Archiv für den Monat: Januar 2013

Christian Hanke: Hamburgs Straßennamen erzählen Geschichte

Über 12 ½ Jahre habe ich in Hamburg gewohnt (Wo Willi wohnte) und seit über 30 Jahre arbeitet ich in Hamburg. Die Hansestadt steht also schon lange im Mittelpunkt meines Lebens. Trotzdem, die Hamburger mögen mir verzeihen, kann ich die kritiklose Bewunderung der Bewohner für ihre Stadt nicht ganz teilen. Da gibt es Städte (auch in Deutschland), die mir einen Tick mehr gefallen. Vielleicht waren die rund 25 Jahre in Bremen so prägend, sodass ich immer noch einen heißen Draht zu dieser anderen Hansestadt (die mit dem Schlüssel zum Hamburger Tor der Welt) habe. Aber das ist ein Thema für sich. Im Beitrag Hanseatische Rivalität habe ich das schon einmal kurz angerissen.

Natürlich ist Hamburg eine schöne und interessante Stadt. Nur für ganz so weltstädtisch, wie sie sich gern ausgibt, halte ich sie nicht. Da fehlt dann doch noch ‚een lütt beden’ (ein klein bisschen). Das heißt natürlich nicht, dass mich Hamburg en détail nicht interessiert. Zu Weihnachten 2011 hat mir meine Frau das Buch Hamburgs Straßennamen erzählen Geschichte: Mit Stadtteilrundgängen, Karten, Fotos und den neuesten Straßen – Medien-Verlag Schubert, Hamburg – 4. überarbeitete und ergänzte Auflage 2006 – von Christian Hanke geschenkt, dass ich im Laufe des letzten Jahres nicht nur durchgeblättert, sondern vollständig gelesen habe.

„Nach welchen ‚Jungfern’ ist der Jungfernstieg benannt? Wer waren Mönckeberg und Ballin? Was verbirgt sich hinter der Bezeichnung Schoppenstehl? Dieses Buch gibt Antworten auf viele Fragen, die Hamburger Straßennamen aufwerfen, und erzählt damit etwas von Hamburgs Geschichte. Es handelt aber auch von der Geschichte der Straßen selbst. Wußten Sie zum Beispiel schon, daß auf dem Gänsemarkt und auf dem Rödingsmarkt nie etwas verkauft wurde, oder das die Brandstwiete im Gegensatz zur Straße Brandsende nichts mit einem Brand zu tun hat? Rundgänge regen außerdem dazu an, sich näher mit einigen besonders vielseitigen Stadtteilen zu beschäftigen.“
(aus dem Klappentext)

Lt. diesem Buch gibt es in Hamburg 8476 amtlich benannte Straßen, Wege, Plätze und Brücken. Nicht jede ist aufgeführt, für die meisten bietet es meist kurze Erklärungen und will anregen, sich weiter mit den Namensgebern zu beschäftigen. Durch die Eingemeindung früherer Dörfer nach Hamburg gab es das Problem von doppelten Straßennamen. „Nachdem 1894 eine ganze Reihe von Vororten Hamburger Stadtteile geworden waren, tauchten manche Bezeichnungen nun sogar drei- und viermal auf. 1899 wurden daher 130 Straßen umbenannt und zum Teil zusammengezogen. Altona erlebte 1928 eine ähnliche Umbenennungsaktion …“. „Nach dem Ersten Weltkrieg wichen einige Namen aus dem Bereich der Hohenzollern-Monarchie verdienten Demokraten, die 1933 wiederum NS-Größen und braunen Märtyrern Platz machen mussten. 1938 wurden auch alle verdienten Juden von Hamburgs Straßennamen verbannt. 1945 kehrten die meisten der von den Nazis geschassten Demokraten und Juden zurück. In den Jahren 1947 bis 1952 erfolgte dann die größte Umbenennungsaktion […] 1613 Straßennamen bekamen […] neue Namen.“

Nun Hamburg liegt in Norddeutschland, also im niederdeutschen Sprachraum. So gibt es hier oft verwendete Begriffe bei Flurnamen, die aus dem Niederdeutschen stammen. Diese Begriffe werden in diesem Buch aufgeführt, hier nur einige Beispiele:

Barg – Berg
Bek – Bach
Brook – Bruch, feuchtes gebiet, Niederung
Büttel – Haus mit Grund und Boden
Deel – Teil oder Niederung
Diek – Teich oder Dickicht
Dörp – Dorf
Glind, Glinde – Umzäunung aus Latten, Brettern oder Pfählen, abgegrenztes Flurstück
Högen – Anhöhe, Hügel
Höpen – feste Stelle inmitten eines Moores
Hoff – Hof
Kark – Kirche
Liet(h) – sanft abfallend
Lo(h) – Waldlichtung oder Waldgebiet
Nien – neu
Ohe – Gehölz
Reye, Rei, Riggen, Ree – kleiner Wasserlauf
Sieth – seichte Stelle
Wisch – Wiese
Wort, woort – erhöhter Wohnhügel

Twiete ist ein gebräuchlicher Name für einen Verbindungsweg zwischen zwei Straßen oder einen schmalen Pfad zwischen den Häusern, und kommt in Hamburg ca. 110 Mal vor.

Während der 12 ½ Jahre, die ich in Hamburg lebte, bin ich einige Male umgezogen. So wohnte ich u.a. in der Grindelallee und in Hamburg-Niendorf im Vielohweg. Übrigens hat Hamburg ebenfalls eine Euckenstraße wie Bremen (wo ich in jungen Jahren bei meinen Eltern wohnte). Eine der bekanntesten Straßen (neben der Reeperbahn) ist in Hamburg natürlich der Jungfernstieg. Hier die jeweiligen Erläuterungen aus dem Buch:

Jungfernstieg (um 1680), Hamburgs schöner Boulevard an der Binnenalster wurde als Damm zur zweiten Aufstauung der Alster um 1235 errichtet. Er hieß zunächst „Der Damm“ oder „Reesendamm“ (s. auch Reesendamm/Altstadt) und wurde 1665 durch das Anpflanzen von Baumreihen in eine attraktive Flaniermeile umgestaltet, der vor allem die Hamburgerinnen zum Spaziergehen einlud. So wurde er mit der Zeit zum Jungfernstieg.

Hamburgs Jungfernstieg um 1900

Euckenstraße (1951), Rudolf Eucken (1846-1926), Philosoph, erhielt 1908 den Nobelpreis für Literatur. Vor 1951: Gneisenaustraße.

Grindelallee (1858), Grindelberg (1858), Grindelweg (1882), der Straßenzug Grindelallee-Grindelberg ist der alte Weg vom Dammtor nach Hohehluft. Lokstedt und Niendorf sowie nach Eppendorf (über den Lehmweg). Alle drei Straßen haben ihren Namen von dem Grindelwald, der mindestens bis zum Ende des 14. Jahrhunderts das Gebiet zwischen ihnen und den heutigen Straßen Grindelhof und Parkallee bedeckte. Grindel soll auf Alt-Plattdeutsch Riegel bedeutet haben. Der Wald wurde so benannt, weil hier durch den Eisbach (Isebek) ungebetene Gäste gestoppt werden konnten. Der Name könnte aber auch mit dem Wort Grind für Moor oder Sumpf zusammenhängen. Am Grindelberg wurden 1946-1956 Deutschlands erste Hochhäuser, die Grindelhochhäuser erbaut. Grindelweg vor 1882: Grindelterrrasse.

Vielohweg (vor 1925), Vielohwisch (1950), Vielohkamp (vor 1933), „Vie“ bedeutet Bruch, „loh“ Wald und „wisch“ Wiese.

Wer sich für die Herkunft von Straßennamen interessiert (und das tut man spätestens dann, wenn man in einer Straße wohnt, deren Namen nicht gerade selbsterklärend ist), dem kann ich dieses Buch nur empfehlen. Und das nicht nur Hamburgern. Allein das Blättern macht Spaß.

Ein gutes neues Jahr 2013

Auch zum Jahresanfang 2013 sind wir hier im Norden Deutschlands weit davon entfernt, so etwas Ähnliches wie Winter zu haben. Von Schnee keine Spur, dafür eher frühlingshafte Temperaturen. Robert Walsers kleine Schneelandschaft ließ erahnen wie es sein könnte, wenn … Mit dem Schweizer Robert Walser, einem besonderen Sonderling und eigenartigen Poeten, will ich das neue Jahr auch beginnen – und wenigstens noch einmal mit fiktivem Schnee. Aber es wird sicherlich auch bei uns hier noch einmal Winter geben. Der kann sich bekanntlich bis in den Anfang des Mais erstrecken.

Raureif

Warum Robert Walser? Für mich ist er einer der liebsten Schriftsteller. Warum, das vermag ich kaum zu beantworten. Man sollte ihn lesen – dann wird man ihn mögen für alle Tage, oder einfach für verschroben und altmodisch abtun. Peter von Matt, ebenfalls ein Schweizer Schriftsteller, hält für Robert Walser besonders «die Unvorhersehbarkeit des nächsten Satzes» für charakteristisch. Das heute vorgestellte Prosastück wird das sicherlich verdeutlichen. Meine Ex-Schwägerin würde sagen, dass er von Kuchen backen auf Pobacken käme. Ich sehe darin eher einen bunten Blumenstrauß mit vielen einzelnen Farbtupfern.

Zuvor will ich Euch allen aber ein friedvolles und geruhsames neues Jahr 2013 wünschen mit viel Gesundheit und Zufriedenheit. Vom Glück will ich gar nicht schreiben. Das ist oft so flüchtig … Macht es also gut. Mögen wenigstens einige Eurer Wünsche in Erfüllung gehen. Wer keine Wünsche mehr hat, wem alles erfüllt wurde, der hat auch nichts mehr zu erwarten …

Schnee liegt auf Straßen und Plätzen, auf Denkmälern, Dächern, das paßt zur Neujahrszeit. Weihnachtsbäume, Süßigkeiten gönne ich andern. Dichter sind darin großartig, daß sie ihrer Mitmenschen Freude mit ansehen können, ohne gleich zu meinen, daß sie mitgenossen haben müßten. Eine warme Stube ist im Winter schon viel. Les’ ich nicht außerdem in einem Büchlein, betitelt: „Treu wie Gold“? – „Guten Tag, Frau Direktor von Stempel“, sprach ich neulich eine Dame an, die anders heißt, und die laut ausrief: „Was ist Ihnen?“ – „Gut aufgelegt bin ich“, gab ich zur Antwort. Den ersten Theaterabend meines Lebens erlebte ich in einer Neujahrsnacht, trug den hohen Eindruck heiß ins Elternhaus. An einem himmelblauen Frühlingstag erwartete eine Mutter ihren geliebten Sohn, den Leutnant von Schöllermark. Da klopfte es energisch an die Türe; der Ersehnte war’s, sie lagen sich in den Armen. Er kam dann nach Berlin, wo er die wundersamste Motzsträßlerin oder Millionärin kennenlernte; sie war jung und unerhört schön. Im Tiergarten gaben sie sich Rendezvous; flogen zusammen auf Schlittschuhen um die Rousseauinsel, die im kleidsamen Dezemberlichkeitsgewand lieblich aussah. Die Schöne sagte ihm, indem sie Kuß um Kuß von ihm empfing, ihr Papa habe Pläne mit ihr; er taumelte zurück, erlebte seine große Enttäuschung, was ich alles aus einem Vergissmeinnichtbüchlein habe. Nun meld’ ich etwas von mir und beichte, daß ich als Knabe auf einen Neujahrswunschzettel unachtsamerweise „ich wüsche“ schrieb, statt „ich wünsche“. Wie einem so etwas im Kopf bleibt! Der junge Napoleon siegte schon als Schüler im Schulhof zu Brienne in Schneeballschlachten. Schneemänner haben einen breiten Mund, nicht sehr eindrucksvolle Augen, in der Hand einen Besen und stehn unglaublich ruhig da. „Zwischen zwei Herzen“ nennt sich eine rührende Geschichte, die ich meinem Bibliothekchen einverleibte: Einer, der Geld hat, tritt einem, der keins hat, die, die er liebt, ab, da er nicht mehr jung ist, während dem andern die Jugend zum Antlitz herausstrahlt. Das Mädchen hieß Roberta und der Glückliche Max. Anderntags saßen alle friedlich beisammen. Möglich ist, daß sie bei Tisch saßen und aßen. Ich war neulich dabei, wie sich einer Wirtin ein netter, junger Mensch als Officebursche stramm vorstellte. Achtung erweckt man meist hinter seinem Rücken; daher weiß man nichts davon. Die, denen wir sympathisch sind, bleiben still, und das ist richtig, man nähme sich sonst zu wichtig. Ein Kurzwarenhändler sagte mir, man käme mit der Höflichkeit am besten weg; ich pflichtete ihm bei. Zu Neujahr wird geschenkt, Schenkende erhalten wieder ihrerseits Geschenke. Beides, Nehmen wie Geben, darf und will geübt sein. Ich erinnere mich an eine Zeichnung mit leichter Anfärbung: ein weißgefiederter Engel schaut zu einem Fensterchen in die Stube hinein, wo das Christkind liegt; nur ein kleines Blatt, und doch vergaß ich’s nicht. Man kann viel vergessen, sich wieder auf vieles besinnen, und herrlich ist im Erinnerungsbereiche dann ein wiedergefundenes Schäfchen; der Verlust wird lieb, da er sich ausglich.

Schnee liegt auf Straßen und Plätzen
Aus: Robert Walser – Dichtungen in Prosa …