Nach Special Edition und Limited Edition jetzt also eine Deluxe Edition (heißt offiziell sogar A Collector’s Edition, ach, was weiß ich …). Um Begriffe ist Ian Anderson wohl nicht verlegen. Nach Aqualung (40th Anniversary Special Edition 2011) und Thick as a Brick (Special Collector’s Limited Edition 2012) war in diesem Jahr Benefit aus dem 1970 dran, um als Doppel-CD mit dem neuen Stereo Remix von Steven Wilson und außerdem auf DVD mit 5.1 Mix DTS & Dolby Digital Surround auf den Markt zu kommen: Benefit (Deluxe Edition).
Ich weiß: Viele werden es wieder für reine Geldschneiderei des Flötenmeisters halten, dass er nach und nach die alten Scheiben von Jethro Tull neu auflegt. Aber ich denke, es ist der Technik geschuldet, die uns auch als Otto Normalverbraucher ins Haus gewachsen ist. Wer die entsprechende Anlage für 5.1-Mehrton besitzt und Jethro Tull mag, den wird es freuen (natürlich ist auch der Remix auf CD in Stereo nicht zu verachten). Ansonsten spart man sich das Geld für andere hübsche Dinge.
Hier zur Erinnerung die Setlist der alten Benefit-Scheibe:
1. With You There To Help Me
2. Nothing To Say
3. Alive And Well And Living In
4. Son
5. For Michael Collins, Jeffrey And Me
6. To Cry You A Song
7. A Time For Everything?
8. Inside
9. Play In Time
10. Sossity; You’re A Woman
Fürs Geld gibt es natürlich noch etwas mehr als diese zehn Lieder. Neben der Neubearbeitung u.a. auch der Singles „Sweet Dream“ und „Teacher“ samt B-Seiten, ist eine 2. CD im Box-Set mit diversen anderen „Mischungen“ bis hin zu Mono enthalten. Vielleicht etwas zu viel des Guten. Den Allessammler und auch den Puristen wird’s aber freuen.
Zunächst etwas zur Musik als solcher. „Benefit“ fristete bis zum heutigen Tag eher ein Nischendasein. Es war die Scheibe zwischen „Stand Up“ aus dem Jahre 1969, die zum ersten Mal aufzeigte, in welche musikalische Richtung die Reise können wird, und 1971 dann „Aqualung“, die Scheibe, die Jethro Tull in aller Welt bekannt machte. Ich erinnere mich über die 43 Jahre zurück, als ich nach neuem Material aus der Feder von Ian Anderson geradezu hungerte – und dann endlich das Plattencover im Schallplattenladen entdeckte. Irgendwie hatte ich vielleicht etwas ganz anderes erwartet, als das, was ich da zu hören bekam. Und doch war ich überrascht, was die Gruppe da wieder im Studio produziert hatte.
„Benefit“ hat wie eigentlich alle Alben von Jethro Tull seinen ganz eigenen Charakter. Mir fallen heute verschiedene Begriffe im Zusammenhang mit diesem Album ein, ohne dass einer auch nur halbwegs zutreffend wäre (oder doch?). Nach den Gitarrenriffs zu urteilen, könnte man bereits dieses Album in die Schublade Hardrock verfrachten (bei amazon.de wird es hier geführt und hat es sogar in die Top 20 geschafft). Überhaupt Gitarrenriffs: Es ist ein Album der Riffs – und musikalisch erweitert gesehen – der Hooklines, also der charakteristisch eingängigen Melodiephrasen. Nach Meinung des Rezensenten des Musikmagazins Rolling Stone ist das Album „langweilig“, „lustlos und mechanisch gespielt“ und ein Ausdruck „schreiender Mittelmäßigkeit“. Ich kann das durchaus einwenig nachvollziehen, denn (und hier noch ein weiterer Begriff, der eigentlich nicht zutrifft 😉 ) ich höre eine Art Barmusik heraus, Musik, die sonst nur von einem Barpianisten in den Dunst aus Bier und Rauch (ach, nein, es darf ja nicht mehr geraucht werden) hineingeklimpert wird, ohne aufdringlich zu sein und die Gespräche zu stören, um gleichsam aber doch den Gästen den akustischen Background zu bieten, das Wohlfühlambiente, um locker und entspannt den Abend zu beginnen. So könnte man „langweilig“ und „lustlos“ auch mit locker und entspannt und „mittelmäßig“ mit unaufdringlich übersetzen. „Benefit“ also Barmusik? In gewisser Hinsicht schon (siehe Titel wie „Alive And Well And Living In“, „For Michael Collins, Jeffrey And Me“ oder „Inside“ – für mich sogar ohne Zweifel). Hinzu kommt, dass alle Stücke der Scheibe in Molltonarten gehalten sind, was bei vielen als melancholisch, traurig empfunden wird und den ’negativen‘ Charakter der Lieder verstärkt.
Wie steht es nun um dieses neue Remix. Wer nicht direkt alt und neu vergleicht, wird kaum größere Unterschiede heraushören. Das Ursprungsmaterial ist nun einmal das Gleiche. Nichts wurde neu eingespielt oder so. Ich habe mir erst einmal die CD- also Stereo-Version angehört (klar mit 5.1 hört der Vergleich auf, da stellt die räumliche Fülle – als Zuhörer befindet man sich gewissermaßen zwischen den Instrumenten – alles in den Schatten). Was mir als erstes aufgefallen ist, dass ist das Schlagzeug, das nun besser herauskommt. Die Instrumente sind insgesamt deutlicher ‚getrennt’, alles klingt auch in Stereo räumlicher, nicht so ‚gedrängt’. Das Remix wurde auch diesmal wieder von Steven Wilson bewerkstelligt, der dabei wiederum Wert auf Feinheiten legte. So hört man z.B. das Zirpen (die Flageoletttöne) der Gitarre (in „Alive and Well an Living In“), die in dem alten Mix kaum hörbar untergegangen sind. Natürlich hat so ein Remix seine Grenzen. Wäre das Ursprungsmaterial bereits digital aufgenommen worden, dann ließe sich noch mehr erreichen. Aber immerhin …
Hier einige der Stücke von „Benefit“, teilweise live, auch in unterschiedlichen Interpretationen – und (soweit von Platte) natürlich noch im alten ‚Gewand’:
Jethro Tull: With you there to help me/By Kind Permission Of … live Beatclub1970
Jethro Tull: Nothing to Say
Jethro Tull: Alive And Well And Living In
Jethro Tull: For Michael Collins, Jeffrey And Me
Jethro Tull: To Cry You a Song/A New Day Yesterday (07/31/1976)
Martin Barre – To cry you a song, Bamberg 22.10.2013
Jethro Tull: Inside (Purple Rocks Vintage)
Jethro Tull – Play in Time – MyVideo
Jethro Tull: Medley: Sossity; You’re a Woman/Reasons For Waiting (Live at Carnegie Hall 1970)
Zuletzt ein Bonustrack, der auch als Single 1970 Erfolge feierte, nach meinem Geschmack aber nicht so ganz in die “Benefit”-Reihe passt:
Jethro Tull: Teacher (Bonustrack) Beat Club 1970