Es hat etwas gedauert, aber endlich habe ich mich durch Halldór Laxness‘ Salka Valka gekämpft – aus dem Isländischen von Hubert Seelow – Steidl Verlag, Göttingen 2011. Der Roman erschien erstmalig 1931-1932.
„Das Mädchen Salka und ihre Mutter können froh sein, daß ihnen jemand Obdach gewährt. Auf ihrem Weg vom Nordland in die Hauptstadt sind sie in einem Fischerdorf hängengeblieben, in dem es schon genug Armut gibt. Bei dem Jungen Arnaldur lernt Salka lesen und erkämpft sich mit der Zeit den Respekt des Ortes. Jahres später wird Arnaldur zum Anführer der isländischen ‚Bolschewisten‘, die im Ort die neue Zeit herbeikämpfen- Bald ist vieles anders – aber ist es auch besser?
Halldór Laxness hat eine urwüchsige Welt im Umbruch in eindringliche Bilder gefaßt. Mit seiner Titelheldin schuf er eine zupackende und kämpferische Frauenfigur, die in der Literatur ihresgleichen sucht. Der kleine Ort am Axlarfjord ist Schauplatz eines breitangelegten Gesellschaftsromans voll starker Charaktere und widerstreitender Gefühle.“
(aus dem Klappentext)
Mit dem Roman ‚Salka Valka‘ stand der spätere Nobelpreisträger Halldor Laxness (1902-1998) erst am Anfang seiner literarischen Entwicklung. Er ist noch keine dreißig Jahre alt, als er den Roman beendet, in dem er auf ein Motiv zurückgreift, das ihn lebenslang beschäftigt, ob in der „Islandglocke“, dem „Fischkonzert“ oder der „Atomstation“. Dies Motiv, dieser Leitgedanke heißt ganz schlicht und ganz maßlos: „Es ist so schwer, ein Mensch zu sein.“
Nichts scheint bedeutungsloser zu sein als das Fischerdorf Oseyri am Axlarfjord, eingeschlossen von Meer und Bergen. Wie die Menschen hier leben und sterben, erzählt der Autor. An diesem Ort scheint es nie schönes Wetter zu geben. Es herrschen Kirche, Heilsarmee und der Kaufmann Johann Bogesen , der als Einziger in einem prächtigen Steinhaus residiert, während die Dorfbevölkerung in feuchten Häusern aus Torfsoden lebt, durch die eisige Winde pfeifen . Bargeld hatte nur er, der reiche Arbeitgeber in Sachen Fisch und Besitzer des einzigen Ladens, wo angeschrieben wird und Almosen verteilt werden. Damit steht der ganze Ort in seiner Schuld und in Sorge, am Ende des Lebens ihm auch noch die Kosten für die eigene Beerdigung schuldig bleiben zu müssen. Bogesen, herrscht zunächst uneingeschränkt. Selbstherrlich verkündet er, dass in seinem Ort zumindest nicht der Hunger herrscht. Doch die Kindersterblichkeit ist auch hier, wie überall in Island, hoch. Das Mädchen Salvör Valgerdur (Salka Valka) und ihre Mutter Sigurlina Jonsdottir, die aus dem Norden geflohen sind, finden hier nur langsam ihre neue Heimat. Die heranwachsende Salka erkennt bald, dass sie nicht in der beste aller Welten lebt, zumal Steinthor, ihr möglicher künftiger Stiefvater, sie im Alter von elf Jahren zu missbrauchen versucht, ehe er vor der Ehe mit ihrer Mutter flieht. Steinthor taucht immer wieder im Dorf auf. Er, der alles ‚Reine und Schöne‘ in ihr zerstören will, übt trotzdem eine eigenartige, ungute Faszination auf das Mädchen aus. Zunehmend wird Salka jedoch von Arnaldur Björnsson angezogen, der sie lesen und schreiben lehrt, bevor er nach Dänemark entschwindet. Als Arnaldur nach Oseyri zurückkehrt, bringt er die Ideen des Sozialismus mit, ist vom Gedanken der russischen Revolution infiziert. Als ‚Vaterlandsverräter‘ bringen die neuen Linken beträchtliche Unruhe in den Ort. Sie gründen einen Konsumverein und organisieren Streiks. Als Salka sich schließlich mit dem Revolutionär Arnaldur einlässt, hat ihre Liebe nur begrenzt Bestand, denn im Grunde ist Arnaldur ein Intellektueller und Träumer, der die abstrakte Menschheit mehr liebt als die Dorfbewohner, die im Konsumverein herumlungern und zum Streikbrechen neigen. Arnaldur sehnt sich nach dem Traumland USA und entschwindet schließlich mit finanzieller Hilfe Salkas. Verglichen mit diesem Elfenjungen fühlt sich Salka wie ein Trollweib. Sie sagt von sich: ‚Ich bin ein Missgeschick, weil es keine Geburtenkontrolle gab.‘
Halldor Laxness war selbst ein Zeit seines Lebens ein Weltenbummler und ein Wanderer zwischen den verschiedenen Weltanschauungen. In jungen Jahren ein Anhänger des Katholizismus, wandte er sich in später sozialistischen Ideen zu und empfand die Sowjetunion als Gegenentwurf zur bestehenden Weltordnung, in der Hunger und Armut herrschten. Seine Romane sind jedoch alles andere als dogmatische Ideenbücher. Der Mikrokosmos in dem Fischerort, der in den Umbruch gerät, erweist sich als äußerst differenziert analysiert und literarisch aufregend gestaltet. Laxness‘ Geschichten sind wie das Leben nicht berechenbar, sondern stecken voller Rätsel, Es geht ihm letztlich immer um Menschen auf der Suche nach der Wahrheit in einer Welt der Lüge und Erniedrigung. Menschen werden manipuliert durch Medien und Ideologien. Der Traum von einer neuen Welt kann so schnell zum Alptraum werden, sei es durch die Diktatur des Geldes oder die Diktatur des Proletariats, die letztlich zur Diktatur der Parteibürokratie und ihrer blutigen Diktatoren wird.
Laxness hat bereits in ‚Salka Valka‘ den politischen Budenzauber mit seinem eigenen, wunderbar grotesken Humor entlarvt, im Übrigen auch die Rolle der BANKEN!
(Quelle u.a. deutschlandfunk.de)
Wie schon früher so habe ich mir eine Liste der Personen gemacht, die diesen Roman besiedeln, der in dem kleinen Fischerdorf (wie so oft bei Laxness, ein fiktiver Ort) Oseyri am Axlarfjord spielt. Der Roman besteht übrigens aus zwei Teilen.
Personen:
Erster Teil – spielt in den Jahren des 1. Weltkrieges
Salvör Valgerdur Jonsdottir (isl. Salvör Valgerður Jónsdóttir), genannt Salka
Sigurlina Jonsdottir, Salkas Mutter
Sigurlinni, Salkas Bruder
Arnaldur (im Kof) Björn(sson), genannt Alli
Herborg, ‚Tante‘ von Arnaldur und Jon
Johann Bogesen, Kaufmann
Agusta (Gusta), Tochter von Bogesen
Angantyr (Tyri), Sohn von Bogesen
Stephensen, Geschäftsführer bei Bogesen
Gudmundur Jonsson, Kadett (der Heilsarmee) und Ruderer
Kapitän Anderson (Heilsarmee)
Thordis Sugurkarlsdottir, Kadettin der Heilsarmee („Todda Trampel“)
Hallgrimur Petersson
Propst und Frau
Arzt
Steinthor Steinsson (auf Marabud), zeitweise Lebenspartner von Salkas Mutter
Steinunn, Steinthors Tante
Eyjolfur, Steinunns Mann
Sveinn Palson, Sattler u.a.
Bibba, seine Tochter
Jukki (Joakim) von Kviar
Zweiter Teil – spielt in den 20er Jahren
Magnus ‚Bucher‘ bzw. Mangi Buchbinder
Sveinbjörg, seine Frau
Pfarrer Sofonias
Beinteinn Jonsson von Krokur
Gudvör, genannt Guja, seine Tochter
Kristofer Torfdal, Führer der ‚Bolschewisten‘ in Reykjavik
Katrinus Eiriksson, Vorarbeiter bei Bogesen
Jon Jonsson, Volksschullehrer
Klaus Hanson, Präsident der Nationalbank in Reykjavik
u.a.
Mit Salka Valka hat Halldór Laxness wieder eine bemerkenswerte Frauenfigur geschaffen. Salka ist keine „positive Heldin“. Sie macht schwere Fehler, sie trifft jedoch ihre Entscheidungen aufgrund des einfachen, gesunden Menschenverstandes. Stark und ohne Angst kämpft sie auch in aussichtslosen Situationen und bewahrt sich so immer ihre Würde. Sie ist keine Siegerin, aber auch kein Opfer, wie viele andere Gestalten in Laxness‘ Romanen. Sie führt voll Stolz ihr eigenes Leben.