Archiv für den Monat: September 2020

Blühende Mimose

Auf rosig reimt sich ‚mimosig‘, und wenn es sich bei beiden, Rose und Mimose, auch um als große Sträucher blühende Pflanzen handelt, so ‚behandeln‘ wir beide doch eher gegensätzlich. Die Rose ist das Sinnbild für Schönheit, für Glanz und Gloria. Die Mimose steht für ihre ‚Mimosenhaftigkeit‘, sie ist überaus empfindlich und reagiert übertrieben auf Einflüsse von außen.

Wird die Mimose berührt, so klappt die Pflanze die betroffene Region blattweise ein. So reagiert sie auf Erschütterung, schnelle Abkühlung oder schnelle Erwärmung, außerdem auch auf Änderung der Lichtintensität. Nach einigen Minuten strecken sich die eingezogenen Zweige und Blätter wieder aus.

    Reaktion einer Mimose auf mechanischen Reiz
    Reaktion einer Mimose auf mechanischen Reiz (Autor: Hrushikesh)

Wir haben schon seit mehreren Jahren eine Mimosenpflanze bei uns in der Küche stehen. Lange sah es so aus, als würde sie undank ihrer Empflindlichkeit bald das Zeitliche segnen. Aber in diesem Jahr hat sie sich richtig prächtig erholt und auch endlich die ersten, bemerkenswerten Blüten entwickelt, die es mit den Blüten einer Rose durchaus aufnehmen können.

Blühende Mimose (Mimosa pudica)
Blühende Mimose (Mimosa pudica)

Da sich Mimose also auf Rose reimt (da reimt sich manches), so habe ich geschaut, ob es entsprechende Gedichte gibt, die beide Pflanzen zum Thema haben und fand diese Liebeserklärung an die Mimose:

Weil jeder sie so entzückend
Grün und natürlich fand,
Ging die große Mimose
Von Hand zu Hand.

Und ging und lebte, ward müde und schlief,
Und ward herumgereicht.
Und wünschte sich vielleicht – vielleicht! –
Ganz tief,
So unempfindlich zu sein
Wie ein Stein.

Und wie sie trotzdem wunderbar
Organisch grün und wissend klar
Gedieh,
Umschwärmten, liebten, achteten sie
Die Menschen und die Tiere,
Merkten aber fast nie,
Daß sie keine Rose,
Daß sie eine große Mimose war.

Jene Große von Joachim Ringelnatz

Willis Plaudereien (9): Und und/oder oder?

Denen, die jetzt Bahnhof verstehen, sei es erklärt: Es geht um die Frage, ob jemand ein Und-Typ ist oder doch eher ein Oder-Typ – oder vielleicht beides: Ein Und-Oder-Typ. Geddit? Immer noch nicht?

Es ist ganz einfach: Es gibt die ‚berühmten‘ Fragen: Tee oder Kaffee? Meer oder Berge? Beatles oder Stones? Und derer viele mehr. Na, geht Dir so langsam ein Licht auf? Avete capito, wohin die Reise geht?

Was für ein Typ bist Du? Trinkst Du lieber Tee oder doch lieber Kaffee? Reist Du lieber ans Meer oder in die Berge? Magst Du lieber die Beatles oder doch eher die Rolling Stones?

Willi mit Helm in lila (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)
Willi mit Helm in lila (Edelsteinminen Idar-Oberstein Juli 2019)

Nein, ich will hier nicht in die Welt der Antonyme, der Gegensatzwörter, einsteigen, obwohl dazu natürlich viel zu schreiben wäre. Es geht hier (soviel darf doch geschrieben sein) um Antonyme im weiteren Sinne.

Was für ein Typ bist Du also? Bleiben wir bei der Frage nach Tee oder Kaffee? Der eine mag also lieber Tee als Kaffee oder umgekehrt. Manche mögen aber durchaus auch beide Getränke gern (Und-Oder-Typ). Da fällt mir natürlich gleich ein, dass ich etwas vergessen habe: die Weder-Noch-Typen, die also weder Tee noch Kaffee mögen, lieber Milch, Saft oder Wasser trinken.

O je! Wir Menschen sind schon seltsame Gebilde. Viele fragen nach dem Sinn des Lebens und stolpern schon über kleinste Kleinigkeiten wie eben diese: Was mag ich lieber? Und vor allem: Was mag meine Liebste/mein Liebster gern.

Ich weiß nicht, ob es viele dieser Deckungsgleichheiten in einer Partnerschaft geben muss, um ihr eine gewisse Dauer zu garantieren. Angeblich mögen sich Gegensätze anziehen, aber auf lange Sicht habe ich da doch meine Bedenken, was die Zeitspanne einer solchen Beziehung betrifft.

Zudem lässt es sich gut streiten, was denn nun besser (oder gesünder und/oder schöner und beglückender etc.) ist. Wie auch immer: Es ist gut, dass wir Menschen auch in solch kleinen Dingen unterschiedlich sind. Es wäre langweilig, wenn alle nur Kaffee mögen. Da käme dann aber ein Ostfriese um die Ecke (wie in der Werbung) und würde fragen: Und was ist mit Tee?!

Nein, so doch nicht … (13): In postideologischen Zeiten

    Wo man früher über Kapitalismus, Marxismus und die Qualität der Politiker stritt, geht es heute um Fleischkonsum und Vollkornrettung. Und wer meint, dass wir in postideologischen Zeiten leben, möge doch beim Elternabend vorschlagen, den Kindern beim Wandertag ein Wurstbrötchen, Vollmilchschokolade und eine Dose Cola mitzugeben, wie früher. Ebenso gut könnte man Heroin anpreisen.
    Nils Minkmar im ‚Spiegel‘

2016 wurde Minkmar mit dem Ben-Witter-Preis ausgezeichnet und geehrt als „lebenskluger Beobachter unserer kleinen Welt, der sich seinen freien Blick und sanften Spott bewahrt hat“.

Nein, so doch nicht ...
Nein, so doch nicht …

Wer ist schon frei von Ideologie? Auch wenn wir uns nicht mehr so sehr um das große Ganze streiten, so hat doch jeder sein spezielles Gedankengebäude errichtet – bei dem einen ist es eher klein, bei dem anderen eher etwas größer aufgestellt -, um gewissermaßen über die alltäglichen Runden zu kommen.

Und wenn mancher meint, die ‚große Ideologie‘ von vorgestern bemühen zu müssen, dann verbirgt sich dahinter doch ein kleinkariertes Denken, das eher Schaden anrichtet als Nutzen bringt.

So sind mir diejenigen doch lieber, Herr Minkmar, die ernährungstechnisch ins Ideologische reichende Vorstellungen haben, als solche, die Nation und Volk zu völkischem Chauvinismus verwandeln wollen.

… alte weiße Männer (1): A. Lukaschenko

Es ist nicht bewiesen, dass Swetlana Tichanowskaja, wäre die Wahl in Belarus ordnungsgemäß verlaufen, gesiegt hätte. Ich behaupte sogar, dass Alexander Lukaschenko auch ohne Wahlfälschungen die Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Denn, und da widerspreche ich den Aussagen Tichanowskajas, die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger von Belarus steht weiterhin hinter ihrem „batka“ („Papa“), wie sich Lukaschenko gern nennen läßt.

Warum war er nun so blöd, hat allerorten die Wahl zu seinem Gunsten ‚korrigieren‘ lassen? Mussten es unbedingt 80,1 % der Wählerinnen und Wähler sein, die für ihn stimmten?

Warnung vor alten, weißen Männer! (nur eine Auswahl!)
Warnung vor alten, weißen Männer! (nur eine Auswahl!)

„Papa“ ist der Beste. Das sagen vor allem die Älteren und die Leute vom Lande über ihren Präsidenten. Und diese Bevölkerungsgruppen bestimmten bisher die Zukunft des Landes. Man schaue nur, wer für Lukaschenko auf die Straße geht, meist alte Menschen, die den Altersdurchschnitt nur dadurch senken, in dem sie ihre Enkel mitbringen. Gegen Lukaschenko stellen sich junge Menschen und solche, die endlich die Schnauze voll haben von einem Mann, der sich an das hält, was er zu Sowjetzeiten gelernt hat. Demokratie ist ihm suspekt.

Warum also die doch anscheinend unnötigen Wahlmanipulationen? Warum der Einsatz der Spezialeinheit der belarusischen Polizei OMON (Омон) gegen das eigene Volk? Warum die Lügen, die uns an einen im Westen ansässigen Präsidenten erinnern?

Die Gründe liegen im ‚Wesen der Sache‘. Lukaschenko ist ein Relikt alter Sowjetherrschaft. Und nach 26 Jahren an der Macht, verschiebt sich der Blickwinkel eines solchen Mannes um einiges. Lukaschenko ist alt geworden und seine Sicht der Realität ist eine andere als die von jungen Menschen. Wer ständig in der Unwahrheit lebt, wem von den eigenen Schergen immer Honig um den (Oberlippen-)Bart geschmiert wird, der glaubt sich im Recht. Lukaschenko klebt wie alle Autokraten an der Macht. Keiner kann es besser machen als er, vielleicht in einigen Jahren nur der eigene Sohn. Aber wer so autoritär regiert, der fürchte den Machtverlust. Überall wird Verschwörung gewittert. Es können nur böse Menschen sein, die ihm ans Leder wollen. Gegen solche Menschen kann nur mit aller Härte vorgegangen werden.

Wenn Lukaschenko wahrscheinlich auch ohne Wahlfälschung die Präsidentenwahl gewonnen hätte, so wäre es für ihn eine bittere Pille, einsehen zu müssen, dass er hohe Stimmenverluste (denn nie und nimmer hätte er über 80 % der Stimmen bekommen) hinnehmen musste. Ein Bröckeln seiner Macht ist für ihn nicht hinnehmbar. Es wäre der berühmte Anfang vom Ende.

Und so belügt er sich im Grunde selbst und lebt in einer Welt, die sich von der seines Volkes deutlich unterscheidet. Wie lange sich dieser alte, weiße Mann in Minsk noch halten kann, ist vor allem abhängig von einem anderen weißen Mann, der in die Jahre gekommenen ist und in Moskau residiert.

Ich bin der gleiche Jahrgang wie Lukaschenko (und Frau Merkel) und ein gutes Jahr jünger als Putin. Also auch ein alter, weißer Mann. Aber mich ekelt es mehr und mehr an, wenn die alten Knaben (und auch Mädels) meinen, unsere Geschicke bestimmen zu müssen. Irgendwann (nach 26 Jahren) sollte Schluss sein, Herr Lukaschenko!

Ergänzung: Die belarusische Oppositionsbewegung ist besorgt: Eine ihrer wichtigsten Aktivistinnen wird vermisst. Unbekannte sollen Kolesnikowa in einem Kleinbus verschleppt haben. Die Polizei dementiert eine Festnahme.

Von einer der wichtigsten Anführerinnen der Opposition in Belarus, Maria Kolesnikowa, fehlt jede Spur. Der Pressedienst des Koordinierungsrates der Demokratiebewegung teilte mit, ihre Kollegen hätten keinen Kontakt zu ihr. Ihr Telefon sei abgeschaltet. Außerdem seien ihr Mitarbeiter Iwan Krawzow und ihr Sprecher Anton Rodnenkow nicht mehr erreichbar. Lukaschenkos Schergen schlagen zu! Stalin lässt grüßen!

Außerdem: Pawel Latuschko, Mitglied des Koordinierungsrates, ehemaliger Kulturminister und ehemaliger Diplomat, erklärte, er habe ein Ultimatum erhalten: Entweder er verlasse Belarus oder er werde strafrechtlich verfolgt.

Lukaschenko setzt auf Eskalation: Sollten der Oppositionsaktivistin Kolesnikowa und ihren Mitarbeitern ‚etwas passieren‘, dann fürchte ich, dass die bisher friedlichen Proteste in gewalttätige Unruhen umschlagen. Wollen wir das nicht hoffen!

Nein, so doch nicht … (12): Das Wörtchen ‚man‘

Kafkas Prozess beginnt damit („Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, …“), Goethe benutzte es in seinem Faust („Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt; …“). Es geht um Indefinitpronoma, also um unbestimmte Fürwörter, die sich leider nicht immer vermeiden lassen, besonders das Wörtchen ‚man‘. Die Frage, die ich hier erörtern will, ist, ob ‚man‘ frauenfeindlich ist, wenn man ‚man‘ benutzt.

In diesem Blog bemühe ich mich, das Wörtchen ‚man‘ tunlichst zu vermeiden. ‚Man‘ klingt wie Mann. Ist aber ‚man‘ mit Mann gleichzusetzen? Werden Frauen also diskriminiert, weil ’s immer nur ‚man‘ und nie ‚frau‘ heißt?

Das Wörtchen ‚man‘ ist wie jemand (siehe Kafka), alle, einer, manche, wer, etwas, einige, andere ein Indefinitpronomen, also unbestimmtes Fürwort. Pronomen treten „an die Stelle eines Nomens (Substantiv; deutsch Namenwort)“ und das Wörtchen ‚man‘ verwenden wir insbesondere dann, wenn wir etwas verallgemeinern, also nicht konkret von einer Person, Sache usw. sprechen. Und ‚man‘ taucht noch in vielen anderen Wörtern auf wie mancherlei – manchmal – mannigfach. Und gibt es da noch jedermann (Hugo von Hofmannsthal und Salzburg lassen grüßen).

Nein, so doch nicht ...
Nein, so doch nicht …: Das Wörtchen ‚man‘

Wie verhält es sich nun mit der ‚Männlichkeit? Was dafür spricht, ist das generische Maskulinum, die Benutzung der verallgemeinernden männlichen Form, z.B. Man hat sein Glück gemacht, wenn … Das Possessivpronomen (besitzanzeigende Fürwörter) ’sein‘ ist männlich (so wie: Er hat sein Glück gemacht!).

Nun habe ich aber zur Etymologie von ‚man‘ gelesen (pinkstinks.de bzw. frauensprache.com), dass ‚man‘ im ursprünglichen Altnordischen „Frau“ (engl. woman) bedeutet. Das Wort für „Mann“ war nicht ‚man‘, sondern ‚wer‘, aus der Sanskritwurzel vir, wie in wer-wulf, dem Wolfsmann. Und die englische Isle of Man war z.B. der Mondfrau geweiht, die auch als Seejungfrau daher kam. Im Europa des Altertums sei es Mana, die Mondmutter, gewesen, die die Menschen hervorbrachte. Dem widerspricht allerdings, was ich über den Namen der Isle of Man gelesen habe. Danach lehnt sich ‚Man‘ an das keltische Wort für Berg, könnte allerdings auch der Name eines Königs sein. Männlich oder weiblich? Mann oder Frau? Wer weiß es genau? Wie auch immer …

Der Duden sagt, dass die Herkunft mittelhochdeutsch, althochdeutsch sei und ‚man‘ eigentlich irgendeiner, jeder beliebige (Mensch!) meint. Oder an anderer Stelle: ‚man‘ meint irgend jemand, manche oder alle Menschen, formal sind Frauen mitgemeint, wenn MAN „man“ sagt:

Der Duden geht dann noch etwas mehr in die Tiefe und definiert ‚man‘ u.a. mit:

– jemand (sofern er in einer bestimmten Situation stellvertretend für jedermann genommen werden kann), z.B. … man nehme … (wie viele Kochbücher müssten umgeschrieben werden, wenn …)

– irgendjemand oder eine bestimmte Gruppe von Personen, z.B. … man vermutet … (es wird allgemein vermutet)

– du, ihr, Sie; er, sie (zum Ausdruck der Distanz, wenn jemand die direkte Anrede vermeiden will), z.B. … hat man sich gut erholt? …

Und im digitalen Grimm (Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm) finden MAN u.a.:

man, seit der mhd. zeit im gebrauche […], sagt ohne bezug auf ein bestimmtes subject im allgemeinen aus, was zugleich von mehreren gelten kann (gramm. 4, 220); bei dieser allgemeinheit ist eine mehrheit verstanden, man menschen, leute …

Wie gesagt: Das Wörtchen ‚man‘ verallgemeinert. Und deshalb versuche ich, es zu umgehen. Wer laufend ‚man‘ benutzt, bleibt im Unbestimmten. Wir wollen angesprochen werden (wir oder ihr statt ‚man‘).. Oder wir wollen, dass sich der Schreiber zu erkennen gibt (ich statt ‚man‘).

Auf jeden Fall finde ich die Verwendung von ‚frau/man‘ statt ‚man‘ für – na ja – unpassend. Ich bin durchaus für eine geschlechtergerechte Sprache. Aber mit diesem ‚frau/man‘ ginge der Schuss nach hinten los. Nein, so doch nicht …!

Zuletzt: Nun, ich komme aus norddeutschem Gefilde. Und da gibt es eine Eigenheit mit dem Wörtchen ‚man‘, das nur hier zu finden ist: ‚man‘ als Adverb (Umstandswort), norddeutsch umgangssprachlich für nur, mal, z.B.:

– lass man gut sein!
– na, denn man los!

Ja, richtig: Lass man gut sein, Willi!

Robert Walser: Mädchen

Es war im Jahr 1978, also vor nun 42 Jahren – ich war im noch zarten Alter von 24 Jahren -, da gönnte ich mir als Werkausgabe Edition suhrkamp (ja, die mit dem Reihendesign in Spektralfarben) das Gesamtwerk in 12 Bänden von Robert Walser (erste Auflage zum 100. Geburtstag). Irgendwie muss ich über Hermann Hesse auf Walser gestoßen sein. Aber gleich das Gesamtwerk?

    Robert Walser (1878 - 1956)
    Robert Walser (1878 – 1956)

Nun, es war nicht nur Hesse, der sich für Robert Walser einsetzte. Walser hatte auch einen zumindest heute prominenten Leser: „Wenige seiner Leser von 1909 dürften so klar und sicher wie Kafka in einem Brief geurteilt haben: ‚Ein gutes Buch.‘ (Auch Max Brod hat bezeugt, ‚Jakob von Gunten‘ [ein Roman von Robert Walser] sei ein Lieblingsbuch seines Freundes gewesen.)
aus dem Nachwort zu Jakob von Gunten – ein Tagebuch (1909)

Nun, um es vorweg zu nehmen: Die Investition hat sich gelohnt. Robert Walser fällt dermaßen aus dem Rahmen, den die Schriftsteller um die Zeit 1900 bis 1935 gebildet haben, dass es mich eigentlich wundert, Walser auch heute noch im Olymp deutschsprachiger Dichter zu wähnen.

Aber komme ich endlich zur Sache. Hier ein Gedicht von ihm, das im März 1927 im „Prager Tagblatt“ erstmals erschien. Max Brod war Mitarbeiter der Zeitung und hat Walser dadurch unterstützt, dass er von seinem Werk vieles veröffentlichen ließ (so schließt sich dann auch der Kreis Walser-Brod-Kafka):

    Das eine dieser beiden Mädchen
    sieht zierlich aus wie ein Salätchen
    von duftenden und zarten Blättchen
    und hat die schönstgeformten Wädchen
    und schaut zum Fenster still hinaus
    ins morgendliche Landschaftshaus.
    Des andern Mädchens Haar ist kraus
    wie ein zerzauster Blumenstrauß.
    Unangefochten steht die eine
    als Ungezwungene und Reine
    auf ausgesprochen feinem Beine,
    im Mieder vor dem Sonnenscheine.
    Die andre küßt und flüstert: „Du!“
    Besinnung schließt sich ganz ihr zu,
    sie zittert, knistert, lodern, puh,
    von Leidenschaft bis in die Schuh`
    und kennt im Herzen keine Ruh‘.
    Die erste weiß nichts von Genüssen,
    wofür noch jed` hat büßen müssen,
    sie gleicht mit jedem Atemzug
    dem wonnenangefüllten Krug.
    Die zweite ist von sündigfrommen,
    lüsternen Flammen eingenommen,
    von Ungenügsamkeit umglommen,
    und hat sie nicht mehr wegbekommen.
    Wie fröhlich, selig ist ein Leben,
    das heiter uns aus uns kann heben.
    Das ist`s ja eben, daß wir kleben
    am Körpers Nöten, statt zu schweben
    in unherabgezognem Streben,
    wie Reben, die im Trieb, zu geben,
    sich wohlbefinden an den Stäben.

Zu seiner Zeit wurde Walser Geschwätzigkeit vorgeworfen (bezog sich vor allem auf seine Romane). So ganz kann das nicht bestritten werden. Aber es ist eine besondere Geschwätzigkeit. Und besonders die Gedichte von ihm zeugen von einem Wort-Klang-Spiel von kindlichem Ernst. Wie das Gedicht ‚Mädchen‘ so sind viele mit „ziemlich gewollten, unglücklichen Reime[n]“ ausgestattet. Aber darin liegt der Reiz: Vielleicht sollten wir etwas kindlicher sein.

Hier nur ein kleines, weiteres Beispiel Walser’scher Dichtkunst:

“Schnee liegt vergnügt auf allen Dächern
wie längst vergeßne Brief in Fächern”

„Wie ich zum Dichten kam, weiß ich selber nicht recht. Das gab sich, wie sich sonst etwas gibt. Ich habe mich oft gefragt, wie es anfing. Nun, es fing bei einem Zipfelchen an und nahm mich fort. Kaum wußte ich, was ich tat. Ich dichtete aus einem Gemisch von hellgoldenen Aussichten und ängstlicher Aussichtslosigkeit, war immer hlb in Angst, halb in einem beinah übersprudelnden Frohlocken.“
Robert Walser