Was ist bloß mit Ian los? Teil 62: Von Anderson befreit

Hallo Wilfried,

welch ein Fußballtag geht heute zu Ende: für Bremen ist die Meisterschaft gelaufen, die Alemannia steigt ab und Schalke-Fan möchte ich heute auch nicht sein.

Focus‘ „House of the King“ erinnert tatsächlich ein wenig an die Musik von JT. Aber nur wegen der Flöte. Andere Parallelen konnte ich nicht entdecken.

Deine Fotomontage ist wieder sehr gelungen. Es ist eines der seltenen Bilder, dass den Meister ohne Armbanduhr zeigt. Oder hast Du sie wegretuschiert ? Jedenfalls ist mir klar geworden, dass ich Mr. Anderson unrecht getan habe: Ich wusste nicht, dass der Stoffwickel auf seinem Schädel ein Verband ist. Jedenfalls scheint er darunter eine hartnäckige Wunde zu haben. Der arme Kerl !

Ich stelle fest, dass die Diskussion über Literatur mindestens genau so viel Material bietet wie über Mr. Anderson und Co. Also, ans Werk: Du schreibst, „Die Entdeckung des Himmels“ sei ein ernsthafter Roman. Diese Ansicht kann ich nicht uneingeschränkt teilen. Das Buch gipfelt darin, dass ein Astronom mit dem Teleskop das Domizil von Gott, seinen Heiligen und Engeln entdeckt und die plötzlich Entdeckten darauf mit Panik reagieren. Das kann nicht so ernst gemeint sein. Auch die Rückführung der Gesetzestafeln in das Heilige Land ist in meinen Augen eine Allegorie. Ein Bild dafür, dass der Schöpfer die Menschen satt hat (ich kann Seinen Standpunkt ja verstehen, aber als zeitloser und allmächtiger Gott hätte er um das Scheitern der Menschheit wissen müssen). Die Bewohner des Himmels werden personifiziert und in strenge Hierarchien eingeteilt. Wie in einem militärischen Apparat oder einer Stadtverwaltung. Auch das spricht nicht dafür, dass der Autor große Ansprüche an die Authentizität stellt.

Mulisch stellt höhere Ansprüche an die Phantasie und den Horizont des Lesers als Irving. Beiden gemein ist, dass sie tolle Geschichten erzählen ! Wer mehrere Bücher von Irving gelesen hat, stellt fest, dass sich einige Themen wiederholen (Wikipedia berichtet ausführlich darüber): Neuengland, Wien, Bären, ältere Frauen, kleingewachsene Männer, Ringen, usw.. Ich finde diese Wiederholungen nicht störend; da die wiederkehrenden Themen in den einzelnen Romanen stark variiert werden, hat man als Leser nie das Gefühl, den Abklatsch eines vorangegangen Romans zu lesen. Ich habe noch nicht alle Werke von Irving gelesen. Unsere Leihbücherei hat nicht alle Werke von ihm im Programm. Jedenfalls werde ich die Leiterin der Bücherei fragen, ob sie die Irving-Sammlung nicht ergänzen kann. Es gibt drei große Romane, die ich noch auf meiner Agenda habe: Garp, der Wassertrinker und die befreiten Bären. Bisher gelesen habe ich: „Witwe für ein Jahr“, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ (diesen deutsche Titel finde ich grauenhaft), „Owen Meany“, „Eine Mittelgewichtsehe“, „Die vierte Hand“, „Hotel New Hampshire“, vom „Zirkuskind“ nur das erste Viertel und „Bis ich dich finde“ werde ich an diesem Wochenende zu Ende lesen. Wenn ich mich frage, welchen Irving-Roman ich für den besten halte, kann ich keine klare Antwort geben. Es ist entweder Owen Meany oder die Witwe. Gottes Werk kommt natürlich auch in die engere Wahl.

Falls Du Interesse daran haben solltest, den Schwerpunkt unseres Gedankenaustauschs von Ian Anderson in Richtung John Irving zu verlagern, würde ich das sehr begrüßen. In Deinem Blog hast Du ja eine eigene Rubrik für diese Disziplin. Vielleicht teilst Du mir mit, welche Romane Du bisher gelesen hast (vielleicht sogar alle ?), damit wir aus dieser Schnittmenge die Basis für weitere Diskussionen bilden können.

Ich freue mich auf eine weitere Zusammenarbeit im Dienste der Schönen Künste.

Also, schlafe wohl, Du Prinz der Heide !

Lockwood

12.05.2007

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Hallo Lockwood,

na da habe ich mit meinem Irving-Beitrag ja in ein Wespennest gestochen. Und schon umschwirren die Viecher in Form von dicken Wälzern mein holdes Haupt (meine Vorliebe für Stabreime ist Dir vielleicht schon einmal aufgefallen, oder?). Ich höre da eine gewisse Anderson-Müdigkeit bei Dir heraus. Kein Wunder bei über 60 Beiträgen von uns beiden zu diesem Thema.

Nun, von John Irving habe ich im Laufe von nunmehr fast zehn Jahren einige Romane gelesen. Angefangen hat es bei mir mit „Garp“. Wie ich auf Irving kam, weiß ich gar nicht mehr genau. Da gibt es ja einige Verfilmungen (gesehen habe ich aber nur Gottes Betrag – und auch erst, nachdem ich von Irving schon einiges gelesen hatte). Garp war wohl eine Sonderausgabe für damals 18 DM, und ich bin in einer Buchhandlung darüber gestolpert. Als ich dann diesen Roman gelesen hatte, habe ich mir weitere gekauft – und bis heute (teilweise mehrmals, aber das kommt bei mir öfter vor) „Witwe für ein Jahr“, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, „Owen Meany“ und „Die vierte Hand“ gelesen. Das war es wohl, so glaube ich.

Irving ist nicht unbedingt der ganz große Schriftsteller. Aber seine Geschichten haben etwas Faszinierendes. Liest man erst einmal, dann kommt man so schnell nicht wieder davon los. Der Süchtigkeitsfaktor ist sehr groß. Es sind dies die skurrilen Typen, die bei all ihren Macken doch viel Menschlichkeit ausstrahlen.

Deinen Vorschlag, den Schwerpunkt unseres Gedankenaustausches in Richtung Irving zu verlagern, muss ich mir aber noch reiflich überlegen. Literatur ja – aber Festlegung auf einen Autoren – eher nein. Vielleicht könnte man Irving ja als Ausgangspunkt für eine literarische Reise um die Welt nehmen.

Irving ist für mich typisch amerikanisch – wenn auch in einem positiven Sinne (als Gegenstück zu George W. Bush –an der Nord-Ost-Küste konnte Bush ja nicht punkten). Seine Romane sind fast alle hollywood-reif (und viele wurden ja auch in Hollywood verfilmt), vielleicht etwas zu sehr filmreif.

So sehr mir diese schrägen Typen bei Irving gefallen, auf Dauer wäre es mir dann doch etwas zu viel an „Eigenwilligkeit“. Es muss nicht todernst zugehen in einem Roman, wirklich nicht. Ich habe dieser Tage den „Stiller“ von Max Frisch gelesen und habe mich gewundert, wie modern das Buch heute noch ist. Geradezu köstlich ist es, wie Frisch da eine Ehe beschreibt (auch wenn es hier eine Künstlerehe zwischen einem Bildhauer und einer Ballerina ist), über die Macken der Frauen und Männer herzieht … so dass man sich selbst immer wieder erkennt.

Und es gibt eine literarische „Folklore“, Autoren aus Ländern, die wir wohl nie besuchen werden, die uns aber durch ihre Schriftsteller sehr nahe kommen können. Ich habe da u.a. eine Vorliebe für südamerikanische Literatur (Garcia Marquez’ 100 Jahre Einsamkeit ist wirklich lohnenswert. Oder der Peruaner Vargas Llosa).

Soviel fürs erste.

Dr. Bogenbroom mit Patienten

Zu dem kleinen Bildchen mit der Neuformation von Jethro Tull: Da ich keinen Grund hatte, Herr Anderson ohne Armbanduhr darzustellen, so trägt er tatsächlich keine Uhr auf dem Bild. Irgendwie hat mich der weiße Kittel (nun, es ist wohl ein weißes Hemd) von Herrn O’Hara zu den kleinen Veränderungen an dem Bild inspiriert. Bemerkenswert fand ich auch, wie andächtig Martin Barre, das Fräulein Calhoun (die Duschhaube ist geradezu genial) und Doane Perry (die Hände gefaltet) dastehen; wo ist nur die linke Hand von Herrn Anderson? Mir sind da noch einige Sachen in den Sinn gekommen, aber ich wollte nicht, dass das Ganze am Ende als jugendgefährdend eingestuft wird.

Nun denn …
Wie soll ich wohl schlafen angesichts der Sturmflut an Kommentaren, Mails u.ä. Homer Wells dürfte besser geschlafen haben.

Nichts desto trotz (zum Trotz)

Wilfried, der Heideprinz (und was ist mit König ….z.B. von Niedersachsen?!)

P.S. Das war ja heute fast anderson-frei.

15.05.2007

English Translation for Ian Anderson