Was ist bloß mit Ian los? Teil 71: Stolze Maria in schmutziger, alter Stadt

Hallo Ihr Lieben,

vielen Dank für die Komplimente zu meinen unvorstellbaren Link-Künsten. So ganz langsam komme ich im 21. Jahrhundert an. Ich gestehe, dass ich mich zwischen zwei IT-Profis manchmal klein und hilflos fühle. Aber dank Wilfrieds geduldiger und effektiver Nachhilfe kann ich die schlimmsten Lücken schließen.

Zum Verhältnis von Abba und CCR (ich glaube, es gibt nicht viele Foren, in denen diese beiden Namen in einem Satz genannt werden):
In meiner letzten mail wollte ich ausdrücken, dass ich es mir nicht vorstellen kann, ein CCR-Lied von den Abba-Damen gesungen zu hören. Das liegt aber allein an meiner schon sprichwörtlichen Unmusikalität und nicht daran, dass es musiktechnisch unmöglich wäre. Ich habe ganz einfach zu wenig musikalische Vorstellungskraft. Das Abba-Cover vom „Midnight Special“ klingt vollkommen nach Abba. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es aus der Feder von jemand anderem stammen könnte. Mit dieser Coverversion ist meine unzureichende Phantasie in musikalischen Fragen unwiderlegbar bewiesen.

Liebe Kretakatze, ich muss zugeben, dass ich Deinen vorangegangenen Beitrag über die Parallelen zwischen Mr. Anderson und Mr. Fogerty gründlich missverstanden habe. Ich habe aus Deinen Zeilen das herausgelesen, was ich herauslesen wollte. Du wirst bei mir noch häufiger den Hang zur selektiven Wahrnehmung und kognitiver Dissonanz feststellen müssen. Also, vielen Dank für die Richtigstellung !

Deine Frage, warum Fogerty-Fans so zufrieden mit ihrem Star sind, während Anderson-Fans ganze Bücher mit ihren Lamentis füllen können, finde ich sehr interessant. Fast ein Sinnfrage, gerade für JT-Fans. Hätte ich mich also als junger Mensch für CCR begeistert, so wäre ich jetzt ein zufriedener Mann. Aber das klappte damals nicht und es klappt heute nicht. Wie gesagt, die Musik von Mr. Fogerty ist für mich ok, mehr aber auch nicht. Trotz aller Enttäuschungen der letzten Jahrzehnte habe ich meinen Status als selektiven JT-Fan nie bereut. Es reicht schon, mir einige der alten Tull-Platten anzuhören, um zu wissen, dass ich auf der richtigen Seite stehe.

Zurück zu Deiner Frage: Möglicherweise kennen wir die Antwort. Es ist die Beständigkeit, die die Fogerty-Fans bei der Stange hält. Er ist für seine Fans eine feste und berechenbare Größe. Eine Konstante in ihrem Leben. Der Fels in der Brandung des Zeitgeistes. Etwas, woran man sich klammern kann in Zeiten der Veränderungen und Umbrüche. Er ist jemand, der die Brücke zur guten alten Zeit schlägt, in der bekanntlich alles besser war. Er ist fleischgewordene Nostalgie, ein Bollwerk gegen eine nicht immer lustige Gegenwart und eine ungewisse Zukunft. Im krassen Unterschied dazu hat der aktuelle Mr. Anderson außer seinem Namen nichts, was mich an seine ruhmreichen Zeiten erinnert. Er ist ein anderer geworden. In Aussehen, Stimme, musikalischer Orientierung. Dein Bild der Metamorphosen passt hier sehr gut. Leider.

Abrupter Themenwechsel: Wenn man ein Bild der irischen Folklore zeichnen möchte, sollte man sich nicht zu lange bei den Dubliners aufhalten. Sie sind möglicherweise die populärsten Vertreter dieser Musik jenseits der Insel, aber bestimmt nicht die Besten. Ich möchte dem geneigten Leser an dieser Stelle eine weitere Formation vorstellen: Die Pogues spielten eine gefällige Mischung aus Folk, Rockabilly und Punk. Dabei interpretieren sie Traditionals ebenso wie eigene Werke. Die Pogues zähle ich ebenso wie die Dubliners nicht zu den Archetypen der irischen Folklore, aber sie machen deutlich, wie weit sich dieser Begriff dehnen läßt. Genialer Frontmann der Pogues war Shane McGowan, an dessen Alkoholsucht die Gruppe zerbrochen ist. McGowan ist vielleicht der hässlichste Mann, der jemals freiwillig eine Bühne betreten hat, aber auch das hat einen enormen Wiedererkennungswert. Neben Jethro Tull sind die Pogues für mich die Allergrößten !

Dass Jethro Tull – Fans hochintelligente, gebildete, sprachlich und musikalisch interessierte Intellektuelle mit hohen Qualitätsansprüchen sind, habe ich schon lange geahnt. Nach der letzten mail von Kretakatze wird es zur Gewissheit.

Das Faible für Kate Bush haben wir Drei gemeinsam. Vor einiger Zeit haben Wilfried und ich einige Gedanken zu dieser einzigartigen Künstlerin ausgetauscht. Gerade habe ich mir ihr Video zu Room for the Live noch einmal angeschaut. Ich bin jedesmal hin und weg. Ich habe noch nie einen Bühnendarbietung mit einer stärkeren femininen Austrahlung gesehen als diesen Auftrittt. Mrs. Bush verkörpert hier alles, was eine Frau ausmacht. Vielleicht haltet Ihr mich für einen Macho, aber das Risiko gehe ich ein. Wenn ich einem geschlechtlosen Außerirdischen erklären müsste, was eine Frau ist, würde ich ihm dieses Video zeigen. Kate Bush kenne ich seit ihrem Wuthering Hights, also seit 1978, und damit länger als JT, auf die ich erst später gestoßen bin.

1978 war ich zarte 15 und Ihr müsst Euch klar machen, welche Wirkung dieses Lied auf einen pubertierenden Jüngling haben kann. Irgendwie, wenn auch auf eine andere Art, stehe ich heute noch in ihrem Bann. Wenn ich abends im Bett liege und lese, höre ich dazu oft ihr letztes Album „Aerial“. Sie hat wirklich nichts von ihrer Faszination verloren.

Liebe Kretakatze, es würde mich interessieren, was Du zu Mrs. Bush zu sagen hast.

Das war es von meiner Seite für heute.
Es grüßt Euch herzlich
Lockwood

07.06.2007

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Hi Mädel(s) und Jung(s),

zunächst zu John Fogerty und dem Lied „Proud Mary“. Leider muss ich Dich enttäuschen, Kretakatze, aber bei dem Lied habe ich vor vielen Jahren in der Band lediglich Bass-Gitarre gespielt … und beim Chorus mitgebrummt: Rrrrroollin’, rrrroollin’, rrrroollin’ on the river. Und irgendwie kam dann noch ein Gezirpe a la doo-up-doo-doo-doo (oder so) ab dem Mittelteil hinzu.

Ich habe in den Tiefen meines Archivs geforscht und habe tatsächlich eine Aufnahme auf Kassette gefunden (ich habe zwar noch Tonbänder mit besserer Qualität, aber ohne funktionierendes Tonbandgerät nützen die mir nicht viel). Hier also die legendäre Gruppe Black Out mit „Proud Mary“ (Gesang übrigens von meinem Bruder mit seiner damaligen Frau):

Zur Ergänzung hier eine Version von Ike & Tina Turner-Proud Mary Live 1974.

Durch Lockwoods viele Links zu den Dubliners bin ich auf das folgendes Video bei youtube gestoßen: The Dubliners (Luke Kelly) – Dirty Old Town. Auch das Stück hatten wir gecovert – und mich dazu sogar als Sänger. Und damit sich der Kreis (fast) schließt: Wir kannten das Lied in einer Version von Rod Stewart und der ist bekanntlich Schotte. Ich habe lange überlegt, ob ich es euch wirklich antun soll (Proud Mary sollte für heute eigentlich genug sein). Die Aufnahme ist ziemlich bescheiden und meine Stimme belegt wie ein vielschichtiges Sandwich. Ich habe wenigstens noch die Höhen etwas herausgekitzelt … Nun, denn, ich denke, Ihr wollt es nicht anders: Hier also nochmals Black Out, diesmal mit „Dirty Old Town“:

Jetzt aber bitte keinen zu stürmischen Beifall. Dafür noch etwas zu John Fogerty. Der kommt Anfang Juli (wohl der 3.) tatsächlich nach Hamburg und gibt dort (fast könnte ich hier schreiben) im Stadtpark ein Open-Air-Konzert. Und da treten eigentlich nur die (fast) ganz Großen auf (okay, Jethro Tull ist 2001 und 2003 auch im Stadtpark aufgetreten).

Zum Thema Folklore im Allgemeinem: Sicherlich kannst Du, Kretakatze, nicht viel zur deutschen Folklore, speziell zum deutschen Volkslied, sagen; aber zur griechischen Folklore hast Du doch schon vieles beigetragen, wie anders lassen sich die griechischen Tänze deuten, wenn nicht als Volkstanz. Und Lockwood ist ja jetzt bemüht, uns die irische ‚Volksmusik’ Stück für Stück näher zu bringen. Vielen Dank dafür. Mit der einen oder anderen Ergänzung aus der schottischen Ecke (Irland und Schottland haben viele gemeinsame Wurzeln) kann ich dann vielleicht auch aufwarten.

Ich möchte noch einmal kurz auf das Wort ‚Volkslied’ zurückkommen. Der gute Herder hat den Begriff ja geprägt und die englische Bezeichnung ‚popular song’ hiermit übersetzt. Wir gehören einer Generation an, die noch oft die Begriffe Pop- und Rock-Musik benutzt. Von Pop-Musik spricht heute fast keiner mehr. Und Rock-Musik beinhaltet so viele Schublädchen, dass man darüber schnell den Überblick verliert. Nun ‚Pop’ kommt von englisch ‚popular’ und wird meist im Sinne von populär (bekannt, gängig, beliebt) benutzt. Der begriffliche Zusammenhang mit ‚Volk’ ist dabei verloren gegangen.

Kurz zum Technischen, das mit den Standbildern aus den youtube-Videos: Die Videos können ja angehalten werden, dann macht man eine Hardcopy (des Bildschirms – unter Windows mit der Druck-Taste), fügt das Bild in ein Grafik-Programm ein und bearbeitet es dort (z.B. Ausschneiden). Leider klappt das nicht mit allen Videoformaten (z.B. nicht bei RealMedia). Da benötigt man meist schon Videobearbeitungsprogramme usw.

Ich bin im Internet über diverse Listen der ‘100 greatest guitar solos’ gestolpert und habe mir auch schon viele der Liedchen angehört. Martin Barres Solo auf ‚Aqualung’ findet dabei die entsprechende Würdigung (einmal Platz 25, ein anderes Mal sogar Platz 9). Dem stimme ich gern zu. Es ist allerdings auch vieles dabei, bei dem ich mich frage, was diese Lieder/Soli hier zu suchen haben. Da würde ich Creedence Clearwater Revival mit I Put A Spell On You durchaus eine Chance geben, sich zu platzieren. Und natürlich fehlen mir Gitarristen, die ich für hervorragend halte. Ich weiß, dass das wieder ein neues Thema ist. Ich werde mich vielleicht in einem eigenen Beitrag dazu äußern. Mich würde nur interessieren, welche Gitarristen ihr gut findet (vom guten Martin einmal abgesehen – wer würde ihn als Tull-Fan nicht in den Gitarrenhimmel heben wollen).

Soll von meiner Seite her heute reichen. Wenn ich mich die nächsten Tage etwas rar mache: Wir haben Besuch von den sizilianischen Freunden meiner Frau, die für eine Woche ihre alte Heimat besuchen (ich hatte sie früher einmal erwähnt). Hoffentlich bleibt das Wetter einigermaßen. Und Lockwood, mein Sohn ist dieser Tage in Köln, ja, Kirchentag und so. Von dort sind es ja nur noch rund 80 km bis zu Dir.

Ansonsten schon heute ein schönes Wochenende.
Viele Grüße
Wilfried

P.S. Wir müssen etwas auf unseren Lockwood achten. Vor lauter Linkerei findet er jetzt auch kaum noch den nötigen Schlaf (ach nein, der konnte ja heute ausschlafen, denn er hatte einen Feiertag, Fronleichnam – du auch, Kretakatze? Ich durfte heute arbeiten!)

P.P.S. Dass sich Herr Anderson selbst die Haare färbt, bezweifle ich. Wozu hat er seine Frau? Nein, im Ernst, ich kenne keinen Mann, der sich selbst die Haare färbt, wenn er sie sich färbt. Und die Prominenz lässt sich die Haare von ‚seinem’ Friseur färben. Daher gibt es neben Bank- und Steuer- ja auch das Friseurgeheimnis (siehe Gerdi Schröder, dessen Friseur nach Sibirien verbannt wurde, nachdem dieser gegen jenes verstoßen hatte).

P.P.P.S. Ist ja nun wirklich kein Witz: Ich habe Lockwoods neueste Mail zwar auf der Arbeit gelesen, aber noch nicht die Links ‚gelüftet’. Und was kommt mir da jetzt entgegen: Dirty Old Town von den Pogues (nur zur Klärung des zeitlichen Zusammenhangs: Gestern hatte ich meine alten Aufnahmen eingespielt und auch schon mit dieser Mail begonnen …) Zu den Pogues später wohl etwas mehr. Irgendwie klingt da einiges nach Tom Waits.

07.06.2007

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Hallo Ihr Lieben!

Lieber Lockwood, Du solltest Dein Licht nicht so unter den Scheffel stellen. Außerdem – wir alle neigen zu selektiver Wahrnehmung, und ich kann verstehen, wenn nicht jeder sofort meinen wilden Phantasien folgen kann. Was ich mit „wilden Phantasien“ meine, wirst Du wahrscheinlich an meinem heutigen Beitrag noch erkennen. Deinen Ausführungen betreffend der Frage, warum Fogerty-Fans zufrieden sind und Anderson-Fans nicht, habe ich nichts hinzuzufügen – sie waren schlüssig und umfassend! Trotzdem gibt es von mir heute noch einmal einen Beitrag „volle-Kanne-Fogerty“ (sorry!), aber ich denke, das war dann der letzte in dem Umfang. Zu Deinen Videos und Kate Bush komme ich nächstes Mal, dafür muss ich mir noch ein bißchen Zeit lassen. Und was Abba und CCR betrifft – ich glaube, dass die beiden Gruppen sich musikalisch wesentlich näher sind als Abba und Jethro Tull oder CCR und Jethro Tull.

Manche Dinge erkennt man besser, wenn man sie vor einem kontrastfarbigen Hintergrund betrachtet, und deshalb werde ich jetzt – wie bereits erwähnt – noch einmal Mr. Fogerty bemühen und dabei auch noch tiefenpsychologisch werden. Es wurde hier schon angesprochen, dass ein Grund für den sehr unterschiedlichen Stil – betreffend Musik, Kleidung, Auftreten, eigentlich alles – der Herren Anderson und Fogerty die Tatsache ist, dass der Eine sehr schottisch-britisch und der Andere sehr amerikanisch ist. Ich glaube, das ist erst die Hälfte der Wahrheit. Die andere Hälfte ist im unterschiedlichen familieren und gesellschaftlichen Background der beiden Musiker zu suchen.

Ian Anderson singt „I come down from the upper class … my father was a man of power…“. Auch wenn er sich anschließend damit brüstet, seinen Vater „zurechtgestaucht“ zu haben, schwingt da doch Bewunderung mit und bestimmt der Wunsch, ihm in diesem Punkte nicht nachzustehen.

Anderson hat schon immer ein gewisser elitärer Anspruch angehaftet. In einem Interview ist es ihm wichtig zu betonen, dass er in seinen Texten versucht hat Worte zu verwenden, die sonst kaum jemand verwendet, und über Themen zu schreiben, über die noch nie ein Anderer geschrieben hat. Seine Texte sind häufig so verklausuliert, als ob sie einen Intelligenztest darstellen sollten. Seine Musik ist für höchste Ansprüche konzipiert, sie besteht vielfach aus komplexen Melodien in komplizierten Rhythmen und ist aufwändig arrangiert. Er ist stolz darauf, auf höchstem Niveau gegen den Strom zu schwimmen und trotzdem erfolgreich zu sein. Auf simplere Gemüter schaut er gerne ein wenig herab.

John Fogerty dagegen verkündet „I’m no senator’s son … I’m no millionaire’s son … I’m no fortunate son…“. Für mich steckt da auch so etwas drin wie „I come up from the lower class“.

Der Fogerty’sche Text entstammt dem Stück Fortunate Son, das üblicherweise als Protestsong gegen den Vietnamkrieg betrachtet wird. In meinen Augen ist es eigentlich eher ein Lied gegen die Ungleichbehandlung von „upper class“ und „lower class“ in der amerikanischen Gesellschaft. Obwohl Fogerty nicht wirklich aus der „lower class“ stammt – seine Mutter war Lehrerin – hat er sich immer mit den einfachen Leuten identifiziert, wie einige seiner Songtexte beweisen. Insofern hat er auch immer nur einfache Songs für’s einfache Volk schreiben wollen. Das Prinzip seiner Musik ist entsprechend simpel: Eine einfache, eingängige Melodie, vorgetragen von einer starken Stimme. Das Ganze muss dann nur noch ein bißchen instrumentell ausgefüttert werden.

An der obigen Version von Fortunate Son (TV-Studio Playback zur Originalaufnahme von 1969) finde ich übrigens noch interessant, dass sie Zeitgeschichte dokumentiert – den Vietnamkrieg und sein Einfluß auf die Rockmusik, andererseits aber auch die Möglichkeiten der Rockmusik, sich politisches Gehör zu verschaffen. Mir ist nicht bekannt, dass Jethro Tull jemals derart politisch geworden wären, aber vielleicht wisst Ihr da mehr als ich.

Auffällig ist an dem Songtext von „Fortunate Son“ aber auch dieses wiederholte „I’m no…son“. Fogerty’s Vater verließ die Familie, als dieser noch klein war, er hat ihn nur wenig gekannt. Soweit in seinen Liedern ein „Dad“ vorkommt – und das tut er an 3 oder 4 Stellen – ist der gerade am Weggehen, oder er schickt seinen Sohn fort. Am bittersten klingt das in dem Titel Porterville

They came and took my Dad away to serve some time,
But it was me that paid the debt he left behind.
Folks said I was full of sin, because I was the next of kin.
I don’t care! I don’t care!…

Vielleicht hat er sich aufgrund des „Makels“, von einem Vater im Stich gelassen worden zu sein, dem er – nach Meinung anderer – wohl auch noch ähnlich ist, auch einfach „lower class“ gefühlt…

Und jetzt möchte ich noch einmal auf das Thema „Band oder Solo-Karriere“ zurückkommen. Ich habe ja schon einmal erwähnt, dass ich glaube Mr. Anderson wäre eigentlich von Natur aus schon immer eher ein Solo-Musiker gewesen. Nach meiner Meinung sollte das Wesen einer Band darin bestehen, dass alle Musiker gleichberechtigt im Team zusammenarbeiten. Natürlich wird immer irgend einer die Führung übernehmen, aber die Arbeit sollte so verteilt sein, dass jeder seinen Beitrag leisten und sich auch im Ergebnis wiederfinden kann. Sonst macht so eine „Teamarbeit“ keinen Spass.

Die wichtigsten Aufgaben in einer Band sind Musik und Texte zu schreiben, das (oder die) Soloinstrument(e) zu spielen und zu singen. Üblicherweise ist der Sänger fürs Publikum die Hauptperson, er ist Gesicht und Stimme der Band, auf ihn sind Augen und Kameras gerichtet, er kommuniziert mit dem Publikum. Er wird also die meiste Aufmerksamkeit bekommen, dahinter müssen die Anderen immer ein bißchen zurückstehen. Wenn aber schließlich alle wichtigen Aufgaben in einer Band praktisch nur noch von einer einzigen Person wahrgenommen werden, wie das bei Jethro Tull und CCR der Fall war (bzw. ist), dann werden die anderen Bandmitglieder schließlich zur Staffage und zur Hintergrund-Dekoration degradiert. Die Kleinarbeit in der Entwicklungsphase der Songs, wenn zusammen an den Arrangements und am Sound gefeilt wird, wird vom Publikum üblicherweise nicht wahrgenommen und auch nicht honoriert. Wer hier welchen Beitrag geleistet hat, ist im Nachhinein nicht mehr zu erkennen. Für kreative Musiker ist das auf Dauer eine ziemlich unbefriedigende Situation. In einer solchen „Band“ wird es eine hohe Fluktuationsrate geben, oder sie zerbricht ganz. Da ist es ehrlicher, Solo zu arbeiten und sich nach Bedarf die erforderlichen Musiker „einzukaufen“ wie es ja Mr. Anderson im Prinzip auch schon seit Jahren tut – nur halt immer noch unter dem Namen Jethro Tull, da der bekannter ist als sein eigener.

Ich denke in diese „Band-Karriere“ ist Anderson nur durch seine Anfänge in einer Schülerband und seine musikalischen Schulfreunde „hineingerutscht“. Natürlich hat er sich in jungen Jahren auch erst noch entwickeln müssen. Bei Gründung von Jethro Tull war vermutlich noch jedes Bandmitglied der Meinung, mehr oder minder gleichberechtigt mitarbeiten zu können. Nach und nach hat dann einer nach dem anderen gemerkt, dass sie neben Anderson keine Chance haben, und sind gegangen. Nachgerückt sind Musiker, die dann schon wußten, auf was sie sich einlassen, und die zumindest eine zeitlang bereit waren das zu akzeptieren. Da dieses System in den 70ern erfolgreich war und gut funktioniert hat, hatte Anderson auch keinen Grund auszusteigen.

Als er es nach 15 Jahren Jethro Tull dann doch versucht hat, war er in einer musikalischen Phase, die eigentlich keiner so recht hören wollte. Entsprechend war der Erfolg bescheiden. Da hat er halt Jethro Tull weitergemacht, das hat sich vermutlich allein wegen des Namens besser verkauft, auch wenn nichts anderes drin war. Aber letztendlich hat er Jethro Tull genau so betrieben, als ob er Solo wäre. Als Band in dem Sinne, wie sich das manche Fans so vorstellen und wie es in den 70ern – zumindest nach außen – auch ausgesehen hat, hätte Jethro Tull nie so lange überleben können. Wäre Anderson von Anfang an ein Solo-Musiker gewesen, wäre musikalisch vermutlich auch nichts anderes herausgekommen, es hätte nur einen anderen Namen gehabt. Um aufzutreten muss man nicht in einer Band spielen, Elton John, David Bowie und Sting treten auch auf.

Bei CCR war die Situation ganz anders, da diese Truppe einen ganz anderen Zusammenhalt hatte. Als sie 1972 endgültig auseinanderbrach, hatte John Fogerty fast die Hälfte seines Lebens in diesem fixen „Familienverband“ verbracht, er war praktisch darin aufgewachsen. Anfänglich hatte man ihn vielleicht nur mitmachen lassen, damit „der Kleine“ halt aufgeräumt ist – als großer Bruder hat man ja manchmal auch Babysitter-Pflichten. Im Laufe der Jahre hat „der Kleine“ den Rest der Gruppe dann einfach überrollt – erst war er besser an der Gitarre als Tom, dann hatte er auch noch die interessanter klingende Stimme (Tom konnte durchaus auch singen) und zum Schluss hat er auch noch die Hits geschrieben. Alle anderen Mitglieder von CCR haben auch Songs geschrieben, dabei ist aber nie ein Hit herausgekommen. Ich glaube nicht, dass es seine Absicht war die Anderen platt zu machen, es ist einfach passiert.

Als Tom 1971 ausgestiegen ist, war wahrscheinlich niemand schockierter als John. Da war nicht irgendjemand gegangen, sondern sein Bruder, und einen Bruder kann man nicht ersetzen. Deshalb blieb die Position des Rhythmus-Gitarristen bei CCR auch unbesetzt. Danach kam in über einem Jahr nur noch eine Platte heraus, zuvor hatten CCR über 3 Jahre hin alle 6 Monate ein neues Album auf den Markt geschmissen – der rote Faden war weg und die Luft war raus. John hat noch versucht was er konnte, durch Kompromisse bei der Arbeit am letzten Album (es entstand nach dem Motto: Jeder schreibt 3 Songs und die spielen wir dann…) wenigstens seine „Restfamilie“ zu retten, aber sie ist ihm unter den Fingern weggebrochen. Ich glaube ich weiß, von wem er sich in diesem Song (Hideaway – hatte ich schon einmal verlinkt – siehe Text in der Videobeschreibung) verabschiedet.

Und ich verabschiede mich jetzt auch für heute, es wird mal wieder Zeit, dass ich etwas anderes tue…


Seid gegrüßt

Kretakatze

PS.: Heute gibt’s als Nachschlag zwei Textpassagen, die eine stammt von Anderson und die andere von Fogerty. Es geht um Kindheitserinnerungen und einen Fluß:

Take me back down where cool water flows,
Let me remember things I love,
Stopping at the log where catfish bite,
Walking along the river road at night…

I walked down that boulder road,
Through a child’s eye saw places where I used to go.
Where I crawled barefoot with a fishing pole
To the rock that overlooked that steelhead hole…

Sicher habt Ihr als Experten den Anderson’schen Text sofort erkannt, aber Ihr werdet zugeben, dass der Inhalt der beiden Passagen doch ziemlich ähnlich ist. Die Links zu den Songs gibt’s dann nächstes Mal.

07.06.2007

English Translation for Ian Anderson