch etwas für die Jethro Tull – Fans unter uns:
Durch puren Zufall entdeckte ich bei youtube ein Video zu einer Preisverleihung. Kate Bush erhielt hier 2001 irgendeine Auszeichnung für den besten Songwriter. Das ist nichts Überraschendes, aber jetzt kommts: Wie es sich bei einer solchen Auszeichnung gehört, liest Mrs. Bush eine Litanei von Namen vor, denen sie zu Dank verpflichtet ist. Einer dieser Namen war Dave Palmer. (auf dem Video bei Minute 3:07) Weiß von Euch jemand, in welcher musikalischen Beziehung Mr(s). Palmer zu Mrs. Bush stand ? Bemerkenswert bei der Preisverleihung fand ich noch, dass der nach Mrs. Bush geehrte Johnny „Rotten“ Lydon, eine Gallionsfigur des Punk, sich vor Mrs. Bush und ihrem Werk buchstäblich verbeugte (Minute 7:13). Ja, ja, unsere gute Kate. Selbst ich kann mir nicht alles von ihr anhören, aber verdammt, sie hat was !!

Das war es schon für heute, wir sind alle vielbeschäftigte Menschen.
Bis bald
Lockwood

09.07.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

inzwischen bin ich nun endlich dazu gekommen Eure Mails zu lesen und die Links anzuschauen – die erste Woche nach dem Urlaub war doch sehr stressig. Zuerst zu Wilfrieds Frage nach dem Ursprung meiner Kenntnisse und Fähigkeiten in der Schaf-Pediküre: Ich dachte der kurze Lebenslauf von meiner Homepage wäre Euch bekannt.

Dann muss ich Dir leider mitteilen, lieber Wilfried, dass Dein „heiteres Gitarrengriffe-Raten“ betreffend meine „Rock ’n‘ Roll“-Bilder zu keinem einzigen Treffer geführt hat. Ich dachte Du würdest selbst auch Gitarre spielen…? Hier greife ich noch einen A-Moll (am), so ziemlich den einfachsten Griff, den es gibt. Auch jemand, der nicht Gitarre spielen kann, würde vielleicht rein zufällig seine Finger so setzen. Da ich ja lebensecht und professionell wirken wollte, habe ich ab diesem Bild auf G-Dur (G) umgestellt. Natürlich habe ich nicht wirklich irgend etwas gespielt, dazu hatte ich mir das Gerät schon zu tief gehängt. Ich denke man sieht, dass ich mit der rechten Hand kaum bis an die Saiten reichen kann. Außerdem hätte ich das Instrument, das ich vermutlich seit über 15 Jahren nicht mehr in der Hand hatte, dazu erst einmal stimmen müssen.

Tatsächlich habe ich auch noch eine Gitarre und eine Mandoline, und alle drei Instrumente hängen schon seit Jahrzehnten bei mir an der Wand und dienen dem Staub als dekorative Ablage. Die Gitarre habe ich bereits 1971 von meinem Taschengeld gekauft – das war damals eine gigantische Investition – und vor allem in der zweiten Hälfte der 70er habe ich auch fleissig darauf gespielt (d.h. ich habe täglich deutlich mehr Zeit mit meiner Gitarre verbracht als mit dem Lernen für Schule oder Studium). Leider war der Erfolg bescheiden, ich habe nie wirklich brauchbar spielen können. Irgendwie sind meine Finger zu steif und zu ungeschickt, um die Saiten sicher zu treffen – sei es nun mit der linken Hand zum Greifen oder mit der rechten zum Zupfen. Und so hat es zur Gitarristin dann doch nicht gereicht.

Apropos Gitarristin: Wilfried, Du arbeitest doch gerade die Liste der 100 besten Gitarrensolos ab. Wieviele Gitarristinnen sind denn darauf zu finden? Lass mich raten: 0? Es ist doch wirklich erstaunlich, wie krass das Geschlechterverhältnis in diesem Berufszweig ist, es scheint noch extremer zu sein als bei den Komponisten. Woher kommt das nur? Ich überlasse nur ungern den Männern so dermaßen 100%ig das Feld. Leider werde ich selbst daran nichts ändern können.

Und wo wir gerade bei den Gitarrensolos sind – auf Platz 91 sind da doch tatsächlich CCR mit „I Heard It Through The Grapevine“ zu finden. Länge des Solos 0:23? „…Graprevine“ ist im Original über 11 Minuten lang, davon wird etwa 3 Minuten gesungen, der Rest ist Gitarrensolo. Allerdings ist das für meine Begriffe auch mindestens 7 Minuten zuviel.

Kommen wir zum Interview mit Ian Anderson. Nun beginnt er also auch schon sich mit Frauen zu vergleichen – das ist neu. Die „alte Dame“ Madonna ist immerhin 11 Jahre jünger als er, da wird ihr Gesicht wohl kaum älter aussehen als seines. Auch ihr „Stimmchen“ kann eigentlich nicht dünner sein als das von Mr. Anderson, das geht garnicht. „Dürrer“ als er ist die Dame allerdings bestimmt (dazu gehört nicht viel). Immerhin bringt sie wohl „junge Kerle“ mit auf die Bühne, die von ihren Mängeln ablenken. Das wäre für Mr. Anderson natürlich die falsche Strategie. Deshalb verwendet er zu diesem Zweck junge Geigerinnen. Also diese Madonna-Kritik war doch wohl ein ziemliches Eigentor. Zumal er direkt danach verkündet mit seinem eigenen Alter und seinen eigenen körperlichen Gebrechen keine Probleme zu haben. Also er und sein Stimmchen dürfen altern, Madonna nicht? Oder wollte er sagen: Wenn Madonna so alt aussähe wie er ist und auch so übergewichtig wäre und so wenig Stimme hätte wie er, und dann ohne „junge Kerle“ auftreten würde, dann wäre es ok? Dann wäre sie natürlich vermutlich wirklich keine ernstzunehmende Konkurrenz mehr für ihn…

Was Mr. Anderson darüber hinaus zur Motivation für seine Konzert-Tourneen erklärt, halte ich für nicht völlig falsch. Er ist ein Perfektionist, und ich kaufe ihm ab, dass es bestebt ist sich musikalisch ständig zu verbessern und weiterzuentwickeln. Allerdings könnte er das auch zuhause in seinem Wohnzimmer (oder im Aufnahme-Studio), dazu müsste er nicht unbedingt auf einer Bühne stehen. Der wahre Grund für seine „Bühnen-Sucht“ ist die Tatsache, dass er die Hälfte seiner Persönlichkeit nur auf einer Bühne ausleben kann, die eine Hälfte seines Ichs braucht Publikum zum Leben wie Andere die Luft zum Atmen. Ich bin mir sicher, wenn er zwei oder drei Wochen auf keiner Bühne mehr gestanden ist, dann bekommt er erste Entzugserscheinungen. Es gibt daher auch kaum größere Lücken zwischen seinen Auftritten.

Mr. Anderson wird daher auf Bühnen stehen (oder vielleicht auch sitzen, wenn nötig im Rollstuhl), solange er irgendwie noch auf allen Vieren auf eine Bühne robben kann. Ich glaube sein größter Alptraum ist, dass er das irgendwann nicht mehr schafft. Es wäre für ihn vermutlich wie lebendig begraben zu sein. Ich könnte daher auch nicht so herzlos sein, ihm – wie von Wilfried vorgeschlagen – zum Geburtstag einen Rentenbescheid zu schicken. Da wäre es gnädiger ihm gleich den Hals zuzudrücken.

Nein, Mr. Anderson wird uns sicher weiterhin mit seinen Auftritten erfreuen, solange bis er umkippt, daran wird niemand etwas ändern können. Im Prinzip ist meiner Meinung nach dagegen auch nichts einzuwenden. Die musikalische Qualität seiner Dabietungen ist – soweit ich das beurteilen kann – einwandfrei. Lediglich seine Stimme lässt stark zu wünschen übrig, wir werden damit leben müssen, auch daran kann niemand etwas ändern. Das Einzige, woran man etwas ändern könnte, wäre das Bühnen-Outfit. Es sollte besser zu seinem Gehüpfe und seinen Verrenkungen passen, ich hatte das ja schon wiederholt erwähnt. Allerdings vermute ich, dass mein Vorschlags-Modell pontischer Kriegstänzer (das geht übrigens auch ohne Kopfbedeckung, wie diese Herren zeigen – der Tanz wird erst zum Schuss ab 3:15 richtig gut, da wird’s schnell…) bei Euch auf wenig Gegenliebe stößt. Vielleicht habt Ihr bessere Ideen. Man könnte, ähnlich einer Modenschau, ein paar Vorschläge zusammenstellen und ihm zukommen lassen…

Lieber Wilfried, zum Abschluss muss ich nun noch gestehen, dass ich mich ein wenig über Dich gewundert habe. Da erklärst Du zuerst, dass Du Al Stewart eigentlich nur vom Hörensagen kennst, meinst dann aber doch zwei Sätze später ein Gesamturteil über sein Lebenswerk abgeben zu können mit den Worten: „Aber Al Stewart insgesamt sagt mir wenig zu. Die Texte mögen in Ordnung gehen, aber die Musik ist mir etwas „zu leicht““. Darf ich Dich fragen welche der über 150 Titel von Al Stewart in Dein „insgesamt“ mit eingeflossen sind? Oder sollte dieses Urteil nur für den Song „Year Of The Cat“ gelten. Dann könnte ich Dir sogar noch zustimmen.

Auf jeden Fall solltest Du nicht meinen, die zwei oder drei Lieder von Al Stewart, die auf YouTube zu finden sind, wären repräsentativ für seine Musik. Das sind nur die paar kommerziell erfolgreichen Mainstream-Titel, die er zum Teil selbst nicht mag. „Time Passages“ hat er z.B einmal als „fürchterlich schlecht“ bezeichnet. Den Song hat er geschrieben, weil sein Produzent wollte, dass er noch einmal etwas schreibt, das klingt wie „Year Of the Cat“. Vermutlich gibt er sich auch deshalb in dem von mir verlinkten Video alle Mühe, den Song bis zur Unkenntlichkeit zu verhunzen. Wie auch immer, genauso wie man die Musik von Jethro Tull nicht allein aufgrund ihrer Top Ten Hits beurteilen könnte – da würden die wichtigsten Stücke fehlen – geht das bei Al Stewart auch nicht, eher sogar noch viel weniger.

In wie weit seine Musik mit der von Chris de Burgh vergleichbar ist, kann ich nicht beurteilen, da ich Chris de Burgh zu wenig kenne – ich habe vielleicht zwei oder drei Lieder von ihm gehört. Im Vergleich zu Stewart würde ich die als „folkiger“ und „schlichter“ einordnen, aber vielleicht ist das ja auch nur die kommerzielle Oberfläche. Von Al Stewart gibt es dagegen Titel, die sich meiner Meinung nach nahtlos ins „Songs From The Wood“-Album einfügen würden, z.B. Merlin’s Time. Aber leider kann ich Euch das alles nicht vorführen.

Deswegen möchte ich zumindest das Urteil „Texte gehen in Ordnung“ ein bißchen relativieren, und das im Vergleich zu Texten von Mr. Anderson. Dessen Texte werden teilweise als „intellektuell“ bezeichnet. Ich kann das nicht sehen. Intellektuell heißt für mich durchdacht, und das sind die Anderson’schen Texte häufig nicht. Sie klingen für mich eher sehr intuitiv. Nicht selten kommt Mr. Anderson bei der Verfolgung seiner Themen vom Weg ab und verirrt sich im Gestrüpp abstruser Metaphern oder Bilder, bis man die Aussage oder den Sinn seiner Worte völlig aus den Augen verliert – er selbst vermutlich auch. „A Passion Play“, aber auch Teile anderer Lieder klingen für mich wie unreflektiert niedergeschriebene Fieberphantasien. Das kann auch zu reizvollen Assoziationen führen, nur intellektuell ist es nicht.

Für mich war immer Al Stewart der Intellektuelle unter den Musikern und den Textern. Bei ihm ist jeder Vers durchdacht und jedes Wort sitzt. Ich kenne von ihm keinen Song, bei dem ich nicht verstehen würde, wovon er handelt. Von Anderson gibt er derer eine ganze Reihe. Und ich gehöre nicht zu den Menschen, die meinen ein Gedicht wäre dann besonders geistreich oder genial, wenn sie es nicht verstehen – ganz im Gegenteil. Jemand, dem es nicht gelingt sich so auszudrücken, dass man versteht wovon er spricht, hat ein Kommunikationsproblem, oder zumindest einen Fehler gemacht. Wer wirklich etwas zu sagen hat, möchte im allgemeinen auch, dass man ihn versteht, und wird sich entsprechend Mühe geben verständlich zu bleiben. Wer in allzu wirren Metaphern und Bildern schwelgt, verfolgt vermutlich andere Ziele.

Erst vor kurzem habe ich irgendwo gelesen, der Text von Sossity: You’re A Woman handle von der Kirche. Darauf wäre ich selbst nie gekommen, ich habe mich immer gefragt, was für eine Gesellschaft hier gemeint sein könnte. Einen konkreten Hinweis habe ich nicht gefunden. Auch in Al Stewart’s Cafe Society (der Text enthält einen Fehler, es muss heißen „Cause I want to go blind where I’ve never been before“) geht es um eine Gesellschaft. Wie diese aussieht, ist glaube ich hinreichend genau beschrieben. Und da wir ja gerade das Thema Konzerte und Bühnenauftritte hatten, hier noch ein zweiter Song zum Vergleich. Die Stewart’sche Variante von Minstrel In The Gallery, der Blick von der Bühne herab ins Publikum und, zumindest was den Stewart’schen Song betrifft, der Blick wie von außen auf sich selbst und das eigene absurde und unbegreifliche Tun: One Stage Before.

Die von Wilfried vorgestellten Gitarristen Ry Cooder und David Lindley waren mir beide unbekannt, haben mich aber auch jetzt nicht direkt vom Hocker gerissen. Ry Cooder’s Version von „Stand By Me“ wirkt auf mich emotionslos und daher langweilig. David Lindley’s Slide-Gitarre klingt interessant, aber den Gesang hätte er sich schenken können. Allerdings habe ich gerade am Beispiel Al Stewart gelernt: Man sollte einen Musiker nicht nur anhand eines einzigen Stücks beurteilen, da kann man ganz schnell heftig daneben liegen…

Nun beginnt also die Urlaubs-Saison, und Lockwood ist ab heute in den Ferien. Verreist Du eigentlich? Wie auch immer, ich wünsche Dir auf jeden Fall eine schöne Zeit und gute Erholung! Und dem Wilfried wünsche ich, dass er die Tage bis zu seinem Urlaub noch gut übersteht – er scheint je gerade etwas im Stress zu sein…

Liebe Grüße an Euch beide
Kretakatze

PS.: Als Nachschlag gibt’s heute dieses Video von Cat Stevens, in dem er mich mit der Aussage überraschte, dass er keine Ahnung hat was der Song-Titel „Tuesday’s Dead“ bedeuten soll. Er überlässt es seinem Publikum, sich eine Bedeutung auszudenken. Ich glaube, dass es Mr. Anderson schon zahlreiche Male genauso gemacht hat. „And if sometimes I sing to a cynical degree, it’s just the nonsense that it seems…“

09.07.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

bevor auch ich in den Urlaub enteile, will ich mich doch noch einmal bei Euch melden. Kretakatzes Kreta-Urlaub wurde also doch mit dem Tull-Konzert in Iraklio gekrönt. Vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht. Und herzliches Willkommen in unserem feuchten Sommer. Ist ja eher grauenvoll. Um es gleich zu sagen: Ich habe keinen Lap-Top, den ich mit in den Urlaub schleppe. Also keine Urlaubsberichte von mir – später aber sicher das eine oder andere Foto.

Da ich es möglichst kurz machen will, nur einige Anmerkungen zu Kretakatzes (nicht nur) Reise- und Konzertreport. Zunächst zu Andersons Schul- und Berufsausbildung. Bei Wikipedia steht eigentlich nur, dass er ab 1964 das Blackpool College of Art besuchte. Er hat zumindest einen Grammar School-Abschluß, was unserem Abitur gleichkommt. Die „Fine Arts“ hat er dann ziemlich schnell hinter sich gelassen, um nur noch Musik zu machen. Allerdings hat Ian Anderson wohl selbst hin und wieder am Cover Art-Entwurf zu der einen oder anderen Scheibe mitgewirkt. Schulabschluss also ja – Berufsausbildung: nein!

Noch ein Anderson!
.. noch einmal diesen ‚Anderson’ zum Ärgern …

Jethro Tull ist also auf Kreta ohne Violinistin aufgetreten. Vielleicht vertragen die Damen die Wärme dort nicht so gut, denn in Graz am 07.07. erschien diesmal als special guest die Flötistin Tinkara (lt. Laufi-Forum).

Kretakatzes Anmerkungen zu Ian Anderson, besonders zu dem besagten Interview, finde ich korrekt: Anderson braucht die Auftritte, hier kann er sich so geben wie er möchte. Und so lange er noch das Publikum findet, das er braucht, wird er auf Tournee gehen. Outfit und Gehüpfe? Immerhin bekommt Herr Anderson für sein Bühnengejogge noch Geld, während ich mich schweißgebadet mit kläffenden Hunden, die meine Bahnen kreuzen, herumzuschlagen habe.

Ian Anderson im Rollstuhl 1988
Und er flötet … bis zum Abwinken!

Mein Urteil zu Al Stewart ist sicherlich etwas lapidar und nicht ganz gerecht. Es stimmt schon: um ein endgültiges Urteil fällen zu können, müsste ich mehr von ihm kennen. Aber die wenigen Stücke, die ich gehört (und gesehen) habe, „haben mich nicht vom Hocker gerissen“, wie Du es in einem anderen Zusammenhang nanntest, Kretakatze. Oder anders gesagt: sie sprechen mich nicht an. Da mögen die Texte noch so durchdacht und stimmig sein. Nicht, dass mich Texte nicht interessieren, aber Lyrik (Liedertexte gehören wohl auch dazu) ist nicht ganz meine Welt (und bedient sich für mich oft solcher Metaphern, die jenseits meiner Begrifflichkeit liegen – aber ähnliches schreibst Du ja selbst). Und wenn ich manches schon in deutscher Sprache kaum nachvollziehen kann, wie dann in Englisch, das sich als solches einer anderen Bildersprache bedient (wenn wir jemanden auf dem Arm nehmen, so zerren die Angelsachsen jemanden am Bein: to pull sb. ’s leg – oder: Dumm wie Bohnenstroh ist so dick wie ein Ziegelstein, oder?). Aber das ist ein grundsätzliches Problem und hat nichts mit Al Stewart zu tun. Zu Ian Anderson bin ich in erster Linie über die Musik gekommen.

Zu Dir, Lockwood: Da war wohl eher der Wunsch der Vater des Gedanken (Gehörten). Kate Bush spricht nicht von Dave (also David oder heute Dee) Palmer, sondern von Del Palmer, der wohl als Bassist mit der guten Kate zusammengearbeitet hat.

Frauen und Rockmusik ist ein Thema für sich. Du hast wohl recht, Kretakatze: Unter den angeblich 100 besten Gitarrensolos der Rockmusik ist keines dabei, das von einer Frau gespielt wird (oder ich müsste mich gewaltig täuschen). Trotzdem sollte man die Rolle der Frau nicht unterschätzen. Über Kate Bush haben wir ja bereits gesprochen. Viele ihrer Lieder hat sie selbst geschrieben. Die von Lockwood genannten Frauen kann man gelten lassen, obwohl ich zu jeder einzelnen nicht viel sagen kann (z.B. ob sie auch ihre Lieder selbst schreiben). Aber ich habe meine eigene Liste. Und hier finden sich Frauen, die mir etwas bedeuten, weil ich sie wirklich gut finde:

Zunächst Joan Armatrading, die ich von Ende 70/Anfang 80er Jahre her kenne. Bei youtube habe ich ein Konzert aus dem Jahre 1979 (TV-Aufzeichnung vom WDR in Köln) hinterlegt. Übrigens gibt es hier ein Gitarrensolo, das ich zu meinen wirklichen Favoriten zähle (als ‚Vollstrecker’ Ricky Hirsch). Sie ist auch heute noch aktiv und hat erst kürzlich ein neues Album herausgebracht, auf der sie auch das eine oder andere Gitarrensolo (Fender) spielt, das sicherlich auch mit den „100 besten Gitarrensolos“ mithalten kann. Wer Armatrading sagt, muss auch Chapman sagen: Tracy Chapman. In einem der Kommentare zu den Videos bezeichnet ein Zuschauer Joan Armatrading als die Königin und Tracy Chapman als die Prinzessin, was in etwas auch meine Einschätzung (und Wertschätzung) wiedergibt.

Aus frühen Tagen (und um indirekt auf Jethro Tull zurückzukommen) kenne ich Sandy Denny, die lange Zeit bei der Folkrockgruppe Fairport Convention (gehört in den Family Tree von Tull dank Dave Pegg, Dave Mattacks und Martin Allcock, die alle drei sowohl bei Fairport als auch bei Tull gespielt haben – sozusagen die B-Mannschaft von Tull) mitgesungen hat und später 2 oder 3 Soloalben herausbrachte. Leider verstarb sie viel zu früh 1978 (Drogen spielten wohl eine Rolle). Sie hat viele ihrer Folkrocksongs selbst geschrieben. Etwas später bin ich dann über ein Album von Judie Tzuke gestolpert, die hier in Deutschland wohl weitestgehend unbekannt sein dürfte. Ihre Lieder bewegen sich zwischen Rock und Pop. Sie hat einige sehr schöne Lieder geschrieben (und natürlich gesungen), ist dann aber bald wieder abgetaucht. Trotzdem möchte ich sie in meiner Auszählung nicht unterschlagen, da ich zwei Alben (wohl ihre erfolgreichsten: Welcome to the Cruise und Sportscar) im Plattenschrank stehen habe.

Zuletzt eine etwas unterkühlte Blondine aus den Staaten: Aimee Mann. Kretakatze wird sie sicherlich emotionslos finden (und daher langweilig). Aber so sind die blonden Frauen nun einmal (Scherz beiseite). Mir gefallen die kleinen Lieder.

In meinem Weblog habe ich übrigens eine eigene Rubrik eingerichtet, die sich den starken Frauen der Rockmusik widmet, u.a. will ich in diesem Zusammenhang Suzanne Vega und Norah Jones nicht vergessen.

weitere Titel bei youtube:
Joan Armatrading: Tall In The Saddle (02/15/1979)
Fast car -Tracy Chapman
Sandy Denny – Who Knows Where the Time Goes
Judie Tzuke-Stay with me ‚till dawn
Aimee Mann – Pavlov’s Bell

Aber nun ist genug. Ich kann mir denken, dass Euch die eine oder andere musizierende Frau nicht so zusagt wie mir. Das wäre ja auch zu schön. Aber wir wollen uns nicht streiten.

Ach ja, Lockwood: Noch einmal etwas zu den Pogues und dem Sänger Shane McGowan. Einer meiner Schwager ist ein Fan von irischer Musik (ich muss ihn einmal bei einem Drum Whiskey näher interviewen) und hat vor längerer Zeit ein Konzert der Pogues in Hamburg gesehen (Alsterdorfer Sporthalle oder so). Vorsorglich hatte er sich schon alter Klamotten angezogen. Aber am Ende war es dann doch schlimmer als befürchtet. Der gute Shane muss reichlich angetrunken gewesen sein und hielt sich mehr am Mikrophon fest, als dass er sang. Die halbe Halle schwamm zudem in Bier, das pappbecherweise durch die Luft flog. Und in den Bierlachen schwammen weitere Alkoholleichen. Aber irgendwie hatte das trotzdem etwas (fragt sich nur, was?).

Weiterhin fröhliche Schaffenstage. In der nächsten Woche soll es dann tatsächlich wieder sommerlich werden.

Bis bald
Wilfried

10.07.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 75: Andersons Interview

Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

mit dem Video von „Brighton Rock“ scheine ich wirklich einen Griff ins Klo getan zu haben. Zum operettenhaften Eindruck der ersten Queen-Platten: Gerade das gefällt mir daran. Aber lassen wir das; ich will nicht missionieren.

David Lindley ist mir in der Tat vollkommen fremd. Sein „Bon Tempes Roulez“ drängt mich nicht dazu, mehr von ihm hören zu wollen.

Wilfried hat in seiner letzten mail ein Interview mit Ian Anderson vorgestellt. Leider, lieber Wilfried, verstehe ich nicht, was Du daran glaubhaft findest. Der Meister erklärt hier seiner gläubigen Gemeinde, dass er weiterhin auf Tour geht, um sich immer weiter in Richtung des perfekten Auftritts zu entwickeln. Das ist doch der reinste Hohn, soviel Arroganz hätte ich nicht einmal ihm zugetraut. Wenn er nach Perfektion strebt, hätte er vor über 20 Jahren aufhören sollen, spätestens nach seiner Halserkrankung.

Wenn er auf seinen Instrumenten nach eigener Aussage einen falschen Ton trifft, – was niemand bemerkt – so stört ihn das. Aber es ist ihm gleichgültig, wenn er (wie neulich in einem Blog-Kommentar sehr treffend zu lesen war) den Hals wie ein Ganter strecken muss, um einen hohen Ton zu treffen. Wo ist die Verbindung zwischen seinem aktuellen Gesang und Perfektion ?

Seine Aussage, dass er sich mit seinem Alter und seiner physischen Kondition gut arrangieren kann, nehme ich ihm ebenfalls nicht ab. Wenn es so wäre, würde er sein gefärbtes Resthaar nicht unter einem Lappen verstecken. Seine schlaffen Arme sind wirklich sein geringstes Problem. Ansonsten versteht es der Meister wie eh und je, sich und seine Musik gekonnt in Szene zu setzen. Ich wünsche ihm, dass er damit ein unkritischeres Publikum erreicht als ich es bin.

Als Geschenk für den Meister zu seinem runden Geburtstag fällt mir noch etwas Gehässigeres ein als ein (längst überfälliger) Rentenbescheid: Ein Mitschnitt des Tampa-Konzerts oder vom Hippodrom, damit er sich vergegenwärtigen kann, was die Fans unter Perfektion verstehen.

In eigener Sache: In NRW haben die Ferien vergangenen Donnerstag begonnen. Ich muss noch zwei Wochen zur Arbeit, um dann ab dem 9. Juli für vier Wochen Urlaub (incl. Abbau von Überstunden) zu nehmen. Vier Wochen ! So lange hatte ich noch nie an einem Stück Urlaub. Hoffentlich geht das gut. Das ist schon fast „Pappa ante portas“.

Mit den besten Wünschen für ein trockenes Wochenende verbleibe ich
Lockwood

22.06.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

nach längerer Sendepause melde ich mich wieder bei Euch. Entschuldigt, aber die letzten Tage hatte ich keine große Lust auf Herrn Anderson, zudem gab es auf der Arbeit reichlich Stress (ich bin einfach urlaubsreif, muss aber noch bis Ende des Monats durchhalten, aber dann …).

Aber zunächst zu Dir, Kretakatze, wie war Dein Urlaub, hoffentlich nicht zu heiß, oder? – und warst Du beim Tull-Konzert in Iraklio und wenn ja, wie war es? Der erste Teil der Deutschland-Tour ist ja vorbei und es gibt dazu viele unterschiedliche Meinungen, auch viele Bildchen usw., im Laufi-Forum ist davon vieles zu finden. Oder hier von der Kieler Woche (ohne Segelboote).

Achtung, Anderson!

Es sind auch einige Bilder vom Publikum dabei, die mich wirklich nachdenklich gestimmt haben. Okay, ich bin nun wirklich auch nicht mehr der Jüngste, aber betrachtet man z.B. das Foto unten, dann deutet wenig daraufhin, dass das die Besucher eines Rockkonzertes sind. Es sieht irgendwie nach einem Freiluft-Rentnertreff aus. Stimmt nicht ganz, ziemlich vorn links ist ein junges Gesicht zu sehen (aber wohl ein Enkel, der seine Großeltern begleiten musste oder ein Zivi, der den Rollstuhl schiebt – vielleicht gibt es für Begleitpersonen von Rollstuhlfahrern freien Eintritt zum Konzert).

Rentnertreff

Auch noch einige Worte zum Anderson-Interview. In gewisser Hinsicht halte ich es nicht nur für aufschlussreich, sondern durchaus für glaubhaft, wenn man es aus der Sicht von Ian Anderson betrachtet. Ältere Menschen haben nun einmal die Gewohnheit, die Dinge manchmal so hinzubiegen, dass diese für sie ‚stimmig’ werden (So hebt man gern manche ‚Sachen’ hervor, um andere zu ‚verdecken’). Rein instrumental denke ich wirklich, dass Ian Anderson nach höchster Perfektion strebt. Das hat nichts mit seinem Gesang zu tun (immerhin hat selbst er inzwischen gemerkt, „dass das Alter auch in meiner Stimme seine Spuren hinterlassen hat“, wie er sagt; okay, das ist äußerst beschönigend betrachtet). Und instrumental ist er, was die spieltechnische Seite betrifft, sicherlich besser, als z.B. beim Tampa-Konzert. Von daher wäre es keine so gute Idee, Herrn Anderson einen Mitschnitt von diesem Konzert zum Geburtstag zukommen zu lassen. Er würde mit sich unnachsichtig jeden Fehler aufzeigen wollen, der ihm damals unterlaufen ist.

Okay, es geht natürlich nicht nur um Spieltechnk. Unser Hauptkritikpunkt ist und bleibt eben der Gesang. Ein Grund, weshalb ich vorerst in kein Konzert mehr gehen werde. Kann man aber Herrn Anderson deshalb verbieten, weiterhin Konzerte zu geben? Andere sind nachsichtiger mit ihm. Erst jetzt habe ich über youtube eine Nachricht von einem 17-jährigen Mädel bekommen, die das Konzert in Chemnitz gesehen hat und es „einfach nur geil“ fand. Also sind es dann doch nicht nur Rentner, die die Konzerte besuchen, sondern es ist auch Jungvolk. Das mit dem „einfach nur geil“ lasse ich dabei unkommentiert durchgehen.

Kretakatze hat ihren Urlaub hinter sich, Lockwood muss nur noch diese eine Woche durchstehen (Pappa ante portas ist gut, so lange Du nicht versuchst, den Haushalt zu managen, wirst Du zu Hause geduldet sein, Lockwood, ich kenne das). Ich muss mich noch über drei Wochen quälen. Aber auch das werde ich schaffen. Und dann geht es zwar nicht nach Kreta, aber in die Berge.

Übrigens, das Montreux-Konzert von Jethro Tull 2003 gibt es ab 24. August auch als DVD. Ich könnte mir denken, die Scheibe anzuschaffen. Eigentlich warte ich vor allem auf die Veröffentlichung alten Materials von Konzertaufzeichnungen, die das ZDF in seinen Archiven hat. Entsprechende Ankündigungen gab es ja bereits.

Jethro Tull live at Montreux 2003

Für erstes soll das genügen. Man/frau liest sich weiterhin.
Eine angenehme Woche wünscht Euch
Wilfried

03.07.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 74: Favourite Guitarists (2)

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

Lockwood hat in seinem letzten Beitrag Brian May und die Gruppe Queen ins Spiel gebracht, und das fand ich sehr interessant. Anscheinend war Queen eine Gruppe mit mehr als einem Kopf, und siehe da, diese Band hat in unveränderter Zusammensetzung zwanzig Jahre zusammen gespielt. So sieht das wohl aus, wenn Musiker zusammen arbeiten, von denen keiner alles alleine kann und die sich für ihre kreative Arbeit gegenseitig benötigen und befruchten. Das hätten viele Jethro Tull Fans von „ihrer“ Gruppe wohl gerne genauso und machen Mr. Anderson einen Vorwurf daraus, dass das nicht nach ihren Wunschvorstellungen geklappt hat. Aber was kann Mr. Anderson dafür, dass er eine One-Man-Show ist? Sollte er lieber ein paar Talente weniger haben, damit er für dies oder das doch einen oder mehrere andere Musiker braucht, die nicht austauschbar sind? Und ist es jetzt so wichtig, ob er seine One-Man-Show „Jethro Tull“,“Ian Anderson“ oder sonstwie nennt?

Und welche Rolle spielt Martin Barre in diesem Theater? Das kann ich natürlich auch nur vage vermuten. Zusammenbrechen würde sicher nichts, wenn er nicht da wäre. Andererseits ist es schon ziemlich einsam, so ganz ohne „alten Freund“, könnte ich mir vorstellen. Und jemand anderen, der so geduldig und gutmütig alle seine Eskapaden mitmacht, wird Mr. Anderson so leicht nicht finden. Irgendwie haben die beiden schon fast etwas von einem alten Ehepaar…

Zurück zu Brian May – nach dem was ich bei Wikipedia gelesen hatte, war ich mächtig gespannt. Es klang, als könne es eine Musik sein, die ganz nach meinem Geschmack ist und die ich bislang nur durch einen dummen Zufall noch nicht entdeckt hatte. Singender Klang der Gitarre – genau das liebe ich. Aber dann war ich doch ziemlich enttäuscht. Brighton Rock klingt für mich wie ein startender Düsenjet, teilweise vielleicht auch wie eine startende Mondrakete. Mit Musik hat es für meine Ohren nur bedingt zu tun. Eine Melodie konnte ich auch nicht entdecken. Erst etwa ab 7:00 entlockt Mr. May seiner Gitarre tatsächlich so etwas wie Gesang. Aber auch hier wieder – es klingt ganz nett, aber da fehlt immernoch die Melodie. Was ist der Unterschied zwischen einer Melodie und hintereinander gereihten Tönen? Es ist nicht wirklich zu erklären. Eine Melodie lebt, sie spricht zu mir. Sinnvolle Worte und Sätze, die ich verstehe. Und die Sprache des Brian May verstehe ich wohl nicht. Es hat mich ein wenig gewundert, lieber Lockwood, dass Dir so etwas gefällt, da Du doch sonst eher ein Liebhaber akustischer Musik bist. Und sehr akustisch klingt das für mich nicht.

In zwei Punkten bin ich allerdings mit Dir völlig einer Meinung. Mr. May macht persönlich wirklich einen sehr sympathischen Eindruck. Und „The Green Fields Of France“ ist eine großartige und beeindruckende Ballade. Ein zeitloses Lied, das ich mir gerne auch noch öfter anhören werde! Es liefert außerdem einen nahtlosen Übergang zu dem Titel, der mir als erstes in den Sinn kommt, wenn ich das Wort „Gitarre“ höre – akustische Gitarre allerdings. Ich habe ihn im Rahmen des Themas „Gitarristen und Gitarrensoli“ nicht erwähnt, da es ja mehr um elektrische Gitarre ging, und da ich auch nicht einen Musiker mit dem anderen erschlagen möchte. Einer nach dem anderen… Aber hier kommt es nun, das epische Meisterwerk von Al Stewart über Hitlers’s Russland-Feldzug aus Sicht eines russischen Soldaten: Roads To Moscow.

Nachdem ich dieses Lied im Radio gehört hatte, habe ich mir die erste Platte von Al Stewart gekauft. Der sind noch ein knappes Dutzend weitere gefolgt. Al Stewart ist der dritte Schotte in meiner Sammlung (von der zeitlichen Reihenfolge her eigentlich der erste…). Irgendwie habe ich’s mit den Schotten. Und weil diese akustische Gitarre so schön klingt, hier gleich noch ein zweiter Titel hinterher:
On The Border. Und wer jetzt noch sehen und hören möchte, wie sich zwei ältere Herren auf ihren Klampfen austoben bei einem „Scottish-Irish Jig“, kann auch noch diese ziemlich abgefahrende Version von Al Stewart’s Hit Time Passages anklicken.

Um nun noch einmal auf John Fogerty zurückzukommen. Auf seiner Homepage lese ich gerade, dass die Aufnahmen für das neue Album abgeschlossen sind und die Veröffentlichung im Herbst geplant ist. 12 funkelnagelneue Songs, die Titel kann man schon mal nachlesen. Und was liest man auf Meister Anderson’s Website. Jedenfalls keinen Ton mehr von einem neuen Album. Wollte der nicht eigentlich auch im Frühjahr etwas aufnehmen?

Nach den Studioaufnahmen stürzt sich Fogerty nun wieder „on the road“, ab nächste Woche tourt er quer durch Europa, darunter sind auch (wie Wilfried ja schon erwähnt hat) 8 Auftritte in Deutschland. An den meisten Orten kommt er etwa 2 bis 3 Wochen nach Jethro Tull durch, z.B. Zwickau, Gelsenkirchen oder Berlin. Wenn ich mir die Terminpläne der Herren Anderson und Fogerty anschaue, wird mir ganz schwindelig. Mr. Anderson hat wohl die längere Liste, dafür sind bei Mr. Fogerty die Termine fast noch enger. Gerademal einen Tag Luft zwischen einem Auftritt in Österreich und einem Auftritt in Montreal – die Zeit sitzt man ja fast allein im Flugzeug, wie vereinbart er das mit seinem Jetlag? Da werde ich den Eindruck nicht los, die Herren wollen sich selbst beweisen, dass sie noch keine 60 sind und unterziehen sich dem Härtetest.

Ich muss zugeben, dass ich in den letzten Jahren auf Tour-Aktivitäten von Rock-Senioren nicht geachtet habe, aber dieses Jahr scheint mir wirklich fast jeder unterwegs zu sein. Neben Jethro Tull, bei denen das ja nun nichts ungewöhnliches ist (same procedure as every year) und John Fogerty, der seit 2004 von Jahr zu Jahr mehr aufzudrehen scheint, z.B. auch Elton John, Joe Cocker, Robert Plant, Bryan Adams, Meat Loaf, die Stones, The Who und Genesis. In Athen kann sich Mr. Anderson mit Alice Cooper die Türklinke in die Hand geben, der tritt dort in der gleichen Location einen Tag vor ihm auf. Sie scheinen alle gegen die Zeit anzurennen, die ihnen davon läuft. Wenn man einmal 60 oder darüber ist, weiß man nie, wie lange man diesen Tourstress gesundheitlich noch durchhalten kann, das kann jeden Tag vorbei sein. Und ich fange an richtig wehmütig zu werden bei dem Gedanken, dass vermutlich innerhalb der nächsten 10 Jahre alle diese Herren einer nach dem anderen für immer von der Bühne verschwinden werden. Da kann jede Tour die letzte gewesen sein.

So, nachdem es mir nun sicher gelungen ist, Euch in melancholische Schwermut zu versetzen, möchte ich Euch jetzt mit ein paar Kinderliedern wieder aufheitern. Lockwood meinte ja, einige CCR-Titel wären so ernst und traurig, dass sie kaum für 7-Jährige geeignet scheinen. Hideaway und Fortunate Son – der erste Song klingt wirklich sehr traurig, der zweite eher wütend – sind auch wohl kaum die Hit-Titel bei den Kindern, obwohl durchaus auch Kinder traurig oder wütend sein können. Sehr, sehr wütend sogar, wenn ich da an meinen Sohn denke… Es werden eher Songs wie Down On The Corner oder Looking Out My Backdoor sein, die auch wirklich wie Kinderlieder klingen. Und wenn ich noch diese Bilder dazu sehe, dann denke ich, CCR müssen wohl doch die erste Boy Group gewesen sein – wie die Jungs von nebenan, immer nett, adrett und gutgelaunt, und für jeden Geschmack Einer dabei… Aber ich weiß, Ihr steht mehr auf Kate Bush als auf Boy Groups.

Inzwischen fand ich auch einen neuen Altersrekord für einen CCR-Fan unter diesem Video von Proud Mary: „CCR Rock!I remember dancing and singing to this song when I was like 5 and I knew all the words“. Weitere Kommentare unter dem gleichen Video: „i totally agree with you, duno how old you are but im 14 and i cant stand rap and hip hop crap.“ – „I’m just 13 and I love the CCR!“ – „same here…oh right…14“ – „I used to sing and dance to this song as a little kid.“ – „I’m just 16 and I love the music of the CCR!!“ – „im only 15 and i like ccr.“ Und unter Have You Ever Seen The Rain geht es geradeso weiter: „i’m 13 and i agree. todays music is crap.“ – „same here man. im 15 and i listen to all the early rock bands.“ – „Yeah, I’m 16 and even though this music is older, we still grow up with our parents listnening to it. So it’s part of us also. I LOVE this song.“ – „yo im 12 althoug profile says otherwise i love classic rock ccr ledzeppelin? acdc all of those are way better than almost all of the crap nowadays“ – „I agree and i’m 12 too“ usw. – da sind noch mehr von der Sorte. Das lässt mich für die heutige Jugend hoffen, wenn es auch traurig ist, dass sie kaum gute Musik von ihrer eigenen Generation geboten bekommen und ihren Großvätern beim Rocken zusehen und zuhören müssen. Aber es könnte bedeuten, dass in einem John Fogerty Konzert nicht nur 50- bis 60-Jährige zu finden sind.

Übrigens habe ich dann auch noch unter einigen vielbesuchten Jethro Tull Videos nach ähnlichen Kommentaren gesucht – Fehlanzeige. Dort outen sich weder 5-Jährige noch 15-Jährige. Nur Solche, die in den 70ern 15 waren. Woran das liegen könnte, ist mir auch nicht ganz klar. Dass die 5-Jährigen von Aqualung oder Thick As A Brick überfordert sind, verstehe ich schon, aber warum fehlen auch die 15-Jährigen? Vermutlich liegt es daran, dass im Radio die alten CCR-Hits auch heute noch bedeutend öfter zu hören sind als die Tull-Klassiker.

Noch einmal kurz zur Auflösung des „Rätsels“ der beiden Textpassagen von Anderson und Fogerty. An zwei Merkmalen hätte man den Anderson’schen Text vielleicht erkennen können, auch ohne nachzuschlagen. Zum Einen verwendet Anderson Worte, die ich nicht kenne. „Boulder“ mußte ich nachschlagen, „steelhead“ kann ich nur erraten. Bei Fogerty kenne ich jedes Wort. Zweitens stammt Anderson aus Schottland, er sitzt zum Angeln auf einem Felsen. Fogerty angelt in den Sümpfen Louisianas, da gibt es keine Felsen. Also sitzt er auf einem Baumstamm. Lustig fand ich allerdings, dass Fogerty „catfish“ angelt, die scheinen nicht nur von Mr. Anderson auf Platten-Covers gezüchtet zu werden, sondern auch „On The Bayou“ frei herumzuschwimmen (oder wo auch immer der „Green River“ fließt).

Und zu Lockwood’s Frage wegen der Aussprache von Mathilda – ich nehme an die getrennte Aussprache von „t“ und „h“ ist darin begründet, dass es sich um einen zusammengesetzten Namen handelt, aus „Mat“ und „Hilda“ nämlich (wobei ich nicht weiß, für was genau „Mat“ die Abkürzung sein soll).

So, jetzt verabschiede ich mich aber endgültig in den Urlaub. In 24 Stunden muss ich schon am Flughafen am Check-In erscheinen. Um die Zeit gehe ich sonst gerade eben ins Bett…

Erholt Euch gut von mir!
Liebe Grüße
Kretakatze

PS.: Da ich für Blödsinn immer Zeit finde, habe ich mir für den Schluss noch etwas Schönes ausgedacht. Schließlich sollt Ihr mich nicht vergessen, während ich im Urlaub bin. Also habe ich mich extra Euch zuliebe ins John-Fogerty-1970 Outfit geworfen und mir – in Ermangelung einer E-Gitarre – mein Gitarrenbanjo umgehängt. Dann hat mein Sohn einige meisterliche Bilder von mir geschossen. Die Photoserie trägt den Titel Kretakatze Rockt 2007 (live): (1) (2) (3) (4) . Ich denke jetzt sollten keine Zweifel mehr daran bestehen, dass ich aufgrund meines aktuellen seelisch-geistigen Gesundheitszustands einen kleinen Urlaub dringend nötig habe.

15.06.2007

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Hallo Kretakatze & Wilfried,

in der Aufzählung der besten Gitarristen dürfen die Herren Clapton und Hendrix natürlich nicht fehlen. Menschen, die etwas vom Gitarrenspiel verstehen, zählen sie zur Weltspitze. Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Wie bereits gesagt, kann ich mich in meinen Beurteilungen nur danach richten, ob mir die Musik gefällt oder nicht. Der Musik von Clapton und Hendrix kann ich nichts abgewinnen. Das wird für die meisten Rockfans befremdlich klingen. Das ist so, als würde ein Freund der klassischen Musik sagen, dass er mit Beethoven nichts anfangen kann. Aber in meinem Fall ist es nun mal so. Mark Knopfler und die Dire Straits liegen mir da schon eher. Ihre Single „Brothers in Arms“ ist einer meiner Lieblingssongs. Die Tatsache, dass ich nicht sagen kann, welcher Gitarrist aufgrund seiner handwerklichen Fähigkeiten mein Favorit ist, bedeutet im Umkehrschluss, dass ich auch nicht sagen kann, welcher Gitarrist für mich der Schlechteste ist.

Ich habe mir Wilfrieds Link zu Artist United angesehen. Das Lied war mir vollkommen fremd und den Jahren, in denen ich das Lied durch meine Unkenntnis nicht hören konnte, weine ich nicht nach. Bunt zusammengewürfelte Künstler, die sich für ein Hilfsprojekt einsetzen, waren einmal sehr en vogue. Man kann trefflich darüber streiten, ob eine solch Aufnahme bereits eine politische Aktivität darstellt oder mehr eine Gelegenheit für einen Künstler, sich noch einmal ins Gespräch zu bringen. Ich hege meine Zweifel, ob durch dieses Projekt ein Quadratmeter Regenwald vom Bagger verschont geblieben ist.

Bei den Künstlern in diesem Projekt waren einige, bei denen ich annehmen muss, dass ihr Lebenswandel (dicke Limousinen, Sportwagen, beheizte Pools, klimatisierte Garagen, Privatjets usw.) nicht auf ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein schließen lässt. Mr. Anderson mag hier eine Ausnahme bilden, aber in der Summe mache ich mir schon Gedanken über die Glaubwürdigkeit einer solchen Aktion. Das wirklich bemerkenswerte an dem Liedchen ist für mich die Tatsache, dass Größen wie Anderson und May zusammen mit dem deutschen Schlagersternchen Sandra an einem Projekt arbeiten. Diese Kombination hätte ich mir in meinen tollsten Fieberphantasien nicht ausdenken können. Vielleicht gibt es auch ein gemeinsames Video von Jimmy Hendrix und Mary Roos, wer weiß ?

Das Stichwort Brian May bringt mich zur letzten Vorurlaubs-Mail von Kretakatze. Hier schreibt sie, dass sie bei Mr. May endlich eine singende Gitarre zu hören hoffte, aber von einem startenden Düsenjet enttäuscht wurde. Das hat mich schwer getroffen. Mit Tränen der Wut und der Enttäuschung in den Augen habe ich das betreffende Video noch einmal aufgerufen und versucht, es mit den Ohren von Jemanden zu hören, der nicht mit der Musik von Queen aufgewachsen ist. Und siehe da: stellenweise erinnert die Liveversion tatsächlich an einen startenden Jet; das Bild passt sehr gut. An dieser Stelle kann ich also nur empfehlen, sich die Studioaufnahme dazu zu Gehör zu bringen. Leider kann ich bei youtube kein Video zur Studioaufnahme finden. Ich weiß weder aus noch ein: Da preise ich Mr. May als meinen Lieblingsgitarristen, mit dem Erfolg, dass er als akustischer Umweltverschmutzer abgestempelt wird. Ich bin vollkommen am Ende !

Bitte, bitte, liebe Kretakatze: Vielleicht gibt es in Deinem Verwandten- oder Bekanntenkreis jemanden, der die ersten Queenalben aus der Zeit von 1974 – 1977 in seiner Sammlung hat. Falls dem so ist, mach Dir bitte die Mühe, dort einmal hineinzuhören. Da ist von startenden Jets keine Spur. Vielleicht ist das aber bei der Vielzahl unserer Themen zuviel verlangt. Mein Gott, was habe ich getan ??? Ich möchte Dir versichern, dass Mr. May durchaus in der Lage ist, so etwas wie eine Melodie zu spielen. Die Liveaufnahme von Brighton Rock war möglicherweise nicht der bestmögliche Einstieg in die Queen-Musik.

Nach einigem Suchen habe ich eine andere Studioaufnahme von Queen gefunden: The March of the Black Queen. Eine Aufnahme, die dazu geeignet ist, den Brighton Rock – Radau aus dem Wembleystadion zu relativieren. Bitte, liebe liebe Kretakatze, tu‘ mir den Gefallen und hör‘ es Dir einmal an ! Wenn Du danach Dein Urteil nicht revidieren kannst, gebe ich mich geschlagen.

Großer Absatz

Das „Roads to Moscow“ ist ein schönes Lied. Natürlich nicht zuletzt wegen der akustischen Gitarren. Aber auch der textliche Inhalt verdient eine Würdigung. Bei Gelegenheit werde ich mir den Text hierzu besorgen. Darüber hinaus bin ich leider kein großer Fan von Al Stewart.

Der Hinweis auf die überraschend deutsche Aussprache von „Mathilda“ ist schlüssig und einleuchtend. Allerdings frage ich mich, ob die englischsprachige Weltbevölkerung wirklich darüber informiert ist, dass sich dieser Name aus zwei althochdeutschen Begriffen zusammensetzt. Mir war das bis eben neu. Apropos Aussprache: Wilfried, hast Du eine Erklärung dafür, warum Mr. Clapton sein After Midnight wie Äfter ausspricht ?

Für heute ist es genug. Es ist sogar schon gar nicht mehr heute.
Bis bald also
Lockwood.

17.06.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood;

wenn wir eine Gruppe oder einen Musiker mögen und von denen ein bestimmtes Lied, dann verstehen wir es kaum, wenn andere nicht die gleiche Begeisterung aufbringen. Aber so ist das nun einmal. Lockwood kann nicht viel mit griechischer Musik und Clapton anfangen, Kretakatze wenig mit „Queen“ – und auch ich habe meine Schwierigkeiten, mich für das eine oder andere Lied zu begeistern, was ihr mögt. „Queen“ z..B. lag mir nie so recht und liegt mir auch heute nicht – trotz Lockwoods Bemühungen. Das Gitarrensolo von Brian May von „Brighton Rock“ war ein Eigentor von Lockwood; vielleicht hat man deshalb das Wembley-Stadion abgerissen und neu aufgebaut 😉 Aber auch „The March of the Black Queen“ kann mich nicht überzeugen. Es ist nicht meine Musik, zu operettenhaft. Jetzt bekommt Lockwood von beiden Seiten Druck, der Arme. Aber er wird es überstehen.

Al Stewart kenne ich eigentlich nur vom Hörensagen. „Year of the Cat“ habe ich sicherlich schon öfter gehört, aber nicht gewusst, von wem das ist. Und da es nicht „meinem Geschmack“ entspricht, gab es keine Veranlassung zu forschen, von wem das ist. Die „Roads to Moscow“ finde ich ganz okay. Aber Al Stewart insgesamt sagt mir wenig zu. Die Texte mögen in Ordnung gehen, aber die Musik ist mir etwas „zu leicht“ (auch wenn ich jetzt einen Aufschrei höre, aber sie erinnert mich etwas an Chris de Burgh und der ist mir einfach zu schmalzig).

Aber wir haben neben Jethro Tull wenigstens noch eine gemeinsame Schnittstelle: Mark Knopfer und Dire Straits. Ich habe mir damals auch eine LP von denen gegönnt, weil mir das Gitarrenspiel sehr gut gefiel (und heute noch gefällt). „Sultans of Swing“ findet sich so auch in den Top 100 der besten Gitarrensoli.

Ja, die Gitarrenspielerei! Ich pendle ja mit dem Zug zwischen Zuhause und Arbeitsstätte und höre mir jetzt schon mehrere Tage diese „100 Greatest Guitar Solos“ an. Fast die Hälfte der Stücke lässt sich dem „Hard Rock“ (Heavy Rock, Metal Rock, was weiß ich) zuordnen und besteht meist aus turnerischen Übungen (immer höher, immer schneller). Also abgehakt! Dann gibt es viele Stücke, die mir einfach nicht gefallen. Ich gebe euch darin völlig recht: Die Musik muss einem gefallen, sonst taugt auch das beste Solo nichts. Am Ende, so fürchte ich, bleiben gerade einmal ein Dutzend Stücke übrig, bei denen dann auch das Gitarrensolo halbwegs überzeugt. Ein Stück habe ich Euch eben genannt: „Sultans of Swing“ von Dire Straits, für mich nach wie vor: Aqualung mit Martins Solo.

Und dann gibt es sicherlich Gitarristen, die auf den diversen Bestenlisten nicht auftauchen, die mir trotzdem sehr gut gefallen, z.B. Ry Cooder, der sich u.a. auch viele Verdienste für seinen Einsatz zum Erhalt traditioneller Musik erworben hat (Stichwort: Buena Vista Social Club). Und in diesem Zusammenhang David Lindley (Prince Of Polyester genannt, Euch ist er sicherlich völlig unbekannt), der mit Ry Cooder zusammengearbeitet hat und wie er u.a. die Slide-Guitar spielt. Zu weiteren erwähnenswerten Gitarristen später mehr.

Apropos: David Lindley … als kleine Kostprobe ein kleines Lied von ihm : Bon Tempes Roulez. Wie gesagt, man nennt ihn den Prince of Polyester. Wenn es einen Preis fürs scheußlichste Outfit eines Musiker geben würde, so bekäme Ian Anderson durch Lindley echte Konkurrenz.

Womit ich bei Ian Anderson wäre. Dank der augenblicklich zu Ende gehenden Konzerttour von Jethro Tull durch Deutschland (Fortsetzung im Juli) finden sich in den News im Internet diverse Berichte. Zunächst aber zu den Reaktionen im Laufi-Forum von unseren Eingeweihten und Hardcore-Fans: Germany 2007 (wenn der Link noch klappt, ich fürchte der gute Laufi hat sein Forum in die Grütze gehauen oder es wurde gehackt): Zunächst ist viel von Euphorie zu lesen. Aber dann … Plötzlich kehrt sich der Eindruck und von Verriss zu sprechen, wäre fast schon geschmeichelt. Wie diese so völlig unterschiedlichen Beurteilungen der Konzerte zu Stande kommen, vermag ich kaum zu ergründen. Deshalb will ich mir das auch ersparen. Die verriss-ähnlichen Kritiken dürften aber, so fürchte ich, den Nagel am ehesten auf dem Kopf treffen.

Ich bin u.a. auch über ein Interview mit Herrn Anderson gestolpert, das mir in mancherlei Hinsicht sehr aufschlussreich (auch glaubhaft) erscheint. Zunächst eine mögliche Erklärung, warum Ian Anderson immer noch auf Tour geht (Geld allein kann nicht die Ursache sein), hierzu der Meister:

„Ich versuche mich in die Richtung des perfekten Konzerts zu bewegen. Ich weiß natürlich, dass es falsch ist anzunehmen, dass man tatsächlich irgendwann zu absoluter Perfektion gelangen kann. Aber es macht mir Spaß, es wenigstens zu versuchen. Ich weiß, dass ich immer noch Fehler mache. Jede Nacht haue ich mal daneben, spiele drei oder vier Noten falsch. Das mag Ihnen als Zuschauer gar nicht auffallen, vielleicht noch nicht mal den Typen in der Band, aber mir fällt es auf. Es dreht sich alles darum, keine technischen Fehler zu machen. Aber es ist auch mehr, es ist das Übertragen von Emotionen. Diese Kommunikation ist die ästhetische Seite ein Performer zu sein. Mit anderen Worten, es geht nicht nur um die technische Perfektion, es ist auch die Suche nach der besten Möglichkeit einen Gedanken oder eine Idee für einen Song zu kommunizieren.“

Zu seinem Piratenoutfit zwar kein Wort, aber doch etwas zu Alter und Aussehen :

„Ich möchte, dass die Leute meine schlaffen Arme sehen und mein gealtertes Gesicht und ich möchte, dass sie hören, dass das Alter auch in meiner Stimme seine Spuren hinterlassen hat. Ich schäme mich nicht dafür, dass ich ein alter Mann bin. Ich kann immer noch richtig sauer werden auf der Bühne und ich denke, dass meine Musik nach wie vor eine große emotionale Bandbreite abdeckt. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich nichts von diesen Aktionen unternehmen muss, was sich die jüngeren Leutchen heute so antun. Ich bin nun mal keine Zwanzig mehr. Aber ich kann mich mit meinem Alter und meiner physischen Kondition gut arrangieren.“

Bildchen gibt es natürlich auch von den Konzerten, u.a. vom Auftritt in der Zitadelle Spandau in Berlin.

Ian hoch auf dem roten Stuhl (Leipzig 07.06.2007)
Ian hoch auf dem roten Stuhl (Leipzig 07.06.2007)

Nun, Kretakatze, ein wirklich neues Album von Jethro Tull ist zwar immer noch nicht in Sicht, aber um die Wartezeit zu überbrücken, gibt es ab 24.08.2007 ein Doppelalbum: Live in Montreux 2003. Leider interessiert mich der Audio-Teil weniger als das Video, das ich zwar in beschiedener Qualität habe, aber gern in bester DVD-Auflösung hätte. Vielleicht kommt das ja dann später auch noch auf den Markt. Genug Anderson …

Kretakatzes Fotoserie mit dem Gitarrenbanjo finde ich höchst interessant. Ich mutmaße, dass Du dem Instrument auch einige wohlklingende Töne entlocken kannst (ich sehe Dich den D-Dur-Akkord greifen, auch C- oder ist es F-Dur; wie lange habe ich selbst schon nicht mehr auf der Gitarre gespielt; das Gitarrenbanjo müsste gleich gestimmt sein, oder?). Da ich gerade bei Deinen Fotos bin: Was hat es eigentlich mit dem Klauenbeschneiden auf sich? Warst Du früher in der Landwirtschaft tätig?

Nun am Samstag tritt ja Jethro Tull in Kreta auf. Hoffen wir, dass unsere gute Kretakatze noch ein Ticket bekommt, denn ich bin gespannt, wie ihr Urteil über das Konzert ausfällt.

Gruß nach Kreta. Und Gruß an Dich, Lockwood.
Gönnen wir uns eine kleine Verschnaufpause.

Wilfried

P.S. Lockwood, wann machst Du eigentlich Urlaub? Deine Kinder müssten doch bereits ab Donnerstag Ferien haben. Bei uns ist es bis zu dem Sommerferien noch vier Wochen hin.

P.P.S. Der Meister wird übrigens am 10. August d.J. 60 Jahre alt. Nur als Vorwarnung. Vielleicht fällt Euch ja etwas Hübsches ein, was man ihm ‚schenken’ könnte. Ich denke da an so etwas Ähnliches wie einen ‚Rentenbescheid’.

19.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 73: While my Guitar gently weeps

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

diesen Beitrag muss ich einmal wieder mit einer Entschuldigung beginnen. Mir ist klargeworden, dass die Ursache für meine „John-Fogerty-Karohemd-Psychose“ in meiner ganz persönlichen Vergangenheit zu suchen ist, und nicht, wie ich das getan habe, verallgemeinert werden kann. Insbesondere möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich Euch hier mit meinen persönlichen Psychosen belästigt habe. Es ist nämlich so, dass ich selbst einen gewissen Teil meiner Vergangenheit im Karohemd-Outfit verbracht habe – hauptsächlich beim Kühe melken und Schafe hüten. Zum Beweis hier ein Bild von Kretakatze 1984 in Karohemd, Latzhose und Gummistiefeln beim Klauen schneiden (Bild ist miserabel, da aus einer Zeitung abgescannt – das Tier vor mir auf dem Boden ist ein Lamm mit schwarzem Kopf und schwarzen Beinen).

Tatsächlich habe ich, soweit ich mich erinnern kann, selbst jahrelang bei der Arbeit ausschließlich karierte Hemden getragen. Insofern erscheinen mir vermutlich Personen in Karohemd instinktiv vertraut, da sie mich an mich selbst erinnern. Dazu kommt, dass ich inzwischen bei genauerer Betrachtung weitere, über das karierte Hemd hinausgehende äußere Ähnlichkeiten zwischen Mr. Fogerty und mir entdecken konnte. Das reicht von den vorstehenden Schneidezähnen bis zur Pony-Frisur – ich möchte jetzt nicht in die Details gehen. Das alles könnte dazu geführt haben, dass ich mich unbewußt in einer unangemessen übersteigerten Form mit der Person des Mr. Fogerty identifiziert habe. Ich bitte daher, meine bisherigen Ausführungen betreffend Mr. Fogerty in diesem Lichte ggf. neu zu bewerten – Danke!

Uff – und jetzt wechseln wir ganz schnell das Thema. Bringen wir mal einen ganz anderen Musiker ins Spiel, mit dem ich garantiert keine Ähnlichkeit habe…

Von der Sorte „One-Man-Band“ habe ich in meiner Plattensammlung nämlich noch eine weitere Gruppe stehen (bemerkenswerterweise habe ich dort nur Solo-Musiker oder „One-Man-Bands“ stehen): Mark Knopfler und seine Dire Straits. Auch hier gibt es eine Geschichte mit einem Bruder, der nach relativ kurzer Zeit die Band verlässt und sich mit einer Solo-Karriere versucht, in diesem Fall Mark’s jüngerer Bruder David. Auch er wird nie ersetzt, die Truppe spielt zu dritt weiter. Von den Dire Straits hat man seit bald 15 Jahren nichts mehr gehört, obwohl die Band nie offiziell aufgelöst wurde. Mark Knopfler ist dagegen durchaus noch aktiv, so spielte er z.B. im Jahre 2004 auf dem letzten Album von John Fogerty mit – sozusagen Brothers In Arms, Brüder unter sich. Dabei sollte man meinen, dass Knopfler mit Ian Anderson mehr Gemeinsamkeiten hat als mit John Fogerty. Zum Einen sind beide Schotten und Literaten (Knopfler ist studierter Journalist), und zum Anderen hat Anderson schon einmal ein Album herausgebracht, von dem man sagt es klingt als wäre es von Knopfler. Just für dieses Album hat er dann auch noch einen Grammy bekommen. Da wäre es doch naheliegend auch einmal zusammen zu musizieren. Aber das könnte Anderson vielleicht seinem Martin Barre nicht antun. Oder er befürchtet, dass er neben Knopfler doch nur als der Zweitbeste erscheinen könnte? Fogerty dagegen scheint keine Probleme damit zu haben sich einen Gitarristen „einzukaufen“, von dem er auch noch etwas lernen kann.

Wie man an dem obigen „Brothers in Arms“-Video sieht, stehen da auch bei den Dire Straits schon in den 80ern (Video stammt vermutlich aus der Tour 1985/86) deutlich mehr als die eigentlichen 3 Bandmitglieder auf der Bühne. Ich könnte jetzt nicht einmal sagen, wer von diesen Musikern zu den Dire Straits gehört und wer „zugekauft“ ist. Was man auch sieht: Der völlig andere Bühnenauftritt im Vergleich zu Anderson. Knopfler erscheint in Jeans und T-Shirt, spricht üblicherweise so gut wie überhaupt nicht mit dem Publikum, steht mit unbewegtem Gesicht nahezu regungslos am Mikrophon und wirkt teilweise fast gelangweilt. Krasser geht’s eigentlich nicht mehr. Trotzdem habe ich mich noch nie bei einem Video von ihm gelangweilt.

Aber auch Knopfler hat im Laufe der Jahre dazu gelernt. So bewegt er sich jetzt mehr auf der Bühne und lächelt sogar gelegentlich! Im Gegensatz zu Anderson und Fogerty scheint ihm allerdings immernoch jede Eitelkeit fremd zu sein. Er erscheint auf der Bühne weißhaarig, kahlköpfig und bebrillt – wie er halt so ist. Und die Fans störts überhaupt nicht, die sind begeistert. Zum Beweis hier ein ziemlich gutes Bootleg von 2005, Knopfler’s „Werbespot“ für Deutschland und deutsches Bier:
Why Aye Man (Soundqualität nicht ganz so toll, aber ich wollte was Aktuelles). Das Einzige, was ich bei diesem Song schon beim ersten Hören einwandfrei verstanden habe, waren die Zeilen „plenty Deutschmarks here to earn“, „german beer is chemical free“ und „tonight we’ll drink the old town dry“. Wahrscheinlich wird er extra von der deutschen Bierindustrie dafür bezahlt, dass er diese Worte deutlich ausspricht, ansonsten bekommt er ja beim Singen die Zähne kaum auseinander. (Damit – wer möchte – wenigstens ein bißchen was vom Text versteht, hier noch der Original-Videoclip von 2002). Bleibt vielleicht noch zu ergänzen, dass sich Knopfler’s Stimme bislang nicht verändert zu haben scheint. Er hatte allerdings auch noch nie eine.

Diese wenigen Worte über Mark Knopfler hatte ich übrigens bereits geschrieben, bevor Du, lieber Wilfried, nach den Gitarristen und Gitarrensoli gefragt hast. Es hat nur zu meinen letzten Beiträgen nicht gepasst. Aber Du wirst Dir jetzt wahrscheinlich schon denken können in welche Richtung meine Antwort gehen wird. Wenn ich eine Rangliste der besten Gitarrensoli aufstellen sollte, dann wären mindestens die Plätze 1 bis 20 lückenlos von Mark Knopfler belegt. Danach hätten dann vielleicht auch noch andere Musiker eine Chance (in den Lücken). Das Solo aus I Put A Spell On You wäre sicher mit dabei, außerdem While my Guitar gently weeps und vielleicht noch ein paar Titel von Al Stewart, dessen beste Songs auf YouTube leider nicht zu finden sind (jedenfalls keine mit Gitarrensolo). Ansonsten kann ich mich Lockwood nur anschließen: Welche Gitarristen „gut“ sind, kann ich nicht beurteilen. Ich entscheide einzig danach, ob mir die Musik gefällt, ganz gleich ob sie leicht oder schwer zu spielen ist.

Tatsächlich war ich ziemlich überrascht Aqualung auf der Liste der Gitarrensoli zu finden – mir war bislang nicht einmal bewusst, dass es in Aqualung ein Gitarrensolo gibt (dabei dachte ich, ich kenne das Stück). Da kannst Du mal sehen, wie beeinduckt ich von dem Solo war. Ich muss zugeben, dass ich in der Musik von Jethro Tull Gitarrensoli nie wahrgenommen habe, ich kann mich an kein einziges erinnern. Das ist vermutlich eine fürchterliche Schande für einen Jethro Tull Fan – falls ich einer bin. Deshalb habe ich gerade noch einmal Aqualung angeschaut, damit ich wenigstens weiß, wovon wir sprechen. Und ja, das ist die Stelle wo Mr. Anderson kurz die Bühne verlässt und ich – zumindest geistig – auch. Es ist eins von den Gitarrensoli, die laut und schnell sind, aber für mich ohne erkennbare Melodie. Bei solcher Musik schalte ich ab.

Ich habe überhaupt ein Problem mit Instrumentalmusik. Für mich ist der Gesang, der Klang der menschlichen Stimme in der Musik sehr wichtig, um mein Interesse und meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Bei den meisten Instrumentalpassagen beginne ich mich schon nach 30 Sekunden zu langweilen. Instrumentalmusik muss schon sehr viel zu bieten haben, damit sie mich anspricht. Am ehesten gelingt das, wenn der Klang des Soloinstruments der menschlichen Stimme ziemlich nahe kommt, und auch die Melodie wie gesungen klingt. Dafür ist eine Querflöte schon einmal recht gut geeignet. Noch besser geht das mit einer elektrischen Gitarre, aber der Klang muss stimmen – lärmend und kreischend mag ich garnicht. Deshalb schaue ich bei den meisten Gitarrensoli eher auf die Uhr und frage mich, wann’s endlich vorbei ist.

Die einzige Ausnahme ist da Mark Knopfler. Dem kann ich stundenlang zuhören, ohne dass ich merke wie die Zeit vergeht. Eigentlich dachte ich, ich hätte Sultans Of Swing schon so oft gehört, dass es mir langsam zum Hals heraushängt, aber ich wollte trotzden eine Version in meine Playlist verlinken. Also habe ich mich durch die verschiedenen Versionen durchgeklickt, weil ich die beste heraussuchen wollte. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich seit anderthalb Stunden nicht anderes als verschiedene Versionen von Sultans Of Swing höre, und ich hätte noch eine Weile so weitermachen können.

Krasser Wechsel zu einem ganz anderen Musikstil.
Proud Mary in der Version von Ike und Tina Turner war mir bisher unbekannt. Vielleicht habe ich das Stück auch schon so gehört, nur habe ich es nicht mehr wiedererkannt. Die ursprüngliche Melodie kann ich in dieser Version nämlich nur noch mit großer Mühe erkennen, der Anfangsteil ist zu langsam und der Schluss zu schnell. Die Interpretation dieses Stücks scheint hauptsächlich aus Gekreische und Hinterngewackel zu bestehen. Was das mit dem Inhalt des Lieds zu tun hat, ist mir bislang verborgen geblieben. Und warum sich Tina zum Hinternwackeln gerade dieses Musikstück ausgesucht hat, wird mir wohl auch ein Rätsel bleiben. Jedenfalls weiß ich jetzt wieder, warum ich sie noch nie leiden konnte – sie schafft es ein gutes Lied bis zur Unkenntlichkeit zu versauen.

Lieber Wilfried, da finde ich Deine Version doch noch deutlich besser (wenn sie auch nicht ganz an das Original herankommt). Und das gilt noch viel mehr für „Dirty Old Town“. Während sich die „Originale“ (?) von den Pogues und den Dubliners in meinen Ohren kaum unterscheiden und beide so klingen, wie das Lied heißt – dirty and old, stumpf-dumpf trist und schwerfällig – klingt Deine Version flott und beschwingt. Also in meiner Hitparade belegst Du jedenfalls die vordernen Plätze deutlich vor der Prominenz! Und von „belegter Simme“ konnte ich auch nichts hören. Sei nur nicht so bescheiden. Warum habt Ihr das Musizieren eigentlich aufgegeben?

So, machen wir Schluss für heute. Und am besten verabschiede ich mich auch gleich in den Urlaub – ich werde mich höchstens noch einmal kurz melden, falls mir die Zeit noch reicht. Amüsiert Euch in der Zwischenzeit gut ohne mich!

Liebe Grüße
Kretakatze

PS.:Da ich nun schon einmal im Photoalbum gekruschtelt habe und außerdem nicht möchte, dass Ihr denkt ich laufe die ganze Zeit in Karohemden, Latzhosen und Gummistiefeln herum: Hier noch ein paar Bilder von mir, die beweisen, dass ich vielseitig veranlagt bin und nicht nur Klauen schneiden sondern auch griechisch tanzen kann. Dem möchte ich noch vorausschicken, dass unsere Tanztruppe sehr laienhaft zusammengesetzt und ausgestattet war, also nicht vergleichbar mit Tanz-Videos, die ich bereits verlinkt hatte. Ich hoffe daher auf stark gedämpfte Erwartungen, damit ich diese zumindest noch knapp übertreffen kann (Die Bilder stammen übrigens von 1995):
Seimbekikos
Sirtaki
Chasaposervikos

11.06.2007

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Hallo Ihr beiden Hübschen,

Ihr wart ja wieder fleißig. Besonders Kretakatzes letzte Beiträge haben mir sehr gut gefallen. Du hast die beiden Herren, Fogerty und Anderson, wohl sehr treffend geschildert. Ich möchte dabei auf den von Dir angesprochenen Unterschied zwischen nationaler Herkunft einerseits und unterschiedlichem familiären und gesellschaftlichen Background andererseits kurz zurückkommen. Ich habe John Fogerty als typisch amerikanisch hingestellt. Ich muss dazu sagen, dass ich nie in den USA war. Aber man liest halt so manches und Hollywood gibt ja auch genügend Anschauungsunterricht. Was ist also typisch amerikanisch? Amerika ist bekanntlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Und sicherlich gibt es dort einen allgemeinen Trend, die gesellschaftlichen Schranken aufzuheben (trotz der Rassenschranken). Auf jeden Fall fragt man zunächst weniger nach dem Staat, sondern ist gern selbst seines Glückes Schmied. Man ist freundlich und aufgeschlossen, aber doch meist sehr unverbindlich dabei (z.B. Einladungen, wozu und wohin auch immer, sollte man nicht unbedingt wörtlich nehmen). Und in einer Länderkunde von Dietrich Schwanitz in seinem Buch „Bildung“ las ich das Folgende:

„Wundere dich nicht, wenn beim Essen der Amerikaner zuerst das ganze Steak mit Messer und Gabel zerschneidet, dann das Messer hinlegt, die Gabel in die Rechte nimmt und die Linke unter dem Tisch auf das Knie stützt. Er braucht sie, um den Colt zu halten.“

Einfach gefühlsmäßig würde ich John Fogerty so auch als netten amerikanischen Guy sehen.

In Großbritannien dagegen herrscht auch heute noch ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein – sowohl in der Upper als auch Lower Class. Zur Upper Class gehört man dabei nicht unbedingt durch Geburt, sondern mehr noch durch eine entsprechend gute Schullaufbahn. In diesem Sinne gehört Ian Anderson sicherlich zur Oberklasse – und entsprechend gebärdet er sich auch. Also um Herrn Anderson halbwegs (tiefenpsychologisch) näher zu kommen, muss man vieles von dem verstanden haben, was als typisch britisch angesehen wird. Ich habe mich hierzu einmal etwas näher ausgelassen, wenn auch bezogen auf deutsche Verhältnisse: Die ‘neue’ und die ‘alte’ Unterschicht Teil 1 und Teil 2

Andersons politische Engagement ist nicht offensichtlich. Er nimmt an keiner Demonstration teil. Wir haben ihn auch nicht in Heiligendamm gesehen. Unpolitisch ist er dagegen mit Sicherheit nicht. Er hat sich z.B. im amerikanischen Fernsehen bewusst kritisch über die Allgegenwart der Amerikatümelei (in Form von amerikanischen Flaggen, die in jedem Vorgarten wehen) geäußert, was ihm u.a. ein Verbot bei einigen anderen Sendern einbrachte. Auch hat er sich oft genug ablehnend gegen George W. Bush geäußert (nun, gut, das ist kein Kriterium – welcher Mensch mit Verstand wird Bush mögen). Seine Texte sind gespickt mit kritischen Anmerkungen zum politischen Geschehen. Nur ein Beispiel: Vor einiger Zeit hatte ich das Solo-Album von Ian Anderson Walk into Light für mich digitalisiert. Auf dem Album gibt es das Lied Different Germany. Es thematisiert auf Anderson’sche Art die wachsende politische Tendenz in den 80-er Jahren in Deutschland nach rechts außen. Und, um noch einmal auf dunkle Segel am Horizont zurück zu kommen, es finden sich auch in vielen anderen Texten vielleicht verschlüsselte, aber durchaus entzifferbare Hinweise auf kritische (und damit durchaus politische) Stellungnahmen. Ähnlich ist es um das Lied „No Lullaby“ bestellt. Anderson bedient sich einer Bildersprache, die zunächst ein ‚oberflächliches“ Szenario wiedergibt. Erst wenn man am Lack kratzt, zeigt sich, dass sich das alles auch anders, eben ‚tiefer’ deuten lässt. So ist nun einmal die Sprache der Dichter: metaphorisch, meist auch reichlich kryptisch.

Neben seinem Engagement für Wildkatzen usw. hat er sich auch für den Regenwald stark gemacht, wie das folgende Video beweist (auch wenn das bereits längere Zeit her ist): Artists United For Nature – Yes We Can – hier hat er sich u.a. mit Musikern und Sänger wie Brian May (sic!), Joe Cocker, Harold Faltermeyer, Herbie Hancock, Chaka Khan und vielen anderen zusammen getan. Eine solche Aktion muss man auch als politisch werten.

Brian May und Mark Knopfler lasse ich gern als hervorragende Gitarrenkünstler gelten. Natürlich tauchen beide auch in den entsprechenden Bestenlisten auf. Martin Barre gilt weiterhin als unterbewertet, obwohl er einen sehr eigenen Stil entwickelt hat, der sich in einigen Stücken an der menschlichen Gesangsstimme orientiert. Mein Neffe, auch viele Jahre als Gitarrist unterwegs, war kein ausgesprochener Tull-, dafür aber ein um so größerer Barre-Fan. Er könnte Euch sicherlich einiges mehr zu dessen Stil und technisches Können erzählen. Ich muss eines gestehen: Dass ich ähnlich Kretakatze früher den guten Martin auch eher überhört habe, manchmal ihn eher als schlecht empfunden habe. Heute aber (und nach längeren Diskussionen mit meinem Neffen) bin ich hörtechnisch Martin Barre ‚hintergestiegen’. Er ist schon etwas gewöhnungsbedürftig.

Und Kretakatze hat es erfasst: „Crest of a Knave“ klingt wirklich sehr knopfler-isch. Zum einen klingt Martin Barres Gitarre sehr im Stile von Mark Knopfler; und dann ‚imitiert’ auch noch Herr Anderson dessen Stimme. Mich hat das damals auch sehr verwundert. Obwohl ich nicht unbedingt von Plagiat sprechen möchte, so würde es mich eigentlich schon interessieren, wie es bei Anderson & Co. dazu gekommen ist, sich an Dire Straits zu orientieren, denn leugnen wäre zwecklos.

Zu den Gitarrengöttern zählen sicherlich Eric Clapton und Jimi Hendrix. Beide haben ebenfalls einen unüberhörbaren eigenen Stil. Von Hendrix hätte ich gern mehr Stücke, in denen er nicht so vollgedröhnt daherspielt, als müsste er die ganze Welt in Flammen setzen. Bei diesen Endlossoli klappen mir auch die Ohren zu, schnell zum nächsten Stück. Clapton ist aber nun wirklich „God“. Er hat zwar kaum wirklich gute eigene Lieder erfasst (aber welcher gute Gitarrist hat das schon). Wie er aber z.B. mit Cream bei den Stücken White Room oder Crossroads in die Saiten haut, das hat schon etwas. White Room ist zudem ein Lehrstück für (künftige) Bassisten (ich finde das Stück einfach geil, eines meiner Liebensstücke eben).

Apropos Clapton: Kretakatzes Link auf den Beatles-Titel While My Guitar Gently Weeps – kein anderer als Clapton spielt hier das Solo (am Ende zusammen mit Harrison). Und zusammen mit Mark Knopfler war sich Clapton nicht zuschade, auch einmal nur auf der Gitarre zu schrammeln, hier eine andere Version von Sultans of Swing.

Zu anderen (auch meist unterbewerteten) Gitarristen später etwas mehr. Die Gitarre ist nun einmal in der Rockmusik DAS Instrument. Welcher Jugendliche, der daran denkt, einmal Musik zu machen (Rockmusik meine ich), der will natürlich Gitarre spielen. Keyboards, Schlagzeug, Bass – alles ganz nett, aber KLAMPFE, das ist es eben!

Zum Ende der ‚legendären’ Band Black Out: Das Ganze spielte sich in Bremen ab, weil alle Beteiligten dort wohnten. Ich bin dann Anfang der 80-er Jahre zwecks Studium nach Hamburg gezogen – und an den Wochenende nach Bremen gependelt. Das wurde mir mit der Zeit aber zuviel. Außerdem wollte unser Schlagzeuger öfter auftreten (wir übten in einem dunklen Keller), um zusätzlich Geld zu verdienen. Das wollten die anderen (und ich) aber nicht. Und so kam es, wie es kommen müsste. Es wurde liquidiert, was liquidiert werden musste. Und das war es denn. Also keine Streitigkeiten zwischen Brüdern.

Kretakatzes John-Fogerty-Karohemd-Psychose finde ich ganz normal. Was mein Outfit anbelangt, ich schrieb es bereits, da bewege ich mich ganz auf dem Fogerty’schen Niveau. Ich bin da das, was man bekanntlich den Schotten zuschreibt: geizig! Ich trage vielleicht nicht immer karierte Hemden, aber oft genug, und ansonsten Hemden, die eben bunt sind (wenn auch gestreift oder so statt kariert). Und die trage ich meist so lange, bis sie aus dem Leim gehen. Ähnliches gilt für meine Hosen, die meist Jeans sind (aber nicht von Armani). Ich sehe nicht ein, mich einem Modediktat zu beugen und mehr für Klamotten auszugeben, als es Not tut. Bequem muss es sein, dass ist das erste (und einzigste), was zählt. Anzüge, Schlips und Kragen sind nichts für mich. Es war wohl letztes Jahr, da habe ich zum ersten Mal selbst in meinem Leben einen Krawattenknoten gebunden (Anleitung aus dem Internet), übrigens eine Krawatte im Anderson-Tartan (klar: schottisches Karomuster), die ich spaßeshalber zu einer Familienfeier trug. Ansonsten mussten mir immer andere helfen (manchmal kommt man nicht umhin, ein solches Stranguliergerät zu tragen). Mit Jacketts und dergleichen tue ich mich ebenso schwer. Ist nun einmal so und ich stehe dazu.

Nun denn, ich wünsche euch noch einige geruhsame Arbeitstage. Und Dir, Kretakatze, wünsche ich einen schönen, erholsamen Urlaub. Ich drücke Dir die Daumen, dass es klappt mit der Eintrittskarte. Es steckt auch etwas Eigennutz dahinter, denn schließlich wollen wir wissen, wie sich Herr Anderson so gemacht hat im weiten Süden.

Wir lesen voneinander.
Viele Grüße

Wilfried

12.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 72: Favourite Guitarists (1)

Liebe Kretakatze, lieber Wilfried,

Wilfrieds Zeitdokumente von Black Out sind gute Beispiele dafür, dass auch mit geringem technischem Aufwand gute Musikaufnahmen möglich sind. Mich würde interessieren, wie es zum Ende der Gruppe gekommen ist. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht jedem der beteiligten Musiker leicht gefallen ist.

Wilfried, wirst Du die aktuelle intensive Beschäftigung mit John Fogerty zum Anlass nehmen, Dir sein Konzert in Hamburg anzusehen ? Ich denke, die Gefahr, dass sich seine Fans immer noch aus 7jährigen rekrutieren, ist eher gering. Eine persönliche Inaugenscheinnahme einer unserer Zielpersonen könnte unsere Diskussion gewiss zusätzlich beleben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich persönlich kein großer Freund von Open-Air-Konzerten bin, wegen Akustik und Stimmung, you know.

Ich bin Dir sehr dankbar für Deine Frage nach den Lieblingsgitarristen. Eine wirklich gute Idee und ein sehr schönes Thema. Natürlich schätzen wir alle die Saitenkünste des Martin Lancelot Barre. Seine Verdienste um die musikalische Qualität von Jethro Tull kann man nicht überbewerten. Er ist allerdings nicht mein Lieblingsgitarrist. Das hat überhaupt nichts mit seinen Fähigkeiten an der Rockgitarre zu tun, sondern einzig und allein damit, dass Jethro Tull für mich eine Folk-Rock – Band ist, mit der Betonung auf Folk. Mit anderen Worten: Mir gefallen der Gesang (der weiteren Vergangenheit) des Mr. Anderson und die akustischen Saiteninstrumente besser als die Aspekte der Rockmusik, die Mr. Barre in das Spektrum der Gruppe einbringt.

Mein favourite Guitarist ist Brian May von Queen. Er und seine Red Special. Die beiden gehören zusammen wie John Wayne und die Winchester. Trotz meines wenig musikalischen Gehörs würde ich die Red Special unter hundert anderen Gitarren heraushören. Das wohl populärste Zeugnis seiner Kunst legte Mr. May mit dem Solo in der Live-Version von Brighton Rock ab: Durch eine spezielle Spieltechnik (Echo- und Delay-Effekte) ist er in der Lage, mit sich selbst mehrstimmig zu spielen (der Mehrstimmen-Effekt beginnt etwa bei Minute 2:20, aber es lohnt sich, das ganze Video anzusehen). Diese Live-Version hörte ich erstmals auf dem Album Live Killers Ende der 70er Jahr. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nichts von dem Echo-Effekt. Ich wusste nur, dass dort mehr als eine Gitarre zu hören ist. Damals dachte ich, dass sich ein anderes Bandmitglied mit einer Gitarre bewaffnet hat um Mr. May zu unterstützen. Aber, meine lieben Freunde, ein Mr. May hat keine Unterstützung nötig.

(Wem das Brighton-Rock – Solo gefallen hat, mag zusätzlich auf eine kleine Gitarrenschule von Mr. May klicken.)

Neben dem einzigartigen Klang seines Instruments und seinem virtuosen Spiel ist es einfach seine sympathische Erscheinung, die ich an ihm schätze. Ähnlich wie Mr. Barre blieb Mr. May als graue Eminenz bescheiden im Hintergrund. Er hat auch schöne Hände, der Lange. Für mich war er mindestens ebenso entscheidend für den Queen-Sound und den Erfolg der Gruppe wie Mr. Mercury seligen Gedenkens.

Jimmy Page von Led Zeppelin zähle ich ebenfalls zu den ganz großen. Obwohl: Seine Auftritte gefallen mir nicht immer. Ich habe irgendwann einmal einen Auftritt der Gruppe gesehen, bei dem er eine 3-stöckige Gitarre umgeschnallt hatte. Mehr Instrument als Page. Man konnte nur noch vermuten, wer sich hinter diesem Instrument befand. Das ist in meinen Augen reine Protzerei. Dessen ungeachtet steht das Led Zeppelin – Album „Physical Grafitti“ weit oben auf meiner persönlichen Bestenliste.

(Das wäre vielleicht auch ein interessantes Thema: Die Lieblings-Alben unserer Dreier-Runde, getrennt nach JT und dem Rest der Welt).

Beim Schreiben dieser Zeilen wird mir klar, dass ich die Leistung eines Gitarristen nicht objektiv beurteilen kann. Für mich ist entscheidend, ob das, was er spielt, mir gefällt. Ein Beispiel: Möglicherweise ist Ricky King der beste Gitarrist aller Zeiten, aber von mir wird er niemals auch nur einen einzigen Punkt bekommen.

An Wilfried: Als ich vom Evangelischen Kirchentag in Köln hörte, habe ich tatsächlich daran gedacht, ob Familie Albin sich daran beteiligen wird. Diese Frage ist nun beantwortet. Leider scheinen die Kirchentage ganz schön ins Wasser zu fallen; das ganze Rheinland liegt seit Tagen unter einer Gewitterfront.

Ich teile den Eindruck von Kretakatze, dass Mr. Anderson in seinen Texten fast nie politisch geworden ist. Er hat einige gesellschaftskritische Texte geschrieben (Thick As A Brick, Aqualung, Cross Eyed Mary…), aber zu Innen- oder Außenpolitik hat er sich so gut wie nie geäußert. Ungewöhnlich für einen Intellektuellen.

Dass er sich, seine Musik, Texte und sein Publikum für etwas Besonderes hält, versucht er erst gar nicht zu kaschieren. Ich denke da an ein Interview mit ihm, in dem er sinngemäß sagt: „Ich erwarte nicht, dass jeder Künstler solche Texte schreibt wie ich. Es muss auch Texte für Fußballfans geben.“ Das klingt nicht bloß latent arrogant. Ein wenig egozentrisch ist er schon, unser Mr. Anderson. In diesem Zusammenhang: Deine Einschätzung, liebe Kretakatze, dass Jethro Tull de facto ein Solo-Unternehmen ist, teile ich uneingeschränkt. Die Bezeichnung Jethro Tull für seine häufig wechselnde Ansammlungen von Studiomusikern halte ich für den reinsten Etikettenschwindel. Das bringt mich wieder auf den guten Mr. Barre. Welche Rolle spielt er wirklich im Andersonschen Musiktheater ? Ist er ein Freund, den man nicht im Regen stehen lassen will ? Oder ist er eine musikalische Säule, ohne die das Potenkimsche Gebilde namens Jethro Tull zusammenbrechen würde ? Ich wüßte dazu gerne die Meinung des Mr. Barre. Mr. Anderson’s Meinung dazu interessiert mich nicht; dem kann man sowieso nichts glauben.

Liebe Kretakatze, die von Dir vorgestellten CCR-Songs „Hideaway“ und „Fortunate Son“ wirken sehr ernst, traurig, melancholisch. Wenn man diese beiden Lieder hört, kann man sich nur schwer vorstellen, dass sehr viele Kinder zu den CCR-Fans zählen.

Den von Dir getippten Text von JT habe ich nicht erkannt. Ich musste nachschlagen. Der Text ist aus dem Lied „Silver River Turning“ aus dem Album „Nightcap“. „Nightcap“ gehört zu den späten Alben der Gruppe, die ich mir schon gar nicht mehr gekauft habe. Zu viele Metamorphosen sind im vorausgegangen.

Ich erlaube mir, dass o.g. Antikriegslied von CCR als Brücke zu missbrauchen, um auf zwei weitere Antikriegslieder aus dem britischen Umfeld aufmerksam zu machen. Es sind Lieder des zeitgenössischen schottischen Liedermachers Eric Bogle, die oft von Künstlern aus dem irisch-schottischen Dunstkreis interpretiert werden. Beide Lieder haben die Schrecken des Ersten Weltkriegs zum Inhalt: The Green Fields of France behandelt den jungen Gefreiten Willi McBride, der in den Schützengräben Frankreichs ums Leben kam. Durch dieses Lied ist Willi McBride wohl der bekannteste Gefallene des Ersten Weltkriegs geworden. Das Lied gehörte zum Repertoire unserer lokalen Irish-Folk – Gruppe und ich kann Euch versichern, dass ich dabei jedesmal eine Gänsehaut bekam. Der Sänger konnte den Eindruck vermitteln, er habe selbst an der Somme im Schützengraben gelegen.

The Band played Waltzing Mathilda, hier in einer Version von den Pogues, handelt von der furchtbaren Schlacht um Gallipoli. Und Wilfried hat Recht; dieses Lied ist auch von Tom Waits interpretiert worden. Anmerkung des Autors: Ich verstehe nicht, warum das th in Mathilda nicht wie das englische ti-ädsch ausgesprochen respektive gesungen wird.

Meine Lieben, ich wünsche Euch einen schönen Sonntag und einen sanften Einstieg in die neue Woche !

Wenn ich mich recht erinnere, steht Kretakatze kurz vor ihrem verdienten Urlaub, oder ?
Bis bald
Lockwood

09.06.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

ich fürchte mit meiner Bemerkung zu Kate Bush habe ich etwas überzogene Erwartungen geweckt. Tatsächlich war ich natürlich auch Anno 1978 von ihrem Titel Wuthering Heights begeistert. Nun ist sie auch ungefähr so alt wie ich, höchstens ein paar Monate älter, und es war damals etwas Neues für mich, dass jemand im gleichen Alter in den Charts war. Ich habe auch ein paar Fernsehauftritte von ihr gesehen und fand ihre Darbietung ziemlich stark – da sie halt nicht nur einfach dasteht und singt, sondern ihre Lieder praktisch darstellt. Ihre Stimme fand ich anfangs ziemlich gewöhnungsbedürftig – sie klingt doch etwas kindlich-quäkend – aber bei einem Titel wie Wuthering Heights kann einen das auf Dauer nicht stören. Das ist der Urschrei des Verlangens, und den kann ich auch fünfmal hintereinander hören, ohne dass es mir langweilig wird.

Das war es dann aber auch schon mit Kate Bush und mir für die nächsten knapp 30 Jahre. Anfang diesen Jahres kam ich zu dem Schluss, dass ich mir ein paar Lieder aus dem Internet herunterladen sollte von Musikern, von denen ich vielleicht ein oder zwei Stücke gut finde, so dass sich die Anschaffung einer ganzen CD nicht lohnt. Kate Bush und ihr Wuthering Heights standen ganz oben auf meiner Liste. Dann hatte ich da noch so vage in Erinnerung, dass es in den 70ern noch ein anderes Stück von Kate Bush gegeben hatte, das mir gefallen hatte, ich konnte mich nur weder an Melodie noch Titel erinnern. Schließlich habe ich meinen Sohn gefragt, ob er eine Idee hätte wo man im Internet nach so etwas suchen könnte, und er hat mir YouTube empfohlen. Das war der Anfang vom Ende meines Nachtschlafs. Den gesuchten Song von Kate Bush habe ich allerdings nicht gefunden, wahrscheinlich habe ich mir den nur eingebildet.

Nun finde ich Kate Bush’s Musik durchaus sehr anhörbar, ich habe aber keinen anderen Titel gefunden, bei dem mich die Melodie irgendwie angesprochen hätte, und ich habe auf der Suche nach dem „verlorenen Lied“ wirklich so ziemlich alles durchgeklickt. Aber ich habe vollstes Verständnis dafür, wenn sie Dich , lieber Lockwood, mehr anmacht als – sagen wir mal John Fogerty (nein, das sollte nur ein Scherz sein…). Dass ein geschlechtsloser Außerirdischer mit dem von Dir verlinkten Video viel anfangen könnte, wage ich allerdings zu bezweifeln. Ich fürchte man muss ein Geschlecht haben, um dieses Video zu verstehen.

Eine Bemerkung vielleicht noch zu „Room For The Life“: Mich erinnert Kate Bush’s Gesang in diesem Lied an Vogelgezwitscher. Nett anzuhören, aber für mich ohne greifbare Melodie. Allerdings finde ich, es passt recht hübsch zu einem zwitschernden Vögelchen, wie sie sich da in ihrem Nest räkelt… Ich glaube den geschlechtslosen Außerirdischen hast Du gerade gefunden.

Auch Deine Videos zu den Pogues habe ich angeschaut, aber ich fürchte, das ist nicht meine Welt. Mir erschienen sie beide düster und trist, was aber auch an den Bildern liegen könnte. Deshalb habe ich noch ein paar weitere Videos angeklickt, aber mit denen bin ich auch nicht viel glücklicher geworden. Irgendwie scheinen alle diese Lieder denselben „Hauruck“-Rhythmus zu haben, den ich als eintönig, schwerfällig und zu simpel empfinde. Er erinnert mich stark an deutsche Volksmusik. Und die Texte, soweit ich etwas verstehen konnte, sprechen mich auch nicht gerade an. Eigentlich hatte ich mir die irische Volksmusik etwas „filigraner“ und beschwingter vorgestellt. Sorry, aber ich fürchte, mit dieser Musik kann ich nichts anfangen.

Themawechsel! Diese Mail habe ich mit enttäuschten Erwartungen begonnen, und ich denke das ist ein interessantes Thema. Wir alle leben in dem Korsett der Erwartungen, die unsere Umwelt an uns hat, oder von denen wir denken, dass unsere Umwelt sie an uns hat. Eigentlich tun wir ständig nichts anderes, als uns Gedanken darüber zu machen, was unsere Mitmenschen von uns erwarten, und uns zu bemühen diese Erwartungen zu erfüllen – oft auch völlig unbewußt. Man möchte niemanden enttäuschen. Ich denke das gilt in noch viel höherem Maße für Künstler, die davon leben, dass sie Erwartungen erfüllen oder gar übertreffen. Was erwarte ich also z.B. von unseren Hauptakteuren Anderson und Fogerty?

Von Mr. Fogerty um 1970 erwarte ich zunächst einmal, dass sein Hemd kariert ist. Das klingt wie ein Witz, ist aber keiner. Zu Fogerty’s Erscheinungsbild gehört einfach, dass er kariert aussieht, und wenn er nicht kariert ist, dann bin ich enttäuscht. Es gibt 2 oder 3 Videos, in denen die Karos auf seinem Hemd so kontrastarm sind, dass es aus einiger Entfernung wie einfarbig aussieht. Das sticht mir sofort ins Auge. Ich bin verwirrt und irritiert. Kann es sein, dass das Hemd nicht kariert ist? Ich starre aufs Hemd, kneife die Augen zusammen, ob ich dann vielleicht doch Karos erkennen kann, auf die Musik achte ich schon längst nicht mehr. Dann geht die Kamera näher ran und ich sehe – ah, da sind ja doch Karos drauf, alles in Ordnung, ich kann aufatmen und mich erleichtert zurücklehnen. Und dann erst denke ich „Spinnst Du eigentlich?“. Es ist ein interessantes psychologisches Phänomen, das sich sicher lohnen würde näher zu ergründen. Zur rein optischen Gewöhnung – und der Mensch gewöhnt sich bekanntermaßen nur ungern um – kommen die Zweifel an der eigenen Menschenkenntnis. Da denkt man, man kennt einen Menschen seit über 35 Jahren, und dann muss man plötzlich feststellen: Er trägt auch unkarierte Hemden. So etwas verunsichert.

Desweiteren erwarte ich, dass das, was er singt, nicht klingt wie Mary Don’t You Weep. Nach diesem Video hätte ich fast geheult, ich habe zweimal Witch’s Promise gebraucht, um die Fassung zurückzuerlangen. Auch ich habe meine Erholungsvideos, und gegen süßlich-schmalztriefend, was ich besonders schlecht verkrafte, hilft Witch’s Promise am besten. Ansonsten habe ich eigentlich keine besonderen Erwartungen, das Übliche eben. Er sollte was singen, wenn möglich dazu ein bißchen Gitarre spielen, und falls er was sagt, keinen allzu großen Blödsinn reden. Das war’s dann auch schon.

Sollte ich jetzt aber ein neues Video entdecken mit der Überschrift „Jethro Tull – Thick As A Brick 1972 live Part2“ von TullTapes (nein, Ihr braucht jetzt nicht danach zu suchen, das gibt’s nicht, das ist nur Wunschdenken), dann würde ich einen Meter hoch vom Stuhl aufspringen, eine Flasche Champagner kaltstellen… nein, ich will Euch jetzt nicht mit dem ganzen Vorbereitungs-Prozedere langweilen. Vermutlich würde ich auch nichts von alledem tun, da ich reflexartig innerhalb von Millisekunden dieses Video anklicken würde, bevor mein Gehirn auch nur an Champagner denken kann. Was ich dann erwarten würde, wäre nicht weniger als ein Paradoxon: Ich würde erwarten, dass ich etwas zu sehen bekomme, das ich nicht erwarte. Etwas Sensationelles eben, das ich mir noch nicht einmal vorstellen kann.

Wenn man es geschafft hat, in seinen Mitmenschen eine derartige Erwartungshaltung aufzubauen, dann hat man eigentlich ausgespielt, dann sitzt man in der Falle. Solche Erwartungen kann man auf Dauer nicht erfüllen, da bleibt nur noch eins: Man schert sich einen feuchten Sch***rott um das, was von einem erwartet wird, und tut etwas ganz anderes. Am besten das genaue Gegenteil, oder einfach sonst etwas Schreckliches, Fürchterliches, Entsetzliches. Jedenfalls irgend etwas, mit dem man erreicht, dass diese unerfüllbaren Erwartungen so heftig enttäuscht werden, dass sie eines jähen Todes sterben. Diese Strategie scheint Mr. Anderson nun schon seit einigen Jahrzehnten zu verfolgen.

Bei mir hatte er damit Erfolg. Meine Erwartungen sind inzwischen auf knapp über den absoluten Nullpunkt gesunken. Finde ich ein neues Video mit der Überschrift „Jethro Tull – Thick As A Brick 2007 live“, dann gehe ich folgendermaßen vor: Ich mache zuerst einige entspannende Atemübungen. Dann spreche ich mir selbst Mut zu, indem ich mir sage, dass es eigentlich nichts Schlimmeres geben kann als das, was ich bereits gesehen habe, und dass ich das ja auch überlebt habe. Schließlich klammere ich mich am Stuhl fest und klicke das Video an. Wenn ich das Video überstanden habe, ohne vom Stuhl gefallen zu sein, und ohne laute Entsetzensschreie von mir gegeben zu haben, dann fühle ich mich bereits positiv berührt. „Hm“, denke ich mir, „das war ja garnicht so schlimm, da kann ich ja auch mal ins Konzert gehen.“ Wenn man bei seinen Fans eine derartige Erwartungshaltung erzeugt hat, ist das eine Basis, auf der man aufbauen kann. Von da an kann es eigentlich nur noch aufwärts gehen.

Um es noch einmal kurz zusammenzufassen. Ein einfaches Konzept, wie das von Mr. Fogerty – eingängige Melodie, starke Stimme, kariertes Hemd – lässt sich durchaus 40 oder mehr Jahre durchhalten, solange einem die dafür notwendigen Melodien einfallen, die Stimme mitmacht und es karierte Hemden gibt. Dieses Glück war Mr. Fogerty bislang beschieden. Ein Konzept wie das von Mr. Anderson – jedes Jahr etwas neues, jedes Jahr besser und jedes Jahr sensationeller als im Jahr zuvor – lässt sich unmöglich 40 Jahre durchhalten. Es ist erstaunlich genug, und beweist Mr. Anderson’s Genialität, dass es ihm etwa 10 Jahre lang gelungen ist. Allerdings erklärt das auch noch nicht, warum Mr. Anderson ins Gegenteil verfallen musste: Seine Fans fast jährlich mit neuen Fehlgriffen zu schockieren.

Nachdem ich nun kürzlich meine tiefenpsychologischen Fähigkeiten an Mr. Fogerty angewandt und ihn bis auf den Grund seiner Seele durchleuchtet habe, wäre es wohl eigentlich an der Zeit, nun auch Mr. Anderson dieselbe Behandlung angedeihen zu lassen. Nur muss ich zugeben – da bin ich völlig überfordert. Nicht in meinen kühnsten Phantasien kann ich mir vorstellen, was in seinem Kopf vorgeht. Deshalb bin ich ja überhaupt in diesem Weblog gelandet. Ursprünglich war ich hier von YouTube mal hergesurft, um ein paar Videos anzuschauen. Dann habe ich diesen Link gesehen „Was ist bloß mit Ian los?“. „JA!“ habe ich mir gesagt, „Das ist doch genau das, was ich auch gerne wüßte. Vielleicht steht’s ja hier.“ – klick. Leider, so muss ich gestehen, lieber Wilfried und lieber Lockwood, wurde ich bitter enttäuscht. Ich mußte feststellen, dass Ihr auch nicht mehr wisst als ich, ja dass Ihr bereits mit so einfachen Fragen wie Haar- und Augenfarbe völlig überfordert seid. Da habe ich beschlossen, Euch ein wenig hilfreich unter die Arme zu greifen. An dem Versuch der Beantwortung der Frage „Was ist bloß mit Ian los?“ kann aber auch ich nur hoffnungslos scheitern.

Lieber Wilfried, zu Dir, der Gruppe „Black Out“ und Deinen Gesangskünsten bin ich jetzt noch garnicht gekommen. Aber das verdient eingehende eigene Betrachtung, und deshalb werde ich mich darüber erst in meiner nächsten Mail auslassen. Solange schon einmal vielen Dank, dass Du Dir die Mühe gemacht hast die alten Aufnahmen auszugraben und aufzubereiten. Das muss auch entsprechend gewürdigt werden – in meiner nächsten Mail…

Seid lieb gegrüßt
Kretakatze

PS.: Und hier jetzt wie versprochen die Videos zu diesen beiden Textpassagen vom letzten Mal:


Take me back down where cool water flows,
Let me remember things I love,
Stopping at the log where catfish bite,
Walking along the river road at night…

I walked down that boulder road,
Through a child’s eye saw places where I used to go.
Where I crawled barefoot with a fishing pole
To the rock that overlooked that steelhead hole…

Den catfish hat Mr. Fogerty im Green River gefangen, während Mr. Anderson dem steelhead (ich nehme mal an, das ist eine Fischart) in Silver River Turning (mit komplettem Text in der Beschreibung des Videos) aufgelauert hat. Die Texte sind sich so ähnlich, aber wenn man die beiden Titel so kurz hintereinander hört, sticht einmal wieder der enorme Unterschied in Art und Qualität der Musik ins Ohr – es sind extreme Gegensätze.

10.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 71: Stolze Maria in schmutziger, alter Stadt

Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank für die Komplimente zu meinen unvorstellbaren Link-Künsten. So ganz langsam komme ich im 21. Jahrhundert an. Ich gestehe, dass ich mich zwischen zwei IT-Profis manchmal klein und hilflos fühle. Aber dank Wilfrieds geduldiger und effektiver Nachhilfe kann ich die schlimmsten Lücken schließen.

Zum Verhältnis von Abba und CCR (ich glaube, es gibt nicht viele Foren, in denen diese beiden Namen in einem Satz genannt werden):
In meiner letzten mail wollte ich ausdrücken, dass ich es mir nicht vorstellen kann, ein CCR-Lied von den Abba-Damen gesungen zu hören. Das liegt aber allein an meiner schon sprichwörtlichen Unmusikalität und nicht daran, dass es musiktechnisch unmöglich wäre. Ich habe ganz einfach zu wenig musikalische Vorstellungskraft. Das Abba-Cover vom „Midnight Special“ klingt vollkommen nach Abba. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es aus der Feder von jemand anderem stammen könnte. Mit dieser Coverversion ist meine unzureichende Phantasie in musikalischen Fragen unwiderlegbar bewiesen.

Liebe Kretakatze, ich muss zugeben, dass ich Deinen vorangegangenen Beitrag über die Parallelen zwischen Mr. Anderson und Mr. Fogerty gründlich missverstanden habe. Ich habe aus Deinen Zeilen das herausgelesen, was ich herauslesen wollte. Du wirst bei mir noch häufiger den Hang zur selektiven Wahrnehmung und kognitiver Dissonanz feststellen müssen. Also, vielen Dank für die Richtigstellung !

Deine Frage, warum Fogerty-Fans so zufrieden mit ihrem Star sind, während Anderson-Fans ganze Bücher mit ihren Lamentis füllen können, finde ich sehr interessant. Fast ein Sinnfrage, gerade für JT-Fans. Hätte ich mich also als junger Mensch für CCR begeistert, so wäre ich jetzt ein zufriedener Mann. Aber das klappte damals nicht und es klappt heute nicht. Wie gesagt, die Musik von Mr. Fogerty ist für mich ok, mehr aber auch nicht. Trotz aller Enttäuschungen der letzten Jahrzehnte habe ich meinen Status als selektiven JT-Fan nie bereut. Es reicht schon, mir einige der alten Tull-Platten anzuhören, um zu wissen, dass ich auf der richtigen Seite stehe.

Zurück zu Deiner Frage: Möglicherweise kennen wir die Antwort. Es ist die Beständigkeit, die die Fogerty-Fans bei der Stange hält. Er ist für seine Fans eine feste und berechenbare Größe. Eine Konstante in ihrem Leben. Der Fels in der Brandung des Zeitgeistes. Etwas, woran man sich klammern kann in Zeiten der Veränderungen und Umbrüche. Er ist jemand, der die Brücke zur guten alten Zeit schlägt, in der bekanntlich alles besser war. Er ist fleischgewordene Nostalgie, ein Bollwerk gegen eine nicht immer lustige Gegenwart und eine ungewisse Zukunft. Im krassen Unterschied dazu hat der aktuelle Mr. Anderson außer seinem Namen nichts, was mich an seine ruhmreichen Zeiten erinnert. Er ist ein anderer geworden. In Aussehen, Stimme, musikalischer Orientierung. Dein Bild der Metamorphosen passt hier sehr gut. Leider.

Abrupter Themenwechsel: Wenn man ein Bild der irischen Folklore zeichnen möchte, sollte man sich nicht zu lange bei den Dubliners aufhalten. Sie sind möglicherweise die populärsten Vertreter dieser Musik jenseits der Insel, aber bestimmt nicht die Besten. Ich möchte dem geneigten Leser an dieser Stelle eine weitere Formation vorstellen: Die Pogues spielten eine gefällige Mischung aus Folk, Rockabilly und Punk. Dabei interpretieren sie Traditionals ebenso wie eigene Werke. Die Pogues zähle ich ebenso wie die Dubliners nicht zu den Archetypen der irischen Folklore, aber sie machen deutlich, wie weit sich dieser Begriff dehnen läßt. Genialer Frontmann der Pogues war Shane McGowan, an dessen Alkoholsucht die Gruppe zerbrochen ist. McGowan ist vielleicht der hässlichste Mann, der jemals freiwillig eine Bühne betreten hat, aber auch das hat einen enormen Wiedererkennungswert. Neben Jethro Tull sind die Pogues für mich die Allergrößten !

Dass Jethro Tull – Fans hochintelligente, gebildete, sprachlich und musikalisch interessierte Intellektuelle mit hohen Qualitätsansprüchen sind, habe ich schon lange geahnt. Nach der letzten mail von Kretakatze wird es zur Gewissheit.

Das Faible für Kate Bush haben wir Drei gemeinsam. Vor einiger Zeit haben Wilfried und ich einige Gedanken zu dieser einzigartigen Künstlerin ausgetauscht. Gerade habe ich mir ihr Video zu Room for the Live noch einmal angeschaut. Ich bin jedesmal hin und weg. Ich habe noch nie einen Bühnendarbietung mit einer stärkeren femininen Austrahlung gesehen als diesen Auftrittt. Mrs. Bush verkörpert hier alles, was eine Frau ausmacht. Vielleicht haltet Ihr mich für einen Macho, aber das Risiko gehe ich ein. Wenn ich einem geschlechtlosen Außerirdischen erklären müsste, was eine Frau ist, würde ich ihm dieses Video zeigen. Kate Bush kenne ich seit ihrem Wuthering Hights, also seit 1978, und damit länger als JT, auf die ich erst später gestoßen bin.

1978 war ich zarte 15 und Ihr müsst Euch klar machen, welche Wirkung dieses Lied auf einen pubertierenden Jüngling haben kann. Irgendwie, wenn auch auf eine andere Art, stehe ich heute noch in ihrem Bann. Wenn ich abends im Bett liege und lese, höre ich dazu oft ihr letztes Album „Aerial“. Sie hat wirklich nichts von ihrer Faszination verloren.

Liebe Kretakatze, es würde mich interessieren, was Du zu Mrs. Bush zu sagen hast.

Das war es von meiner Seite für heute.
Es grüßt Euch herzlich
Lockwood

07.06.2007

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Hi Mädel(s) und Jung(s),

zunächst zu John Fogerty und dem Lied „Proud Mary“. Leider muss ich Dich enttäuschen, Kretakatze, aber bei dem Lied habe ich vor vielen Jahren in der Band lediglich Bass-Gitarre gespielt … und beim Chorus mitgebrummt: Rrrrroollin’, rrrroollin’, rrrroollin’ on the river. Und irgendwie kam dann noch ein Gezirpe a la doo-up-doo-doo-doo (oder so) ab dem Mittelteil hinzu.

Ich habe in den Tiefen meines Archivs geforscht und habe tatsächlich eine Aufnahme auf Kassette gefunden (ich habe zwar noch Tonbänder mit besserer Qualität, aber ohne funktionierendes Tonbandgerät nützen die mir nicht viel). Hier also die legendäre Gruppe Black Out mit „Proud Mary“ (Gesang übrigens von meinem Bruder mit seiner damaligen Frau):

Zur Ergänzung hier eine Version von Ike & Tina Turner-Proud Mary Live 1974.

Durch Lockwoods viele Links zu den Dubliners bin ich auf das folgendes Video bei youtube gestoßen: The Dubliners (Luke Kelly) – Dirty Old Town. Auch das Stück hatten wir gecovert – und mich dazu sogar als Sänger. Und damit sich der Kreis (fast) schließt: Wir kannten das Lied in einer Version von Rod Stewart und der ist bekanntlich Schotte. Ich habe lange überlegt, ob ich es euch wirklich antun soll (Proud Mary sollte für heute eigentlich genug sein). Die Aufnahme ist ziemlich bescheiden und meine Stimme belegt wie ein vielschichtiges Sandwich. Ich habe wenigstens noch die Höhen etwas herausgekitzelt … Nun, denn, ich denke, Ihr wollt es nicht anders: Hier also nochmals Black Out, diesmal mit „Dirty Old Town“:

Jetzt aber bitte keinen zu stürmischen Beifall. Dafür noch etwas zu John Fogerty. Der kommt Anfang Juli (wohl der 3.) tatsächlich nach Hamburg und gibt dort (fast könnte ich hier schreiben) im Stadtpark ein Open-Air-Konzert. Und da treten eigentlich nur die (fast) ganz Großen auf (okay, Jethro Tull ist 2001 und 2003 auch im Stadtpark aufgetreten).

Zum Thema Folklore im Allgemeinem: Sicherlich kannst Du, Kretakatze, nicht viel zur deutschen Folklore, speziell zum deutschen Volkslied, sagen; aber zur griechischen Folklore hast Du doch schon vieles beigetragen, wie anders lassen sich die griechischen Tänze deuten, wenn nicht als Volkstanz. Und Lockwood ist ja jetzt bemüht, uns die irische ‚Volksmusik’ Stück für Stück näher zu bringen. Vielen Dank dafür. Mit der einen oder anderen Ergänzung aus der schottischen Ecke (Irland und Schottland haben viele gemeinsame Wurzeln) kann ich dann vielleicht auch aufwarten.

Ich möchte noch einmal kurz auf das Wort ‚Volkslied’ zurückkommen. Der gute Herder hat den Begriff ja geprägt und die englische Bezeichnung ‚popular song’ hiermit übersetzt. Wir gehören einer Generation an, die noch oft die Begriffe Pop- und Rock-Musik benutzt. Von Pop-Musik spricht heute fast keiner mehr. Und Rock-Musik beinhaltet so viele Schublädchen, dass man darüber schnell den Überblick verliert. Nun ‚Pop’ kommt von englisch ‚popular’ und wird meist im Sinne von populär (bekannt, gängig, beliebt) benutzt. Der begriffliche Zusammenhang mit ‚Volk’ ist dabei verloren gegangen.

Kurz zum Technischen, das mit den Standbildern aus den youtube-Videos: Die Videos können ja angehalten werden, dann macht man eine Hardcopy (des Bildschirms – unter Windows mit der Druck-Taste), fügt das Bild in ein Grafik-Programm ein und bearbeitet es dort (z.B. Ausschneiden). Leider klappt das nicht mit allen Videoformaten (z.B. nicht bei RealMedia). Da benötigt man meist schon Videobearbeitungsprogramme usw.

Ich bin im Internet über diverse Listen der ‘100 greatest guitar solos’ gestolpert und habe mir auch schon viele der Liedchen angehört. Martin Barres Solo auf ‚Aqualung’ findet dabei die entsprechende Würdigung (einmal Platz 25, ein anderes Mal sogar Platz 9). Dem stimme ich gern zu. Es ist allerdings auch vieles dabei, bei dem ich mich frage, was diese Lieder/Soli hier zu suchen haben. Da würde ich Creedence Clearwater Revival mit I Put A Spell On You durchaus eine Chance geben, sich zu platzieren. Und natürlich fehlen mir Gitarristen, die ich für hervorragend halte. Ich weiß, dass das wieder ein neues Thema ist. Ich werde mich vielleicht in einem eigenen Beitrag dazu äußern. Mich würde nur interessieren, welche Gitarristen ihr gut findet (vom guten Martin einmal abgesehen – wer würde ihn als Tull-Fan nicht in den Gitarrenhimmel heben wollen).

Soll von meiner Seite her heute reichen. Wenn ich mich die nächsten Tage etwas rar mache: Wir haben Besuch von den sizilianischen Freunden meiner Frau, die für eine Woche ihre alte Heimat besuchen (ich hatte sie früher einmal erwähnt). Hoffentlich bleibt das Wetter einigermaßen. Und Lockwood, mein Sohn ist dieser Tage in Köln, ja, Kirchentag und so. Von dort sind es ja nur noch rund 80 km bis zu Dir.

Ansonsten schon heute ein schönes Wochenende.
Viele Grüße
Wilfried

P.S. Wir müssen etwas auf unseren Lockwood achten. Vor lauter Linkerei findet er jetzt auch kaum noch den nötigen Schlaf (ach nein, der konnte ja heute ausschlafen, denn er hatte einen Feiertag, Fronleichnam – du auch, Kretakatze? Ich durfte heute arbeiten!)

P.P.S. Dass sich Herr Anderson selbst die Haare färbt, bezweifle ich. Wozu hat er seine Frau? Nein, im Ernst, ich kenne keinen Mann, der sich selbst die Haare färbt, wenn er sie sich färbt. Und die Prominenz lässt sich die Haare von ‚seinem’ Friseur färben. Daher gibt es neben Bank- und Steuer- ja auch das Friseurgeheimnis (siehe Gerdi Schröder, dessen Friseur nach Sibirien verbannt wurde, nachdem dieser gegen jenes verstoßen hatte).

P.P.P.S. Ist ja nun wirklich kein Witz: Ich habe Lockwoods neueste Mail zwar auf der Arbeit gelesen, aber noch nicht die Links ‚gelüftet’. Und was kommt mir da jetzt entgegen: Dirty Old Town von den Pogues (nur zur Klärung des zeitlichen Zusammenhangs: Gestern hatte ich meine alten Aufnahmen eingespielt und auch schon mit dieser Mail begonnen …) Zu den Pogues später wohl etwas mehr. Irgendwie klingt da einiges nach Tom Waits.

07.06.2007

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Hallo Ihr Lieben!

Lieber Lockwood, Du solltest Dein Licht nicht so unter den Scheffel stellen. Außerdem – wir alle neigen zu selektiver Wahrnehmung, und ich kann verstehen, wenn nicht jeder sofort meinen wilden Phantasien folgen kann. Was ich mit „wilden Phantasien“ meine, wirst Du wahrscheinlich an meinem heutigen Beitrag noch erkennen. Deinen Ausführungen betreffend der Frage, warum Fogerty-Fans zufrieden sind und Anderson-Fans nicht, habe ich nichts hinzuzufügen – sie waren schlüssig und umfassend! Trotzdem gibt es von mir heute noch einmal einen Beitrag „volle-Kanne-Fogerty“ (sorry!), aber ich denke, das war dann der letzte in dem Umfang. Zu Deinen Videos und Kate Bush komme ich nächstes Mal, dafür muss ich mir noch ein bißchen Zeit lassen. Und was Abba und CCR betrifft – ich glaube, dass die beiden Gruppen sich musikalisch wesentlich näher sind als Abba und Jethro Tull oder CCR und Jethro Tull.

Manche Dinge erkennt man besser, wenn man sie vor einem kontrastfarbigen Hintergrund betrachtet, und deshalb werde ich jetzt – wie bereits erwähnt – noch einmal Mr. Fogerty bemühen und dabei auch noch tiefenpsychologisch werden. Es wurde hier schon angesprochen, dass ein Grund für den sehr unterschiedlichen Stil – betreffend Musik, Kleidung, Auftreten, eigentlich alles – der Herren Anderson und Fogerty die Tatsache ist, dass der Eine sehr schottisch-britisch und der Andere sehr amerikanisch ist. Ich glaube, das ist erst die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte ist im unterschiedlichen familieren und gesellschaftlichen Background der beiden Musiker zu suchen.

Ian Anderson singt „I come down from the upper class … my father was a man of power…“. Auch wenn er sich anschließend damit brüstet, seinen Vater „zurechtgestaucht“ zu haben, schwingt da doch Bewunderung mit und bestimmt der Wunsch, ihm in diesem Punkte nicht nachzustehen.

Anderson hat schon immer ein gewisser elitärer Anspruch angehaftet. In einem Interview ist es ihm wichtig zu betonen, dass er in seinen Texten versucht hat Worte zu verwenden, die sonst kaum jemand verwendet, und über Themen zu schreiben, über die noch nie ein Anderer geschrieben hat. Seine Texte sind häufig so verklausuliert, als ob sie einen Intelligenztest darstellen sollten. Seine Musik ist für höchste Ansprüche konzipiert, sie besteht vielfach aus komplexen Melodien in komplizierten Rhythmen und ist aufwändig arrangiert. Er ist stolz darauf, auf höchstem Niveau gegen den Strom zu schwimmen und trotzdem erfolgreich zu sein. Auf simplere Gemüter schaut er gerne ein wenig herab.

John Fogerty dagegen verkündet „I’m no senator’s son … I’m no millionaire’s son … I’m no fortunate son…“. Für mich steckt da auch so etwas drin wie „I come up from the lower class“.

Der Fogerty’sche Text entstammt dem Stück Fortunate Son, das üblicherweise als Protestsong gegen den Vietnamkrieg betrachtet wird. In meinen Augen ist es eigentlich eher ein Lied gegen die Ungleichbehandlung von „upper class“ und „lower class“ in der amerikanischen Gesellschaft. Obwohl Fogerty nicht wirklich aus der „lower class“ stammt – seine Mutter war Lehrerin – hat er sich immer mit den einfachen Leuten identifiziert, wie einige seiner Songtexte beweisen. Insofern hat er auch immer nur einfache Songs für’s einfache Volk schreiben wollen. Das Prinzip seiner Musik ist entsprechend simpel: Eine einfache, eingängige Melodie, vorgetragen von einer starken Stimme. Das Ganze muss dann nur noch ein bißchen instrumentell ausgefüttert werden.

An der obigen Version von Fortunate Son (TV-Studio Playback zur Originalaufnahme von 1969) finde ich übrigens noch interessant, dass sie Zeitgeschichte dokumentiert – den Vietnamkrieg und sein Einfluß auf die Rockmusik, andererseits aber auch die Möglichkeiten der Rockmusik, sich politisches Gehör zu verschaffen. Mir ist nicht bekannt, dass Jethro Tull jemals derart politisch geworden wären, aber vielleicht wisst Ihr da mehr als ich.

Auffällig ist an dem Songtext von „Fortunate Son“ aber auch dieses wiederholte „I’m no…son“. Fogerty’s Vater verließ die Familie, als dieser noch klein war, er hat ihn nur wenig gekannt. Soweit in seinen Liedern ein „Dad“ vorkommt – und das tut er an 3 oder 4 Stellen – ist der gerade am Weggehen, oder er schickt seinen Sohn fort. Am bittersten klingt das in dem Titel Porterville

They came and took my Dad away to serve some time,
But it was me that paid the debt he left behind.
Folks said I was full of sin, because I was the next of kin.
I don’t care! I don’t care!…

Vielleicht hat er sich aufgrund des „Makels“, von einem Vater im Stich gelassen worden zu sein, dem er – nach Meinung anderer – wohl auch noch ähnlich ist, auch einfach „lower class“ gefühlt…

Und jetzt möchte ich noch einmal auf das Thema „Band oder Solo-Karriere“ zurückkommen. Ich habe ja schon einmal erwähnt, dass ich glaube Mr. Anderson wäre eigentlich von Natur aus schon immer eher ein Solo-Musiker gewesen. Nach meiner Meinung sollte das Wesen einer Band darin bestehen, dass alle Musiker gleichberechtigt im Team zusammenarbeiten. Natürlich wird immer irgend einer die Führung übernehmen, aber die Arbeit sollte so verteilt sein, dass jeder seinen Beitrag leisten und sich auch im Ergebnis wiederfinden kann. Sonst macht so eine „Teamarbeit“ keinen Spass.

Die wichtigsten Aufgaben in einer Band sind Musik und Texte zu schreiben, das (oder die) Soloinstrument(e) zu spielen und zu singen. Üblicherweise ist der Sänger fürs Publikum die Hauptperson, er ist Gesicht und Stimme der Band, auf ihn sind Augen und Kameras gerichtet, er kommuniziert mit dem Publikum. Er wird also die meiste Aufmerksamkeit bekommen, dahinter müssen die Anderen immer ein bißchen zurückstehen. Wenn aber schließlich alle wichtigen Aufgaben in einer Band praktisch nur noch von einer einzigen Person wahrgenommen werden, wie das bei Jethro Tull und CCR der Fall war (bzw. ist), dann werden die anderen Bandmitglieder schließlich zur Staffage und zur Hintergrund-Dekoration degradiert. Die Kleinarbeit in der Entwicklungsphase der Songs, wenn zusammen an den Arrangements und am Sound gefeilt wird, wird vom Publikum üblicherweise nicht wahrgenommen und auch nicht honoriert. Wer hier welchen Beitrag geleistet hat, ist im Nachhinein nicht mehr zu erkennen. Für kreative Musiker ist das auf Dauer eine ziemlich unbefriedigende Situation. In einer solchen „Band“ wird es eine hohe Fluktuationsrate geben, oder sie zerbricht ganz. Da ist es ehrlicher, Solo zu arbeiten und sich nach Bedarf die erforderlichen Musiker „einzukaufen“ wie es ja Mr. Anderson im Prinzip auch schon seit Jahren tut – nur halt immer noch unter dem Namen Jethro Tull, da der bekannter ist als sein eigener.

Ich denke in diese „Band-Karriere“ ist Anderson nur durch seine Anfänge in einer Schülerband und seine musikalischen Schulfreunde „hineingerutscht“. Natürlich hat er sich in jungen Jahren auch erst noch entwickeln müssen. Bei Gründung von Jethro Tull war vermutlich noch jedes Bandmitglied der Meinung, mehr oder minder gleichberechtigt mitarbeiten zu können. Nach und nach hat dann einer nach dem anderen gemerkt, dass sie neben Anderson keine Chance haben, und sind gegangen. Nachgerückt sind Musiker, die dann schon wußten, auf was sie sich einlassen, und die zumindest eine zeitlang bereit waren das zu akzeptieren. Da dieses System in den 70ern erfolgreich war und gut funktioniert hat, hatte Anderson auch keinen Grund auszusteigen.

Als er es nach 15 Jahren Jethro Tull dann doch versucht hat, war er in einer musikalischen Phase, die eigentlich keiner so recht hören wollte. Entsprechend war der Erfolg bescheiden. Da hat er halt Jethro Tull weitergemacht, das hat sich vermutlich allein wegen des Namens besser verkauft, auch wenn nichts anderes drin war. Aber letztendlich hat er Jethro Tull genau so betrieben, als ob er Solo wäre. Als Band in dem Sinne, wie sich das manche Fans so vorstellen und wie es in den 70ern – zumindest nach außen – auch ausgesehen hat, hätte Jethro Tull nie so lange überleben können. Wäre Anderson von Anfang an ein Solo-Musiker gewesen, wäre musikalisch vermutlich auch nichts anderes herausgekommen, es hätte nur einen anderen Namen gehabt. Um aufzutreten muss man nicht in einer Band spielen, Elton John, David Bowie und Sting treten auch auf.

Bei CCR war die Situation ganz anders, da diese Truppe einen ganz anderen Zusammenhalt hatte. Als sie 1972 endgültig auseinanderbrach, hatte John Fogerty fast die Hälfte seines Lebens in diesem fixen „Familienverband“ verbracht, er war praktisch darin aufgewachsen. Anfänglich hatte man ihn vielleicht nur mitmachen lassen, damit „der Kleine“ halt aufgeräumt ist – als großer Bruder hat man ja manchmal auch Babysitter-Pflichten. Im Laufe der Jahre hat „der Kleine“ den Rest der Gruppe dann einfach überrollt – erst war er besser an der Gitarre als Tom, dann hatte er auch noch die interessanter klingende Stimme (Tom konnte durchaus auch singen) und zum Schluss hat er auch noch die Hits geschrieben. Alle anderen Mitglieder von CCR haben auch Songs geschrieben, dabei ist aber nie ein Hit herausgekommen. Ich glaube nicht, dass es seine Absicht war die Anderen platt zu machen, es ist einfach passiert.

Als Tom 1971 ausgestiegen ist, war wahrscheinlich niemand schockierter als John. Da war nicht irgendjemand gegangen, sondern sein Bruder, und einen Bruder kann man nicht ersetzen. Deshalb blieb die Position des Rhythmus-Gitarristen bei CCR auch unbesetzt. Danach kam in über einem Jahr nur noch eine Platte heraus, zuvor hatten CCR über 3 Jahre hin alle 6 Monate ein neues Album auf den Markt geschmissen – der rote Faden war weg und die Luft war raus. John hat noch versucht was er konnte, durch Kompromisse bei der Arbeit am letzten Album (es entstand nach dem Motto: Jeder schreibt 3 Songs und die spielen wir dann…) wenigstens seine „Restfamilie“ zu retten, aber sie ist ihm unter den Fingern weggebrochen. Ich glaube ich weiß, von wem er sich in diesem Song (Hideaway – hatte ich schon einmal verlinkt – siehe Text in der Videobeschreibung) verabschiedet.

Und ich verabschiede mich jetzt auch für heute, es wird mal wieder Zeit, dass ich etwas anderes tue…


Seid gegrüßt

Kretakatze

PS.: Heute gibt’s als Nachschlag zwei Textpassagen, die eine stammt von Anderson und die andere von Fogerty. Es geht um Kindheitserinnerungen und einen Fluß:

Take me back down where cool water flows,
Let me remember things I love,
Stopping at the log where catfish bite,
Walking along the river road at night…

I walked down that boulder road,
Through a child’s eye saw places where I used to go.
Where I crawled barefoot with a fishing pole
To the rock that overlooked that steelhead hole…

Sicher habt Ihr als Experten den Anderson’schen Text sofort erkannt, aber Ihr werdet zugeben, dass der Inhalt der beiden Passagen doch ziemlich ähnlich ist. Die Links zu den Songs gibt’s dann nächstes Mal.

07.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 70: Von folkloristischen grauen Haaren aus Dublin

Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

bevor ich zu meinem Vortrag über Folklore komme, doch noch einige Anmerkung zu Ansehen und Kleiderordnung bei Rockmusikern. Ich hatte schon einmal einige Bildchen unter dem Motto: Nur älter, nicht schöner … hier an anderer Stelle veröffentlicht. Ja, der Zahn der Zeit nagt unerbittlich an einem, da hilft nichts (oder nur wenig, wenn auch nicht lang, z.B. Haare färben). Herr Anderson ist wahrlich ein doppelt tragisches Beispiel für den Verfall der menschlichen Hülle. Erst fallen ihm die Haare aus, dann versagt die Stimme, genauer: Gesangsstimme, denn seine Sprechstimme ist nach wie vor stabil. Dank an Kretakatze für das kleine sehr aktuelle Video mit dem Interview, zeigt es Ian Anderson, für uns alle überraschend, auch mit grauen Haaren (Ist etwa sein Friseur gestorben?).

Ian Andersons graue Haare

Zu den Auftritten von Tiefseetauchern, Bären und dem weißen Kaninchen Harvey und den geigenden vier Damen unter Lockenperücken usw. bei früheren Tull-Konzerten habe ich noch einmal nachgeforscht, bin aber bisher nicht fündig geworden. Ich erinnere mich nur an Bilder in Musikzeitschriften u.ä. und denke, dass es im Zusammenhang mit „A Passion Play“ gewesen sein musste.

Dass mit der versagenden Stimme bei dem Lied von Nikos Papazoglou finde ich etwas merkwürdig. Das Lied heißt doch auf Deutsch „Niemand singt hier …“, und beim scheinbaren Versagen hat auch gleich ein Zuschauer ein Mikrophon zur Hand (und schließlich singen alle!): Ist das Ganze nicht eine abgekartete Sache? Im Falle von den Dubliners (Fields of Athenrye – lese ich da nicht Athen heraus?) singt das Publikum auch mit – ohne dass es dem Sänger die Stimme verschlägt. Lockwood, ist das ein traditionelles irisches Lied?

Kretakatzes Parallelen zwischen Fogerty und Anderson finde ich ziemlich interessant. Auch ist die Schlussfolgerung im Bezug auf Ian Andersons Experimentierfreude nicht von der Hand zu weisen: Da ist ein festes Team von Musikern eher hinderlich. Warum also doch die Band? Genauso gut kann man fragen, weshalb Herr Anderson immer noch auf Tour geht. Genug Geld müsste er längst haben. Herr Anderson tritt eben gern öffentlich auf, liebt es, sich ‚zur Schau’ zu stellen. Und wie ein großes Kind verkleidet er sich auch gern (z.B. als Pirat, ein am Kopf verletzter Pirat). Da er nicht mehrere Instrumente gleichzeitig spielen kann, so braucht er also ein mehr oder weniger festes Team. Die Betonung liebt auf „mehr oder weniger“ wie an der Personalpolitik von Herrn Anderson abzulesen ist. Jethro Tull als solches ist wirklich längst ein Solo-Projekt. Auf der anderen Seite verkaufen sich CDs von Jethro Tull besser als die unter dem Namen Ian Anderson.

Noch etwas zum Vergleich Fogerty – Anderson: Beide sind stark von ihrer Herkunft geprägt. John Fogerty ist bis heute in vielen Dingen sehr amerikanisch (Kleidung, Musik, sicherlich auch Essen); Ian Anderson ist zum einen Schotte, aber auch ein typischer Brite, der das Extravagante liebt.

Hier also mein kleiner Vortrag zum Thema Folklore. Der passt vielleicht nicht mehr so ganz in den Kontext unseres zuletzt geführten Gedankenaustausches, aber da ich mich nun einmal hingesetzt und folgendes verfasst habe, müsst Ihr Euch das schon einmal anhören (lesen): Ich habe ihn allgemein gehalten, um ihn gewissermaßen allgemeingültig zu halten, wenn im Mittelpunkt auch die deutsche Folklore steht. Zum Volkstanz habe ich mich nur kurz geäußert, dürfte da aber von Kretakatze sicherlich ergänzt werden.

Folklore in Lied und Tanz

Der Begriff „Folklore“ kommt aus dem Englischen und umfasst zunächst alle Überlieferungen aus dem Volk, neben Sprichwörtern, Märchen und ähnlichem natürlich auch Volkslieder, Balladen und Tänze (Volkstänze). Im angelsächsischen Raum hat sich für Volkslieder der Begriff „Folk“ durchgesetzt.

Wir in Deutschland tun uns aus geschichtlichen Gründen etwas schwer mit dem Begriff Volksmusik. Ich schrieb vor längerer Zeit:

Natürlich finde ich „Schwarz-braun ist die Haselnuss“ und dergleichen auch zum Kotzen. Aber das ist nicht die deutsche Folklore oder nicht allein, sondern immer noch der ‚volksnahe‘ Beitrag, der sich aus der Nazizeit herübergerettet hat. Schriebst Du nicht etwas von Liederjan oder Zupfgeigenhansl (und ‚Schelmish‘)? Da greift man durchaus auf altes, ‚deutsches‘ Liedgut zu, was weder schwarz noch braun angehaucht ist.

Ich sehe hier zunächst eine Zweiteilung. Auf der einen Seite die Volksmusik (Volkslieder), die sich aus langer Tradition entwickelt hat, oft mit politischem Hintergrund und mit Themen besetzt, die den Alltag des (nicht nur) niederen Volkes betreffen. Daneben die volkstümliche Musik (Schunkelmusik), die sich gern als Volksmusik ausgibt, aber die lediglich der Unterhaltung dient (und daher kommerziell ausgeschlachtet wird). Themen hier: Herz und Schmerz und schwarz-braune Haselnüsse. Dieser Art von Volksmusik bedienten sich auch die Nationalsozialisten.

Das deutsche Volkslied hat eine lange Tradition und beginnt mit den Minnesängern und Bänkelsängern. Bereits hier lässt sich diese Zweiteilung beobachten:

• Die Minnesänger, die auch den Grundstein für das Kunstlied legten, dem sich später bekannte Komponisten von Mozart bis Franz Schubert bedienten

• Die Bänkelsänger, die sich mehr den volkstümlichen Liedern (und Moritaten) widmeten

Als „Vater“ des Volksliedes gilt Johann Gottfried Herder, der auch diesen Begriff prägte (Herder gilt übrigens als Meister der Neologismen, so stammt auch der Begriff Zeitgeist von ihm). Und bei ihm begegnen wir auch dem schottischen Volkslied. Überhaupt beschäftigten sich in der Zeit der Romantik u.a. Achim von Arnim sowie Clemens Brentano mit Volksliedern und die Brüder Grimm mit Märchen und Sagen.

Die „Herkunft“ eines Volksliedes lässt sich bereits erahnen. Beim zum Kunstlied erhobenen Volkslied kennen wir in der Regel Dichter und Komponist. Es wurde zum Volkslied, weil es in den Volksmund übergegangen ist. Beim eher volkstümlichen Lied sind beide, Dichter und Komponist, meist nicht mehr bekannt. Auch ein schlicht und leicht fassbares Lied in Text und Melodie ist hierzu zu zählen. Aber es gibt natürlich Mischformen. So gibt es viele Gedichte, die zu einer Volksweise (Melodie) gesungen werden (z.B. „Der Mai ist gekommen“). Auch der schottische „Volks“-Dichter, Robert Burns, bediente sich häufig traditioneller Musik, z.B. „A Man’s A Man for A’ That“. Überhaupt sind es diese Mischformen, die ich vorrangig zur (nicht nur) deutschen Folklore, zu den Volksliedern zähle. Die Lieder, für die wir (sicherlich nicht immer richtig) den angelsächsischen Begriff „Folk“ verwenden, einfach um eine Abgrenzung zum volkstümlichen Lied zu schaffen. Und aus dieser Quelle schöpfen heute viele Musiker, kreieren ihre eigenen Lieder, die dann unter anderen Begriffen wie Folkrock, Politrock usw. an und in unsere Ohren dringen.

Volkslieder beider Art sind meist regional entstanden, haben sich aber oft national ausgebreitet, teilweise auch über die (staatlichen bzw. sprachlichen) Grenzen hinweg.

Wie verhält es sich nun mit Volkstänzen? Musikalisch bedient man sich nach meiner Meinung hier aus beiden Töpfen (Kunstlied und volkstümliches Lied, eher aber letzteres als so genannte Volksweise). Im Gegensatz zu den Volksliedern sind Volkstänze meist regional begrenzt, was u.a. auch mit den durch regional verschiedenen Trachten zusammenhängt. Das lebendige Vorhandenseins dieses Brauchtums ist zudem von Region zu Region sehr unterschiedlich und wird eher in ländlichen Gegenden gepflegt. Dort, wo Volkstänze besonders einem breiteren Publikum (Touristen) vorgeführt werden, greift man eher auf „standardisierte“ Tänze zurück.

Soviel fürs erste. Einen Aspekt habe ich vernachlässigt. Es geht um die Marschmusik, die immer wieder gern in so genannten Volksmusiksendungen gezeigt wird, in Deutschland z.B. irgendwelche böhmischen Blaskapellen; in Schottland die bekannten Drums and Pipes Bands. Wie der Name schon sagt, Marschmusik, gibt es hier eine (pseudo-)militärische Ausrichtung. Sicherlich ein Grund mehr, weshalb mir solche Hitparaden der Volksmusik zuwider sind.

Weiterhin frohe Schaffen!
Viele Grüße

Wilfried

04.06.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Mr. Anderson färbt seine Haare. Seit Jahren. Ich bin froh, dass es nun einen Bildbeweis für meine Behauptung gibt. Ganz kann er sich dem Jugenlichkeits-Wahn also auch nicht entziehen. Findet er, nicht ich. Aber auf mich hört ja keiner.

Die Gemeinsamkeiten zwischen Mr. Anderson und Mr. Fogerty scheinen sich auf Personalpolitik und andere Äußerlichkeiten zu beschränken und nicht so sehr auf die Musik. Das erleichtert mich; ich dachte schon, ich hätte wieder die simpelsten Dinge wie Tonart, Rhythmus und Halbtöne nicht erkannt.

Die Fields of Athenrye sind nicht unbedingt ein Paradebeispiel für irische Folklore. Es ist nicht der „klassische“ Folk. Es ist fast wie ein Schlager, wenn auch mit sehr ernstem Hintergrund. Das Lied handelt von der großen Hungerkatastrophe, die die grüne Insel Mitte des 19. Jahrhunderts heimgesucht hat.

Eben so wenig wie das Lied verkörpern die Dubliners die ursprüngliche Folklore. Die Dubs sind mehr für Schunkel- und Trinklieder zuständig. Und auch für Kampf- und Kriegsgesänge, von denen es in Irland reichlich gibt. Natürlich besteht auch an Liebesliedern kein Mangel. Ich habe die Felder von Athenrye trotzdem als erstes Beispiel ausgesucht, um einen sanften Einstieg in die irische Folklore zu finden. Die „echte“ Folklore der Insel ist ein wenig gewöhnungsbedürftig. Will man einen Kulturschock vermeiden, sollte man sich ihr langsam nähern.

The Fields of Athenrye sind erst in den 70er Jahren komponiert worden, also für meine Begriffe zu jung, um als `Traditional` durchzugehen. Der im gelinkten Wikipediatext erwähnte Paddy Reilly ist übrigens niemand anderer als der nette Opatyp, der das Lied im Video singt. Mr. Reilly spielt seit 1995 bei den Dubliners, genau wie hunderte vor ihm und nach ihm. Jethro Tull und CCR stellen nicht die Spitze der Personalfluktuation dar. Ist Euch aufgefallen, wie alt das Publikum in dem Video ist ? Ich schätze das Durchschnittalter auf 61,7 Jahre. Entweder war das Konzert auf Betreiben eines Seniorenclubs zustande gekommen oder die Dubliners erreichen die jungen Menschen nicht mehr. Beides halte ich für möglich.

Wie in meiner kurzen Beschreibung des Dubliners-Repertoire schon angeklungen, scheint sich die Welt der Iren hauptsächlich um drei Dinge zu drehen: Trinken, Liebe und der Kampf gegen die Engländer. Tatsächlich habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Iren den Hass auf alles Englische schon mit der Muttermilch aufnehmen. Betrachtet man die Geschichte der beiden Länder, wird das niemanden wundern. Angefangen bei Edward I, über Henry VIII und Oliver Cromwell bis in unsere Tage wird nicht viel dafür getan, um die politischen Wogen zu glätten. Aber das nur am Rande, ich möchte kein Geschichtsforum eröffnen.

Ich wollte eigentlich nur sagen, dass die Songs einer so populären Gruppe wie den Dubliners zu einem nicht geringen Anteil politisch angehaucht sind. Ohne Zweifel spielen sie Volksmusik, und somit ist Wilfrieds These über das politisch motivierte Volkslied auch für den irischen Teil der Welt untermauert. Und tanzen können die Iren natürlich auch (vermutlich am besten dann, wenn sie genug getrunken haben). Ihre wichtigsten Tänze sind Reel und Jig.

Als eines der katholischsten Länder der Erde (was immer das heißen mag) kennen die Iren auch religiöse Lieder. Hier als Beispiel der Text eines Liedes, das sich so gar nicht nach Kirchenlied anhört. Seit Riverdance wissen wir auch, dass die Iren steppen können.

Einige Gedanken zu der letzten mail von Kretakatze:
Ich bin versucht, Werbung für Israel zu machen. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass unsere Kretakatze ihr El Dorado in der Ägäis gefunden hat. Dabei ist Israel von Kreta nur einen Katzensprung entfernt. Nein, im Ernst: Israel ist in erster Linie für den historisch und religiös Interessierten die engere Wahl; tolle Strände, nette Menschen und ein schönes Hinterland finden sich auch anderswo.

Zum Schönheitsideal: Es gibt sicher einige Faktoren, die hier hineinspielen. Ein Anthropologe schrieb einmal, dass wir uns als Partner den Menschentyp aussuchen, der uns von frühester Jugend vertraut ist. Also: ist meine Mutter dunkelhaarig- und äugig, werde ich mir auch eine solche Frau suchen. Wir alle kennen sicher -zig Fälle, die dieser Theorie widersprechen. Jedoch: bei meinen ersten Freundinnen (möge der Himmel ihnen ein glückliches Leben bescheren) war das so.

Liebe Kretakatze, Deine frühe Vorliebe für CCR hat mich angenehm überrascht. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass junge Mädchen in den 70ern Abba, Smokie und Bay City Rollers hörten. Schön zu sehen, dass es auch anders ging.

Mein Bett ruft und ich werde dem nachgeben.
Bis bald
Lockwood

04.06.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

heute muss ich zuerst einmal dem Lockwood ein großes Kompliment machen – er verlinkt inzwischen wie ein Weltmeister, da komme ich ja kaum noch mit. Vielen Dank auch für die zahlreichen interessanten Videos zu den Dubliners. Das muss ich erst noch ein bißchen verdauen. Auf’s erste Hören muss ich allerdings sagen, dass mich davon nichts so richtig vom Hocker reisst. Abgesehen vom angenehmen akustischen Sound klingen die Melodien für mich doch alle ein bißchen – tja, langweilig. Von Rhythmus und Takt erinnert mich alles stark an deutsche Volksmusik, und die spricht mich auch nicht gerade an. Aber wenn ich mich recht entsinne, müsste es eigentlich auch ein paar ziemlich flotte irische Tänze geben, oder? Auf jeden Fall ein sehr interessanter Ausflug auf die „Grüne Insel“, die weißen Flecken auf unserer Landkarte werden immer kleiner.

Lockwood hat außerdem Einiges über Beständigkeit und Wandel im äußeren Erscheinungsbild der Herren Anderson und Fogerty geschrieben. Dem kann ich nur zustimmen. Ich denke beide sind auf ihre Weise Phänomene. Anderson, weil er sich alle paar Jahre so derart wandelt, dass man kaum noch glauben kann dieselbe Person vor sich zu haben – es sind regelrechte Metamorphosen – und Fogerty, weil er über Jahrezehnte hin völlig unverändert wirkt, man kann garnicht glauben, dass schon wieder 10 Jahre um sein sollen. Unter einem Live-Video von Fogerty fand ich z.B sinngemäß den Kommentar: „Ist das wirklich erst dieses Jahr aufgenommen? Ich habe ihn vor 10 Jahren live gesehen, da sah er genauso aus“. Das könnte Mr. Anderson nie passieren.

Lockwoods Ansicht zu Down On The Corner kann ich aber nicht teilen. Für mich ist dieser Titel vom Stil her mehr Pop als Rock und würde daher für Abba bestens passen. Eine Coverversion macht ja auch nur dann Sinn, wenn sie sich in mindestens einem wesentlichen Punkt vom Original unterscheidet, sonst ist sie überflüssig. Und dieser Unterschied könnte in diesem Fall die völlig andere Stimme sein – warum nicht? Dass Abba stattdessen Midnight Special gecovert haben, wundert mich eher. Das hätte ich nicht für ihren Stil gehalten. Andererseits glaube ich, der Titel ist im Original auch nicht von CCR, die haben auch teilweise Songs gespielt, die sie nicht selbst geschrieben hatten. Grapevine gehört z.B. dazu, I Put A Spell On You (für meinen Geschmack ein echter Knaller!) und Nighttime Is The Right Time. Proud Mary stammt aber definitiv aus der Feder von John Fogerty. Es soll wohl eines der am häufigsten gecoverten Stücke überhaupt sein mit mehr als 100 Versionen, und jetzt gibt es auch noch eine Version von Wilfried! Die würde ich aber wirklich gerne Mal hören!

Überhaupt hat der Wilfried ja mal wieder ganz tolle Videos ausgegraben – Danke! Mr. Anderson sieht vergleichsweise richtig chic aus und benimmt sich auch beim Interview nicht daneben – na also, es geht doch! Auch der Gesang war schon schlimmer (man wird ja so bescheiden…). Das „Mother Europe“ klingt richtig gut. Weiter so! Auch die von Lockwood entdeckte Tull-Coverband ist ja wirklich super! Besser als das Original, würde ich sagen, jedenfalls besser als das, was man so in den letzten Jahren vom Original zu hören bekommen hat.

Von Wilfried wüsste ich gerne mal, wie er das mit den Standbildern aus den Videos macht – das könnte ich auch gerne! Übrigens braucht man zum Haare färben keinen Friseur, das macht man zuhause zwischen Wäsche waschen und Wohnung putzen – naja, ich jedenfalls. Mr. Anderson hat wahrscheinlich so viel zu waschen und zu putzen, dass er zum Färben keine Zeit mehr findet. Da er seine Haarreste üblicherweise unter einem Kopftuch verbirgt, wäre Haare färben ja auch nur eine unnötige Geldverschwendung – ein bißchen sparsam muss man schon sein. Mr. Fogerty ist da z.B. bei seiner Haarpracht verschwenderischer. Nur für die Augenbrauen scheint die Farbe dann nicht mehr gereicht zu haben, die sind nahezu weiß (Anschauungsbeispiel).

Und um noch einmal auf den Herrn Papasoglou zurückzukommen – seine Stimmprobleme sind echt, da bin ich mir ziemlich sicher. Ich denke es ist nicht zu überhören, dass er kaum noch einen Ton herausbekommt. Abgesehen davon gehört er zufällig zu den Musikern, die ich selbst schon live erlebt habe – das war 1989 in Esslingen, einer Griechen-Hochburg im Stuttgarter Raum. Bei dem Konzert sah es aus wie hier im Club (die Sendung scheint in einem Club aufgezeichnet worden zu sein) – alles steht in den Gängen oder in den Reihen, zum Schluss auch auf den Stühlen, und tanzt und singt – ich auch. Das ist nicht gespielt, das ist echt. Der Herr mit dem Mikrophon ist nicht irgendein Zuschauer, ich habe mich auch schon gefragt, wer das sein könnte. Vielleicht der Moderator der Sendung oder der Besitzer des Clubs, in dem die Sendung aufgezeichnet wurde.

Zum Thema Volksmusik, Folk(lore) und Volkstanz fällt mir leider garnichts ein, lieber Wilfried. Ich muss zugeben, dass ich mit dieser Musik wenig anfangen kann, es sei denn sie tendiert zum griechisch-orientalischen oder zum mittelalterlichen. Mit sonstiger mitteleuropäischer Volksmusik habe ich mich sehr wenig befasst. Trotzdem fand ich Deinen Beitrag zu diesem Thema sehr interessant, gerade auch was die Texte des Dichters Robert Burns betrifft.

Aber jetzt noch einmal zu Anderson – Fogerty. Aus Lockwoods Reaktion auf meinen letzten Vergleich schließe ich, dass nicht so richtig deutlich geworden ist, was ich mit meinen vielen Worten eigentlich sagen wollte. Deshalb jetzt noch einmal als kurze Zusammenfassung:

Bislang habe ich lediglich den Werdegang bzw. die Entwicklung der beiden Musiker und ihrer Bands verglichen, zur Musik habe ich mich noch nicht näher geäußert. Die Unterschiede sehe ich vor allem in der Personalpolitik – insofern, als es bei CCR nie eine gegeben hat – und in der Fluktuation – ebenfalls in sofern, als es bei CCR nie eine gegeben hat. Die Band war 12 Jahre lang (von 1959 bis 1971) so statisch wie ein Monolith, um dann, ebenfalls wie ein Monolith, unter den inneren Spannungen einfach zu zerspringen. Jethro Tull dagegen war von Anfang an so dehnbar wie ein Kaugummi. Deshalb gibt es diese „Band“ auch heute noch.

Die Parallelen zwischen Anderson und Fogerty bestehen nach meiner Meinung vor allem in ihrem Werdegang – Beginn in jungen Jahren in einer Schülerband, kleine Auftritte, mäßiger Erfolg, lange Lehrjahre etc. – und in ihrem Wesensmerkmal, durch Fähigkeiten, kreative Ideen, Energie und Durchsetzungsvermögen eine Gruppe so dermaßen zu dominieren, dass Andere neben ihnen keine Luft mehr bekommen und keine Möglichkeit zur eigenen Entfaltung mehr sehen und schließlich das Weite suchen. Als „Äußerlichkeit“ würde ich eine solche Persönlichkeitstruktur nicht bezeichnen.

Ich habe Fogerty nicht deshalb für den Vergleich ausgewählt, weil ich zufällig vor 35 Jahren mal ein Bild von ihm über dem Bett hängen hatte – auch das ist vielleicht ein bißchen falsch rübergekommen. Das Poster hatte ich im Übrigen auch garnicht wegen ihm aufgehängt, sondern weil ich den Drummer Doug Clifford damals ziemlich süß fand. Aber lassen wir diese nebensächlichen Details. Jeder Vergleich macht ja nur Sinn, wenn es eine wesentliche Gemeinsamkeit gibt, von der ausgehend man untersuchen kann, warum dann unterm Strich doch etwas völlig anderes herausgekommen ist. Sonst könnte ich Anderson jetzt auch mit Luciano Pavarotti oder Heintje vergleichen und die wesentlichsten 357 Unterschiede aufzählen – das wäre nicht nur witzlos, sondern auch gähnend langweilig. Gut, den Vergleich Anderson – Fogerty findet Ihr vielleicht auch ziemlich öde, aber mich interessiert er eben gerade.

Die Frage, die ich mir stelle, ist folgende: Zwei Männer mit ähnlichen Voraussetzungen (siehe oben) gründen im Jahr 1967 je eine „One-Man-Rockband“, d.h. sie selbst als „Frontman“ zusammen mit ein paar Musiker-Statisten (oder zumindest entwickelt sich die Gruppe schnell in diese Richtung). Beide sind sie in ihrem Job erfolgreich (Musik machen und verkaufen), trotzdem ist bei dem Einen nach 5 Jahren die „Firma“ am Ende, während sie beim Anderen nach 40 Jahren immernoch läuft. Andererseits hat der „ohne Firma“ nach 40 Jahren begeisterte Fans, die meinen er wäre noch gerade so gut wie damals, während die Fans von dem „mit Firma“ jammern und klagen, dass nichts mehr ist wie vor 30 Jahren. Wie kommt’s?

Gut, das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die beiden aufgrund ihres unterschiedlichen Musikstils auch unterschiedliche Fans haben. Wenn ich mir z.B. die Mädchen ansehe, die hier auf diesem Bild ihre Arme sehnsuchtsvoll über den Bühnenrand recken, dann sehen sie für mich so aus als wären sie nicht älter als ich damals war (ich bin aber nicht dabei…). In einer leicht abgewandelten Version eines bekannten Ausspruchs bin ich versucht zu sagen: „Zeige mir Deine Fans, und ich sage Dir, wer Du bist.“ So fand ich unter einem CCR-Video z.B. diesen Kommentar: „I remember when this whole concert was on TV (I think it was live in 1971 or 72). I was so mad at my parents for not letting me stay up and watch it, even though they knew CCR was my favorite band. I was only 7 though, so now I can forgive them.“
Ich wage zu bezweifeln, dass es sehr viele 7-jährige Jethro Tull Fans gegeben hat. Tull-Fans sind üblicherweise hochintelligente, gebildete, spachlich und musikalisch interessierte Intellektuelle mit hohen Qualitätsansprüchen – so wie wir eben. Und die sind ziemlich schwer zufrieden zu stellen.

Eines möchte ich aber doch zur Ehrenrettung für Mr. Fogerty noch sagen. Ich glaube nicht, dass er nicht weiß, was ein Armani-Anzug ist. Im Stall lebt er auch nicht gerade, auch wenn er um 1970 herum auf der Bühne und im Fernsehstudio in Kleidung erschien, die aussah als wäre er gerade eben von der Feldarbeit hereingekommen – er ist tatsächlich, wie Anderson, auch sehr naturverbunden. In den letzten Jahrzehnten trug er, zumindest bei Filmaufnahmen, meist schwarze Hemden, auch gestreift oder gar gemustert wurde er bereits gesichtet. Ich könnte mir vorstellen, dass er das karierte Hemd nicht zuletzt seinen Fans zuliebe anzieht. Es ist ja auch so herrlich schön und einfach, wenn man nicht mehr braucht als ein Karohemd um bei seinen Fans das 1970-Feeling auszulösen. Davon kann Mr. Anderson nur träumen.

Jetzt lasse ich es für heute wieder erst einmal gut sein. Es ist ja schon wieder so spät – meine Güte…

Seid lieb gegrüßt

Kretakatze

PS.: Lieber Lockwood, warum findest Du es denn so schön, dass ich gerade eine Vorliebe für CCR hatte. Und das, obwohl die doch an Dir so (fast) spurlos vorübergegangen sind? Abba waren, glaube ich, erst später aktuell, so ab Mitte der 70er Jahre. Smokie weiß ich nicht mehr und Bay City Rollers sagen mir nichts. Ich glaube, da war ich aus dem Alter raus… Ach ja, Deine Vorliebe für Kate Bush fand ich interessant. Wegen Kate Bush bin ich erstmals auf YouTube gelandet. Aber dazu vielleicht ein andermal.

05.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 69: Kleiderordnung

Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

John Fogerty’s CCR habe ich nie so richtig wahrgenommen und ich kann noch nicht einmal sagen, warum das so ist. Ihre Musik ist ok, der Gesang ist markant, mit hohem Wiedererkennungswert. Ich kenne zwar ihre Gassenhauer wie Proud Mary, Sweet Hitch Hiker usw, aber viel mehr nicht. Den Hinweis von Kretakatze auf Mr. Fogerty’s Beständigkeit in Hinsicht auf Garderobe und Stimme finde ich sehr interessant. Nicht zuletzt für einen Jethro Tull – Fan. Die Aussage, dass sich jemand jahrzehntelang nicht verändert oder weiterentwickelt, klingt zunächst einmal negativ. Wenn ich hingegen die Entwicklung des Mr. Anderson in den letzten Jahrzehnten betrachte, werden die positiven Aspekte dieser Aussage sichtbar.

Mr. Fogerty hat augenscheinlich seinen Geschmack in Fragen von Hemden, Jeans und Frisur nicht geändert. Er bleibt sich treu, wie man in solchen Fällen sagt. Er ist selbstbewusst genug, um auf jedes Diktat des Zeitgeschmacks zu pfeifen. An der jahrelangen Präsenz von CCR können wir ablesen, dass sich der Frontmann einer Band nicht unbedingt in aufsehenerregende Gewänder hüllen muss, um den Bestand der Gruppe zu gewährleisten. Statt über die Garderobe definiert sich Mr. Fogerty über die Stimme. Nicht das schlechteste Vorgehen für einen Sänger.

Das bringt mich wieder zu Jethro Tull. Mr. Anderson hatte gewiss ebenfalls die Möglichkeit, sich über seine musikalischen Fähigkeiten zu profilieren. Aber nein, in den letzten Jahren greift er zu Outfits, vor denen selbst die Kelly-Family zurückgeschreckt wäre. Ich kann das nicht verstehen. Wenn ich es nicht bereits mehrfach getan hätte, würde ich an dieser Stelle meinem Unmut und mein Unverständnis auf langen Seiten Luft machen.

Um zur Abwechslung einmal etwas Positives über Mr. Anderson’s Bühnenbekleidung zu sagen: Seine historischen Kostüme aus der Mitte der 70er Jahre gefallen mir gut. Sie passten wunderbar zur folkorientierten Musik, der sich die Gruppe damals verschrieben hatte. Und genau hier sehe ich den Unterschied zwischen Mr. Anderson und Mr. Fogerty: Die Musik von Jethro Tull hat sich in den fast 40 Jahren ihres Bestehens stark verändert. Wenn nun Mr. Anderson Wert darauf legt, Musik und Kleidung aufeinander abzustimmen, kommt er um einen Wechsel des Kleidungstils nicht herum. Das sehe ich ein und das halte ich auch für richtig. Hinzu kommt, dass ein athletischer 30jähriger in engen Strumpfhosen eine bessere Figur macht als ein untersetzter Endfünfziger. Ich räume also ein, dass Mr. Anderson seine Bühnengarderobe an die jeweilige Musikrichtung und sein Alter angepasst hat. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen, im Gegenteil. Offen bleibt aber die Frage, warum Mr. Anderson seinem Alter und Leibesumfang gerecht zu werden versucht, indem er getupfte Schlabberanzüge und Kopftücher trägt. Wir wissen doch spätestens seit Eric Clapton, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, sich dem Alter entsprechend zu kleiden.

Vor meinem geistigen Auge entsteht gerade folgendes Szenario: Presseempfang für verdiente Haudegen der Rockmusik. Mr. Anderson im Piratenoutfit steht neben Mr. Clapton im Armani-Anzug. Ich denke, mehr muss ich nicht sagen.

Vor einigen Tagen überraschte mich jemand mit der Feststellung, dass der CCR – Song „Down On The Corner“ gut zu Abba gepasst hätte. Es mag sein, dass es Parallelen gibt, wenn man die musikalischen Parameter von CCR- und Abba – Titeln genauer untersucht. Aber das kann ich nicht leisten. Ich persönlich habe große Schwierigkeiten damit, die glockenklaren Stimmen der Abba – Frauen und die Synthi-Popmusik der Schweden mit der kernigen Stimme und dem urwüchsigen Rock’n’Roll des Mr. Fogerty unter einen Hut zu bringen.

Aber, meine lieben Freunde, jetzt haltet Euch gut fest: Zu meinem großen Erstaunen stellte ich heute rein zufällig fest, dass Abba einen CCR-Song gecovert haben ! Es handelt sich um „Midnight Special“. Leider ist die Abba -Version bei youtube nicht verfügbar. Das ist nicht verwunderlich: Ich kenne die Abba – Version aus einem Sammelalbum, das bisher unveröffentlichtes Material enthält. Ich gehe also davon aus, dass diese Coverversion nie als Single erschienen ist.

Die Tatsache, dass Abba ein Lied von CCR covern, reicht mir als Beweis dafür, dass es in der Musik dieser beiden Formationen keine so großen Unterschiede gibt, wie mein unzureichender Musikverstand mich das bisher glauben machen wollte. Tja, man lernt nie aus.

Mit dieser positiven Feststellung verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch ein wunderbares Wochenende !

Lockwood

01.06.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

was John Fogerty und CCR anbelangt, ist es mir ähnlich wie Lockwood gegangen, ich habe sie gelegentlich im Radio gehört oder bei Freunden, auch im Fernsehen gesehen, fand die Musik ganz gefällig, aber die Gruppe gab mir keinen weiteren Anlass, mich näher mit ihr zu beschäftigen. Gehört und fast schon wieder vergessen. Die Titel, die Lockwood genannt hat, kenne ich natürlich auch. Und Proud Mary (in der Interpretation mit Ike und Tina Turner) habe ich sogar früher mit meiner Band gecovert (das Original ist von CCR?).

Nun, Lockwood ist ja wohl nicht nur unser DNA-Spezialist, sondern auch für die ‚hohe Schneiderkunst’ (Haute Couture) zuständig. Ob Herr Fogerty überhaupt weiß, was unter Armani zu verstehen ist, bezweifle ich fast (von Armani dürften seine Jeans nicht stammen). Herr Anderson wird sicherlich nicht ständig in Anzügen dieser Marke herumlaufen, aber vielleicht hat er doch den einen oder anderen im Kleiderschrank. Neben den 20 Piratenkostümen besitzt er doch einiges Tragbare für den festlichen Anlass wie im Kloster Laach-Auftritt zu sehen war. Ich habe da übrigens ein hübsches Video von Jethro Tull zugespielt bekommen (Living in the Past), das zeigt Herrn Anderson mit Zylinder (muss aus dem Jahre 1993 stammen, da für das 25th Anniversary box set Werbung gemacht wird; Dave Pegg hatte wohl gerade die Gruppe verlassen und Jon Noyce kam erst 1995, wenn ich richtig informiert bin. So muss sich Herr Anderson für diesen Auftritt vom Arbeitsamt einen arbeitslosen Bassisten geholt haben). Ich bin nun wirklich kein Modekenner (und bewege mich auch eher im Fogerty’schen Geschmackslevel), aber das Jackett von Herrn Anderson erinnert mich an Batik-Arbeiten (oder ist ein Muster aus der Kunst der Maya?), modisch also sehr ‚gewagt’. Von dem Teil muss er mehrere Stücke besessen haben, ich erinnere mich an einen Auftritt mit Mandokis Soulmates im deutschen Fernsehen, bei denen er ähnliches trug (ich hab nachgeschaut, tatsächlich – das gleiche Stück – und schnell bei youtube eingespielt: Soulmates „Mother Europe“):

Die Stimme von Ian Anderson ist auf dieser Aufnahme (Living in the Past) bereits stark angekratzt, daher ist der instrumentale Teil etwas gedehnt worden, was ich aber sehr hörenswert finde (auch Martin Barres Gitarrenspiel).

Weiteres dann später (auch meinen „Folklore“-Vortrag und weiteres zu den letzten Griechenland-Videos).

Ich wünsche Euch eine angenehme Woche.
Bis bald

Wilfried

P.S. Ich bekomme gerade eine Mitteilung von dem Typen, der das „Living in the Past“-Video ins Netz gestellt hat: Ich nehme alles zurück (von wegen arbeitsloser Bassist): Der langmähnige Mensch ist angeblich kein anderer als der Sohn von Dave Pegg, Matt Pegg, der auch ab und zu bei Tull ausgeholfen hat. Interessant auch ihn einmal in Bild und Ton zu erleben!

03.06.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

Wilfrieds Hinweis, dass Mr. Fogerty ebenso weit von Armani-Anzügen entfernt ist wie Mr. Anderson, ist an dieser Stelle berechtigt. Seit Maria Laach wissen wir, dass Mr. Anderson auch edlen Zwirn im Kleiderschrank hat, aber er hält es damit wie ich; die guten Stücke werden nur zu Weihnachten herausgeholt. Es gibt drei Gründe, warum ich keine Armani-Anzüge trage: Erstens sprengen sie mein Budget, zweitens würden sie in meiner Größe überhaupt nicht mehr gut aussehen und drittens habe ich keine Gelegenheit, so feines Tuch zu tragen. Aber an Mr. Clapton sehen sie topp aus!

Den Zylinder trug der Meister bei mehreren Gelegenheiten, wie ich dem Bildteil des Songbook entnehmen kann. Ich finde, er steht ihm gut zu Gesicht und macht einen schmalen Fuß. Jedenfalls passt dieser Aristokraten-Helm besser zum British Way of Live als der Kopfverband.

Das Jackett aus „Mother Europe“ ist zwar modisch gewagt, geht für meine Begriffe aber in Ordnung. Ich bin nicht grundsätzlich gegen modische Extravaganzen; ein Rockmusiker sollte sich in seiner Garderobe schon von einem Finanzbeamten unterscheiden.

Ich wusste nicht, dass Mr. Anderson schon seit den 90er Jahren bei Mandoki’s All-Star-Band mitspielt. Ich bin bisher davon ausgegangen, dass diese Truppe sich erst vor einigen Jahren formiert hat, um bei Thomas Gottschalk aufzutreten. Bis auf den Meister und Herrn Mandoki kenne ich niemanden aus der Band. Und Herrn Mandoki kannte ich bis dahin nur als musikalischen Steppenreiter. Ihr wisst schon: „Dschingis Khan“, die deutsche Antwort auf die „Village People“.

Liebe Kretakatze, ich hoffe, Du verzeihst Wilfried und mir, dass CCR an uns spurlos vorübergegangen sind. Erst meine Probleme mit der griechischen Musik und jetzt das. Bitte bleibe uns gewogen und gib uns noch eine Chance !

Vor einiger Zeit fragtest Du nach einem Beitrag zur irisch-schottisch-bretonisch-gälischen Folklore. Ich picke jetzt wahllos ein Stück dieses Genres heraus und stelle es zur Diskussion. Falls es Euch nicht gefallen sollte, habt bitte keine Hemmungen, das auch zu sagen.

Übrigens: Durch Zufall entdeckte ich eben ein Video einer weiteren Jethro Tull – Coverband. Musikalisch in Ordnung, aber eben nicht das Original.

So, genug für heute (am 7. Tage sollst Du ruhen !).
Ich wünsche Euch eine sonnige Woche

Lockwood

03.06.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

es ist wirklich immer wieder interessant, was man so aus fernen Landen hört, und inzwischen haben wir ja schon eine ganz nette Reise hinter uns – von Schottland über Island, Spanien und Kreta bis nach Israel. Ich war noch in keinem dieser Länder (außer Griechenland natürlich), mich hat es immer einseitig nur in eine Gegend gezogen. In nordischen Ländern ist es mir zu kalt – ich bin ein sehr wärmebedürftiger Mensch – und Israel ist wohl auch nicht für mich geeignet, denn ich bin weder blond noch attraktiv.

Schönheitsideale sind überhaupt auch ein interessantes Thema. Woher kommt es, dass ein Mensch oder sogar ganze Völker nun z.B. gerade blonde Haare für erstrebenswert erachten. In anderen Kulturen sind es auch kleine Füße, lange Hälse oder gar „angespitzte“ Zähne. Teilweise führt dieses Streben nach Schönheit regelrecht zur Selbstverstümmelung – auch Piercing würde ich dazu zählen. Da sind blond gebleichte schwarze Haare noch vergleichsweise harmlos.

Schönheitsideale unterliegen dem Wandel der Zeit. Häufig sind sie von Vorbildern abgeleitet, denen man nachzueifern versucht. In verschiedenen Epochen galt ein „griechisches Profil“ als schön, da man die Griechen der Antike wegen ihrer Kultur und Bildung bewunderte. In südlichen Ländern gilt offensichtlich ein mittel- oder nordeuropäisches Aussehen als attraktiv, vermutlich da man zu den Mitteleuropäern wegen ihres wirtschaftlichen Erfolgs und ihres politischen Einflusses aufschaut. In Mitteleuropa dagegen legt man sich ins Sonnenstudio um sich die Haut zu bräunen, um wie ein Südländer auszusehen, da das so gesund und naturverbunden wirkt. Es scheint – wie meist im Leben – besonders das erstrebenswert zu sein, was man nicht hat und was nur schwer zu erlangen ist.

Manchen Menschen kann man an ihrem Äußeren bereits ansehen, welche Vorbilder sie haben. John Fogerty z.B., den ich ja letztes Mal schon kurz erwähnt habe, und zu dem ich heute noch einmal ausführlicher kommen werde, scheint wohl ein Bewunderer der Beatles gewesen zu sein. Das lässt zumindest seine Frisur vermuten.

Wer nun vielleicht das Vorbild für Ian Anderson’s Löwenmähne gewesen sein könnte, vermag ich nicht zu erraten, aber in dieser britischen TV-Sendung vom 16.03.2007 sagt er etwas, das sehr aufschlussreich ist in Bezug auf die Frage, was ihn zur Wahl dieser Haartracht bewegt haben könnte. Diese Sendung war im Übrigen kein Interview, sondern eine Art Boulevard-Magazin, in dem es um die „Seitenlage“ des Scheitels eines britischen Oppositionspolitikers ging. Mr. Anderson wurde wohl als Experte für „haarige Angelegenheiten“ eingeladen. Sein Auftritt beginnt etwa bei 0:50 (leider kann man bei diesen Videos ja nicht in der Mitte aufsetzen), etwa ab 1:20 beschreibt er wild gestikulierend, wie die Haare von Personen aussehen, die wir sympathisch finden, und den entscheidenden Satz sagt er etwa bei 1:40 – „We love the guys with the crazy, fly-away hair“. Also ungefähr so wie bei diesem Herrn hier.

Mr. Anderson möchte also geliebt werden. Wer möchte das nicht? Leider hat es die Natur nicht gut mit ihm gemeint und ihn eines Großteils seiner Haarpracht beraubt. Wenn er wollte, könnte er aber heute sicher auch noch so ähnlich aussehen wie dieser Herr, mit dem er außer den Haarproblemen ja auch noch die Stimmprobleme gemeinsam hat – wir erinnern uns (mit Grausen). Aber offensichtlich möchte er das nicht. Er hat sich wohl gesagt „Entweder – oder, halbe Sachen mach‘ ich nicht“, hat die verbliebenen Haare abrasiert bis auf Streichholzlänge und versteckt diese rudimentären Reste nun noch unter einem Kopfverband. Das könnte man fast schon als Trotzreaktion betrachten.

Soweit zur Schönheit des Mr. Anderson. Jetzt möchte ich aber noch einmal zum Vergleich Anderson – Fogerty zurückkommen, den ich letztes Mal so kurz und provokativ angerissen hatte. Würde ich es bei diesen wenigen Worten belassen, dann würde ich wohl beiden Herren unrecht tun. Wie ich nun gerade auf John Fogerty komme, wo er auf den ersten Blick mit Mr. Anderson so gut wie nichts gemeinsam hat?

Creedence Clearwater Revival war die einzige Band, von der ich jemals ein Poster über meinem Bett hängen hatte. Das muss um 1971 gewesen sein, denn damals war ich Bravo-Leser, und es war ein Bravo-Poster. Ich war nicht direkt ein Fan, ich habe auch nur eine einzge Single von CCR – für ein Album hat mein damaliges Taschengeld noch nicht gereicht. Ich hatte ja nicht einmal einen Plattenspieler, und im Wohnzimmer hätte ich das nicht hören dürfen. Wie auch immer, als ich dieser Tage auf YouTube gelandet bin, habe ich natürlich auch die alten CCR-Hits ausgekramt und bin dabei auch auf die neuen Videos von John Fogerty gestoßen. Bis dahin wusste ich nicht einmal, dass er überhaupt noch Musik macht. Nach dem Ende von CCR 1972 hatte ich nichts mehr von ihm gehört.

Wohl noch aus meiner Bravo-Zeit weiß ich, dass es ein paar bemerkenswerte Parallelen zwischen Anderson und Fogerty gibt. In den meisten Punkten sind die Beiden aber praktisch exakte Gegensätze, so wie ihre Musik wohl auch die entgegengesetzten Enden der Rockmusik markiert. Fangen wir mit den Parallelen an…

Die Band Creedence Clearwater Revival wurde im Dezember 1967 gegründet – im gleichen Monat wie Jethro Tull! Vorher hatten die Jungs allerdings schon jahrelang unter anderen Bandnamen Rockmusik gemacht. Die Anfänge gehen auf 1959 zurück, als John’s 4 Jahre älterer Bruder Tom Fogerty in El Cerrito, Californien, zusammen mit seinem Freund Douglas Clifford (Drums) die Schülerband Blue Velvets gründete. Der damals 14-jährige John durfte vermutlich mitspielen, da er Tom’s kleiner Bruder war. Einige Monate später stieß dann noch Stuart Cook als Bassist dazu. Damit waren CCR eigentlich schon komplett.

Die Band spielte anfänglich Cover-Versionen aktueller Hits. Gegen Mitte der 60er Jahre begann John dann selbst Songs zu schreiben und löste seinen Bruder Tom nach und nach als Leadgitarrist und schließlich auch als Sänger ab. In dieser Zeit wurden auch schon erste Platten aufgenommen, allerdings mit wenig Erfolg. Die Gründung – eigentlich eher Umbenennung – der Band 1967 fiel zusammen mit einem Wechsel in der Plattenfirma und außerdem dem Zeitpunkt, zu dem sich der Youngster John endgültig auch als Bandleader durchgesetzt hatte.

Gleich das erste Album der Band Anfang 1968 schlug ein wie eine Bombe, 1969 wurden drei weitere Alben veröffentlicht und 1970 zwei. Die ausgekoppelten Singles gaben sich in den Top Ten die Türklinke in die Hand. Spätestens ab 1970 müssen CCR eine der kommerziell erfolgreichsten Bands der USA gewesen sein. Ich erinnere mich noch, dass sie von den Bravo-Lesern jährlich zur beliebstesten Rockband gekürt wurden.

Der Erfolg seiner Musik führte dazu, dass John Fogerty die anderen Bandmitglieder restlos an die Wand spielte und zu Statisten degradierte. Das konnte nicht lange gutgehen. Als Erster wollte sein Bruder Tom nicht mehr mitmachen, er stieg 1971 aus und versuchte sich in einer wenig erfolgreichen Solo-Karriere. 1972 verließen auch Doug Clifford und Stu Cook die Band, um zusammen mit anderen Musikern eine neue Gruppe zu gründen. Das war das Ende von CCR.

Ich glaube bis hierher kommt Euch die Geschichte so vor, als ob Ihr sie so ähnlich schon einmal gehört hättet. Auch Ian Anderson hatte es bis 1972 geschafft, alle anderen Gründungsmitglieder von Jethro Tull loszuwerden. Allerdings hatte er die „Lücken“ immer sofort wieder mit anderen Musikern aufgefüllt. Er konnte auch auf ein „Reservoir“ von eigenen musikalischen Schulfreunden zurückgreifen, während John Fogerty immer nur mit den Freunden seines großen Bruders musiziert hatte. Trotzdem wäre es für ihn sicher kein Problem gewesen ein paar neue Musiker zu finden, die sich gerne mit ihm auf die Bühne gestellt und auch ein paar Millionen verdient hätten. Aber von den Querelen des Gruppenlebens und dem harten Job eines Bandleaders hatte er offensichtlich genug. Stattdessen nahm er als erstes ein Soloalbum auf, bei dem er jedes Instrument selbst spielte und damit vollkommen ohne andere Musiker auskam. Ein Schritt so demonstrativ und radikal, dass er genauso gut von Ian Anderson hätte sein können.

Überhaupt habe ich mich schon mehrfach gefragt, warum es Mr. Anderson nicht schon viel früher mit einer Solo-Karriere versucht hat. Eigentlich war er in meinen Augen prädestiniert dafür, viel mehr als Mr. Fogerty. Das ist schon in seinem völlig anderen musikalischen Ansatz und Anspruch begründet. Er war immer der Experimentierer, der etwas Neues und Anderes ausprobieren wollte – neue Musikrichtungen, neue Instrumente, neue Formen der Darbietung. Da ist ein festes Team von Musikern eher hinderlich. Er hat das auch selbst einmal in einem Interview angedeutet.

Wenn man in einer Band einen Drummer, einen Bassisten und einen Gitarristen hat, dann kann man schlecht einen Titel z.B. nur für Keyboard, Flöte und Gesang schreiben. Da sind die übrigen Musiker traurig, weil sie nichts zu tun haben. Das lässt sich zwar bis zu einem gewissen Grad dadurch ausgleichen, dass man den Drummer ans Glockenspiel setzt und dem Gitarristen eine Querflöte in die Hand drückt (wie es Anderson ja auch schon getan hat), und wenn man mit Profis arbeitet, dann funktionert das auch. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass man immer eine bestimmte fixe Anzahl Musiker einsetzen muss, nicht mehr und nicht weniger. Und das schränkt die kreativen Möglichkeiten schon ein, ganz abgesehen davon, dass in so einem Team vermutlich manche neue Idee auch sehr schnell im Keim erstickt wird, da der eine Musiker dies und der andere das nicht mitmachen will oder nicht gut findet.

Kommen wir zu Mr. Fogerty zurück. Seine weitere Karriere enthielt mehr Tiefen als Höhen. Die ersten Solo-Platten konnten an die früheren Erfolge nicht anknüpfen, zumal er seinen Musikstil teilweise änderte und sein Repertoire um Gospels erweiterte. Mit Liedern a la Mary Don’t You Weep konnten seine Froschteich-Rock gewohnten Fans nichts anfangen – ich habe es auch fast nicht glauben können. Wie man sieht hat auch Mr. Fogerty musikalische Verirrungen und Verwirrungen hinter sich, wenn auch in eine andere Richtung als Mr. Anderson.

Dazu kamen jahrelange Rechtsstreitigkeiten mit der ehemaligen Plattenfirma. Es ging um Verträge und die Rechte an den CCR-Titeln. Fogerty durfte seine eigenen Lieder nicht mehr spielen, er durfte nicht einmal etwas spielen, was so ähnlich klang (d.h. von sich selbst abschreiben). Das brachte seine musikalischen Aktivitäten schließlich erst einmal völlig zum Erliegen. Hier zeigt es sich, dass Mr. Anderson beim Abschließen von Verträgen und im Handhaben seiner „personellen Entscheidungen“ vermutlich cleverer war. Dadurch, dass er über jeden personellen Schnitt in der Band zumindest Martin Barre hinübergehoben hat, konnte er vermutlich auch den Namen Jethro Tull und die damit verbundenen Rechte und Pflichten wahren. Inzwischen ist Jethro Tull wahrscheinlich sowieso sein Privatunternehmen.

Bemerkenswerterweise im Abstand von jeweils etwa 12 Jahren gelangen Mr. Fogerty noch erfolgreiche Alben – mit „Centerfield“ erreichte er 1985 die Spitze der amerikanischen Album Charts, und mit „Blue Moon Swamp“ gewann er 1997 einen Grammy. Dazwischen lag noch ein weniger erfolgreiches Album und musikalische Sendepause. Erst seit Ende der 90er Jahre scheint er bei Live-Auftritten auch wieder CCR-Hits im Programm zu haben. Seither wird er anscheinend musikalisch auch wieder aktiver. So verkürzten sich zuletzt die Abstände zwischen neuen Studioaufnahmen dramatisch – nach „Deja Vu“ im Jahr 2004 ist er laut seiner Homepage zurzeit schon wieder in den Studios – da muss sich aber Mr. Anderson langsam mal ranhalten. Außerdem tourt Fogerty seit 2005 auch wieder jährlich durch Europa. Es scheint als ob es ihn beflügelt hätte, dass er sich 2004 nach über 30 Jahren mit seiner ehemaligen Plattenfirma (die inzwischen unter anderer Führung steht) vertraglich einigen konnte und nun auch wieder die Rechte an seinen CCR-Titeln hat. Dieses jahrzehntelange Hickhack um seine Musik muss wie ein böser Fluch auf ihm gelastet haben.

So weit für heute zu meinem Vergleich Anderson – Fogerty. Aber keine Sorge, ich bin noch lange nicht fertig, das war nur die Einleitung. In meiner nächsten Vorlesung werde ich dann im Detail auf Musik, Songtexte sowie Bühnenshow (insoweit man Fogerty’s Auftritte so bezeichnen kann) eingehen. Für heute habe ich Euch aber erst einmal genug gelangweilt.

Ich wünsche Euch einen guten Start in die Woche!

Liebe Grüße
Kretakatze

PS.: Als Anhang gibt es heute noch einen seltenen und ungewöhnlichen CCR-Song. Er wurde erst 1986 auf einer Compilation-Platte veröffentlicht und kann eigentlich nicht wirklich von CCR sein, denn er ist mit einem Keyboard instrumentiert, und bei CCR gab es nie einen Keyboarder. Es ist aber unverkennbar John Fogerty’s Stimme. Vielleicht ein erster Solo-Track? In diesem Video gibt es keine Bilder, dafür ist unter der Beschreibung der komplette Songtext abgelegt: (Wish I Could) Hideaway

03.06.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 68: Vom Sein und vom Schein

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

ich muss dem Lockwood Abbitte leisten – ich hatte ihm gegenüber behauptet, Sirtaki wird immer nur auf das Sorbas Lied getanzt. Nun habe ich im Internet eindeutige Beweise gefunden, die diese These widerlegen. Zu meiner größten Überraschung haben sich nämlich offenbar die Türken des Sirtaki angenommen und ihn zum Disco-Paartanz weiterentwickelt. Hier zuerst die Sorbas-Variante, bei der zum Schluss auch noch Teller zerschlagen werden – eine Tradition, die eigentlich zum Seimbekikos gehört. Sei’s drum, in den Sirtaki kann man alles reinpacken, da muss man es nicht so genau nehmen. Das sieht man auch bei diesem von Türken getanzten Sorbas-freien Paar-Sirtaki – er scheint mir gar Elemente aus dem Flamenco zu enthalten, teilweise kommt er mir jedenfalls irgendwie spanisch vor…

Und da wir gerade bei multikulturellen Tänzen sind, hier noch ein weiteres Kuriosum: Ein Tanz aus Sri Lanka. Im ersten Moment habe ich tatsächlich selbst geglaubt, dass diese ceylonesischen Tänzerinnen auf das armenisch-griechische Lied tanzen – es passt perfekt. Und wenn man das 12-saitige Banjo nicht sieht, dann denkt man fast man hört eine indische Sitar… Zum Vergleich hier noch das Original, dem der Ton entnommen wurde: Dinata Dinata. Dieses Lied ist überhaupt sehr vielfältig einsetzbar, so war es auch bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele 2004 in Athen der musikalische Hintergrund fürs Feuerwerk.

Tja, was der Einzelne aus einer Musik heraushört oder wo er Ähnlichkeiten zu entdecken meint, das scheint doch individuell sehr verschieden zu sein. Das griechische Lied „Mavra Matia“ klingt also schottisch und „Fat Man“ ist indisch – da wäre ich nie drauf gekommen. Tatsächlich gehört Fat Man z.B. zu den Titeln, die ich zwar seit Ende der 70er kenne, deren Existenz ich aber völlig vergessen hatte, da ich damals nichts mit ihnen anfangen konnte. So war ich erst vor zwei Monaten ziemlich überrascht das „Stand Up“- Album in meinem Regal zu finden – ich war fest davon ausgegangen, dass ich es nicht besitze. Erst als ich es wieder in den Händen hielt erinnerte ich mich schwach, dass es wohl so um 1980 herum einmal ein Geburtstagsgeschenk von meinem Bruder gewesen sein muss. Ich habe es einmal gehört, fand die Musik schrecklich, habe es in den Schrank gestellt und geistig verdrängt. Als ich die Platte jetzt aufgelegt habe fand ich einige Stücke durchaus hörenswert, und besonders Fat Man klang in meinen Ohren sofort vertraut – so griechisch eben.

In mancher Hinsicht verstehe ich Dich ja, lieber Lockwood. Ich muss zugeben, dass mir die traditionelle griechische Volksmusik auch nicht von Anfang an gefallen hat. Als Tourist ist man die übliche Bousouki-Musik gewöhnt und die „Laika“, die beim Griechen um die Ecke zum Souflaki aus dem Lautsprecher dudeln. Unter „Laika“ versteht man übrigens in Griechenland so ziemlich alle populäre Musik, die nicht älter als 100 Jahre ist, es ist also ein sehr weit gefasster Begriff. Auch große Teile der Musik von Mikis Theodorakis oder Jannis Markopoulos fallen darunter. Wie auch immer – als ich das erste Mal auf Kreta bei einem Tanzfest mit traditioneller Lira-Musik konfrontiert wurde, empfand ich das auch als ein furchtbares Gejaule (das habe ich natürlich niemandem gesagt…). Es hat einige Zeit gedauert, bis ich mit diesen Klängen warm geworden bin, und es war dazu nötig darauf zu tanzen. Ich glaube diese Musik kann sich einem überhaupt nur beim Tanzen erschließen. Die Hoffnung, dass ich Tanzmuffel wie Euch davon begeistern kann, habe ich daher längst aufgegeben.

Wie ich schon einmal erwähnt habe, kann sich das Musik-Bedürfnis oder das Musik-Empfinden im Laufe der Jahre ändern, und ich bin davon überzeugt, dass ich nicht zuletzt wegen meines Ausflugs in die griechische Musik (wenn man 25 bis 30 Jahre als Ausflug bezeichnen kann) heute Zugang zu manchen Jethro Tull Stücken habe, mit denen ich in den 70ern nichts anfangen konnte – Fat Man, Witch’s Promise und A Passion Play gehören dazu. Im Laufe der Jahre haben sich meine Ohren an wilde Taktwechsel, schräge Rhythmen und dem üblichen mitteleuropäischen Musikgefühl zuwiderlaufende Melodien gewöhnt. Heute kommt mir das alles vertraut vor.

Schade, lieber Lockwood, dass Du mit der griechischen Musik so garnicht zurecht kommst. Was Du für Probleme mit der Sprache hast, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, und eigentlich kann doch Deine Abneigung gegen griechische Musik nicht schon immer so bestanden haben. Schließlich hast Du Dir selbst einmal freiwillig (nehme ich doch an) die „20 Sirtaki von Mikis Theodorakis“ gekauft. Das hätte ich jetzt nicht getan, Sirtaki ist nicht so mein Fall – für mein Empfinden zu langsam, öde und oberflächlich.

Aber wechseln wir das Thema, bevor der arme Lockwood noch über meinen langatmigen Ausführungen einschläft. Kommen wir zu roten Hüten, Piratenlook und gepunkteten Seiden-Pyjamas. Mir ist schon klar, dass das Golders-Green-Outfit eine Art modifizierten Reitdress darstellen soll, wie er in England z.B. zur Fuchsjagd getragen wird – durchaus sehr passend, wenn man beabsichtigt in einem Hippodrom ein Hunting Girl auf Velvet Green zu treffen. Zu solch einem Reitdress gehört auch eine Kopfbedeckung, im Original allerdings eher eine Art schwarze Reiterkappe, nicht gerade eine rote Melone. Da Mr. Anderson mit Reitkappe aber vermutlich auch nicht geistreicher ausgesehen hätte, will ich mich über den roten Hut ja garnicht mehr beschweren. Ich habe mich praktisch an ihn gewöhnt, man kann damit leben.

Auch das Piraten-Kopftuch finde ich garnicht mehr so schlimm, seit mir klargeworden ist, dass Mr. Anderson sich doch nur für einen pontischen Kriegstanz zurechtmachen will. Dass er dazu sein aktuelles Bühnen-Outfit noch arg aufpeppen müsste, finde ich nicht einmal – noch zusätzlich ein schwarz gefärbtes Bettlaken um den Kopf drapiert und ein altes Brotmesser in den Gürtel gesteckt – fertig! Wie ich Dich, lieber Wilfried, inzwischen kenne, könntest Du den Meister in Minutenschnelle mit diesen Utensilien ausstatten. Die Griechen würden ihn dann sicher mittanzen lassen, zumal er auch von Alter und Statur her perfekt zu ihnen passen würde und ihm die erforderlichen Tanzbewegungen keine Schwierigkeiten bereiten sollten.

Den gepunkteten Pyjama zum gleichfarbigen Kopfverband fand ich zwar auch nicht besonders geschmackvoll, übler fand ich da aber noch diesen Schmuddel-Look aus der „Under Wraps“-Tour, wo Anderson aussieht, als ob er zuvor 2 Wochen ungewaschen und unrasiert unter einer Brücke übernachtet hätte, oder diesen Halbstarken-Look mit unappetitlich durchgeschwitztem Lederwestchen auf blanker Männerbrust, in dem er Anfang der 90er Jahre auf Bühnen und im Fernsehen zu bewundern war. Der Gipfel ist für mich aber doch der Tampa-Auftritt, vielleicht weil es einfach ein so krasser Fehltritt zwischen den für meinen Begriff durchaus geschmackvollen und passenden Kostümen der Jahre davor und danach war, und weil mir die Bilder auch farblich einfach in den Augen brennen. Ab 1980 gab es ja dann eigentlich fast nur noch Fehltritte, da hat man schon garnichts anderes mehr erwartet. Aber dieses Thema habt Ihr sicher auch schon bis zum Abwinken behandelt.

Nun will ich doch noch einmal zu Tänzen zurückkommen (der arme Lockwood…), denn der Wilfried war ja fleißig und hat einen schottischen Tanz auf YouTube gestellt. Das bietet natürlich interessante Vergleichsmöglichkeiten. So arg viel Ähnlichkeit mit griechischen Tänzen kann ich aber nicht entdecken. Zum einen klingt der Dudelsack für meine Begriffe vergleichsweise schrill – vielleicht liegt’s auch am Ton. Der griechische dudelt jedenfalls für meine Ohren angenehmer. Dann handelt es sich offensichtlich um einen Tanz, den jeder für sich allein tanzt, auch wenn das hier vier Personen gleichzeitig tun. Ich kenne nur drei griechische Tänze – Seimbekikos, Tsifteteli (Bauchtanz) und Karsilamas (ein Paartanz), bei denen einzeln getanzt wird. Bei allen anderen Tänzen fasst man sich irgendwie an: Hand-Fassung (Sirtos, fast alle pontischen und makedonischen Tänze), Schulter-Fassung (Chasapikos, Pentosalis, Sirtaki und verwandte), Hand-Überkreuz-Fassung (z.B. Sonaradikos), Gürtel-Fassung (Tanz habe ich vergessen). Dieser „Körperkontakt“ ist ein ganz wesentliches Merkmal eines Tanzes, er schafft dieses „Gemeinschaftsgefühl“, das bei diesem schottischen Tanz bestimmt nicht so entsteht.

Und erst als die Kamera näher rangeht sieht man den nächsten gravierenden Unterschied: Da tanzen ja nur Frauen. Und das ist doch ein Schwerter-Tanz – oder? Der ist doch ursprünglich nicht für Frauen gedacht. Aber die tanzmuffeligen Männer glänzen mal wieder durch Abwesenheit und überlassen das Tanzen den Frauen. Typisch für wahrscheinlich fast alle Länder in Europa, außer Griechenland. Dort tanzt jeder vom 2-jährigen bis zum 90-jährigen, Männlein und Weiblein ohne Unterschied. Niemals würde man die Vorführung eines Schwerter-Tanzes Frauen überlassen. Früher durften sie bei Tänzen wie der jetzt schon mehrfach erwähnten Sera (Pontischer Kriegstanz) bestenfalls zur Verzierung dahinter stehen, klatschen oder vielleicht ein paar zaghafte eigene Schritte tun – aber bitte in einer eigenen Reihe und hinter den Männern! Heute dürfen sie auch mittanzen, aber nur im Familienkreis oder bei einem Tanzfest, nicht bei einer Vorführung. Und ja, dieser Tanz wird nicht nur auf der Bühne für Touristen aufgeführt, er wird auch noch privat auf Festen getanzt (da allerdings dann meist in seiner etwas vereinfachten „Verkleinerungsform“ der Seranitsa, bei der schon eher auch Frauen zugelassen sind). Und auch das ist noch ein wesentlicher Unterschied. In Griechenland „leben“ diese traditionellen Tänze noch. Ich wage zu bezweifeln, dass das in Schottland auch so ist.

Ach, der arme Wilfried, jetzt habe ich sein schottisches Tanz-Video völlig niedergebügelt. Aber so war das nicht gemeint, lieber Wilfried, wirklich ein sehr schönes Video, das Du da gemacht hast! Und als versöhnlicher Abschluss hier noch ein Kommentar, den ich auf YouTube unter einem Video des Lieds „Dinata Dinata“ (siehe oben) gefunden habe: Talking about different cultures, I am scottish and if I wasn’t I would love to be Greek! I love everything about the Greek culture from the history, the language to the music! I am hooked!. Na also, sage ich doch – Griechisch und Schottisch, das passt!

Lieber Lockwood, ich muss Dir völlig recht geben: Inzwischen haben sich so viele verschiedene Themen aufgetan, dass man in einem Zug garnicht mehr alle ansprechen kann. Jetzt habe ich mich langsam müde geschrieben, und zu den Mendel’schen Gesetzen bin noch nicht gekommen. Bitte nicht enttäuscht sein, ich fange nächstes Mal gleich damit an, versprochen.

Ich wünsche Euch ein schönes Pfingstfest!

Liebe Grüße

Kretakatze

PS.: Vielen Dank, lieber Wilfried, dass Du versucht hast Mr. Anderson von Beck’s Bier zu überzeugen. In seinem gegenwärtigen Outfit als pontischer Kriegstänzer würde er aber vermutlich auch nicht mehr optimal in eine Bierreklame passen. Ich werde mir noch etwas Besseres für ihn einfallen lassen müssen (man will ja doch, dass er finanziell nicht darben muss…)..

26.05.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

heute muss ich schon wieder eine frühere Aussage revidieren oder doch zumindest relativieren. Sicher werdet Ihr mich hier bald rausschmeissen, wenn ich weiterhin jeden Beitrag mit einem Widerruf beginne, in dem ich meine haltlosen Behauptungen vom Vortag zurücknehme. Wie ich schon einmal erwähnte, komme ich zu meinen Ansichten und Einsichten meist aus dem hohlen Bauch heraus. Manchmal sollte ich den vielleicht doch vorher mit etwas Substanz füllen. Ich werde versuchen mich zu bessern.

Ich hatte, stark vereinfacht, die blonden Haare des Achilles deutschen Archäologen in die Schuhe geschoben – nicht ganz wörtlich natürlich. Das war wohl doch etwas zu schnell geschossen. Später erst ist mir eingefallen, dass der Achilles eine Gestalt aus den Erzählungen des Homer und anderer antiker Schriftsteller ist, und es daher möglich wäre, dass z.B. Homer etwas über seine Haar- und Augenfarbe geschrieben hat. Dann wären die deutschen Archäologen unschuldig.

Ich muss zugeben, dass ich jetzt nicht in den letzten Tagen die Odysee und die Illias durchgearbeitet habe. Nach meiner bescheidenen Kenntnis war Achilles ein (bis auf seine berühmte Ferse) unverwundbarer Halbgott und damit eine Sagengestalt, deren tatsächliche Existenz eher ungewiss ist. Selbst wenn Homer etwas über seine Haarfarbe geschrieben haben sollte, kann man davon ausgehen, dass diese Beschreibung nicht auf eigener Anschauung beruhte. Das heißt: Homer hat die Haare des Achilles vermutlich nie persönlich in Augenschein genommen. Verlässliche Aussagen über Haar- und Augenfarbe des Achilles werden daher wohl noch viel schwieriger zu erlangen sein als verlässliche Aussagen über Haar- und Augenfarbe des Mr. Anderson. Und dies hat sich ja bereits als aussichtsloses Unterfangen erwiesen.

Im Prinzip geht es ja auch nicht speziell um die Haarfarbe des Achilles, sondern darum, ob die antiken Hellenen nur eher vom hellen, mitteleuropäischen Typ waren, oder doch eher dunkelhaarig und dunkeläugig. Ich will nicht ausschließen, dass es Berichte antiker Schriftsteller oder Chronisten gibt, in denen auch die Haarfarbe mancher ihrer Zeitgenossen Erwähnung findet. Ich will auch nicht ausschließen, dass es schon damals in Griechenland blonde und blauäugige Menschen gegeben hat – so wie heute ja auch. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Mehrheit der damaligen Bevölkerung so ausgesehen haben soll. Eine solche „Population“ wäre schon dem Klima und den Lebensumständen nicht angepasst gewesen, und wie ich außerdem bereits erwähnt habe – ich habe noch nie antike griechische Darstellungen blonder Menschen gesehen. Soweit meine langatmige Vorrede.

Nun zur weiteren genetischen Entwicklung griechischer Populationen. Lockwood hatte ja meine These angezweifelt, nach der die heutigen blonden Griechen und speziell Kreter (ich würde mich da gerne auf Kreter beschränken, da ich mich mit blonden Griechen aus anderen Landesteilen nicht auskenne) von mittel- und westeuropäischen Kreuzfahrern und venetianischen Kaufleuten abstammen. Diese These habe ich mir ausnahmsweise nicht selbst ausgedacht, sondern ich habe sie irgendwo einmal gelesen, und mir hat sie eingeleuchtet. Es gab mindestens 4 Kreuzzüge (je nachdem, welche Kriegszüge gen Osten man dazu zählt), die sich über insgesamt 200 Jahre hinzogen (ca. 1100 bis 1300 n. Chr.). Kreta war ein zentraler Anlaufpunkt im Mittelmeer, die „Franken“, wie sie von den Griechen heute noch genannt werden, haben mehrere Burgen auf Kreta gebaut, Stützpunkte sozusagen. Ich würde davon ausgehen, dass die eroberten Gebiete im Bereich des heutigen Israel und Libanon auch Nachschub aus der Heimat benötigt haben, dass es also auch so etwas wie Handelsrouten gab. Da kann ich mir schon vorstellen, dass auch der eine oder andere westeuropäische Spross auf Kreta hängengeblieben ist.

Um das Jahr 1200 fiel Kreta an Venedig, danach regierten dort bis etwa 1650 – also 450 Jahre – die Venetianer. Sie trieben einen regen Handel, die Städte waren voll von venetianischen Kaufleuten. Venetianer sind zwar im Prinzip Italiener, aber Norditaliener sind auch oft vom mitteleuropäischen Typ. Ich würde davon ausgehen, dass auch noch andere europäische Länder an dem Handel beteiligt waren. Auf jeden Fall kam in diesen Jahrhunderten durch die Handelsbeziehungen bestimmt auch viel frisches „Blut“ nach Kreta.

Um 1650 wurde Kreta dann von den Türken erobert. Erst 1898, also gerade mal vor reichlich 100 Jahren, wurde Kreta durch vertragliche Regelungen europäischer Großmächte mit den Türken frei. 1913 wurde es mit Griechenland wiedervereinigt. Soviel zur jüngeren Geschichte (nicht dass Ihr denkt, das wüsste ich alles auswendig – das habe ich bei Wikipedia abgeschrieben).

Die ca. 250 Jahre türkischer Herrschaft haben wesentlichen Einfluss auf Kultur, Lebensgewohnheiten und Sprache der Griechen gehabt. Dass sie wesentlichen Einfluss auf die genetische Zusammensetzung der griechischen Bevölkerung hatten, wage ich zu bezweifeln. Griechen und Türken sind wie Wasser und Öl. Man kann sie zusammen in eine Flasche gießen und 250 Jahre schütteln, es wird keine einheitliche Masse daraus werden. Hält man die Flasche ein paar Minuten still, dann werden sich die Substanzen wieder trennen, und man wird wieder eine Flasche mit zwei verschiedenen Flüssigkeiten in den Händen halten. Die gegenseitigen Abstoßungskräfte sind zu stark, als dass ein anderes Ergebnis zu erwarten wäre.

Wenn ich versuche zu erklären, warum das so ist, kann ich auch gleich dem Wilfried seine Frage beantworten, welche besondere Beziehung es zwischen Griechen und Armeniern gibt. Es ist die Religion. Griechen definieren sich in erster Linie über den Orthodoxen Glauben. Alle Völker, die ebenfalls orthodox sind – es muss nicht griechisch-orthodox sein – sind Freunde, Brüder, gehören praktisch zur Familie. Griechen fühlen sich daher engstens verbunden mit Georgiern und Armeniern, mit orthodoxen Syrern und Libanesen, mit Russen und Serben. Während der Kriege in Jugoslawien standen die Griechen z.B. immer kritiklos auf der Seite der Serben – weil sie orthodox sind.

Mit den Armeniern verbindet noch zusätzlich, dass sie zur gleichen Zeit Opfer von Völkermord und Vertreibung wurden, wie die pontischen Griechen. Etwa zwischen 1915 und 1920 wurden im Osten der Türkei ca. 1 Mio. Armenier umgebracht oder vertrieben und im Westen der Türkei ca. 1,5 Mio. pontische Griechen (die übrigens von der Schwarzmeer-Küste stammen und nicht von der Ägäisküste, wie ich neulich geschrieben hatte). Gleichzeitig verließen ca. 500.000 türkisch-stämmige Bewohner Griechenland – ein Völkeraustausch. Wie ich schon sagte – hält man die Flasche still…

So wie die Griechen sich selbst und ihre Freunde am orthodoxen Glauben erkennen, so wird (stark vereinfacht, aber doch treffend) der Rest der Menschheit ebenfalls anhand seines Glaubens eingeteilt. Nicht orthodoxe Christen sind auch noch Menschen, Juden sind eigentlich schon keine mehr (es gibt einen unverhohlenen Antisemitismus in Griechenland, Juden sind verhasst – warum weiß ich auch nicht so genau), und Muslime sind der Teufel in Person. Und mit sowas paart man sich nicht. In solchen Kategorien denken übrigens auch Menschen, die sich selbst als Kommunisten und Atheisten bezeichnen. Allein mit Religion hat das nichts mehr zu tun.

Jetzt ist das alles ein bißchen überzeichnet, denn wenn man heute persönlich einen netten Türken kennenlernt, dann läd man den natürlich auch zu einem Gläschen griechischen Kaffee ein und tanzt Sirtaki mit ihm. Vermutlich hat es auch in den 250 Jahren Türkenherrschaft friedliches Zusammenleben und freundschaftliche Kontakte gegeben. Im Prinzip war aber diese Zeit gekennzeichnet von wiederkehrenden Aufständen der Griechen, die von den Türken blutig niedergeschlagen wurden und von ständigen Guerilla-Attacken der in die Berge geflohenen Widerstandskämpfer. Dass es in diesem Klima zu einer nennenswerten Vermischung der beiden Bevölkerungsgruppen gekommen sein soll, kann ich mir nicht vorstellen. Sonst müsste es auch heute noch auf Kreta ein paar Muslime geben. Oder wenigstens ein paar Menschen mit türkisch-stämmigem Namen. Ich habe nie einen getroffen.

Nun noch kurz zu den Mendel’schen Gesetzen. Du hast bezweifelt, lieber Lockwood, dass die rezessiven Gene für blonde Haare und blaue Augen auf Dauer gegen dominantes schwarz-braun bestehen könnten. Nun sterben Gene nicht deshalb aus, weil sie rezessiv sind, sondern weil sie einen Selektionsnachteil darstellen – wenn die Träger dieser Gene sich also weniger stark vermehren als die „Konkurrenz“, oder wenn sie gar ganz an der Fortpflanzung gehindert werden. Man kann wohl davon ausgehen, dass blonde Haare und blaue Augen, meist auch noch verbunden mit einer hellen Haut, in südlichen Ländern tatsächlich einen Selektionsnachteil darstellen. Gerade dann ist es aber für die Erhaltung eines Gens von Vorteil, wenn es rezessiv ist. Dadurch kann es sich nämlich in vielen Fällen hinter dem dominanten Gen „verstecken“, ohne dass der Träger den Selektionsnachteil erleidet, und kann so ungestört weitervererbt werden.

Jeder Tierzüchter weiß, dass er ein unerwünschtes Gen umso schwerer los wird, je stärker rezessiv es sich vererbt. Er kann dann nämlich die meisten Träger dieses Gens garnicht erkennen und dadurch auch nicht von der Zucht ausschließen. Irgendwann paart er dann unwissentlich zwei Träger dieses Gens miteinander und bums – hat er schon wieder so ein unerwünschtes Exemplar. Wird das dann ausselektiert, nimmt natürlich im Laufe der Zeit die Häufigkeit des Gens in der Population schon ab, aber langsam, sehr langsam. Nur so ist auch zu erklären, dass bestimmte rezessiv vererbliche Erbkrankheiten wie z.B. Bluterkrankheit oder Farbenblindheit einfach nicht aussterben wollen, und das schon seit Jahrtausenden.

In unserer heutigen Zeit der Sonnencremes und Bürojobs in klimatisierten Räumen ist auch der „Selektionsnachteil“ eines Blonden im Mittelmeerraum gegen Null gesunken. Stattdessen findet dort zur Zeit, wenn man das respektlos so nennen darf, eine regelrechte Verdrängungszucht statt. Horden attaktiver Mittel- und Nordeuropäerinnen fallen in die Urlaubsgebiete ein und schnappen sich dort die besten einheimischen Männer weg. In manchen Gegenden haben junge Griechinnen kaum noch eine Heirats-Chance – und das ist kein Witz. Der von mir bereits erwähnte dunkelblonde Grieche, der im Übrigen der Vater meines ebenso dunkelblonden Sohnes ist, hat später noch eine dunkelblonde Deutsche geheiratet und hat nun noch zwei blonde Kinder. Von all seinen zahlreichen Freunden ist gerade mal ein einziger mit einer Griechin verheiratet, alle anderen haben Ausländerinnen geheiratet – Deutsche, Holländerinnen, Engländerinnen, Schwedinnen, Österreicherinnen. Das geht jetzt so schon seit 20 bis 30 Jahren, und es wird immer schlimmer. Die Zahl der blonden Griechen ist rapide im Steigen begriffen.

Jetzt bin ich aber ganz schön weitschweifig geworden, und das musiklos, staubtrocken und Anderson-frei. Und es wird nicht besser, denn mein nächstes Thema hat auch nichts mit Jethro Tull zu tun.

Lieber Lockwood, was Du über Deinen Eindruck von den griechischen Tänzen geschrieben hast, hat jetzt mich fast erschreckt. Dass jemand diese Musik als herb und finster empfinden könnte, hätte ich nie vermutet. Gut, ich hatte natürlich bei den makedonischen Tänzen mit Absicht die am scheußlichsten klingenden ausgesucht, und dass ein Kriegstanz finster wirkt liegt in der Natur der Sache. Schließlich will man den Feind abschrecken, und das scheint den Tänzern ja bei Dir gelungen zu sein (kleiner Scherz am Rande, den Du mir hoffentlich nicht übel nimmst). Aber der Sonaradikos ist für meine Ohren ein fröhliches Lied, und der Sirtos mit Michalis Tsouganakis strotzt für meine Begriffe geradezu vor Lebensfreude – da hält mich kaum noch etwas auf dem Stuhl. Das Dinata Dinata ist auch vom Text her ein Lied über Stärke und Lebensfreude, aber den Text muss man meiner Meinung nach nicht verstehen um das zu hören. Du entwickelst Dich für mich immer mehr zum Rätsel…

Wenigstens weiß ich jetzt schon einmal etwas, was Dir gefällt – Abba. Das ist ein Anfang. Ich bin jetzt zwar nicht unbedingt ein spezieller Abba-Fan, aber ich höre ihre Musik auch recht gern. Da hätten wir mal einen ersten Ansatzpunkt. Was hörst Du denn sonst noch so, außer ein paar handverlesenen Platten von Jethro Tull? Nicht, dass ich jetzt an Dir herumkritteln oder Dich als zu wählerisch hinstellen möchte. Ich versuche nur herauszufinden, mit welchem musikalischen Kleinod ich vielleicht sogar Dir einmal eine Freude machen könnte.

Schließlich beginne ich mir ernsthaft Vorwürfe zu machen, dass ich durch meine unvorsichtige Auswahl fragwürdiger Tanz-Videos eine akute Ellinikophobie (Elliniko = Griechisch) bei Dir ausgelöst haben könnte. Gerne würde ich mein Möglichstes dazu beitragen, zumindest noch die drohende chronische Manifestation abzuwenden. Außerdem liegt es in meiner Forschernatur nicht eher zu ruhen, als bis ich den Krankheitserreger separiert und identifiziert habe. Ich denke Du ahnst bereits Übles.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe ist es nicht nur die Musik, sondern auch die Sprache, die Du als „herb und finster“ empfindest. Ich kann mir nur vorstellen, dass das mit den vielen harten Lauten zusammenhängt – ps, ks, ts, ch und th, um nur die härtesten zu nennen. Für mich ist das ein Grund, warum mir die Sprache besonders gefällt, im Gegensatz zum langweiligen Trallalla-Blablabla des Italienischen (ich hoffe, das liest jetzt kein Italiener) gib es der Sprache etwas Herzhaftes und Handfestes. Im Prinzip hat Griechisch den gleichen Laut-Umfang wie Spanisch, nur kommen die harten ps, ks und ts wohl noch häufiger vor. Wer keine der beiden Sprachen versteht, kann sie nach meiner Erfahrung kaum auseinanderhalten. Hast Du mit Spanisch die gleichen Probleme?

Ich halte das Thema „Sprachen“ überhaupt für sehr interessant. Worin unterscheiden sie sich? Warum liegt einem die eine Sprache und eine andere nicht? Das wäre schon wieder das nächste, sehr weite Feld…

Aber jetzt bin ich müde, gute Nacht, Ihr Lieben…gäääähn…

Kretakatze

PS.: Nur für gesundheitlich stabile, nicht Ellinikophobie-gefährdete Personen – ohne Altersbeschränkung – hier doch noch ein kleines Gute-Nacht-Lied:

Areti Ketime Nanourisma (Wiegenlied) – live in Athen

Der türkische Name verwundert, und sie scheint selbst noch ein halbes Kind zu sein….

Sie spielt Sandouri (eine Art Hackbrett = Saiteninstrument) und singt dazu – orientalisch, traurig, schön…

27.05.2007

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

ich denke, es braucht mehr Mut, einen „Fehler“ zuzugeben, als später aus Trotz auf einem falschen Standpunkt zu beharren. Die Gefahr, dass Du, liebe Kretakatze, aus diesem Forum ausgeschlossen wirst, sehe ich also nicht.

Zur hellenistischen Pigmentierung:
Vor etlichen Jahren habe ich die Iliade gelesen (die deutsche Übersetzung, nicht im Original) und mir ist nicht erinnerlich, dass Homer etwas über Haar- und Augenfarbe seiner Helden geschrieben hat. Selbst wenn er es getan hätte, wären diese Informationen von zweifelhaftem Inhalt; wir sind uns darüber einig, dass die Figuren des Trojanischen Krieges eher sagenhaft als historisch sind. Von Homer ist also keine Hilfe zu erwarten.
Die langfristigen Einflüsse der Franken auf die griechische Bevölkerung in Tateinheit mit einer gekonnten Auslegung der Mendelschen Gesetze sehe ich nach Deiner letzten mail in einem anderen Licht. Aus dieser wissenschaftlichen Betrachtung scheint es also tatsächlich möglich, dass blonde Griechen ein Produkt ausländischer Gene sind. Leider sagt diese Erkenntnis nichts über Färbung des Achilles aus. Der Trojanische Krieg, so er wirklich stattgefunden hat, tobte etwa 2.000 Jahre vor den Kreuzzügen und 3.000 Jahre vor den Touristenströmen. Falls Achilles und einige seiner realen Landsleute also wirklich blond waren, dann ohne mitteleuropäisches Zutun. Aber, wie ich schon letzte Woche gesagt habe, an Deinem Einwand der dunkelhaarigen Vasenbemalungen kommt man nicht so leicht vorbei.

Vielleicht hat man die Rolle des Achilles (interessant die englische Aussprache: Äikillis) mit Mr. Pitt besetzt, weil seit Siegfried ein strahlender Held blond zu sein hat. Sein Gegenspieler Hektor wird konsequenterweise dunkelhaarig besetzt.

Das Verhältnis der Pigmentierung einer Population zu ihrer Umwelt muss man mit Vorsicht betrachten. Es fällt uns leicht zu verstehen, warum Schwarzafrikaner eine dunkle Haut haben. Wegen der Sonne, klar. Warum sind aber nordamerikanische Prärieindianer oder die Steppenvölker Zentralasiens, die noch nicht einmal einen Schatten spendenden Baum kennen, nicht ebenso dunkelhäutig ? In den Bergen Neuguineas lebt ein Volk (den Namen habe ich vergessen), das als das Dunkelhäutigste weltweit gilt. Dieses Volk lebt auf einem Hochplateau, das ständig von Wolken und Nebel umgeben ist, sodass nur wenige Sonnenstrahlen den Erdboden erreichen. Wir sehen also, dass sich Hautfarbe und Sonneneinstrahlung nicht immer im Verhältnis 1:1 verhalten.

Deinen berechtigen Hinweis auf das gespannte Verhältnis zwischen Griechen und Türken habe ich bei meiner Theorie unterbewertet. Auch ohne genauere Prüfung räume ich ein, dass beide Völker kein großes Interesse an einer Vermischung hatten und haben.

Dass blonde Menschen auf die Völker des Mittelmeerraums eine große Anziehungskraft ausüben, habe ich bei einem Israelurlaub festgestellt. Als blonder Recke ist man bei den jungen Frauen Hahn im Korb und als blonde Frau braucht man schon eine Eskorte, wenn man sich frei bewegen will. Bei diesem Israelurlaub ist mir aufgefallen, dass es dort nur sehr attraktive Frauen zu geben scheint. Entweder gibt es dort keine unattraktiven Frauen oder diese trauen sich nicht vor die Tür. Der Blondwahn dieser Region führt dazu, dass einige der jungen, schwarzgelockten glutäugigen Frauen sich blond färben lassen. Das war in meinen Augen eine schreckliche Erfahrung. Um es mit den Worten eines Stammtischs zu sagen: Das ist, als würde ich an einem Mercedes den Stern abbrechen.

Vorläufiges Zwischenergebnis: In der Frage, ob der antike Hellene vom mitteleuropäischen oder orientalischen Typ war, sind wir noch keinen bedeutenden Schritt weiter gekommen. In den Weiten des Internets gibt es ein Forum zur Ethnologie, dort könnte man bestimmt eine Antwort finden. Ehrlich gesagt bin ich im Moment aber zu faul, um danach zu suchen.

Das Harte, Herbe, Finstere an der griechischen Sprache hat tatsächlich mit den vielen harten Lauten zu tun. Auch gibt es hier Zischlaute, die wir in dieser Form im Deutschen nicht kennen. Beispiel: Öichi ! Das ist sehr wahrscheinlich vollkommen falsch geschrieben; es bedeutet „nein“ oder „nicht“. Dann fällt mir noch Kazekato ein; wahrscheinlich auch total falsch geschrieben. Es bedeutet „setzen!“ oder „setz dich!“ Ich kenne diese Begriffe nur, weil meine griechischen Bekannten sie häufiger zu ihrer damals zweijährigen Tochter sagten. Es sind nur zwei Begriffe, die aber ausreichten, bei mir einen harten herben Eindruck der Sprache zu hinterlassen. Dieser Eindruck konnte durch Deine Videos leider nicht revidiert werden.

Selbst das Wiegenlied, das Du in Deiner letzten mail gelinkt hast, unterstreicht diesen Eindruck. Hinzu kommen die häufigen Vibratos im griechischen Gesang. Das klingt schon sehr orientalisch. Selbst Dein Wiegenlied erinnert mich an den Ruf des Muezzin.

Spanisch klingt in meinen Ohren angenehmer. Es enthält zwar Elemente aus dem Arabischen, aber irgendwie komme ich damit besser klar. Die zum Hören angenehmste Sprache ist für mich italienisch (Sorry !) Um meine Äußerungen etwas zu relativieren möchte ich erwähnen, dass ich überhaupt kein Talent für Sprachen besitze. Ich habe weder Kenntnisse im Griechischen, noch im Spanischen oder Italienischen.

In einem Punkt widerspreche ich allerdings vehement: Der Sprachunkundige kann spanisch und griechisch sehr wohl auseinanderhalten. Woran es liegt, kann ich nicht mit Wortlauten belegen, aber ich finde die Klangbilder beider Sprachen sehr unterschiedlich, trotz der gemeinsamen harten Laute. In meinen Ohren verhält sich spanisch zu griechisch wie Zwiebelkuchen zu rohen Zwiebeln. Ein etwas unglücklicher Vergleich, aber er macht deutlich, wie die beiden Sprachen auf mich wirken.

Ich kann nicht verstehen, warum ich für Dich zum Rätsel werde. Ich bin kein großer Mysterienträger. Dass ich mit griechischer Sprache und Musik nicht klar komme, mag außerhalb Deiner Erfahrungswelt liegen, aber das ist doch nichts Geheimnisvolles. Es ist eine Geschmacksfrage, nicht weniger, aber erst recht nicht mehr. Deswegen muss ich Dir doch nicht kryptisch erscheinen.

Und eine Griechenphobie hast Du in mir auch nicht erzeugt, jedenfalls keine, die über die angeborene latente Xenophobie hinausgeht. Vielleicht interpretierst Du in meine Nichtbegeisterung für die griechische Kultur zuviel hinein. Es ist ganz einfach eine fehlende Begeisterung. Es ist kein Hass, keine Angst, keine Ablehnung. Dass Du ganz anders über die Menschen der Ägäis denkst, habe ich begriffen. Aber diese unterschiedlichen Geschmäcker machen mich noch nicht zum Problemfall, oder ?

Sprachen sind auch für mich als Unkundigen ein interessantes Feld. Ich habe mich beispielsweise vor Jahren gefragt, wieso die finnische und die ungarische Sprache miteinander verwandt sein können. Liegen diese beiden Länder doch nicht gerade in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander und eine gemeinsame Geschichte dieser Nationen ist mir auch nicht bekannt.

Für mich waren Finnen Nordeuropäer und Ungarn ein Konglomerat aus Mitteleuropäern und Nachfahren der Hunnen. Ganz so ist es wohl doch nicht. Eine Erklärung lieferte mir damals ein Sprachwissenschaftler, mit dem ich einen kurzen Briefwechsel unterhielt. (Prof. Gerhard Vollmer, der steht sogar in Wikipedia). Er empfahl mir damals die Lektüre eines Standardwerkes zur Entwicklung der Sprache und der Sprachen: „Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache“ von David Crystal. Den Erwerb dieses Buches habe ich nie bereut.

Ääh, ich fürchte, bei meiner letzten mail ist der Eindruck entstanden, dass ich nur Jethro Tull und Abba höre. Für Deine gezielte Nachfrage zu meinen Musikbedürfnissen bin ich deswegen dankbar. Wie jeder „richtige Junge“ habe ich mich im pubertären Alter für Rockmusik interessiert. Queen, AC/DC, Status Quo, ZZTop und wie sie alle hießen. Später ergänzten Werke von Big Country und Led Zepplin meine Plattensammlung. Zwischendurch natürlich immer wieder Jethro Tull. Mein Faible für Rockmusik hält bis heute an. Irgendwann in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kam ich mit Britischer Folklore in Berührung, vorwiegend Irish-Folk. Hier hatten es mir besonders die Dubliners angetan. Wenn man auf dem Folkpfad ein wenig nach rechts und links schaut, stößt man zwangsläufig auf Jethro Tull. In den 80er Jahren hörte ich zum ersten Male Musik von den Pogues, für die ich eine ähnliche Begeisterung empfinde wie für JT. Zwischen all diesen Rockmusikern lief meine Vorliebe für Abba parallel im Hintergrund. Ich höre nicht oft Popmusik, aber, wie gesagt, wenn, dann von Abba. Sie haben wunderbare Melodien geschrieben und ich finde den Gesang von Agnetha Fältskog (die Blonde) überirdisch. Bevor ich es vergesse: Zum Thema Kate Bush habe ich mit Wilfried auch schon etliche Seiten gefüllt. Mein Pseudonym ist ein stark verdeckter Hinweis auf Mrs. Bush.

Alben der o.g. Künstler machen ca. 90 % meiner Plattensammlung aus. Daneben enthält sie Werke der klassischen Musik (Bach, Beethoven, Händel, Mozart) und einige Exoten: Theodorakis, Don Kosaken, Scottish Pipes and Drums und einiges mehr. Da fällt mir ein: Ich habe sogar eine LP von Vicky Leandros, aber ich glaube, das lässt Du nicht als griechische Musik gelten. Diese LP habe ich wegen dem Titel Lago Magiore im Schnee (Original von Mort Shuman) gekauft. Die anderen Titel auf dem Album kenne ich gar nicht.

Nicht, dass ich es bereue, mich als Abba-Hörer geoutet zu haben, aber diese Ergänzungen waren mir wichtig.

Ich wünsche allen Lesern und Griechen einen schönen Abend und eine geruhsame Nacht.
Lockwood

28.05.2007

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

mit Rücksicht auf den öffentlichen Gesundheitszustand werde ich ab sofort meine Beiträge frei von griechischen Musik-Videos halten. Sollte ich es doch für angemessen oder notwendig erachten, Links zu griechischer Musik zu zu legen, werde ich dies nur noch am Ende als „Anlage“ unter der Rubrik PS.: und nach einem entsprechenden Warnhinweis tun.

Heute möchte ich noch kurz das Stichwort „Liedermacher“ aufgreifen, das Wilfried vor ein paar Tagen im Zusammenhang mit einem armenisch-griechischen Lied gebraucht hat. Zu diesem Titel – es war Meno Ektos – hat der Begriff meiner Meinung nach nicht gepasst. Unter Liedermacher-Stil verstehe ich etwas anderes. Aber natürlich gab und gibt es auch in Griechenland Liedermacher. Der bekannteste von ihnen war und ist Dionisis Savvopoulos, der bereits in dem Feuerwerks-Video von der Abschlussfeier der Olympischen Spiele zu sehen war – es war der ältere Herr mit der großen Trommel vor dem Bauch. Unter PS.: habe ich ein paar Stücke von ihm zusammengestellt, die teilweise auch von anderen Interpreten vorgetragen werden. Außerdem würde ich auch noch Miltos Paskalidis zu den griechischen Liedermachern zählen. Auch von ihm kann man dort noch ein Video finden.

Zudem habe ich im Anhang auch noch ein paar Links zu Titeln von und mit Nikos Papasoglou abgelegt. Er hat mit unserem allseits verehrten Mr.Anderson, den ich nun auch einmal wieder kurz erwähnen möchte, eine traurige Gemeinsamkeit: Seine Stimme hat böse gelitten. Als ich ihn zuletzt 1989 live gehört habe, klang er noch wie auf dem Video zusammen mit Savvopoulos. Als ich die neuen Aufnahmen gehört habe, bin ich wirklich erschrocken – er klingt völlig heißer, teilweise bekommt er kaum noch einen Ton heraus. Beim zweiten Video versagt ihm dann die Stimme vollends und das Publikum singt für ihn weiter – da könnte einem fast das Heulen kommen. Aber Ihr kennt das ja…

Dass es Papasoglou nun besonders wild getrieben und seine Stimme mit Gesangsakrobatik ruiniert haben soll, kann ich mir bei ihm nicht recht vorstellen. Wahrscheinlich sind bei manchen Menschen die Stimmbänder der Dauerbelastung durch das tägliche Singen auf Konzert-Tourneen einfach nicht gewachsen. Auch Stimmen altern und verändern sich. Das ist mir in letzter Zeit bei meinen Streifzügen durch YouTube aufgefallen, wo man gut Live-Auftritte desselben Musikers aus verschiedenen Jahren oder Jahrzehnten vergleichen kann (bei den Studio-Aufnahmen kann doch noch viel durch die Technik kaschiert werden).

Creedence Clearwater Revival’s John Fogerty zum Beispiel war seinerzeit nicht zuletzt für seine Reibeisen-Stimme berühmt. Er hatte nicht nur einen Frosch im Hals, das war ein ganzer Froschteich, mit dem er beim Singen gegurgelt hat. Zur Anschauung hier einer meiner Lieblingstitel: I Heard It Through The Grapevine (miserabel synchronisierter Clip von 1970). Eigentlich sollte man annehmen, dass jemand, der so singt, innerhalb kürzester Zeit seine Stimmbänder durchgeraspelt hat. Aber die scheinen bei Mr. Fogerty ganz schön zäh zu sein. Der gleiche Titel live 2006 klingt dann so (bescheidenes Bootleg, aber den Titel gibt’s von 2006 nicht besser).

OK, der Froschteich ist weg, aber die Stimme dröhnt noch ganz schön laut. Da kann Mr. Anderson nicht mithalten. Für weitere Detail-Vergleiche hier noch der Song Rock ’n‘ Roll Girl und die Ballade Deja Vu All over Again (ebenfalls Bootlegs von 2006), bei denen man den Herrn etwas besser aus der Nähe sieht. Was fällt auf: Er trägt noch immer die gleichen Jeans und das gleiche karierte Hemd wie vor 40 Jahren. Mr. Anderson würde in seine Kostüme von damals nicht mehr passen, und sie würden ihm heute auch kaum besser stehen das das, was er aktuell so trägt. Dafür waren sie allerdings auch bedeutend origineller als das Outfit von Mr. Fogerty! Und der nächste auffällige Unterschied: Auch wenn sein Gehopse auf der Bühne ein wenig ungelenk aussieht, sollte man doch nicht vermuten, dass Mr. Fogerty bei diesen Aufnahmen 61 Jahre alt war. Er scheint kaum gealtert zu sein. Weiterentwickelt hat er sich aber auch nicht.

Also wenn wir einen Musiker möchten, der nicht altert, immernoch das gleiche trägt wie 1970 und immernoch die gleiche Musik macht, und dessen Stimme durch nichts kaputtzukriegen ist, dann nehmen wir doch einfach Mr. Fogerty – oder?

Ich denke nach meinem Schreibmarathon über die Feiertage – das Wetter war aber auch so mies, da konnte man ja doch nichts anderes tun – werde ich es die nächste Woche über etwas langsamer angehen lassen. Lasst es Euch gutgehen!

Es grüßt Euch

Kretakatze

PS.: Achtung, die folgenden Musik-Videos könnten bei Personen mit entsprechender Disposition eine ernstzunehmende Ellinikophobie auslösen! Aufruf nur auf eigene Gefahr! Für Fälle von akutem Krankheitsausbruch oder Auftreten von anaphylaktischem Kulturschock Abba-CD bereithalten!

Dionisis Savvopoulos To chimona etouto (In jenem Winter)
Savvopoulos hat in den 70ern die „Neo Kima“, die Griechische „Neue Welle“ begründet – Liedermacher-Stil

Eleni Tsaligopoulou Thalassografia (Nicht wirklich übersetzbar, in einem: Darstellung des Meeres / Vermessung des Meeres / Beschreibung des Meeres) – professionelles Video
Das Lied ist im Original von Savvopoulos – mystisch-sehnsuchtsvoll, Bilder von Felsen und Meeresbrandung
Übersetzung: Trage uns weit, Trage uns zu fernen Orten, Wehe übers weite Meer, Wehe Wind, wehe (wird mehrfach wiederholt)

Sofia Avramidou Seimbekiko (Heißt so, wie der Tanz, den man darauf tanzen kann) – TV-Sendung (griechische Version von „… sucht den Superstar“
Das Lied ist im Original von Savvopoulos – langsam-tragisches Chanson zu Klavier
Der Text handelt von der Vertreibung der kleinasiatischen Griechen aus Smirni (= Ismir) 1922 und dem folgenden Flüchtlingselend – daher auch die Bilder im Hintergrund

Nikos Papasoglou und Dionisis Savvopoulos Acharnis – Paravasi (Acharnis: Ort in der Nähe von Athen – Überschreitung)
Beide Lieder sind von Savvopoulos – zwei Männer mit einer Klampfe unter einem Baum…

Nikos Papasoglou Pote Voudas Pote Koudas (Manchmal Buddha, manchmal Koudas (Personenname, ich weiß nur nicht von wem…)) – TV-Sendung
… manchmal Jesus und Judas… Das Lied handelt vom Spiel des Lebens – Tsifteteli (griechischer Bauchtanz)
Nikos hat erheblche Simmprobleme und ist in den letzten 15 Jahren bemerkenswert erblondet… Trotzdem ein hörenswerter Titel, der gute Laune macht (dem Publikum und mir jedenfalls)

Nikos Papasoglou Kanis edo den tragouda (Niemand hier singt) – TV-Sendung
Hier versagt ihm jetzt völlig die Stimme und das ganze Publikum hilft beim Singen aus… fast schon tragisch

Miltos Paskalidis Ederlezi – Fotia mou (Ederlezi: traditionelles Zigeunerlied aus Jugoslawien – Fotia mou: Mein Feuer – Liebeslied) live Bootleg
Dunkelblonder Grieche mit Brille; raucht, während er nicht singt, und hat noch beim Gitarre spielen die Zigarette in der Hand; intelektueller Rebell, der sein Publikum gern gegen den Strich bürstet – Liedermacher-Rock? Der griechische Herbert Grönemeyer?

28.05.2007

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Hallo Ihr beiden Hübschen,

Ihr müsst schon entschuldigen, wenn ich nicht mehr so ganz mitkomme, aber zz. steht mein Lust-und-Laune-Pegel etwa bei „mies“, was nichts mit Euch zu tun hat, sondern mit meiner Arbeit. Ich muss aber auch gestehen, dass ich mich in Eure Diskussion um Haar- und Augenfarbe nicht einmischen möchte. Das ist mir inzwischen zu haarig geworden. Nur soviel: Ob nun wahre Helden blond und blauäugig zu sein haben, auch wenn diese eher der Sage als der Realität entsprungen sind, sollte man nicht allein Hollywood überlassen (und dort deutschen Regisseuren, z.B. Wolfgang Petersen). Weshalb blond immer wieder für so viel attraktiver gehalten wird, ist mir eher ein Rätsel. In einigen Fällen muss es mit einem unbegründeten Minderwertigkeitsgefühl zusammenhängen.

Ich wollte jetzt mit einem längeren Beitrag zum Thema Folklore – Volkslieder und Folk kommen. Aber dafür brauche ich dann doch etwas ‚mehr Luft’. Mit Lockwood hatte ich dieses Thema bereits angeschnitten.

So möchte ich doch etwas zum Thema Jethro Tull (speziell Ian Anderson) und deren Outfits anmerken. Damit wir nicht ganz so ohne Anderson bleiben. Im Rock-Lexikon von Siegfried Schmidt-Joos und Barry Graves in einer erweiterten Auflage vom Okt. 1975 steht u.a.:

‚…Im modischen Kleider-Zuschnitt der Charles Dickens-Ära erschienen die Musiker auf der Bühne, als alte Männer ließen sie sich für ein Cover-Foto schminken. Zunächst klang ihre Musik „wie eine elektrisch verstärkte Heilsarmee-Kapelle“ (‚Rolling Stone’). Später vollführten sie in der Maske von Tiefseetauchern, Bären und dem weißen Kaninchen Harvey eine Show, die als typisch englische Mischung von Rock, Music Hall, Burleske und Marty Feldmans Comedy Machine über die Rampe kam.

Anderson zog wieder alle Show-Register, ließ vier Damen unter Lockenperücken geigen, einen weiblichen Dirigenten unter Frackschößen verführerische Dessous offenbaren und verlieh der Komödie mit virtuosem Flötenfeuer den gewohnten Glanz. Er sei, urteilte Ulrich Olshausen, aus Menschenverachtung in die Rolle des Hofnarren geschlüpft: „Wenn er sich mit servilem Kratzfuß für den Applaus bedankt, dann ist er der Wissende, der mit seiner Unterwerfung diejenigen verhöhnt, von denen er abhängt.“’

14x Ian Anderson

Der Bär (John Irving lässt grüßen) und die Dirigentin sind mir dabei unbekannt geblieben. Man beachte: Der Artikel beleuchtet die Anfangsjahre der Band. Ich erinnere mich außerdem in diesem Zusammenhang einmal etwas mit dem Begriff Vauxhall gelesen zu haben (Vauxhall-Look oder so). Vauxhall ist ein Londoner Stadtteil und bekannt für die traditionelle English Music Hall und für viele Cabarets. Heute ist Vauxhall auch bekannt für Schwulenbars und Nachtclubs. Unter dem Vauxhall-Look versteht man wohl eine entsprechend laszive Kleiderordnung. Eine gewisse Schlüpfrigkeit im Auftritt lässt sich bei Ian Anderson nicht leugnen.

Wie bereits angedeutet, herrscht in einigen Stücken von Ian Anderson eine Diskrepanz zwischen Musik und Text (z.B. „Broadford Bazaar“ ist ein schönes Folk-Lied, aber der Text steckt voller Kritik). Hinzu kommt bei Live-Auftritten das schrille Outfit der Gruppe; man stelle sich also den Vortrag von „Broadford Bazaar“ im blau-grellen Tampa-Outfit vor. Absurder geht es eigentlich nicht. Okay, so krass kam uns Herr Anderson wohl noch nie daher. Eher so, dass zwei von den dreien (Musik, Text und Outfit) zusammenpassten. Der Tampa-Anzug fällt mit dem „Too old to rock ‚n’ roll“-Album zusammen und darf als Selbstironie gewertet werden. Und die Klamotten mit Melone nach Gutsherrenart von 1977 im Hippodrome entsprechen den rustikalen Liedern aus dem Wald.

Das Urteil der Menschenverachtung möchte ich nicht teilen. Der Kritiker stammt aus der Jazz-Szene. Und da sieht man alles wohl etwas seriöser und ernster. Ein wenig Hohn gegenüber dem Publikum traue ich Herrn Anderson aber schon zu. Wenigstens früher.

Warum aber nun dieser Zirkus? Hierzu hat Ian Anderson nie wirklich Stellung bezogen. Wenigstens ist mir keine entsprechende Aussage bekannt. Sicherlich spielen mehrere Faktoren hier eine Rolle. Zum einen ist es der Wunsch, sich von anderen (Rockgruppen) zu unterscheiden. Und: Welches Kind verkleidet sich nicht gern. Außerdem soll das Ganze einen Wiedererkennungswert haben. Darin ist Anderson ein Meister. Wer Jethro Tull zumindest vom Namen her kennt, weiß um das Männchen mit Flöte auf einem Bein. Der Drang nach Selbstdarstellung spielt sicherlich eine Rolle. Und wenn man erst einmal durch ausgefallene Bühnenauftritte bekannt geworden ist, dann kann man nicht plötzlich nur noch in Jeans und T-Shirt auftreten. Eigendynamik nennt man das wohl. Aber der Hauptgrund ist wohl der, dass Ian Anderson Brite ist. Die haben die Exzentrik scheinbar im Blut.

Großbritannien ohne Queen, ohne Monty Python und ohne schwarze Taxis und Doppeldeckerbusse (Lockwood, das Thema hatten wir bereits) wäre nicht vorstellbar. Und ich behaupte: ohne Jethro Tull würde der Insel auch etwas Wichtiges fehlen!

Nun denn …
Viele Grüße
Wilfried

29.05.2007

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 67: Gegen dunkle Segel

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

nun hat auch mich das Wikinger-Fieber gepackt und mein detektivischer Spürsinn ist erwacht – was hat das dunkle Segel zu bedeuten, woher kommt das geheimnisvolle Schiff am Horizont?

Tatsächlich habe ich schon beim ersten Hören von Broadsword wegen des dark sail gestutzt, denn Segel stellt man sich bei uns üblichersweise hell vor. Anderson hätte hier genauso gut von einem white sail oder black sail singen können. Deshalb hatte ich immer den Verdacht, dass dieses dark ein Hinweis darauf ist, um was für ein Schiff es sich handelt. Auch der tapfere Schotte am Strand kann einem Schiff am Horizont schließlich nicht ansehen, wer darinnen sitzt – es könnte ja auch sein Vetter aus Dingsda sein, der ihn mal besuchen kommt. Aber der wäre vermutlich mit einem hellen Segel unterwegs gewesen. Es ist das dunkle Segel, das ihn Übles ahnen lässt.

Dark ist übrigens nicht gleich black, und ein Segel kann auch dunkel sein, wenn es aus einem dunklen Material hergestellt ist – Seegras z.B., oder Rentierhaut. Was weiß ich, woraus die Wikinger ihre Segel gemacht haben. Deshalb habe ich mich mal schlau gemacht. Und siehe da, bei Wikipedia habe ich Folgendes über die Segel der Wikinger gefunden:

In Skuldelev bestand das Segel aus Wolle einer besonders langhaarigen Schafsrasse… Königsschiffe hatten Leinensegel. Die Bahnen hatten oft unterschiedliche Farben, so dass sie senkrecht gestreift waren. Aber es gab auch sich kreuzende Diagonalstreifen („með vendi“), wie sie auf gotländischen Bildsteinen und alten Münzen zu sehen sind. Es werden sogar Purpursegel erwähnt… Die Segel waren oft farbig, aber nicht nur rot-weiß, wie auf den Darstellungen der Neuzeit. Als Knut der Große von England aufbrach, um Olav den Heiligen aus Dänemark zu vertreiben, wird seine Flotte geschildert: „Knut der Mächtige hatte ein Heer zusammen, um das Land verlassen zu können…die Segel waren blau, rot und grün gestreift… Möglicherweise gab es auch einfarbige Segel, denn der Skalde Sigvat, der die Flotte gesehen hat, schreibt in seinem Preisgedicht: Og báru í byr (Blausegel – die blähen).

Am Horizont sah so ein buntes Segel sicher einfach nur dunkel aus. Ich denke die Frage der Herkunft des Schiffes ist geklärt, nun kann ich beruhigt schlafen gehen.

Die Mendel’schen Gesetze und ihre Bedeutung für die Haarfarbe von Griechen im vermeintlichen Widerspruch zu den genetischen Einflüssen der Turkvölker im nordöstlichen Mittelmeerraum (aktueller Arbeitstitel) behandle ich dann nächstes Mal.

Nun habe ich Euch aus meinem Schatzkästchen griechischer Musik noch ein schönes, trauriges Gute-Nacht-Lied mitgebracht. Es ist diesmal kein traditionelles Volkslied, sondern ein Laiko Tragoudi, frei übersetzt ein Schlager. Dabei haben die griechischen Schlager doch überwiegend eine ganz andere Qualität als die deutschen. Das Lied habe ich nicht zuletzt deshalb ausgewählt, weil zwei meiner Meinung nach recht interessante Instrumente darin vorkommen: Eine Art 12-saitiges Banjo, das ich noch nie zuvor gesehen habe (vermutlich armenischer Herkunft), und eine Schrägflöte, die auf Griechisch Flojera heißt. Es gibt sie in verschiedenen Größen und Ausführungen, hier wird eine ziemlich lange, hölzerne Flojera gespielt, die sehr schön traurig-schaurig klingt.

Das Lied heißt Meno Ektos (Ich bleibe ausgeschlossen) und wird von Eleftheria Arvanitaki vorgetragen. Das Video beginnt mit einem Vorspiel des Banjos. Elefheria betritt die Bühne, sie bedankt sich bei den Musikern, sie bedankt sich beim Publikum. Dann stellt sie die zwei Gastmusiker in ihrer Truppe vor, den Komponisten des Stücks (es ist der mit dem Banjo) und einen Schlagzeuger. Sie erklärt, die beiden kommen aus den USA, stammen aber eigentlich aus Armenien. Das Lied hat einen sehr poetischen Text. Hier ein paar Ausschnitte (leider habe ich auch noch nicht alles verstanden):

Ich bleibe ausgeschlossen, ich wechsle die Farben, mit Lichtgeschwindigkeit rase ich dahin…
Ich bleibe ausgeschlossen, ich spreche mit Drähten (vermutlich Stacheldraht gemeint), wie ein Adler schwebe ich in der Stille…

Refrain:
An meinen einsamen Abenden singe ich armenische Lieder, ich möchte zurückkehren, aber das Paradies ist verschlossen
An meinen einsamen Abenden singe ich armenische Lieder, ich möchte sprechen, aber meine Heimat ist erloschen

In diesem Sinne eine gute Nacht
Kretakatze

PS.: Mir ist da übrigens noch eine geniale Idee für einen Werbe-Spot gekommen. Der Wikinger-Schotte Anderson steht am Strand und lässt seine Blicke über den Horizont schweifen. Da naht ein Schiff mit grünen Segeln – Beck’s Bier. Anderson singt „I see a green sail … bring me my beer mug…“ usw.. Die Passage „…take women and children and bed them down…“ könnte man unverändert belassen, denn Frauen und Kinder stören beim Saufgelage nur. Den Rest müßte man vielleicht geringfügig modifizieren, aber ich denke mit wirklich nur marginalen Änderungen könnte man diesem Meisterwerk so eine völlig neue Wendung geben. (And if sometimes I sing to a cynical degree…)

23.05.2007

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Hallo Kretakatze, hallo Lockwood,

diesmal beginne ich mit einem Geständnis, liebe Kretakatze: Bisher war ich nicht einmal in Griechenland geschweige auf Kreta. Warum, kann ich nicht genau sagen. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde ich den Norden Europas bevorzugen (Großbritannien, speziell Schottland, oder Island). Es ist aber nicht so, dass es mich nie gen Süden gezogen hat. Meine Eltern hatten früher eine Ferienwohnung in Andalusien/Spanien. Und da meine Frau Bekannte auf Sizilien hat (die früher einmal als so genannte Gastarbeiter bei uns in Tostedt lebten), so sind wir mehrere Male auch dorthin gefahren.

Immerhin bietet Sizilien neben römischer Kultur auch viel Griechisches. Archimedes lebte in Siracusa (Syrakus). Und eine Episode oder zwei der Irrfahrten des Odysseus spielten wohl an der sizilianischen Küste (die Meeresungeheuer Charybdis und Skylla – auch Polyphem, der einäugige Riese, soll sich dort mit Odysseus gezofft haben). Übrigens ist Sizilien eine Schnittstelle zwischen Griechen und Normannen (unsere nicht allzu beliebten Wikinger – oder doch?!). Neben einer frühen Blütezeit der Insel, als diese zu Großgriechenland gehörte (8. – 5. Jahrhundert v. Chr), gab es im 11. Jahrhundert nach der Eroberung durch die Normannen wiederum Wohnstand und Dolce Vita. Aber streichen wir Sizilien, sonst landen wir bald auf Madagaskar. Immerhin ist es auch eine große Insel – wie Kreta, Island oder Großbritannien. Wir haben es eben mit Inseln.

Zurück zu Griechenland, wenn auch nur virtuell: Vielen Dank, Kretakatze, für Deine vielen Video-Beispiele. Youtube ist eine unerschöpfliche Quelle. Sicherlich liegt mir die griechische Musik nicht im Blut. Das Lied Meno Ektos von Eleftheria Arvanitaki finde ich aber wirklich schön. Es hat eine wunderbare Grundmelodie, die auch etwas für Ohren ist, die ansonsten der abendländischen Musik zugewandt sind. Ich habe dabei das Gefühl, das Lied schon einmal gehört zu haben. Also mit deutschen Schlagern würde ich das wirklich nicht vergleichen, eher mit ‚Liedermachern’, so vom Schlage eines Herman van Veen, den ich erst kürzlich am Wickel hatte. Eigentlich mag ich Banjos nicht sonderlich, aber dieses 12-saitige Instrument passt sehr schön zu dem Lied. Ich kann mir sogar irgendwie vorstellen, das es einmal vor vielen Jahren ein ähnliches Stück von Jethro Tull hätte geben können – statt diesem speziellen Banjo Martin Barre auf der akustischen Gitarre, nun ja, und Herrn Anderson vielleicht sogar auf dieser hölzernen Flojera-Flöte. Was hat das aber mit den armenischen Musikern auf sich? Weißt Du da mehr? Armenien liegt ja auf der anderen Seite der Türkei und ist christlich ausgerichtet (wohl auch orthodox). Gibt es da besondere Beziehungen zwischen Griechen und Armeniern?

Mit manchen der anderen Stücken komme ich ähnlich wie Lockwood nicht ganz so klar. Aber ich weiß, dass man sich sehr schnell ‚anstecken’ lassen kann (siehe meine Sirtaki-Tanz-Versuche vor langer Zeit). Dieser ausgelassenen Heiterkeit bei solchen Festlichkeiten kann man sich schlecht entziehen. Für den pontischen Tanz hätte Ian Anderson seinen Piratenlook aber doch mächtig aufpeppen müssen. Und beim Sonaradikos frisch aus Glasgow weiß ich gar nicht so recht: Es könnte fast ein schottisches Lied mit griechischem Tanz sein. Mein kleines Video mit den schottischen Tänzen (etwas zerhackstückt) habt Ihr vielleicht schon gesehen. Die Aufnahme stammt von den Highland Games in Callander. Gibt es vielleicht solche Kraftmeiereien auch in Griechenland (ich möchte Highland Games nicht unbedingt mit den Olympischen Spielen vergleichen – aber irgendwie kommt man auch nicht so ganz um diesen Vergleich herum). Als Tanzmuffel hüte ich mich davor, einen Vergleich zwischen griechischen und schottischen Tänzen anzustellen. Aber ich sehe durchaus, dass es Gemeinsamkeiten gibt.

An Eurer „Dark Sail“-Auseinandersetzung wollte ich mich eigentlich nicht beteiligen. Kretakatze hat zudem inzwischen die Lösung gefunden. Interessant finde ich die Idee zu dem Werbe-Spot für die Biermarke, die übrigens aus Bremen kommt, wo ich wie bekannt viele Jahre gelebt habe. Aus dieser Zeit gibt es einen alten Kumpel (es ist jener ‚Kommissar Graue’ aus der Nonsense-Rubrik „Der Idiot“), der bei Beck’s arbeitet, wenn auch nicht in der Werbung. Leider ist der Kontakt aus unerfindlichen Gründen abgebrochen, aber solche Kontakte lassen sich eventuell neu beleben.

Beck's drunkle Segel

Ein Problem gibt es allerdings: Zwar bevorzugt Herr Anderson (wenn er nicht gerade Weißwein trinkt, vgl. die Hippodrome-Videos) Bier aus kleinen grünen Flaschen, allerdings einer anderen Marke, wie das bereits von mir veröffentlichte Foto zeigt. Die Firma Beck’s wird das nicht freuen (der Fall Bohlen dürfte abschreckend genug sein: Herr Bohlen stieg allerdings von Doppelkorn auf Molke um, bis ihm das Zeug aus dem Hals hing und er in aller Öffentlichkeit behauptet, das Gesöff schmeckt S…; seitdem macht er wieder Werbung für Doppelkorn – oder war das Haarlack?). Gucken wir ’mal …

Willi mit Shona und Ian Anderson
der zerknirschte Willi („Warum trinkt der Typ kein Beck’s!“)
samt Shona & Ian Anderson

Ich wünsche Euch ein schönes verlängertes Pfingstwochenende. Die Wetteraussichten sind allerdings sehr bescheiden. Am Samstag und Sonntag bin ich unterwegs (u.a. bei Hermännchen, der Geburtstag hat).

Bis in Bälde
Wilfried

24.05.2007

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Liebe Freunde,

in den zwei Tagen, in denen ich dem Internet ferngeblieben bin, hat sich Dank Eures Fleißes mehr Stoff angesammelt als ich in angemessener Form beantworten kann. Hier nun meine bescheidenen Beiträge zu Euren letzten sehr substanzvollen mails:

Dir, liebe Kretakatze, gebührt mein Dank für Deine umfangreichen Lektionen und zahlreichen Videos zum Thema der griechischen Musik ! Allerdings stelle ich für Dich eine große Enttäuschung dar: Ich kann mit dieser Musik, diesen Tänzen, dieser Sprache überhaupt nichts anfangen. Auch wenn einige Lieder weniger orientalisch klingen als andere, so treffen sie nicht meinen Musikgeschmack. Es ist nicht so, dass ich orientalisch angehauchte Musik nicht mag; die von mir hoch geschätzte Loreena McKennit hat einige wunderschöne Alben mit orientalischen Einflüssen hervorgebracht. Ich habe sogar in meiner Plattensammlung ein Album mit traditioneller indischer Sitarmusik. Es sind also nicht allein die orientalischen Momente, die mich an der griechischen Musik verzweifeln lassen. Ich kann nicht beschreiben, was diese Musik für mich in so weite Ferne rückt. Es ist ganz einfach so.

Auch die von Dir herausgearbeiteten Parallelen des Hellenen-Folk zu JT vermag ich nicht zu erkennen. Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Meine musikalischen Vorlieben sind im Nordwesten Europas zu Hause; ich bin erst über den Umweg der britischen Folklore auf Jethro Tull gestoßen. Um Dir und auch Wilfried noch mehr Frust zu ersparen, werde ich mich als unbelehrbarer Nicht-Grieche aus den weiteren Diskussionen zu diesem Thema ausklinken; etwas Konstruktives ist in diesem Punkt von mir nicht zu erwarten.

Mit großer Verwunderung nehme ich Eure Kritik zum Anderson’schen Outfit in Tampa und im Hippodrom zur Kenntnis. Sicher, diese blau-bunte Pseudouniform aus Tampa ist nicht gerade das, was man mit der Musik des Meisters in Verbindung bringt. Aber im Vergleich zu dem, was Mr. Anderson sich später an textilen Fehltritten geleistet hat, war das doch nur eine unbedeutende Verirrung. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Auftritt der Gruppe beim Jazz-Festival in Montreux, bei dem der Meister nicht davon abzuhalten war, in einem gepunkteten Schlafanzug mit gleichfarbigem Kopfverband aufzutreten. Dagegen wirkt die rote Melone wie die Krone der Modeschöpfer. Im Ernst, ich finde, die Melone passt zum ländlich-rustikalen Ambiente der JT-Musik jener Zeit.

Wenn ich das richtig sehe, sind die Punkte dark sail und Breitschwert geklärt. Weiteren Erörterungen zu den Mendel’schen Gesetzen in Griechenland sehe ich mit Spannung entgegen.

@Wilfried:
Nur so ganz am Rande etwas zum Thema Fußball. Am vergangenen Mittwoch hatte die Mannschaft meiner Zwillinge prominenten Besuch: Der ehemalige Bundesligaprofi Kai Michalke hat auf Einladung unseres Co-Trainers die Jungs trainiert. Mir sagte der Name natürlich nichts, aber die wahren Fußballfans wussten sofort, um wen es sich handelt. Jedenfalls hatte ich an diesem Tag zum ersten Mal die Gelegenheit, einem „richtigen“ Fußballer die Hand zu schütteln. Ein netter Kerl übrigens, kann gut mit Kindern umgehen.

Viele Grüße und ein schönes langes Wochenende !
Möge der Geist über uns alle kommen.
Lockwood

25.05.2007

English Translation for Ian Anderson