Fortsetzung von: (7): Im Kopf, wo es blitzt
Im 8. Teil von Eike Christian Hirschs Kolumne „Der Witzableiter“, die 1984 im ZEITmagazin erschien, kommen wir diesmal vom „Wortwitz“ zum „Gedankenwitz“, der sich oft aus einer „paradoxen“ Definition ergibt. Mancher Witz krönt sich so zum Aphorismus, einer eigenen literarischen Gattung.
Feldwebel: „Huber, wie können Sie es wagen, die Naturwissenschaftler auf eine so falsche Fährte zu locken. Die Herren suchen das Riesenfaultier in Südamerika, und Sie drücken sich hier in der Kaserne herum.“
Der Kern dieser Beschimpfung ist eine Definition, eigentlich sogar nur das Wort Faultier. Das scheint für einen Witz zu reichen. Und weil wir hier nach den einfachsten Baumustern für einen Witz suchen, ist uns diese Einsicht willkommen: Eine Definition reicht. „Was heißt hier Schlagerstar“, sagt der Produzent verächtlich, „ bei uns wird doch schon auf Platte genommen, wer einigermaßen gesund husten kann.“
Nicht jede Definition freilich ist ein Witz, sonst wäre nichts so komisch wie ein Lexikon. Ein bißchen Pfiff muß auch dabeisein, zum Beispiel Bosheit. „Hör mal, Anne“, sagt die Freundin, „dein Mann erzählt, er führe ein Hundeleben.“ „Stimmt“, bestätigt Anne, „er kommt mit schmutzigen Füßen ins Haus, macht es sich vor dem Ofen bequem, knurrt herum – und lauert aufs Essen.“
Eine zugespitzte und etwas verblüffende Auslegung des Wortes Hundeleben, fertig ist der Witz. Doch halt, ein bißchen Einkleidung ist meist noch drumherum, wie bei den „eingekleideten“ Mathematikaufgaben. Etwa so: „Mami“, fragt die kleine Tochter, „bekomme ich später auch einen Mann?“ „Natürlich, wenn du artig bist.“ „Und wenn ich nicht artig bin?“ „Dann bekommst du viele Männer.“
Man könnte sich die Pointe auch ohne Einkleidung, also ohne Dialog denken, einfach als Bonmot oder als Aphorismus. Da klingt das dann uneingekleidet so: „Wenn die Männer in die Jahre kommen, wo sie keine schlechten Beispiele mehr geben können, fangen sie an, gute Ratschläge zu geben.“ Auch eine Definition und darum formal kein Witz.
Das wirklich funktionierende Teil in einem Witz, der springende Punkt sozusagen, ist oft nur ein einziges Wort. Hier zum Beispiel: Die flotte Elvira zum Hausmeister: „Ich brauche noch fünf Schlüssel für mein Appartement.“ „Sollten wir da nicht besser gleich eine Drehtür einbauen?“ Mit dem einen Wort Drehtür definiert der Hausmeister den Wunsch der Mieterin. Knapper kann eine Pointe kaum sein.
Vom Berliner Witz sagt man, daß er sich besonders gern in knappen Definitionen ergeht („Du hast’s gut, du bist doof“) und ebenso kurz wie aggressiv ist. Als die U-Bahn plötzlich bremst, muß sich Bolle an einem Fahrgast festhalten. „Mensch“, sagt der, „ick bin doch keen Laternenpfahl!“ „Det stimmt“, meint Bolle, „dafür sind Se oben nich helle jenuch.“
Was macht diese Definitionen komisch, ist es die Bosheit? Nicht unbedingt, was vielleicht dieses Beispiel zeigen kann: Oliver soll zur Oma in die Ferien fahren. „Hast du auch deinen Waschlappen eingepackt?“ fragt die Mutter. „Waschlappen?“ fragt Oliver, „ich denke, ich fahre in die Ferien.“ Das ist nun nicht boshaft, sondern rührend. Worin liegt dann die Komik? Was diese Formulierung witzig macht, ist wohl eher Widersinn. Sie sind paradox. Die Bezeichnungen „Riesenfaultier“ oder „Drehtür“ sind überzogen; das Wörtlichnehmen der Bilder „Laternenpfahl“ oder „Hundeleben“ ist verblüffend und verrückt. Am deutlichsten wird das wohl in den Worten „gesund husten können“. Das ist fast ein Selbstwiderspruch. Aber nur fast. Es ist eher paradox.
Und nun wollen Sie sicherlich wissen, was ich denn für einen Unterschied zwischen Widerspruch und paradox mache. Doch, da gibt es einen. Im Paradox ereignet sich zwar auch ein harter Zusammenstoß, aber sozusagen nicht frontal. Die Begegnung erweist sich als fruchtbar, und sie kann unseren Blick erweitern. „Gesund husten“ ist doch eine etwas bizarre, aber durchaus kreative Bezeichnung für die raue Sangesart des Rock. Und Ferien als „Ferien vom Waschzwang“ ist doch auch nicht nur verrückt. Eben. Und damit ist schon fast alles über den Witz gesagt.
Die Spontisprüche an den Betonwänden – auch sie definieren – sind manchmal ebenfalls paradox: „Spontaneität will wohl überlegt sein“, zum Beispiel. Oder „Als Gott den Mann schuf, übte sie noch.“ Das gefällt mir sogar besonders gut, weil sich noch eine Überraschung ergibt mit dem „sie“. Und da es gerade um Theologie geht, noch diesen Spruch: „Gott ist nicht tot, er ist gerade beim Wort zum Sonntag eingeschlafen.“ Das ist nun schon fast die platte Wahrheit.
Es wird Ihnen gar nicht aufgefallen sein, daß meine Beispiele diesmal nicht (wie sonst) Wortspiele enthalten haben. Das war Absicht, weil ich Ihnen zeigen wollte, daß bloße „Gedankenwitze“ genauso gut sein können wie Wortwitze.
Die Edelausgabe der paradoxen Definition ist der Aphorismus, den ich zum Schluß wenigstens noch erwähnen will. „Man kann einer Versuchung nur entgehen, indem man ihr erliegt“, das ist vom dekadenten Oscar Wilde. Unsinn mit Tiefsinn. Von Karl Kraus stammt das berühmte Wort gegen seinen Wiener Mitbürger Sigmund Freud: „Die Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.“
Zu ganzer Größe und Weisheit steigt die Gattung der witzigen Definition auf in diesem Dialog, der anonym überliefert ist: „Alles Unglück kommt von den Juden .“ „Nein, von den Radfahrern.“ „Wieso von den Radfahrern?“ „Wieso von den Juden?“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 35/1984
[Fortsetzung folgt]