Es war im Jahr 1978, also vor nun 42 Jahren – ich war im noch zarten Alter von 24 Jahren -, da gönnte ich mir als Werkausgabe Edition suhrkamp (ja, die mit dem Reihendesign in Spektralfarben) das Gesamtwerk in 12 Bänden von Robert Walser (erste Auflage zum 100. Geburtstag). Irgendwie muss ich über Hermann Hesse auf Walser gestoßen sein. Aber gleich das Gesamtwerk?
Robert Walser (1878 – 1956)
Nun, es war nicht nur Hesse, der sich für Robert Walser einsetzte. Walser hatte auch einen zumindest heute prominenten Leser: „Wenige seiner Leser von 1909 dürften so klar und sicher wie Kafka in einem Brief geurteilt haben: ‚Ein gutes Buch.‘ (Auch Max Brod hat bezeugt, ‚Jakob von Gunten‘ [ein Roman von Robert Walser] sei ein Lieblingsbuch seines Freundes gewesen.)
aus dem Nachwort zu Jakob von Gunten – ein Tagebuch (1909)
Nun, um es vorweg zu nehmen: Die Investition hat sich gelohnt. Robert Walser fällt dermaßen aus dem Rahmen, den die Schriftsteller um die Zeit 1900 bis 1935 gebildet haben, dass es mich eigentlich wundert, Walser auch heute noch im Olymp deutschsprachiger Dichter zu wähnen.
Aber komme ich endlich zur Sache. Hier ein Gedicht von ihm, das im März 1927 im „Prager Tagblatt“ erstmals erschien. Max Brod war Mitarbeiter der Zeitung und hat Walser dadurch unterstützt, dass er von seinem Werk vieles veröffentlichen ließ (so schließt sich dann auch der Kreis Walser-Brod-Kafka):
- Das eine dieser beiden Mädchen
sieht zierlich aus wie ein Salätchen
von duftenden und zarten Blättchen
und hat die schönstgeformten Wädchen
und schaut zum Fenster still hinaus
ins morgendliche Landschaftshaus.
Des andern Mädchens Haar ist kraus
wie ein zerzauster Blumenstrauß.
Unangefochten steht die eine
als Ungezwungene und Reine
auf ausgesprochen feinem Beine,
im Mieder vor dem Sonnenscheine.
Die andre küßt und flüstert: „Du!“
Besinnung schließt sich ganz ihr zu,
sie zittert, knistert, lodern, puh,
von Leidenschaft bis in die Schuh`
und kennt im Herzen keine Ruh‘.
Die erste weiß nichts von Genüssen,
wofür noch jed` hat büßen müssen,
sie gleicht mit jedem Atemzug
dem wonnenangefüllten Krug.
Die zweite ist von sündigfrommen,
lüsternen Flammen eingenommen,
von Ungenügsamkeit umglommen,
und hat sie nicht mehr wegbekommen.
Wie fröhlich, selig ist ein Leben,
das heiter uns aus uns kann heben.
Das ist`s ja eben, daß wir kleben
am Körpers Nöten, statt zu schweben
in unherabgezognem Streben,
wie Reben, die im Trieb, zu geben,
sich wohlbefinden an den Stäben.
- Robert Walser: Mädchen aus Die Gedichte
Zu seiner Zeit wurde Walser Geschwätzigkeit vorgeworfen (bezog sich vor allem auf seine Romane). So ganz kann das nicht bestritten werden. Aber es ist eine besondere Geschwätzigkeit. Und besonders die Gedichte von ihm zeugen von einem Wort-Klang-Spiel von kindlichem Ernst. Wie das Gedicht ‚Mädchen‘ so sind viele mit „ziemlich gewollten, unglücklichen Reime[n]“ ausgestattet. Aber darin liegt der Reiz: Vielleicht sollten wir etwas kindlicher sein.
Hier nur ein kleines, weiteres Beispiel Walser’scher Dichtkunst:
“Schnee liegt vergnügt auf allen Dächern
wie längst vergeßne Brief in Fächern”
„Wie ich zum Dichten kam, weiß ich selber nicht recht. Das gab sich, wie sich sonst etwas gibt. Ich habe mich oft gefragt, wie es anfing. Nun, es fing bei einem Zipfelchen an und nahm mich fort. Kaum wußte ich, was ich tat. Ich dichtete aus einem Gemisch von hellgoldenen Aussichten und ängstlicher Aussichtslosigkeit, war immer hlb in Angst, halb in einem beinah übersprudelnden Frohlocken.“
Robert Walser