Jethro Tull eine reine Rockband? Mitnichten, wie wir wissen. Nicht nur, dass Masterhead Ian Anderson in seinen Stücken immer wieder selbst auf klassische Musik zurückgreift, nein, bekannt wurde er und seine Band mit einem Stück aus der Hand von Johann Sebastian Bach. Aus der Suite e-Moll BWV 996, einem Werk für die Laute, arrangierte Ian Anderson den 4. von 5 Sätzen (Bourrée e-Moll) neu für Querflöte: Bourrée von Jethro Tull ging so in die Rockgeschichte ein.
Damit war Bach aber noch lange nicht zu den Akten gelegt. Anlässlich des 300. Geburtstages von Johann Sebastian Bach trat Ian Anderson & Co. am 16.03.1985 in Berlin im International Congress Centrum auf: Bach-Rock und spielte dort auch Bach’s Double Violin Concerto – außerdem gab es David Palmers Elegy (… a piece in a Bachian style – wie Anderson es nannte).
Am 31.07.76 hatten die Jungs von Jethro Tull einen Auftritt im Tampa Stadium in Florida, von dem es einen exzellenten Video-Mitschnitt gibt: Tullavision. Hier stellte die Band u.a. eine eigenwillige Interpretation von Beethovens Neunter auf die Bühne: Jethro Tull: Beethoven’s Ninth
Weitere Rückgriffe gab auf es dann auch später, u.a. am 8. Dezember 2004 mit „Pavane“ in fis-moll (F-sharp minor), Opus # 50, einer Komposition für Orchester und optional für einen Chor – 1887 von dem französischen Komponisten Gabriel Fauré geschrieben – hier gespielt von Ian Anderson samt Band mit dem Orchester der Neuen Philharmonie Frankfurt im Rosengarten Mannheim: Ian Anderson & Orchestra: Pavane of Gabriel Fauré
Ein Stück von Jethro Tull darf ich allerdings nicht vergessen: „By kind permission of“, das Klaviersolo von John Evan, das u.a. auf dem 1972 erschienen Album „Living in the Past“ erschienen ist und bereit im November 1970 live in der Carnegie Hall von New York City aufgenommen wurde. Hierzu habe ich mich in einem früheren Beitrag einmal kurz geäußert: Was ist bloß mit Ian los? Teil 85: Intelligenz & Plagiate:
Auch Herrn Anderson selbst hätte man jahrelang des Plagiats beschuldigen können, steht bei Bourree auf früheren Scheiben immer der Name Ian Anderson allein; erst sehr spät finden wir neben seinem Namen auch den von J.S. Bach. Aber da habe ich noch ein weiteres Beispiel: „By kind permission of“, das Klaviersolo von John Evan (meist mit „With you there to help me“ gespielt so wie bei dieser Live-Aufnahme im altehrwürdigen Beatclub [leider bei YouTube nicht mehr verfügbar]). Mit wessen freundlicher Genehmigung spielt er denn da wohl. Ich bin kein großer Klassikkenner, aber angeblich soll das Rachmaninov sein, dessen Prélude in Cis-moll opus 32 oder so. Und dank youtube, was finde ich da, genau Rachmaninov, wenn es auch Opus 3 Nr. 2 ist. Evan hat eindeutig bei Rachmaninov geklaut.
Aber was hat das alles nun mit einem der beliebtesten Tull-Stücke: Heavy Horses zu tun?
Ein Kommentar von jevicci auf meinem Channel bei YouTube ließ mich aufhorchen:
Does anyone know if they intentionally based the verse melody on Dvorak’s „Humoresque“ as some kind of homage or something?
Was jevicci meint, ist Antonín Dvoráks Humoreske – op. 101.7 in Ges-Dur für Klavier (The Humoresque No 7 in G Flat Major). Das Hauptthema dieses kurzen Stückes kennen eigentlich alle, auch die, die mit Klassik nicht viel am Hut haben: Irgendwann hat es jeder schon einmal gehört. Mittendrin ist nun ein zweites Thema (im nachfolgenden Video von 1:18 bis ca. 2:00 zu hören). Wer nun wiederum das Heavy Horses-Video sieht und hört (so ca. ab 3:20), wird aufhorchen. Hab ich das nicht eben schon einmal gehört?
Dvorak: Humoresque
Um es gleich zu sagen: Ian Anderson kann man keinen Vorwurf des Plagiats machen. Sicherlich wird Ian Anderson Dvoráks Stück damals beim Komponieren gekannt haben. Vielleicht stimmt sogar jeviccis Vermutung, dass Anderson an eine Hommage zugunsten von Dvorák gedacht hat (ich vermute aber eher nicht). Interessant finde ich diese ‚musikalische Angleichung’ allemal. Hier noch einmal beide ‚Ausschnitte’ noch einmal aneinandergereiht zum näheren Vergleich:
Heavy Humoresque?
Heutemorgen, 10.10.17 / ca. 7.07 h (s. Playlist) auf Klassikradio eine Orchesterfassung von Dvoraks Humoreske gehört – und mittendrin taucht ‚Heavy Horses‘ auf! Ein bisschen recherchiert, und da finde ich , daß andere diesen ‚Kunstraub‘ auch schon bemerkt haben.
Alles schon mal dagewesene!
V. Kötter