Ein Jahr nach ihrem Album Secret Secrets (1985) erschien 1986 Sleight of Hand, das zehnte Studioalbum von Joan Armatrading.
Sleight of Hand war die erste Scheibe, die in ihrem eigenen, den Bumpkin Studios, einem Studio mit einem 24-Spur-Aufnahmegerät, aufgenommen wurde – und die sie nicht nur selbst komponierte, sondern auch produzierte. Lediglich das Abmischen der Tracks überließ sie dann Steve Lillywhite, dem Produzenten ihrer Alben Walk Under Ladders und The Key. Wie schon zuvor, so gab es auch jetzt wieder einigen Ärger mit ihrer Plattenfirma A & M Records, denen das Album nicht kommerziell genug erschien. Am Ende erreichte es aber Platz 34 der UK Album Charts und Platz 70 in den USA.
Trackliste des Albums:
(alle Lieder wurden von Joan Armatrading komponiert, arrangiert und produziert)
1. “ Kind Words (And A Real Good Heart)“ – 3:46
2. „Killing Time“ – 3:54
3. „Reach Out“ – 4:15
4. „Angel Man“ – 3:41
5. „Laurel and the Rose“ – 3:46
6. „One More Chance“ – 5:14
7. „Russian Roulette“ – 4:33
8. „Jesse“ – 3:26
9. „Figure of Speech“ – 3:25
10. „Don Juan“ – 5:14
Auch dieses Album ist in meinen Augen (und Ohren) reichlich ‚überproduziert’. Weniger wäre mehr. Oft nervt ein eintöniger, zu sehr im Vordergrund stehender Bass. Und die Keyboards sind mir besonders in den ersten Stücken zu schrill. Aber das ist sicherlich Geschmackssache – und auch in diesem Fall der damaligen Zeit geschuldet.
Das Album beginnt mit einem eigentlich ganz guten Stück, das aber für mich zu disco-mäßig vorgetragen wird. Es erschien auch als Single und erreichte Platz 81 in den UK Singles Chart bzw. sogar Platz 37 in den US Billboard Mainstream Rock Chart:
Joan Armatrading – Kind Words (And A Real Good Heart)
„Killing Time“ nervt mich auch ziemlich durch das Keybord-Gedröhne und einen Bass aus der ‚Retorte’:
Joan Armatrading – Killing Time
„Reach Out“ wurde ebenfalls als Single veröffentlicht. Das Lied verweist nach Aussage von Joan Armatrading auf die Motown-Hitsingle „Reach Out I’ll Be There“ der Four Tops aus dem Jahr 1967. Das Lied von Joan swingt durch das knackige Gitarrenspiel und einem schönen Saxophon-Solo. Hier eine sehr seltene Aufnahme, die anlässlich einer Rock Gala zugunsten des The Prince’s Trust von Prinz Charles 1986 aufgenommen wurde, bei der 1982 bereits Jethro Tull aufgetreten war (mehr dazu in meinem Beitrag Illustre musikalische Gesellschaft). Hier präsentiert sich Joan u.a. mit Rockgrößen wie Eric Clapton, Mark Knopfler, Elton John und Phil Collins. Das ganze Konzert gibt es in leider minderer Qualität bei Youtube zu sehen und zu hören:
Joan Armatrading: Reach Out (1986)
Die Idee zum vierte Lied „Angelman“ kam ihr durch ein Drehbuch, das Joan zugesandt wurde und durch die Tatsache, dass ihr jüngerer Bruder, der Schauspieler Tony, in der TV-Serie „Angels“ mitspielte (Tony ist auch in einer Nebenrole als Security-Mann in dem Spielfilm Notting Hill zu sehen). Ich finde das Lied etwas sehr theatralisch. Es klingt mir irgendwie sehr nach Jennifer Rush und ist eine Mischung aus Disco und New Wave. Auch hier stört mich der etwas ‚stumpfe’ Bass.
Es folgt ein langsames Stück: „Laurel and the Rose“, das ganz okay ist. Hörenswert ist der kurze Mundharmonika-Part (gespielt von Joan). Äußerst dramatisch geht es dann weiter mit „One More Chance“, das mich im mittleren Teil an den Obertongesang eines Michael Jackson oder gar Prince erinnert. Hörenswert sind hier auf jeden Fall das Saxophonsolo in der Mitte und das Gitarrensolo am Ende des Liedes.
Bei „Russian Roulette“ passt der Bass. Auch das Schlagzeug klingt, wie es nach meinem Geschmack sein soll: Ein hörenswert rockiges Stück. Und die gesanglichen ‚Triller’ erinnern mich etwas an Nina Hagen.
„Jesse“ ist ein langsames Stück mit Chor-Geträller, nichts wirklich Aufregendes. Joan Armatrading mochte das Lied wohl nicht besonders. Es erschien ebenfalls als Single mit „The River’s on Fire“ auf der B-Seite, ein Lied das nicht auf diesem Album erschien (und das ich bis heute noch nicht gehört habe).
Joan Armatrading – Jesse (You can do magic)
In „Figure of Speech” wird der Walgesang nachempfunden. Auch dieses Lied hat ein wenig zuviel Dramatik, kommt dabei aber nicht so richtig in die Gänge.
Und wieder ist auch auf diesem Album das letzte Lied ein langsames: „Don Juan“. So ganz war wohl selbst Joan Armatrading mit diesem Album nicht zufrieden. Dieses letzte Lied war dann auch ihr Lieblingslied von dieser Scheibe, wohl weil es romantisch, ein schönes,
sentimentales Liebeslied ist („romantic … a nice, soppy love song … and I like that“). Ja, etwas schnulzig ist es schon …
Mit “Sleight of Hand” endet für mich Joan Armatradings zweite musikalische Schaffensphase (zu der Übersicht der vier ‚Perioden’ siehe meinen Beitrag Joan Armatrading: If Women Ruled The World), die mit Me Myself I im Jahr 1980 begann, also im Wesentlichen die 80-er Jahre umfasste. Joan hatte mit A & M Records eine Plattenfirma gefunden, die sicherlich ihr Können früh erkannte, die aber auch auf kommerziellen Erfolg aus war. So waren Konflikte vorprogrammiert. Ohne Zweifel erzielte Joan Armatrading Erfolge mit ihren Alben und Singles in dieser Zeit. Aber der ganz große Durchbruch blieb aus. Dafür war und ist sie musikalisch einfach zu individuell, um im Mainstream mitschwimmen zu wollen.
Die 80-er Jahre waren geprägt vom Stil des New Wave, der zwischen Synthie-Pop- und Electro-Wave einerseits und der New-Romantic-Bewegung andererseits hin- und herschwappte. Analog entwickelte sich in Deutschland in dieser Zeit die Neue Deutsche Welle. Um Erfolg zu haben, musste man also auf dieser ‚Welle’ mitschwimmen. Jethro Tull und voran ihr Masterhead Ian Anderson beschäftigte sich zu dieser Zeit auch mit Elektronik, siehe hierzu z.B. Andersons Soloalbum Walk into Light (1983). Und irgendwie war es geradezu zwangsläufig, dass sich auch Joan Armatrading dem Zeitgeist ergab.
Ich muss gestehen, dass die 80-er Jahre an mir mehr oder weniger vorbeigerauscht sind. Es gab für mich nichts Neues zu entdecken. Punk und New Wave ließen sich zwar hören, interessierte mich aber nicht weiter. Außerdem hatte ich anderes genug um die Ohren (sic!). Ich kaufte mir fast schon aus reiner Gewohnheit die Platten meiner Lieblinge (dazu gehörte nun einmal neben Jethro Tull auch Joan Armatrading), hörte in die Scheiben hinein, um sie bald wieder wegzulegen. Erst viel später (und jetzt wieder in den letzten Wochen) habe ich mich ausführlicher mit der damaligen Musik beschäftigt. Weggelegt habe ich die Platten damals, weil sie mich enttäuschten. Und diese Enttäuschung ist nicht gewichen.
Joan Armatradings zweite musikalische Schaffensphase ist für mich bis heute also enttäuschend. Mit Beginn der 80-er Jahre verlor sie zum großen Teil ihre Ursprünglichkeit. Natürlich blieb immer noch ein ‚Rest’. Immer noch gab es zwei, drei Lieder, die weniger dem Zeitgeist als ihrer ureigenen Kreativität geschuldet waren. So kann man die fünf Alben der 2. Phase auf maximal zwei Scheiben reduzieren und hat dann noch etwas übrig, was sich dann mit dem 11. Album gottlob fortsetzte: Die Rückkehr zu ihren Wurzeln. Aber dazu später mehr. Ich habe in den letzten Wochen, gar Monaten genügend Joan Armatrading gehört. All die Scheiben mehrmals und immer wieder. Jetzt wird es Zeit, einmal etwas anderem zu lauschen. Nein, Jethro Tull wird das bestimmt NICHT sein.