Archiv für den Monat: Juni 2017

Hurricane, das Tief Paul und der den Abend feiernde Busfahrer

Wenn in Scheeßel zwischen Bremen und Hamburg das Hurricane Festival stattfindet, sind Unwetter vorprogrammiert (vielleicht sollten die Veranstalter endlich einmal den Festivalnamen ändern). Mein jüngster Sohn war mit seinen Freunden bereits am Donnerstagmorgen mit einem Zug des Metronoms in Scheeßel angereist. Gut so, denn kurz vor Mittag bescherte uns das Tief Paul in Norddeutschland ein kurzes, aber heftiges Unwetter, das in der Region auf allen Strecken den Bahnverkehr zum Erliegen brachte. Vom Sturm entwurzelte Bäume waren auf Gleise und Oberleitungen gefallen. Besonders auf der Strecke von Hamburg über Buchholz nach Scheeßel ging stundenlang gar nichts mehr. Und das ausgerechnet zum Hurricane-Festival, zu dem viele Besucher mit dem metronom anreisen wollten.

    Metronom – Engagiert auch bei Stillstand

„Um die wartenden und gestrandeten Fahrgäste am späten Abend mit dem Nötigsten zu versorgen, hat metronom in Lüneburg, Uelzen und Buchholz das DRK als Unterstützung hinzugezogen. Im Rahmen ihrer gemeinsamen Kooperation hat das DRK mehr als 8.000 Fahrgäste mit Getränken, Snacks und medizinischer Ersthilfe versorgt. Für mehr als 150 Fahrgäste wurden „Hotelzüge“ bereitgestellt, so dass niemand die Nacht im Freien verbringen musste.“

„‚An vielen Bahnsteigen haben Menschen lange gewartet, ohne dass es eine hilfreiche Durchsage oder Anzeige gab.‘ Das ist doppelt ärgerlich, denn: die Ansagen am Bahnsteig oder Anzeigen an den Bahnhofstafeln kann metronom selbst nicht beeinflussen. Dies ist alleinige Aufgabe der Deutschen Bahn.“
(Quelle: der-metronom.deinzwischen wieder aus dem Netz genommen)

Nun, auch ich war natürlich am Donnerstagnachmittag von Hamburg nach Tostedt in Richtung Bremen unterwegs. Mit der S-Bahn schaffte ich es immerhin bis Hamburg-Harburg. Dort ging dann allerdings nichts mehr. Der Bahnhof war bis hin zum Bahnhofsvorplatz überfüllt mit Menschen. Anreisende zum Hurricane-Festival machten es sich gemütlich und setzten sich in mehreren Kreisen auf ihre mitgebrachten Klappstühle.

Ich versuche, ein Taxi zu bekommen. Aber da hatte ich keine Chance. Dann sah ich, dass ein Bus im Auftrag des Metronoms in den Busbahnhof einfuhr. Der Busfahrer hantierte lange Zeit mit seinem Handy, bis er endlich den wartenden Fahrgästen mitteilte, dass er jetzt Feierabend hätte. Es war gerade kurz nach 16 Uhr 30. Hunderte, nein tausende Fahrgäste warteten auf ein Weiterkommen – und der gute Mann fuhr mit leerem Bus in seinen ‚wohlverdienten‘ Feierabend! Nicht zu glauben!

Nun, Glück im Unglück: Ich lief mehrere Male einem jungen Mann über dem Weg, der auch in meine Richtung wollte und dessen Frau inzwischen unterwegs war, um ihn mit dem Auto abzuholen. Ich konnte dann mitfahren und kam so wenigstens schon einmal bis Buchholz/Nordheide, wo meine Frau mit dem Auto auf mich wartete. Mit knapp zwei Stunden Verspätung kam ich so zu Hause an.

Am nächsten Tag wollte ich morgens wie gewohnt mit dem Zug um 5 Uhr 23 ab Tostedt wieder zur Arbeit nach Hamburg fahren, musste aber feststellen, dass nicht nur ‚mein‘ Zug, sondern auch die vier nächstfolgenden Züge ausfielen. Erst der Zug um 6 Uhr 48 (und dann mit Verspätung) fuhr endlich Richtung Hamburg. Ich nahm den Tag frei, denn auf dem Heimweg musste ich damit rechnen, dass die Züge vom Hamburg nach Bremen über Scheeßel brechendvoll sein würden – eben wegen der zum Hurricane Festival Anreisenden. Später sah ich dann, dass mein Zug, mit dem ich ansonsten am Freitagnachmittag nach Hause fahre, ebenfalls gecancelt wurde.

Eine Nachbarin von mir kam erst gar nicht nach Hause am Donnerstagabend und übernachtete bei ihrer Mutter in einem Altersheim auf der Couch.

Wer wie ich jahrelang mit der Bahn als Pendler unterwegs ist, hat einiges erlebt. Aber dieser Donnerstagnachmittag (samt Freitag) war einer der absoluten Höhepunkte. Wenn man in Hamburg-Harburg auf dem Bahnsteig steht, und weder eine Durchsage (nur die automatischen Hinweise auf Raucherbereiche u.ä. – in einer solchen Situation geradezu ein Hohn!), noch eine Anzeige bekanntgibt, wie es weitergehen könnte (z.B. von wo Busse des Schienenersatzverkehrs abfahren), dann ist das eine Katastrophe. Ich war gegen 16 Uhr 30 in Harburg. Da waren bereits über vier Stunden seit der ersten Streckensperrung vergangen (die Anzeige zeigte einen Zug um 12 Uhr 07 nach Uelzen mit 90 Minuten Verspätung an). Ein Notfallplan scheint nicht zu existieren. Auch wenn die Deutsche Bahn die Verantwortung für die fehlgeschlagene Informationspolitik auf den Bahnhöfen trägt, so hat die Metronom Eisenbahngesellschaft eine gewisse Sorgfaltspflicht gegenüber IHREN Fahrgästen. Aber wie soll das gehen, wenn schon die Personaldecke für den Betrieb der Züge äußerst dünn ist. Es scheint den Metronom auch wenig zu interessieren, wenn wie in Tostedt beide Aufzüge, die zu den Bahnsteigen führen, nicht funktionieren, obwohl fahrplanmäßig nur Metronom-Züge Tostedt anfahren.

Halldór Laxness: Salka Valka

Es hat etwas gedauert, aber endlich habe ich mich durch Halldór LaxnessSalka Valka gekämpft – aus dem Isländischen von Hubert SeelowSteidl Verlag, Göttingen 2011. Der Roman erschien erstmalig 1931-1932.

„Das Mädchen Salka und ihre Mutter können froh sein, daß ihnen jemand Obdach gewährt. Auf ihrem Weg vom Nordland in die Hauptstadt sind sie in einem Fischerdorf hängengeblieben, in dem es schon genug Armut gibt. Bei dem Jungen Arnaldur lernt Salka lesen und erkämpft sich mit der Zeit den Respekt des Ortes. Jahres später wird Arnaldur zum Anführer der isländischen ‚Bolschewisten‘, die im Ort die neue Zeit herbeikämpfen- Bald ist vieles anders – aber ist es auch besser?

Halldór Laxness hat eine urwüchsige Welt im Umbruch in eindringliche Bilder gefaßt. Mit seiner Titelheldin schuf er eine zupackende und kämpferische Frauenfigur, die in der Literatur ihresgleichen sucht. Der kleine Ort am Axlarfjord ist Schauplatz eines breitangelegten Gesellschaftsromans voll starker Charaktere und widerstreitender Gefühle.“
(aus dem Klappentext)

    Halldór Laxness: Salka Valka

Mit dem Roman ‚Salka Valka‘ stand der spätere Nobelpreisträger Halldor Laxness (1902-1998) erst am Anfang seiner literarischen Entwicklung. Er ist noch keine dreißig Jahre alt, als er den Roman beendet, in dem er auf ein Motiv zurückgreift, das ihn lebenslang beschäftigt, ob in der „Islandglocke“, dem „Fischkonzert“ oder der „Atomstation“. Dies Motiv, dieser Leitgedanke heißt ganz schlicht und ganz maßlos: „Es ist so schwer, ein Mensch zu sein.“

Nichts scheint bedeutungsloser zu sein als das Fischerdorf Oseyri am Axlarfjord, eingeschlossen von Meer und Bergen. Wie die Menschen hier leben und sterben, erzählt der Autor. An diesem Ort scheint es nie schönes Wetter zu geben. Es herrschen Kirche, Heilsarmee und der Kaufmann Johann Bogesen , der als Einziger in einem prächtigen Steinhaus residiert, während die Dorfbevölkerung in feuchten Häusern aus Torfsoden lebt, durch die eisige Winde pfeifen . Bargeld hatte nur er, der reiche Arbeitgeber in Sachen Fisch und Besitzer des einzigen Ladens, wo angeschrieben wird und Almosen verteilt werden. Damit steht der ganze Ort in seiner Schuld und in Sorge, am Ende des Lebens ihm auch noch die Kosten für die eigene Beerdigung schuldig bleiben zu müssen. Bogesen, herrscht zunächst uneingeschränkt. Selbstherrlich verkündet er, dass in seinem Ort zumindest nicht der Hunger herrscht. Doch die Kindersterblichkeit ist auch hier, wie überall in Island, hoch. Das Mädchen Salvör Valgerdur (Salka Valka) und ihre Mutter Sigurlina Jonsdottir, die aus dem Norden geflohen sind, finden hier nur langsam ihre neue Heimat. Die heranwachsende Salka erkennt bald, dass sie nicht in der beste aller Welten lebt, zumal Steinthor, ihr möglicher künftiger Stiefvater, sie im Alter von elf Jahren zu missbrauchen versucht, ehe er vor der Ehe mit ihrer Mutter flieht. Steinthor taucht immer wieder im Dorf auf. Er, der alles ‚Reine und Schöne‘ in ihr zerstören will, übt trotzdem eine eigenartige, ungute Faszination auf das Mädchen aus. Zunehmend wird Salka jedoch von Arnaldur Björnsson angezogen, der sie lesen und schreiben lehrt, bevor er nach Dänemark entschwindet. Als Arnaldur nach Oseyri zurückkehrt, bringt er die Ideen des Sozialismus mit, ist vom Gedanken der russischen Revolution infiziert. Als ‚Vaterlandsverräter‘ bringen die neuen Linken beträchtliche Unruhe in den Ort. Sie gründen einen Konsumverein und organisieren Streiks. Als Salka sich schließlich mit dem Revolutionär Arnaldur einlässt, hat ihre Liebe nur begrenzt Bestand, denn im Grunde ist Arnaldur ein Intellektueller und Träumer, der die abstrakte Menschheit mehr liebt als die Dorfbewohner, die im Konsumverein herumlungern und zum Streikbrechen neigen. Arnaldur sehnt sich nach dem Traumland USA und entschwindet schließlich mit finanzieller Hilfe Salkas. Verglichen mit diesem Elfenjungen fühlt sich Salka wie ein Trollweib. Sie sagt von sich: ‚Ich bin ein Missgeschick, weil es keine Geburtenkontrolle gab.‘

Halldor Laxness war selbst ein Zeit seines Lebens ein Weltenbummler und ein Wanderer zwischen den verschiedenen Weltanschauungen. In jungen Jahren ein Anhänger des Katholizismus, wandte er sich in später sozialistischen Ideen zu und empfand die Sowjetunion als Gegenentwurf zur bestehenden Weltordnung, in der Hunger und Armut herrschten. Seine Romane sind jedoch alles andere als dogmatische Ideenbücher. Der Mikrokosmos in dem Fischerort, der in den Umbruch gerät, erweist sich als äußerst differenziert analysiert und literarisch aufregend gestaltet. Laxness‘ Geschichten sind wie das Leben nicht berechenbar, sondern stecken voller Rätsel, Es geht ihm letztlich immer um Menschen auf der Suche nach der Wahrheit in einer Welt der Lüge und Erniedrigung. Menschen werden manipuliert durch Medien und Ideologien. Der Traum von einer neuen Welt kann so schnell zum Alptraum werden, sei es durch die Diktatur des Geldes oder die Diktatur des Proletariats, die letztlich zur Diktatur der Parteibürokratie und ihrer blutigen Diktatoren wird.

Laxness hat bereits in ‚Salka Valka‘ den politischen Budenzauber mit seinem eigenen, wunderbar grotesken Humor entlarvt, im Übrigen auch die Rolle der BANKEN!
(Quelle u.a. deutschlandfunk.de)

Wie schon früher so habe ich mir eine Liste der Personen gemacht, die diesen Roman besiedeln, der in dem kleinen Fischerdorf (wie so oft bei Laxness, ein fiktiver Ort) Oseyri am Axlarfjord spielt. Der Roman besteht übrigens aus zwei Teilen.

Personen:

Erster Teil – spielt in den Jahren des 1. Weltkrieges

Salvör Valgerdur Jonsdottir (isl. Salvör Valgerður Jónsdóttir), genannt Salka
Sigurlina Jonsdottir, Salkas Mutter
Sigurlinni, Salkas Bruder

Arnaldur (im Kof) Björn(sson), genannt Alli
Herborg, ‚Tante‘ von Arnaldur und Jon

Johann Bogesen, Kaufmann
Agusta (Gusta), Tochter von Bogesen
Angantyr (Tyri), Sohn von Bogesen
Stephensen, Geschäftsführer bei Bogesen

Gudmundur Jonsson, Kadett (der Heilsarmee) und Ruderer
Kapitän Anderson (Heilsarmee)
Thordis Sugurkarlsdottir, Kadettin der Heilsarmee („Todda Trampel“)

Hallgrimur Petersson

Propst und Frau
Arzt

Steinthor Steinsson (auf Marabud), zeitweise Lebenspartner von Salkas Mutter
Steinunn, Steinthors Tante
Eyjolfur, Steinunns Mann

Sveinn Palson, Sattler u.a.
Bibba, seine Tochter

Jukki (Joakim) von Kviar

Zweiter Teil – spielt in den 20er Jahren

Magnus ‚Bucher‘ bzw. Mangi Buchbinder
Sveinbjörg, seine Frau
Pfarrer Sofonias

Beinteinn Jonsson von Krokur
Gudvör, genannt Guja, seine Tochter

Kristofer Torfdal, Führer der ‚Bolschewisten‘ in Reykjavik

Katrinus Eiriksson, Vorarbeiter bei Bogesen

Jon Jonsson, Volksschullehrer

Klaus Hanson, Präsident der Nationalbank in Reykjavik
u.a.

Mit Salka Valka hat Halldór Laxness wieder eine bemerkenswerte Frauenfigur geschaffen. Salka ist keine „positive Heldin“. Sie macht schwere Fehler, sie trifft jedoch ihre Entscheidungen aufgrund des einfachen, gesunden Menschenverstandes. Stark und ohne Angst kämpft sie auch in aussichtslosen Situationen und bewahrt sich so immer ihre Würde. Sie ist keine Siegerin, aber auch kein Opfer, wie viele andere Gestalten in Laxness‘ Romanen. Sie führt voll Stolz ihr eigenes Leben.