Was ist bloß mit Ian los? Teil 27: Playback & Die Hasengeschichte

Hallo Wilfried,

es mag Dich befremden, aber nach Deiner letzten mail hatte ich ganz einfach den Eindruck, mich rechtfertigen zu müssen.

Deine Einschätzung zum überzogenen Bombast von Pink Floyd teile ich. Zumindest was The Wall betrifft. Aber ich denke, The Wall ist für PF ebenso wenig repräsentativ wie Locomotive Breath für Jethro Tull. PF haben auch ruhigere, bescheidenere Alben herausgebracht. Ich denke da an Dark Side of the Moon oder Wish you were here. Allerdings würde ich nicht soweit gehen, mich als Pink Floyd – Fan zu bezeichnen. In meinen Augen liegt der größte Verdienst von David Gilmour darin, Kate Bush auf den Weg gebracht zu haben.

In einem Punkt bin ich wieder einmal anderer Ansicht als Du. Ich fürchte, Du unterschätzt Bohlen & Co: Leute wie diese könnten selbst Locomotive Breath noch versauen. Obwohl: So schlecht finde ich den Song gar nicht. Da hat Mr. Anderson schon ganz andere Sachen produziert…

Vielen Dank für den Link auf Elegy. Hierbei habe ich gestutzt. In Deiner mail schreibst Du „Noch-David“; die Aufnahme ist aus 2002 und liegt damit deutlich vor seiner Operation. Allerdings hatte ich bei dem Video den Eindruck, er habe den Geschlechtswechsel schon vollzogen: Andere Frisur, bartlos, geschlechtsunspezifische Kleidung (oder vielleicht ein Damen-Kostüm; konnte ich nicht genau erkennen). Vielleicht hat er diesen schweren Schritt in mehreren kleinen Schritten vollzogen: Erst eine Änderung der Physiognomie und dann erst zum Chirurgen. Wie Du schon sagtest: Eine solche Entscheidung erfordert sehr viel Mut und verdient unseren Respekt. Ob Mrs. Palmer nun besser aussieht als Mr. Palmer in der Vergangenheit, ist dabei vollkommen nebensächlich. So oder so: Mit Elegy hat er sich unsterblich gemacht. Ein hervorragendes Stück Musik. Falls ich es nicht vergesse, werde ich testamentarisch verfügen, dass dieses Lied bei meiner Beisetzung gespielt wird. Mit Querflöte natürlich.

Während ich diese mail schreibe, läuft JT – Musik von YouTube. Dort sah ich eben einen Fernsehauftritt der Gruppe aus den 70er Jahren: Solstice Bells. An dieser Stelle erfolgt nun meine obligatorische Kritik: Ich kenne keinen Profi-Musiker, der so schlecht mit Playback umgehen kann wie Mr. Anderson. Dies ist allerdings keine reine Kritik, sondern eine ambivalente Feststellung: Das Unvermögen, eine Musikdarbietung „vorzutäuschen“, spricht in meinen Augen für die Qualität des Musikers !!

Ich gebe zu, dass meine Frage nach einem repräsentativen Stück von JT nur schwer zu beantworten ist. Das kann vielleicht nicht einmal Mr. Anderson. Ich denke, das repräsentative Stück von JT gibt es nicht, gibt es von keinem Künstler. Gerade deswegen danke ich Dir für Deine Antwort. Ich beantworte diese Frage mit Heavy Horses. Erstens, weil das eines der ersten Lieder von JT ist, die ich bewusst wahrgenommen habe und zweitens, weil mir Mr. Anderson in seinem Farmer- oder Gutsherrenlook besonders gut gefällt und damit auch glaubwürdig wirkt. Jedenfalls authentischer als mit …..Aber lassen wir das !

An dieser Stelle ein Minuspunkt für Wikipedia: Über Dave Palmer ist hier nichts zu finden, wohl aber über G.G. Anderson (der nicht mit dem Meister verwandt ist !). Das ist grotesk. Dieser Zustand ist unerträglich. Falls ich genug Material zusammentragen kann, werde ich einen Artikel für Wikipedia über Mr. Palmer schreiben.

Spätestens, wenn ich die Partituren zu den JT-Liedern sehe, frage ich mich, wann und wie Mr. Anderson das alles gelernt hat. Musik gehörte doch nicht zu seiner beruflichen Ausbildung, oder ? Weißt Du mehr hierüber ?

Vor einer Minute entdeckte ich auf YouTube einen Auftritt von JT aus 1972: Thick as a Brick. Es ist die bisher älteste Version dieses Stücks, die ich gesehen habe. Die Choreographie der Anderson’schen Bewegungsabläufe ist hier noch eine Andere als 3 Jahre später. Es ist interessant zu sehen, wie sich so etwas im Laufe der Jahre entwickelt.

Bleibe anständig, so lange es irgendwie geht.
Yours tulltruly
Lockwood

25.10.2006

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Hallo Lockwood,

hat etwas gedauert, bis ich Dir endlich antworte. Vielleicht hast Du meinen Beitrag von heute gelesen. Das hat mich wirklich diese Tage lang geradezu geschafft. Da arbeitet bei uns ein junges Mädel (25 Jahre alt), wird von Arbeitsvertrag zu Arbeitsvertrag vertröstet, macht sogar ein Abendstudium mit gutem Abschluss und weil es die böse Kollegin nicht will, sitzt sie plötzlich auf der Straße. Das ist eine äußerst verwickelte Sache. Sie zeigt mir nur, wie viele Arschlöcher frei herumlaufen. Ich habe mich inzwischen an Betriebsrat und Geschäftsstellenleitung gewandt, aber ich ahne jetzt bereits, dass man sich nur herausreden wird. Am Ende ist alles vergebliche Liebesmüh, zum Kotzen eben! Da hatte Herr Anderson zunächst hinten anzustehen.

Wikipedia und Palmer – wenigstens im englischsprachigen Bereich gibt es einen kurzen Artikel: Dee Palmer. Palmer und Jethro Tull, das ist schon eine Beziehung, die man noch genauer betrachten müsste.

Anderson und Playback-Auftritte: Es gibt da die DVD „The Rolling Stones – Rock and Roll Circus“. Ein kurioses Musikdokument, wie ich finde. Da sind doch tatsächlich Ian Anderson und seine Mannen von Mick Jagger und Co. zu diesen TV-Auftritt eingeladen worden. Und so findet man plötzlich auch John Lennon zwar nicht neben, aber doch in der Nähe von Jethro Tull. Der Vortrag von „A Song for Jeffrey“ ist aber eindeutig Playback. Ich habe die DVD-Aufnahme und da sieht man es etwas besser. Da spielt Tony Iommi, der für Mick Abrahams kam, aber schon Tage darauf durch Martin Barre ersetzt wurde. Gottlob! Das Gitarrenspiel klingt aber eindeutig nach Abrahams (ist wohl das Original von dem Album „This was“). Und Glenn Cornick bläst die Mundharmonika? Was der gute Tony Iommi da auf der Klampfe herumhantiert, ist reichlich ungelenk. Andersons Bewegungen usw. laufen dagegen sehr viel synchroner mit der Musik ab. Es kann natürlich sein, dass Anderson und Mannen (außer Tony) das zuvor etwas ausführlicher geübt haben. Wenn man schon von den Stones eingeladen ist, so will man sich keine Blöße geben. Zu Deinem Beispiel „Solstice Bells“ findet man bei Laufi.de folgendes Info:

„Top Of The Pops“ (UK TV) 25.12.1976

Recht überraschend -wahrscheinlich auch für die Band- und vor allem kurzfristig schaffte es die in limitierter Auflage veröffentlichte Single „Ring Out, Solstice Bells“ Weihnachten 1976 in die UK Charts und somit auch in die Weihnachtsausgabe von „Top Of The Pops“. Das -vorerst- letzte mal, daß Jethro Tull in dieser Show dabei waren. Die Show wurde am 25.12.1976 ausgestrahlt, das genaue Datum der Aufzeichnung ist mir nicht bekannt, kann aber nur wenige Tage vorher gewesen sein.

Das lässt vermuten: Tull hatte keine Playback-Übung in dieser Zeit und der Auftritt kam kurzfristig: daher lief das nicht so wie gedacht. Grundsätzlich stimme ich Dir zu: „Das Unvermögen, eine Musikdarbietung „vorzutäuschen“, spricht in meinen Augen für die Qualität des Musikers !! “

Und recht fruchtlos ist es, wenn man zu Playbacks von alten Stücken mimen soll, Stücke, die man längst umarrangiert hat (z.B. Locomotive Breath).

Zu der Frage nach einem repräsentativen Stück von JT. Eine Gemeinsamkeit haben wir: Du empfiehlst auch ein Stück, das Du als eines der ersten Lieder von JT bewusst wahrgenommen hast.

Auch wenn Du „The Story of the Hare” nicht so besonders findest, es ist einige Jahre her, da hatte ich mich daran gesetzt, den Text zu übersetzen. Jetzt habe ich meine bescheidene Übersetzung tatsächlich wiedergefunden. Wie genau diese nun ist, habe ich nicht erneut überprüft. Ich habe zumindest versucht, ein bisschen die Sprachmelodie beizubehalten, was bekanntlich alles andere als einfach ist. Hier der Versuch:

Die Geschichte vom Hasen, der seine Brille verlor

Eule liebte es, in Ruhe zu verweilen, wenn keiner sie beobachtete. Eines Tages saß sie auf einer Hecke, war überrascht als plötzlich ein Känguru ganz dicht bei ihr vorbeirannte.

Nun das mag nicht seltsam erscheinen, aber als Eule Känguru zufällig zu sich selbst flüstern hörte: „Der Hase hat seine Brille verloren“, nun, da begann sie sich zu wundern.

Bald kam der Mond hinter einer Wolke hervor, und dort liegend im Rasen war Hase. In dem Bach, der beim Grase floss … ein Wassermolch. Und mit gespreizten Beinchen bei einem Zweige eines Busches saß … eine Biene.

Scheinbar antriebslos (regungslos) zitterte vor Erregung der Hase, ohne seine Brille schien er völlig hilflos zu sein. Wo war seine Brille? Sollte einer sie gestohlen haben? Hatte er sie verlegt? Was hatte er getan?

Die Biene wollte helfen. Und mit dem Gedanken, die Antwort zu haben, begann sie: „Du hast sie wahrscheinlich gegessen, dachtest sie wäre eine Mohrrübe.“

„Nein!“ unterbrach die Eule, sie war weise. „Ich habe gute(s) Weitsicht (Sehvermögen), Einsicht und Voraussicht. Wie kann ein intelligenter Hase solch einen dummen Fehler machen?“ Während der ganzen Zeit saß Eule mit finsterer Miene auf der Hecke.

Da Känguru musste wie wild springen: bei so einer Art von Gespräch! Sie dachte sich, was Intelligenz anbelangt weit den anderen überlegen zu sein. Sie war deren Führer, deren Guru. Sie hatte die Antwort: „Hase, du musst dich auf die Suche nach einen Optiker machen.“

Aber dann merkte sie, dass Hase völlig hilflos ohne seine Brille war. Und so verkündigte das Känguru voller Stolz: „Ich kann den Hasen zu nichts auf die Suche schicken!“

„Du kannst, Guru, du kannst!“ rief der Wassermolch. „Du kannst ihn mit der Eule schicken.“ Aber die Eule war schon schlafen gegangen.

Der Molch wusste zu viel, um sich von so einem kleinen Problem beirren zu lassen. „Du kannst ihn in den Beutelbauch nehmen.“ Aber, oh, weh, der Hase war viel zu groß, um in den Kängurubeutel zu passen.

Die ganze Zeit über war es dem Hasen ganz klar, dass die anderen nichts über Brillen wussten. Und was all ihre verlockenden Ideen betraf, so konnte sich Hase nicht darum kümmern.

Die verlorene Brille war seine eigene Angelegenheit.
Und schließlich hatte der Hase eine Ersatzbrille.

übersetzt von Willi 26.05.1977 (das ist ja schon Jahre her)

Meinem großen Sohn Jan hatte ich, als er noch klein war, das Video vorgespielt. Er fand „Die Geschichte …“ ganz witzig und wollte sie öfter wiedersehen.

youtube.com: Ist ja eine schöne Möglichkeit, etwas eigenen Webspace, wie man die Speicherkapazitäten auf einem Web-Server nennt, zu schonen. Leider ist der nicht unbegrenzt und kostet auch bisschen was. Und youtube.com hat ja auch schon einiges an sehenswerten Tull-Videos, die man dann ganz einfach in seine eigene Website einbauen und somit nutzen kann.

Hierzu – ich weiß: Die Solo-Scheiben von Anderson finden auch nicht Deinen ungeteilten Beifall. Die Musik der „Divinities“-CD eignet sich aber sehr gut z.B. für die Hintergrundmusik von Urlaubsvideos. Und so habe ich ein längeres Stück für das Urlaubsvideo Kalabrien 2001 genommen (auch hierfür habe ich jetzt youtube.com genutzt). Klingt mit den Bilder doch ganz passabel, oder?

Für heute genug. Du liest, ich lese (lebe) noch.
Bis bald

Wilfried

30.10.2006

English Translation for Ian Anderson