Was ist bloß mit Ian los? Teil 6: Jac(k)queline, Martin & Francis

Hallo Wilfried,

in der Disziplin der schnellen Antworten stehst Du mir in nichts nach.

Zur Literatur:
Von Grass habe ich „Im Krebsgang“ gelesen. Weil es eines seiner weniger umfangreichen Werke ist. Quasi als Versuchsballon. Das Ergebnis des Versuchs war ernüchternd. Den „Simplizissimus“ habe ich irgendwann mal angefangen, aber nicht zu Ende gelesen. Früher habe ich es gehasst, bei einem Buch vor dem Ende aufzugeben. Es kam einer Kapitulation gleich. Heute sehe ich das gelassener. „Josef und seine Brüder“ war auch das Werk, mit dem ich Zugang zu Thomas Mann gesucht habe. Vergeblich. Es gab eine Zeit, in der ich bedauerte, mit den großen Namen der Literatur nicht zurecht zu kommen. Das hat sich Gott sei Dank gelegt; mittlerweile komme ich mit der Mischung aus gut lesbaren Romanen und Sachbüchern ganz gut klar.

Zur deutschen Volksmusik:
Ich muss wohl mentale Scheuklappen getragen haben, als ich die deutsche Folklore nur mit Karl Moik und Konsorten gleichgesetzt habe ! Dass Zupfgeigenhansl, Liederjan, Schelmisch und Co. ebenfalls deutsches Liedgut verkörpern, war mir irgendwie nicht bewusst. Das muss wohl an meinem dominanten Feindbild von Heino und seinesgleichen liegen, das andere Aspekte bis zur Unkenntlichkeit verdeckt. Anders kann ich mir das nicht erklären. Mann, ist das peinlich !

Allerdings sehe ich noch einen Unterschied zwischen dem, was unsere britischen Folk-Helden veröffentlichen und dem, was Liederjan und Schelmisch präsentieren:
Die Musik der britischen Musiker ist wirklich volksnah; ich bin sicher, dass auf den Inseln fast jeder deren Musik kennt. Die Musik von Zupfgeigenhansl oder Schelmisch dagegen stammt größtenteils aus vergangenen Jahrhunderten; das macht sie für mich interessant und für die Ballermann-Fraktion kryptisch. Living in the past. Hier schließt sich der Kreis.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Deine Jungs schon etwas von den Murphys gehört haben. Ich glaube, diese Altersstufe ist die Hauptzielgruppe der Band. Zumindest, was ihre wenig anspruchsvollen Texte angeht. Ich bin durch Zufall auf diese Formation gestoßen, als ich im Internet nach einer Interpretation von „The Green Fields of France“ gesucht habe. Das haben die Burschen wirklich gut hinbekommen. Mit pipes and drums, so, wie es sich gehört.

Noch einmal zu den Tulls:
Das Gesangsproblem des Mr. Anderson lässt mir wirklich graue Haare wachsen: Mit Gesang geht nicht, ohne aber auch nicht. Da schwebt man als Fan zwischen Hammer und Amboss, zwischen Skylla und Charybdis, zwischen Pest und Cholera.

Zu Mr. Barre: irgendwo las ich neulich, dass er zu den am meisten unterschätzten Gitarristen unseres Globus zählt. Im Rockzirkus passen Genie und Zurückhaltung eben nur schlecht zusammen. Weißt Du, wie man seinen Nachnamen korrekt ausspricht ? Mr. Anderson betont es manchmal wie Baarr, manchmal wie Baarree. Ein bekanntermaßen inkompetenter Musikjournalist meines Lieblings-Radiosenders sprach es einmal Bäärr aus.

Das Video zu „Jack-a-Lynn“ hat es mir angetan. Aus 1991, zeigt es einen 44jährigen Mr. Anderson, bei dem die Stimme sich leicht erholt zu haben scheint, bevor sie später vollkommen kollabiert. Dieses Video zeigt einen schönen Übergang vom jungen zum alten Mr. Anderson. Darüber hinaus gefällt mir der Song ganz einfach. Ohne die störende Flöte. Gibt es eine Statistik darüber, wie viele Songs von JT ohne Flöte auskommen ? Aber ich schweife ab !

Die Ansichten des guten Francis sind von meiner eher konservativen Warte aus gesehen etwas bizarr. Den Spagat zwischen Tull und Tokio Hotel muss man erst mal hinkriegen. Ich vermute, dass Francis wesentlich jünger ist als ich und dass er Mr. Anderson in der Kopftuch-Phase kennen gelernt hat. Deshalb vermisst er sie jetzt. Genauso geht es mir mit der Folk-Musik der Tulls. Im „Schweigen der Lämmer“ sagt Dr. Lector: „Was begehren wir ? Das, was wir täglich sehen !“ Vor diesem Hintergrund hat Francis mein vollstes Mitgefühl.

Das mit der Vielfalt meinte ich schon ernst. Wenn ich gezwungen wäre, mir jahrelang jeden Tag die Folk-Alben des Mr. Anderson anzuhören, würde ich mir heißes Wachs in die Ohren gießen. Was die Lieblingsmusik zur Lieblingsmusik macht, ist u.a. die Tatsache, dass ich sie hören kann, wenn ich Lust dazu habe. Wenn es keine Alternativen gäbe, könnte man nicht vergleichen und das ein oder andere als „gut“ befinden.

Mit Fußball habe ich überhaupt nichts am Hut. Es gibt kaum eine Sache in diesem Universum, die mich weniger interessiert. Meine Zwillinge spielen mit Begeisterung im hiesigen Fußballverein, aber von mir haben sie das nicht. In diesem Verein bin ich bei den anderen Eltern als Fußballhasser verschrien. Damit kann ich sehr gut leben, im Gegenteil. Ich hefte mir dieses Attribut wie einen Orden an die Brust und pflege dieses Image bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Dass Mr. Anderson ebenfalls ein gestörtes Verhältnis zum Fußball hat, las ich ein einem Interview. Hierin ging es um die Qualität seiner Texte. Er meinte, es könne nicht nur anspruchsvolle Lyrics à la Tull geben, es müsse auch Texte für Fussballer geben. Ich habe überlegt, ob ich einen Ausdruck dieses Interviews ans Schwarze Brett im Vereinsheim hängen soll. Ich habe es gelassen, weil meine Kinder den Papa noch brauchen…

Also, bis bald !

Lockwood

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Hallo Lockwood,

also von der schnellen Truppe bin ich nun nicht gerade (gut Ding braucht Weile). Eigentlich wundert es mich selbst, dass ich mich, kaum ist eine Mail von Dir da, hinsetze, um zu antworten. Meine Frau hat in früheren Jahren bestimmt nicht so viele Liebesbriefe erhalten, wie ich Dir inzwischen Mails geschrieben habe.

Lasse ich Herrn Anderson erst einmal beiseite. Nur kurz etwas zum Jack-a-Lynn-Video. Das stammt ja von einer TV-Aufnahme des türkischen Fernsehens von einem Konzert aus dem Jahre 1991. Wie alle die Videos auf meiner Website ist das in bescheidener Realmedia-Qualität. Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass ich nicht so viel Webspace, also Speicherplatz für meine Website habe. Die Videos sind zudem für Modem-ISDN-Anschlüsse gedacht (als ich die ersten Videos eingespielt habe, gab es noch kein DSL bzw. DSL war unbezahlbar). Aber auch das ursprüngliche Video ist eigentlich sehr mager. Jetzt habe ich aber von einem anderen Tull-Fan das gesamte Istanbul-Video als DVD (abgezogen von einem VHS-Masterband) bekommen. Inzwischen habe ich auch noch anderes Tull-Material. Vieles stammt von laufi.de in VCD-, VideoCD-Qualität mit einer Auflösung von 352×288 Pixel/Bildpunkten – aber auch einige DVDs (hat als PAL 720 x 576) – aber die stammen mehr aus der letzten Zeit.

Wie sieht es bei Dir aus mit DIVX? Einen Player für den Rechner (Software) gibt es kostenlos im Internet, aber nicht nur den, sondern auch Software, mit der man z.B. DVD-Videos umwandeln kann. Ohne große Verluste braucht man dann nur noch etwa 1/5 des Speicherbedarfs (So bekomme ich ohne Weiteres bis zu 10 Stunden Video auf eine selbstgebrannte DVD). Die meisten (neueren) DVD-Player (ich meine die Hardware) unterstützen zudem DIVX. Ist natürlich nichts für absolute HiTech-Fans, die alles in Superqualität haben müssen (Heimkino vom feinsten und so).

Wenn wir schon einmal bei diesem Thema sind: Hast Du irgendwelches Material von Jethro Tull? Videos, Bilder, Audios? Okay, im Internet findet sich da vieles. Aber manchmal gibt es ja doch noch Schätze, die man nicht hat. Sehnlichst gesucht sind da natürlich alte Sachen (ich denke u.a. an eine brauchbare Videoaufnahme von A Passion Play). Kennst Du eigentlich das Tampa-Video von 1976?

Zu Francis: Von wegen jung, der Typ ist nur völlig durchgeknallt oder bizarr, wie du schreibst. Guckt Dir einmal seine Homepage an. Aber irgendwie haben wir ja alle unsere Macken.

Zu Bildchen usw.. Schade, dass Du kein Bild von Dir mit Kopftuch hast. Das wäre es doch, oder? Das mit dem Bild läuft nicht weg. Ich steh nicht so auf Bilder von mir. Nur ganz ohne ist auch nichts, vor allem wenn man sich schon in der Öffentlichkeit zeigt. Ich möchte schon wissen, mit wem ich es zu tun habe. Und man kann sich ja auch leicht verfremden.

Ach so: Martin Barre. Ich muss einmal gucken. Auf einem Video stellt er sich selbst vor: My name is …
Also ich denke Baarr ist richtig. Das Baarree von Anderson ist wieder einmal einer dieser kleinen Überspitzungen. Soll wohl französisch klingen und bezieht sich auf Martins 2. Vornamen: Lancelot. Martin Lancelot Baarree ….! Bäärr ist Quatsch.

Enough
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Wilfried

P.S. Audio on “I am Martin Barre …” (im Anhang als mp3 – aus einer TV-Sendung von 2001 in den USA)

English Translation for Ian Anderson