Was ist bloß mit Ian los? Teil 42: Für einsame Astronauten

Hallo Wilfried,

vielen Dank, auch im Namen meines Sohnes, für Deine Genesungswünsche. Das wirklich Ärgerliche an dem Unfall ist, dass mein Filius selber gar nicht beballert hat. Er stand mit seinen Geschwistern einige Meter von den Stalin-Orgeln und Granatwerfern entfernt und wollte nur zuschauen. Seine Verletzung verdankt er dem fahrlässigen Umgang mit dem Feuerwerkskörper durch einen erkennbar angetrunkenen Gast unserer Nachbarn. Aber ich bin den Schicksalsmächten dankbar, dass mein Sohn „nur“ am Bein verletzt wurde und die Wunde in den letzten Tagen gut zu heilen scheint.

Nachrichten im Fernsehen schaue ich mir nur hin und wieder an. Nicht, dass ich etwas gegen die Nachrichtensendungen dort einzuwänden hätte, aber mein bevorzugtes Medium ist das Radio. Zeitungen lese ich keine. Hin und wieder werfe ich einen Blick auf die Online-Seiten unseres Lokalblättchens, aber auch nicht regelmäßig. Ich gebe zu, dass mich das weltweite Geschehen nicht sehr interessiert; dazu bin ich zu sehr in meinem eigenen Mikrokosmos eingebunden. Nur wenn etwas allzu sehr aus dem Ruder läuft, mache ich mir meine Gedanken darüber. Wie jetzt aktuell die Irak-Politik und die Abschusspläne des Innenministers. Allerdings will ich ihm zugute halten, dass er nicht selber schießen und auch nicht alle Flugzeuge runterholen will.

Zum „Psalm“:
Dein Bild vom Leichenzug in New Orleans ist sehr treffend. Es könnte sein, dass bei diesen Zügen tatsächlich vertonte Psalmen (die gibt es in der Kirchenmusik recht häufig) gespielt werden. Jedenfalls herrscht dort eine vergleichbare Stimmung wie beim Auftritt von Mr. Ferry. Ich kann mir nicht helfen und als erklärter Jethro Tull – Fan gebe ich es nur ungern zu, aber dieses Video gefällt mir wirklich. Na ja, Mr. Anderson lebt uns vor, dass wir nicht in Schubladen denken sollen.

Wie gehst Du beim Digitalisieren Deiner LPs vor ? Ein Kumpel von mir hat ein Set gekauft, besteht aus Software und ein bisschen Hardware, mit dem ein Plattenspieler an den Rechner angeschlossen werden kann. Eine andere Variante sah ich im Prospekt eines Computerladens: Hier wurde ein spezieller Plattenspieler angeboten, der an den PC angedockt wird. Welches Verfahren wendest Du an ?

Gerade wird mir klar, dass meine letzten mails kaum noch unter die Überschrift „Was ist bloß mit Ian los ?“ passen. Ich schweife ab. Mal sehen, ob ich mich bessern kann.

Kind regards
Lockwood

06.01.2007

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Hallo Lockwood,

ja, wir schweifen von unserem Thema schon sehr ab. Aber Ian Anderson und Jethro Tull sind keine Insel fernab der großen Wasserstraßen. Und wenn man auf einen Eddie Jobson zu sprechen kommt, der eine Zeitlang bei Tull gespielte, dann kommt man zwangsläufig auf Roxy Music und Frank Zappa, die sich auch seiner Dienste bedient haben. Ich finde es sogar höchst interessant, solche Querverweise festzustellen. In diesem Zusammenhang: Ich habe Dir vor einiger Zeit geschrieben, dass ich die Musik von Joan Armatrading mag – zumindest aus ihrer Anfangszeit. Und ich musste feststellen, dass es auch zwischen ihr und Jethro Tull Verbindungen gibt. So hat u.a. Dave Mattacks, der außer bei Fairport Convention auch auf einer Live-Tour für Jethro Tull Schlagzeug spielte (CD von 1992: J.T. live – A little light music), auch schon auf zwei Alben von Joan Armatrading das Schlagzeug als Studiomusiker bedient. Und bereits auf den beiden ersten Alben von ihr war es Gerry Conway, der ebenfalls Schlagzeug spielte und den Du jetzt von der Broadsword-Aufnahme her kennst. Außerdem gibt es da noch den Saxophonisten Mel Collins, der sowohl für Joan Armatrading als auch Martin Barre (auf seinem 2. Soloalbum) mitspielte. Die Musikerwelt ist doch ziemlich klein.

Es freut mich, dass es Deinem Sohn wieder besser geht. Ich will nicht zu sehr auf diesen ganzen Silvester-Wahnsinn schimpfen, aber: Auch meine Schwiegermutter wurde letzte Woche indirekt ein Opfer davon. Sie rutschte auf den Weg zum Arzt (sic!) auf dem Überbleibsel eines China-Böllers aus und brach sich die rechte Schulter. Also auch bei uns beginnt das neue Jahr sehr bescheiden.

Zum Digitalisieren meiner alten LPs: (ich bin bisher noch nicht dazu gekommen, vielleicht am nächsten Wochenende) Ich schließe den Plattenspieler an meinen PC über einen Eingang mit zwei Cinch-Buchsen (rot und weiß) in Frontbereich an. Über die Lautstärkeregelung (rechter Mausklick auf das Lautsprechersysmbol) muss ich eine Zuordnung zu dieser Schnittstelle herstellen (Optionen -> Eigenschaften -> Lautstärke regeln für Aufnahme -> Auswahl bei „Front Line-In“).

Cinch-Stecker

Hat man eine solche Schnittstelle nicht, so geht es auch über den normalen Line-In-Eingang auf der Rückseite des Rechners (die blaue Buchse). Hat der Plattenspieler Cinch-Stecker, dann müssen diese mit einem Klinkenstecker-3,5-mm-Adapter am PC angeschlossen werden.

Klinkenstecker 3,5 mm Klinkenstecker-Adapter

Als Aufnahmesoftware kann man u.a. Musicmatch nehmen (hatte ich bereits früher erwähnt). Ich muss einmal gucken, denn ich habe weitere Video- und Audio-Programme mit denen ich aufnehmen kann (damit kann ich dann später auch die Aufnahmen zurechtschneiden).

Das ist alles bisschen aufwändig, aber hat man erst einmal alles auf- und eingestellt, dann geht das ganz gut.

Noch einmal etwas zu „For Michael Collins, Jeffrey and Me“: Jan Vorbij von cupofwonder.com erwähnt etwas von einem Gefühl der Entfremdung und Entwurzelung (feeling of alienation and dislocation).

Ich will mich nicht an eine Neuübersetzung machen, aber einige Wörter würde ich doch etwas anders setzen.

Watery eyes of the last sighing seconds,
 
blue reflections mute and dim
 
 
beckon tearful child of wonder
 
to repentance of the sin.
Wässrige Augen der letzten seufzenden
Sekunden,
trauriges Flimmern (Reflexionen ->
da Spiegelung, aber auch Besinnung
gemeint sein könnte), stumm und matt,
fordern (ein Zeichen geben) das
weinende Kind des Staunens auf,
die Sünde zu bereuen.
And the blind and lusty lovers
of the great eternal lie
go on believing nothing
since something has to die.
Und die blinden und wollüstigen Liebhaber
der großen ewigen Lüge
glauben weiterhin an nichts,
da etwas sterben muss.
And the ape’s curiosity
 
money power wins,
and the yellow soft mountains move under him.
Und die Neugier (auch: Merkwürdigkeit)
des Affen –
die Macht des Geldes siegt,
und die gelben, weichen Berge beben
(bewegen sich) unter ihm.
I’m with you L.E.M. 1
though it’s a shame that it had to be you.
 
The mother ship is just a blip
 
from your trip made for two.
Ich bin bei dir, L.E.M.,
obwohl es schade (eine Schande) ist, dass
es ausgerechnet ihr sein musstet.
Das Mutterschiff ist nur ein Blinken (i.S.v.
Leuchtimplus auf dem Radar)
von eurer Reise zu zweit.
I’m with you boys, so please employ just
a little extra care.
It’s on my mind I’m left behind
 
when I should have been there.
Walking with you.
Ich bin bei euch, Jungs, also gebraucht
bitte etwas mehr Vorsicht.
Es geht mir nicht aus dem Sinn, dass ich
zurückgelassen wurde,
wenn ich doch dort sein
und mit euch spazieren sollte.
And the limp face hungry viewers
 
fight to fasten with their eyes
 

like the man hung from the trapeze
whose fall will satisfy.
And congratulate each other
on their rare and wondrous deed

Und die hungrigen Zuschauer mit den
welken Gesichtern
bemühen sich krampfhaft (kämpfen
darum), ihre Blicke zu konzentrieren (evtl.
auch: ihre Augen auszurichten),
wie der Mann, der am Trapez hängt –
dessen Sturz Befriedigung bringt.
Sie beglückwünschen einander
zu ihrer einzigartigen und
bewundernswerten Tat,
That their begrudged money bought
 
to sow the monkey’s seed.
And the yellow soft mountains
they grow very still
witness as intrusion the humanoid thrill.
die ihr widerwillig herausgerücktes
(eigentlich: beneidetes) Geld gekauft hat,
die Saat des Affen zu säen.
Und die gelben, weichen Berge,
sie werden wieder ruhig,
empfinden die humanoide Erregung als
Aufdringlichkeit (Eindringen, Eingriff).
1 Lunar excursion module: Mondfahrzeug

Wie ich Dir bereits schrieb: Es ist grundsätzlich schwer, den Text ins Deutsche zu übertragen, zumal es sich dabei auch um Reime handelt, die in der Übersetzung entfallen sind ( dim – sin / lie – die / you – two / still – thrill usw.). Und wie auch geschrieben: Es ist eine offensichtliche Kritik an dem Raumfahrtprogramm Richtung Mond. Die Menschheit wird hier u.a. zu Affen, die mit ihrem Geld die ‚Saat’ (z.B. die menschlichen Errungenschaften) auch über die Erde hinaus (hier eben zum Mond) zu verstreuen bemüht ist. Auf der Erde die gaffende Masse, wie diese vor dem Fernsehen sitzt und das ganze beobachtet. Es könnten auch die Leute im Kontrollzentrum sein, die sich einander zu dieser so einzigartigen Tat beglückwünschen.

Und es beschreibt auch die Sicht von Michael Collins, z.B. wie er mit Tränen in den Augen zugucken muss, wie sich die beiden anderen Astronauten auf dem Weg Richtung Mond machen.

Am Schluss, als die Astronauten den Mond wieder verlassen, finden die gelben, weichen Berge des Mondes wieder Ruhe – trotz des Eindringens der Menschen und all ihrer Aufgeregtheit.

Gut, einige Zeilen sind weiterhin etwas unverständlich: And the blind and lusty lovers … – aber auch darin würde ich die Menschheit sehen (oder deren Repräsentanten bei der NASA), die eben blind für mögliche Folgen nur ihre Ziele verfolgen.

Soviel zu diesem Text und soviel für heute.
Man liest sich weiterhin

Bis dann
Wilfried

P.S. Bin eben über laufi.de auf das Horrorskop Horoskop von Ian Anderson gestossen. Naja, wem es gefällt und wer damit etwas anfangen kann?!

08.01.2007

English Translation for Ian Anderson