Wer den Roman Ulysses von James Joyce liest, kommt um das Original der Osyssee von Homer nicht umhin. Homer (altgriechisch Ὅμηρος Hómēros, Betonung im Deutschen: Homḗr) gilt traditionell als Autor der Ilias und der Odyssee und damit als frühester Dichter des Abendlandes. Weder sein Geburtsort noch das Datum seiner Geburt oder das seines Todes sind zweifelsfrei bekannt. Es ist nicht einmal sicher, dass es Homer überhaupt gab. Kontrovers diskutiert wird die Frage, in welcher Epoche er gelebt haben soll. Herodot schätzte, dass Homer 400 Jahre vor ihm gelebt haben müsse; dies entspräche in etwa der Zeit um 850 v. Chr. Andere historische Quellen legen das Wirken Homers in die Zeit des Trojanischen Krieges, der traditionell etwa um 1200 v. Chr. datiert wird. Heutzutage stimmt die Forschung weitestgehend darin überein, dass Homer, wenn es ihn gab, etwa in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts und/oder in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. gelebt hat.
Die Odyssee (altgriechisch ἡ Ὀδύσσεια hē Odýsseia) gehört zu den ältesten und einflussreichsten Dichtungen der abendländischen Literatur. In Schriftform wurde das Werk erstmals wahrscheinlich um die Wende vom 8. zum 7. Jahrhundert v. Chr. festgehalten. Es schildert die Abenteuer des Königs Odysseus von Ithaka und seiner Gefährten während der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg. In vielen Sprachen ist der Begriff „Odyssee“ zum Synonym für eine lange Irrfahrt geworden.
Ich habe nun die Übersetzung von Johann Heinrich Voß (* 20. Februar 1751 in Sommerstorf; † 29. März 1826 in Heidelberg) gelesen. Dieser war ein deutscher Dichter, Übersetzer und Hochschullehrer. Berühmt ist er für seine Übertragungen von Homers Epen (Ilias, Odyssee) und anderer Klassiker der Antike. Am bekanntesten wurde seine Übersetzung der Odyssee, die 1781 „auf Kosten des Verfassers“ erschien und deren einprägsame, bildhafte Sprache Generationen deutscher Leser mit Homer vertraut machte. 1793 erschien der ganze Homer, die Ilias und die Odyssee in überarbeiteter Form.
Im deutschen Sprachraum gilt die metrische Übersetzung von Johann Heinrich Voß aus dem 18. Jahrhundert ihrerseits als Klassiker. Ihr sprachschöpferischer Einfluss auf das Deutsche wird mit Martin Luthers Bibelübersetzung verglichen. Zuerst musste ich mich etwas ‚einlesen‘, dann aber ließen sich die Verse flüssig lesen. Die große Anzahl der auftretenden Personen und Götter ist vielleicht etwas irritierend. Nausikaa (altgriechisch Ναυσικάα Nausikáa), die Tochter des phaiakischen Königs Alkinoos und dessen Frau Arete, ist mir die liebste der Figuren und könnte heute als eine Art Patronin der Flüchtlinge gelten.
Homer: Odyssee
Die Odyssee beginnt mit der Anrufung der Muse. Die Eingangsverse sind hier auf Altgriechisch, in Umschrift sowie in der klassischen deutschen Übersetzung von Johann Heinrich Voß aus dem Jahr 1781 wiedergegeben:
- Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον, ὃς μάλα πολλὰ
πλάγχθη, ἐπεὶ Τροίης ἱερὸν πτολίεθρον ἔπερσε·
πολλῶν δ’ ἀνθρώπων ἴδεν ἄστεα καὶ νόον ἔγνω,
πολλὰ δ’ ὅ γ’ ἐν πόντῳ πάθεν ἄλγεα ὃν κάτα θυμόν,
ἀρνύμενος ἥν τε ψυχὴν καὶ νόστον ἑταίρων.
ἀλλ’ οὔδ’ ὣς ἑτάρους ἐρρύσατο ἱέμενός περ·
αὐτῶν γὰρ σφετέρῃσιν ἀτασθαλίῃσιν ὄλοντο,
νήπιοι, οἳ κατὰ βοῦς Ὑπερίονος Ἠελίοιο
ἤσθιον· αὐτὰρ ὃ τοῖσιν ἀφείλετο νόστιμον ἦμαρ.
τῶν ἁμόθεν γε, θεά, θύγατερ Διός, εἶπε καὶ ἡμῖν.
- Ạndra moi ẹnnepe, Moụsa, polỵtropon, họs mala pọlla
plạnchthē, epeị Troiẹ̄s hierọn ptoliẹthron epẹrse:
pọllōn d’ ạnthrōpọ̄n iden ạstea kaị noon ẹgnō,
pọlla d’ ho g’ ẹn pontọ̄ pathen ạlgea họn kata thỵmon,
ạrnymenọs hēn tẹ psychẹ̄n kai nọston hetaịrōn.
ạll’ oud’ họ̄s hetaroụs errhỵsato hịemenọs per;
aụtōn gạr spheterẹ̄sin atạsthaliẹ̄sin olọnto,
nẹ̄pioi, hoị kata boụs Hyperịonos Ẹ̄elioịo
ẹ̄sthion; aụtar ho toịsin apheịleto nọstimon hẹ̄mar.
tọ̄n hamothẹn ge, theạ, thygatẹr Dios, eịpe kai hẹ̄min.
- Sage mir, Muse, die Thaten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel’ unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten, und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet’ er nicht, wie eifrig er strebte;
Denn sie bereiteten selbst durch Missethat ihr Verderben:
Thoren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherschers
Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft.
Sage hievon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.
Homer: Odyssee – Anfang 1. Gesang
Homers Odyssee lässt sich als PDF-Datei aus dem Internet herunterladen, ist aber natürlich in Buchform [z.B. bei Amazon] erhältlich. Ich bevorzuge das handfeste Buch.
Es gibt eine Vielzahl an Übersetzungen des Homer’schen Werkes. Eine davon stammt von Carl Friedrich Wilhelm Jordan (* 8. Februar 1819 in Insterburg, Ostpreußen; † 25. Juni 1904 in Frankfurt am Main), einem deutschen Schriftsteller und Politiker. Hätte nicht Google-Books das Werk gescannt und im Internet verfügbar gemacht (es handelt sich dabei um ein Buch aus dem Bestand der University of Minnesota), so könnte es als nicht existent gelten. Ich habe nämlich nirgendwo einen Hinweis gefunden, der Jordan als Übersetzer der Odyssee ausweist.
Übersetzt und erklärt von Wilhelm Jordan – 2. Auflage 1889