Was ist bloß mit Ian los? Teil 43: Mondlandung mit Shakespeare

Hallo Wilfried,

die Musikerwelt scheint in der Tat klein zu sein. Vor einigen Jahren hat mir ein Fachmann für Irish Folk die personellen Verquickungen innerhalb dieses Genres aufgezeigt. Auch hier sah es so aus, als gäbe es nur eine Handvoll Musiker, die wie Wanderpokale weitergereicht werden.

Der Unfall Deiner Schwiegermutter ist wohl noch übler als die Verbrennungen meines Sohnes. So langsam hängt mir die Böllerei wirklich zum Halse raus. Ist die größte Gefahr nach der Neujahrsnacht erst einmal vorüber, bleibt Tage danach der Dreck auf den Straßen liegen. Mit offizieller Duldung der Behörden. Wenn dieselben Behörden beobachten, wie ich eine Zigarettenkippe auf den Boden schmeiße, bin ich mit 10 € dabei. Jedenfalls wünsche ich Deiner Schwiegermutter und allen Böllergeschädigten dieser Welt gute Besserung. Möge es eine einmalige Erfahrung bleiben.

Deinen Verbesserungen in der Übersetzung der Astronautenhymne stimme ich vorbehaltlos zu. Wir sind uns darin einig, dass Übersetzungen kein leichtes Geschäft sind. Und jetzt kommt’s: Stell‘ Dir vor, Du müsstest so übersetzen, dass der deutsche Text sich reimt… Man erlebt es häufiger bei deutschen Coverversionen internationaler Songs: Lediglich das Thema des Originals bleibt erhalten, ansonsten löst der Übersetzer sich ziemlich vom Text. Ich denke, eine andere Wahl hat er auch nicht.

Deine Erklärungen zur Mondfahrerlyrik finde ich plausibel. So oder so ähnlich habe ich es mir auch zusammengereimt. Es ist ein schöner Zug von Mr. Anderson, dass er dem zurückgebliebenen Astronauten ein Lied widmet. Wie man an mir gesehen hat, ist sein Name aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden. Neil Armstrong kennt jeder, aber Michael Collins, das war doch der irische Rebell, oder ?? Es ist das Los des Zweiten; den ersten Papst könnte jeder benennen, aber wer kann aus dem Kopf sagen, wie der Zweite hieß ?

Zum Schluss noch etwas, um unserer Rubrik treu zu bleiben: Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass der Meister bei seinen Auftritten ausschließlich das linke Bein anhebt. Gestern sah ich durch Zufall in meiner Sammlung zwei Bilder, die ihn auf dem linken Bein stehend zeigen. Aber es ist wirklich die Ausnahme; wenn er auf einem Bein flötet, dann meistens auf dem Rechten.

Einen besseren Verlauf des restlichen Jahres wünscht Dir

Lockwood

08.01.2007

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Hallo Lockwood,

meine Schwiegermutter hat es wirklich schlimm getroffen. Es ist ein Trümmerbruch und wurde bereits operativ behandelt – sie hat jetzt ein künstliches Schultergelenk. So kann das kommen. Es sind oft die kleinen Rücksichtslosigkeiten, die schnell zur Gewissenlosigkeit eskalieren. Aber ich schweife schon wieder ab.

Ich war mir der Reime des Anderson’schen Textes von „For Michael Collins, Jeffrey and Me“ erst gar nicht so bewusst. Und um in einer Übersetzung Reim und vielleicht auch noch Versform zu berücksichtigen – das grenzt schon an einen Geniestreich. Solches findet man höchstens in den Übersetzungen von Shakespeare (von Schlegel, Tieck u.a.). Auch wenn ich hier wieder völlig vom Thema abkomme, so doch ein kleines Beispiel für eine solche Übersetzung (Shakespeares 1. Sonett):

Den höchsten Wesen, wünschen wir Gedeihn,
Auf daß der Rose Schönheit nie verdorrt,
Doch muß des Tods die reife Blüte sein,
So pflanz‘ ein Erbe ihr Gedächtnis fort.
Du lebst nur dir, der Schönheit Selbstgenuß,
Schürst eignen Glanz, der dich verzehrend scheint,
Schaffst Hungersnot statt reichen Uberfluß,
Grausam dir selbst gesinnt, dein eigner Feind.
Heut bist du noch der frische Schmuck der Welt,
Der einz’ge Herold für des Frühlings Reiz,
Doch wenn dein Schatz in einer Blüte fällt,
Wird zur Verschwendung, süßer Filz, dein Geiz.
Hab‘ Mitleid, birg nicht überreiche Gabe,
Der Welt Anrecht, in dir und in dem Grabe.
FROM fairest creatures we desire increase,
That thereby beauty’s rose might never die,
But as the riper should by time decease,
His tender heir might bear his memory:
But thou, contracted to thine own bright eyes,
Feed’st thy light’st flame with self-substantial fuel,
Making a famine where abundance lies,
Thyself thy foe, to thy sweet self too cruel.
Thou that art now the world’s fresh ornament
And only herald to the gaudy spring,
Within thine own bud buriest thy content
And, tender churl, makest waste in niggarding.
Pity the world, or else this glutton be,
To eat the world’s due, by the grave and thee.

Ich finde das wirklich genial. Es zeigt aber auch, dass man manche Begriffe ‚kürzen’ und andere ‚umschreiben’ muss, um überhaupt Rhythmus und Reim beizubehalten. Soweit kann das Songbook nicht gehen. Und Anderson, bei aller Liebe, ist nicht Shakespeare.

Deine Sammlung täuscht nicht: Anderson hat tatsächlich auch schon (öfter wohl) das rechte Bein gehoben. Im Internet habe ich zwei Fotos gefunden, die das belegen. Aber das sind eher ‚Ausfallschritte’, wie mir scheint. Typisch und sein Markenzeichen: Anderson steht auf dem rechten und hebt das linke Bein, wie auch grafisch immer wieder belegt.

Huiii, das falsche Bein ... So ist das richtig! Huiii, nochmals das falsche Bein ...

Wie – ich glaube – schon einmal von mir erwähnt: Auf der „Isle of Wight 1970“-DVD gibt es ein längeres Interview mit Ian Anderson. Und da äußert er sich u.a. auch zu diesem einbeinigen Flötenspiel. Das mit der zu engen Unterhosen (geäußert von Ian Anderson in der ‚ultimativen Chart-Show‘ bei RTL), die im Schritt kneift, ist bekanntlich ein Märchen. Ich habe die entsprechenden Interview-Ausschnitte herausgefischt und werde sie zusammen bei youtube.com einstellen. Ist ganz aufschlussreich und einen eigenen Beitrag wert (außerdem mit deutschen Untertiteln). Kennst Du die DVD?

Komme ich noch einmal zur Mondlandung zurück. Es war Apollo 11, die zum Mond startete und am 20. Juli 1969 die ersten beiden Menschen dort absetzte. Ich war damals noch jung an Jahren, habe aber, sicherlich im Gegensatz zu Dir, das ganze Geschehen sehr bewusst verfolgen können. Du weißt, ich bin ein Sammlertyp. Und so habe ich alte Zeitungsausschnitte von diesem Ereignis bis zum heutigen Tage aufgehoben (nur wo? Ich werde suchen müssen, wie immer in einem Vier-Personen-Haushalt). Bei mir kam noch hinzu, dass ich mit meinen damals 15 Jahren in den Tagen der Mondlandung mit meinem Vater meine Großmutter in der DDR besuchte, was schon als solches ein Ereignis besonderer Art war. So habe ich auch die Reaktion der dortigen Presse einfangen können. Durch den „For Michael Collins …“-Text bin ich wieder diesen alten Erinnerungen erlegen. Kommt wohl vom Alter her. Der Zeitraum ist auch deshalb interessant, weil ich am 6. September 1969 meine erste Tull-LP („Stand Up“) gekauft habe, also nur wenige Wochen nach der 1. bemannten Mondlandung. Das Datum kann ich mir gut merken (6.9.69) und ist mir gegenwärtiger als alle anderen Geschichtszahlen.

Aber genug von Widmungen für vereinsamte Astronauten und Mondlandungen. Bleiben wir auf der Erde. Bei cupofwonder.com las ich Folgendes zum Lied „With You There to Help Me“, das mit der rückwärts gespielten Flöte:

According to Greg Russo this song is about Jennie Franks, a secretary in Chrysalis‘ publishing department, whom Ian would marry later that year. The lyrics reflect the pressure of the heavy touring schedule and his longing for being home.

Danach beschreibt der Text seine Sehnsüchte nach dem trauten Heim mit seiner ersten Frau Jennie. Also doch eine Art Liebeslied, auch wenn Herr Anderson im oben erwähnten Interview behauptet, keine ‚klassischen’ Liebeslieder schreiben zu können. Okay, auch der folgende Text ist nicht ’klassisch’ (statt von ‚ihr’ singt er u.a. von ‚dem einen’ – ‚the ones’).

In days of peace
sweet smelling summer nights
of wine and song;
dusty pavements burning feet.
Why am I crying, I want to know.
How can I smile and make it right?
For sixty days and eighty nights
and not give in and lose the fight. (nachgeben)

I’m going back to the ones that I know,
with whom I can be what I want to be.
Just one week for the feeling to go
and with you there to help me
then it probably will. (wird es möglich sein)

I won’t go down
acting the same old play.
Give sixty days for just one night.
Don’t think I’d make it: but then I might.
I’m going back to the ones that I know,
with whom I can be what I want to be.
Just one week for the feeling to go
and with you there to help me
then it probably will.

Was die ‚rückwärts’ gespielte Flöte dieses Stückes betrifft, da bin ich mir immer noch nicht im Klaren. Ich habe beide Versionen (‚rückwärts’ gespielte Flöte des Originals und die nochmals im ‚Rückwärtsgang’ eingespielte Version – mithin müsste es die Flöte ‚vorwärts’ wiedergeben) noch einmal verglichen. Nach den Anmerkungen auf der Tull-Website stand der Meister mit dem Rücken zum Publikum. Das kann aber kaum mit ‚rückwärts’ gemeint sein. In Frage kommt auch die kontrapunktische Technik des Krebses, das Rückwärtsspielen einer Notenpassage. Ich denke mir aber, dass die Bandaufnahme des Flötenspiels einfach ‚rückwärts’ abgespielt wurde. Dafür spricht die Aussage, Anderson hätte mit ‚production techniques’ experimentiert.

Aber genug der lyrischen und musiktheoretischen Ausschweifungen. Mag dieses Jahr wahrlich besser werden als sein Anfang.

Bis demnächst
Wilfried

10.01.2007

English Translation for Ian Anderson