Überwachung ohne Grenzen

Ich, ein harmloser und unpolitischer britischer Schriftsteller, der in Rom lebte, wußte recht gut, daß die CIA mein Telefon abhörte. Taten ihre Arbeit zweifellos im Namen der Freiheit, die Reisenden der Gedankenpolizei. (S. 87)

[…]

Ein Computer ist ein neutrales Gerät. Information ist eine neutrale Ware. Je mehr Informationen wir haben, desto besser. So sehe ich die Datenbanken und was es noch gibt.

Aber sobald der Staat sich der Computertechnologie bemächtigt, führt der Weg unausweichlich zur Sammlung von Informationen über die Bürger. Ich weiß nicht, ob das an sich schlecht ist, aber ich muß daran denken, was 1971 im sicheren, freien, demokratischen kleinen England geschehen ist …

Sie meinen die Volkszählung?

Sehen Sie sich nur an, was der Staat alles wissen wollte. Status des Haushaltsvorstandes, Beziehung zu anderen Mitgliedern des Haushalts, wie viele Automobile im Besitz des Haushaltes, besitzt die Küche einen Backofen, befindet sich die Toilette im Haus oder außerhalb, Herkunftsland, Herkunftsland der Eltern, frühere Anschriften, Ausbildung, Personenstand der Haushaltsmitglieder, Zahl der Kinder, und so weiter. Einige weigerten sich, das Formblatt auszufüllen, aber die überwiegende Mehrheit kam dem Ansinnen demütig nach. Achthundert Tonnen Papier, einhundertfünftausend beamtete und freiwillige Helfer, zehn Millionen Pfund Steuergelder. Aber nur fünfhundert gerichtliche Verfolgungen. Die Nichtbeantwortung der Fragen wurde mit einer Geldstrafe von maximal fünfzig Pfund geahndet. Alan Sillitoe, der Schriftsteller, gab sein Alter mit einhundertein Jahren an und wurde zu einer Geldbuße von fünfundzwanzig Pfund verurteilt. Ein Mann von dreiundsiebzig und eine Frau von sechsundsechzig waren nicht in der Lage, die mit ihrer Leidenschaft für die Geheimhaltung ihrer persönlichen Daten verknüpfte Geldstrafe zu bezahlen und gingen beide ersatzweise ins Gefängnis. Dann wurde vom Büro des Leiters des Statistischen Amtes zugegeben, daß ein Teil dieser geheimen Informationen an kommerzielle Organisationen zur Verwertung weitergegeben werde. Eine Firma brüstete sich damit, daß sie bis 1980 Einzelheiten über neunzig Prozent der gesamten Bevölkerung in ihren Datenbanken gespeichert haben würde. Die Polizei hat sowieso fast ungehinderten Zugang zu diesen gespeicherten persönlichen Daten. 152800 Menschen, die als Patienten in psychiatrischen Krankenanstalten waren, müssen sich damit abfinden, daß die intimsten Einzelheiten ihres Lebens in Dateien festgehalten sind. Intelligenzgrad, ob sie vor ihrer Einlieferung jemals im Gefängnis waren oder nicht, der Grad von Zwang, der notwendig war, um ihre Einlieferung zu bewerkstelligen, eine volle Diagnose des jeweiligen Leidens, spezielle Einzelheiten über Drogenabhängigkeit, Epilepsie, Alkoholismus …

Aber was an der Wahrheit ist so unheilvoll und finster? Und, was das angeht, an der Verletzung der Geheimhaltung? Wenn junge Leute an öffentlichen Orten ungeniert kopulieren, wer sind wir, daß wir uns gegen die Veröffentlichung unserer Biographien sträuben?

Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Aber überlegen Sie: der Staat ist nur ein Instrument. Alles hängt davon ab, wer die Kontrolle über dieses Instrument ausübt, das sich so leicht in eine Waffe umwandeln läßt. (S. 89 f.)

Der Text oben stammt aus dem 1978 erschienenen Buch 1985 von Anthony Burgess unter dem Titel ‚Staat und Superstaat: Ein Gespräch’. Schon damals gab es eine staatlich verordnete Sammelwut von Bürgerdaten im großen Stil – wie der Text offen legt.

Volkszählungen gab es irgendwie immer schon. Bei uns sorgte die Volkszählung von 1987 für Aufregung, die von vielen boybottiert wurde, weniger wegen der Gefahr der Deanonymisierung von Erhebungsdaten (die Erhebung der Daten erfolgte weitestgehend anonym) als vielmehr wegen einer „schleichende Einschränkung von Bürgerrechten“. Die Volkszählungsgegner verstanden den Boykottaufruf als „zivilen Ungehorsam für mehr Demokratie“. Das Ergebnis dieser Volkszählung entsprachen dann auch eher einem „Daten-GAU“.

Der Burgess-Text zeigt, dass ‚der Staat’ schon lange vor dem NSA-Überwachungsskandal seine Bürger ausgehorcht hat, und zwar eben nicht nur der totalitäre Staat. Hierzu passt ein Interview des ZDF morgenmagazins mit dem früheren Technik-Chef der NSA, William Binney, der das Verhalten des US-Geheimdienstes als „nicht verfassungsgemäß“ kritisiert. Über jeden Bürger Informationen sammeln zu können – dieses sei ein Schritt in die totalitäre Richtung. Genau, in die

William Binney hat es nach dem 11. September 2001, nach dem Angriff der Al Kaida nicht mehr lange bei der NSA ausgehalten. Der damalige Technische Direktor des US-Geheimdienstes quittierte seinen Dienst. „Das Problem begann, als wir angefangen haben, auch Einzelpersonen abzuhören; nicht mehr Gruppen wie etwa terroristische Milizen oder Drogenschmuggler. Da wurde mir klar, dass sich die NSA weg bewegt vom eigentlichen Zweck der Nachrichtensammlung“.

Nun Binney ist überzeugt, dass man die NSA kontrollieren kann: „Ja, sie kann kontrolliert werden. Aber man muss im Kongress und im Weißen Haus den Willen haben, das zu machen. Da muss sich die Philosophie der Art und Weise, wie unsere Regierung arbeitet, sehr verändern.“

So aber muss Snowden sich weiterhin in Russland aufhalten, wo er nur noch bis zum Sommer politisches Asyl genießt. Die Vereinigten Staaten verlangen seine Auslieferung und wollen ihn wegen Geheimnisverrats vor Gericht stellen. Da ist es wichtig, dass gerade von den Verbündeten und ‚Freunden’ Signale ausgesendet werden, die bezeugen, dass man Snowden zur Seite steht und mit den Machenschaften der US-Geheimdienste nicht einverstanden ist.

Die Philosophische Fakultät der Uni Rostock will Edward Snowden die Ehrendoktorwürde zukommen lassen. Man kann davon halten, was man will und die Verleihung für das falsche Mittel halten. Andere gehen da aber noch weiter: Vielleicht ist doch der Friedensnobelpreis die adäquate Würdigung, damit die USA-Administration endlich begreift, dass sie mit einer Kriminalisierung Snowdens und anderer Whistleblower auf dem Holzweg ist.

Edward Snowden – als neuer ‚James Bond’?!

Sicherlich typisch ist da der Weg, den man in den USA selbst einschlägt. Ich weiß nicht, ob man es peinlich nennen soll, aber Hollywood will Snowden zum Leinwandhelden krönen. Sony plant eine Verfilmung zu Snowden und dem NSA-Skandal. Vielleicht ist aber gerade DAS ein Anstoß, Obama (er guckt ja gern spannende Filme) & Co. zu bewegen, Snowden nicht weiter zu verfolgen und dafür endlich den NSA zu kontrollieren. Wer weiß?!

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

Ein Gedanke zu „Überwachung ohne Grenzen

  1. Wenn Obama auch nur einen Faden in der Hand hielte, und nicht selbst eine Marionette wäre, könnte der Film über Snowden wirklich etwas bewegen. Ich glaube nicht daran. Das Volk muss sich ändern, den Widerstand proben, sich die Überwachung und Versklavung durch Staat und Multimillionenkonzerne nicht mehr gefallen lassen. Der einfache Bürger hat, wenn möglichst viele mit machen, die größte Macht.

    Merci, Willi für deine offenen Texte und weiter so! Ich hoffe du erreichst bald ein breites Publikum und kannst zum denken anregen!

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