Archiv für den Tag: 2. Dezember 2008

Eckart von Hirschhausen: Die Leber wächst mit ihren Aufgaben

Komisch, wirklich komisch zu sein ist eine durchaus ernste Sache. Wenn Komisches dann auch noch lehrreich ist – um so besser. Da gibt es nun einen promovierten Mediziner, der es versteht, medizinisches Wissen und Witz derart zu mischen, dass es uns zum Schmunzeln bringt: Dr. med. Eckart von Hirschhausen. Ich berichtete bereits über ihn (Hirschhausen und die buddhistische Bahn). Nun habe ich sein kleines Büchlein: Die Leber wächst mit ihren Aufgaben. Kurioses aus der Medizin gelesen, und, passend zur Jahreszeit und dem bescheidenen Wetter, einen kleinen Beitrag herausgefischt:

Schnupfen – Laufende Ermittlungen zur laufende Nase

„Kind, zieh dir was an die Füße, du holst dir den Tod.! – Darin sind sich alle Großmütter der Welt einig: Schnupfen ist die direkte Folge von kalten Füßen. Als ich im Medizinstudium etwas von Viren lernte, dachte ich insgeheim: Wie, bitte, gelangen diese kleinen Biester von den kalten Füßen bis in die Nase?

Heute weiß ich, dass kalte Füße nicht Ursache, sondern Folge der Ansteckung sind. Denn sobald die Viren den Körper befallen, kämpft der Kreislauf gegen sie an, die Füße werden schlechter durchblutet und kalt. Den historischen Beweis lieferten zwei Gruppen Studenten.

Die eine musste nasse Socken tragen, die andere nicht. Alle bekamen die gleiche Menge Erkältungsviren ins Gesicht gesprüht, und wird steckte sich an? Beide Gruppen gleich, die experimentell gekühlten Füße machten keinen Unterschied. Millionen Großmütter können irren.


Die Hirschhausen Akademie – „Grippe“

Schnupfenviren sind wie Bill Gates und Dieter Bohlen: Auf Dauer kann man ihnen nicht entfliehen. Aber man kann gezielt den Kontakt verringern, sodass sie einen nicht krank machen. Unser Umgang mit Schnupfen ist sowieso komplett irrational. Abends sind wir krank und werden sauer auf denjenigen, der uns morgens in der U-Bahn angeniest hat. Hätte der nicht wirklich zu Hause bleiben können? Viren brauchen aber ein bisschen, bis sie uns spürbar krank machen. Die wenigsten Erkältungen bekommen wir durch die Luft, viel öfter stecken wir uns über die eigenen Hände an. Aber woher soll ich wissen, welche Schniefnase den Haltegriff in der U-Bahn vor mir angefasst hat? Dann verdamme ich doch lieber den Nieser, den kenn ich wenigstens. Hätte sich doch zumindest die Hand vor die Nase halten können!“ Schließlich lernt jedes Kind, dass Handvorhalten das Beste ist, was man tun kann. Ist es auch – aus Sicht der Viren. Denn die sind von Natur aus unternehmenslustig und leben nur so lange, wie sie immer wieder jemanden neu infizieren können. Ist der Schnodder also von der Nase an der Hand, landet er in Windeseile auch überall dort, wo andere Menschen hinfassen. An der Türklinke, am Haltegriff, daheim an der Fernbedienung. Noch vornehmere Leute haben ja Stofftaschentücher. So wenig ich von Freuds Theorien halte, in Hinblick auf die anale Fixierung hatte er recht. Dieser Blick, mit dem ein erwachsener Mann nach minutenlangem Schnäuzen noch einmal wehmütig den Inhalt seines Stofftaschentuchs begutachtet, dieser Blick ist identisch mit dem Stolz eines Dreijährigen beim Blick zurück in die Schüssel. Bei den Großen kommt noch die Einsicht dazu: Okay – wir Männer können keine Kinder kriegen – aber das hier hab ich ganz allein hinbekommen!

Schließlich wird das Stofftaschentuch gefaltet – damit anschließend beide Hände infektiös sind. Dann ab in die warme Hosentasche. Frischer Rotz im Taschentuch bei Körpertemperatur – das ist für die Viren so eine Club Méditerranée. Schöner könnten sie es nicht haben.

Was hygienischer wäre? Auf den Boden zu schnäuzen. Die Viren finden das niemanden zum anstecken, frieren und langweilen sich zu Tode. Ich mach das. Ich niese ungehemmt auf den Boden, breche die Infektionskette und schütze die Gemeinschaft. Das Dumme daran: Die Gemeinschaft erkennt meinen tiefen Altruismus nicht, sondern hält mich für ein Schwein! Deshalb, liebe Leser, lassen Sie uns Wissen statt Viren verbreiten. Sie haben die Aufgabe und die Pflicht, sollte es Sie ab jetzt irgendwann in der Nase kitzeln, sich vorbildlich zu verhalten und auf den Boden zu explodieren. Es braucht etwas Gewöhnung, aber ich habe diesen Traum, dass sich nicht heute, nicht morgen, aber schon in naher Zukunft, zwei Menschen auf der Straße begegnen, einer niest auf die Erde, der andere stoppt, staunt und sagt: „Sie kennen Hirschhausen!“ Dann liegen sich beide in den Armen und stecken sich nicht an.

aus: Dr. med. Eckart von Hirschhausen: Die Leber wächst mit ihren Aufgaben
(9. Auflage Juni 2008 – Originalausgabe – Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg) S. 127f.

Zum Schluss noch etwas von Hirschhausen zur aktuellen Finanzkrise:


Dr. Eckart von Hirschhausen: Finanzkrise