Fortsetzung von: Der Witzableiter (24): Das Tabu, das alte Ekel
Mit der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute zu Ende: ein Abschied vom Witz … mit Humor. Wer über sich selbst lachen kann, wer über sich selbst Witze zu machen versteht, der besitzt Humor. Denn nicht jeder Witz ist voller Humor …
Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens
Die junge Kellnerin stolpert und gießt einem Gast etwas von der heißen Soße über die Glatze. Der Gast fährt herum, betastet seinen Kopf und fragt erstaunt: „Glauben Sie wirklich, daß das noch helfen könnte?“
Der Mann hat Humor, und genau der soll auch die letzte Station unseres Weges durch die Witzlandschaft sein. Ja, auch der Witz kann Humor haben! Aber bitte erwarten Sie jetzt nicht von mir, daß ich Ihnen Witz und Humor definiere. Auf der Suche nach abgrenzenden Formeln sind schon ganz andere verunglückt. Nur so viel: Im Witz schäumen die Gefühle mächtig (und therapeutisch sinnvoll) auf, im Humor sehen wir sie schon überwunden, abgeklärt und vergoldet.
„Sie treffen ja ständig daneben!“ mault der Förster. „Macht doch nichts“, meint der Sonntagsjäger, „die Hasen sehen jedenfalls meinen guten Willen.“
Die Menschheit hat eine steile Entwicklung durchmachen müssen, bevor sie zu jenem feinsinnigen Witz fand, mit dem einer über sich selbst lacht. Angefangen hat das Lachen in der menschlichen Urhorde wahrscheinlich als Triumphgeheul des Siegers in einem Zweikampf. Das ist die These amerikanischer Wissenschaftler aus den zwanziger Jahren. Dieses Hohnlachen war wiederum ein Nachklang des Kampfgebrülls; daran erinnert noch heute das Zähnefletschen beim Lachen. Man zeigt den anderen die Zähne. Heute ist Lachen in seiner feinsten Form ein Lächeln über eigenes Unglück.
Die ältere Dame kommt aus dem Irland-Urlaub, auf den sie sich so lange gefreut hatte. Zufrieden meint sie: „Der Regenwechsel hat mir gut getan.“
Bis vor hundert Jahren lachte man ziemlich ungeniert über Krüppel und Idioten. Da haben wir uns doch gebessert. Im deutschen Kaiserreich beschränkte man sich später auf die sogenannten Witzblattfiguren, auf den Grafen, den Leutnant, Frau Neureich oder den zerstreuten Professor. Nun waren es doch wenigstens „die da oben“, über die man sich amüsierte. Liebenswürdiger ist es noch, wenn man sich selbst verspotten kann.
Der Chef zu seinem kaufmännischen Lehrling: „Jetzt sind Sie zwei Jahre bei uns und haben viel gelernt. Und heute machen wir Pleite, damit Sie auch das lernen.“
Ausgerechnet „Exzellenz“ Kuno Fischer, vor hundert Jahren Professor in Heidelberg und wegen seiner Eitelkeit weltberühmt, rang sich am Ende seiner Betrachtung über den Witz zu der Erkenntnis durch: „Das Höchste und Tiefste, was der Mensch an sich vollbringen kann, ist es, sich selbst lächerlich zu erscheinen, die komische Vorstellung der anderen heiter über sich ergehen zu lassen“. So ist es. Humor hat nur derjenige, der seinen Witz auch gegen sich selbst richtet.
Als der Freund ihrer Tochter anruft, ist die Mutter am Telefon, ohne daß der Freund das gleich merkt. Da unterbricht sie ihn: „Tut mir leid, mein Junge, aber hier ist nicht Ihr Luxusschiffchen, hier spricht der alte Schraubendampfer!“
Bescheidenheit hat man bei anderen auch gern. In seinem Atelier wird der Bildhauer gefragt: „Ist es nicht wahnsinnig schwer, einen Löwen zu meißeln?“ „Überhaupt nicht“, antwortet der Meister, „man schlägt vom Marmorblock einfach alles weg, was nicht nach Löwe aussieht.“
Nun haben wir den Humor genug herausgestrichen. So weit aber wollen wir nicht gehen, daß wir den Witz seinetwegen schlecht machen. Nein, der Witz ist das entladende Gewitter, der Humor ist die Ruhe nach dem Sturm. Ein bißchen heile Welt sogar. Das mag man nun auch nicht immer. Aber manchmal.
Hochwürden repariert eigenhängig den Gartenzaun. Ein kleiner Junge kommt vorbei, als sich der Pfarrer gerade auf den Daumen gehauen hat und verzweifelt aufstöhnt. „Gelt, Hochwürden“, sagt der Kleine, „jetzt sollt man halt fluchen dürfen.“
Oder nehmen wir diese rührende Geschichte als Beispiel für den Humor Marke lieblich. Das junge Liebespaar kommt aus der Disco. „Bist du müde?“ fragt sie zärtlich . „Ja“, antwortet er. „Bist du schrecklich müde?“ „Ja.“ „Bist du zu müde?“
Frauen hätten die größere Chance, die Reifestufe, die man Humor nennt, zu erreichen als Männer. Das meint der amerikanische Psychotherapeut Martin Grotjahn. Ich schließe mich ihm gerne an.
Die jungen Eheleute müssen sehr sparen. Statt des Gänsebratens steht zu Weihnachten nur ein falscher Hase auf dem Tisch. „Ein Weihnachten ohne Gans gab es bei uns zu Hause nicht“, mäkelt er. „Aber Liebling, dafür hast du doch jetzt mich.“
Der 70jährige Sigmund Freud hat sich noch einmal mit dem Humor beschäftigt und ihn dabei einen „Triumph des Ichs“ genannt. Das Stichwort „Triumph“ kommt uns bekannt vor, damit hatte das Lachen in der Urhorde angefangen. Statt über den unterlegenen Gegner lacht der humorige Witz über die eigenen Schwächen und Nöte.
Der Feldwebel brüllt: „In zwei Minuten steht der ganze Kompanie auf dem Appellplatz!“ Ein Rekrut, ganz sanft: „Herr Feldwebel, dürfen wir, wenn wir wollen, auch früher kommen?“
Und zum friedlichen Schluß noch diesen: Der Börsianer im Spielkasino: „Croupier, drehen Sie ein bißchen fixer, so langsam kann ich mein Geld auch an der Börse verlieren.“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 52/1984
[das war’s]
Ein Gedanke zu „Der Witzableiter (25): Abschied vom Witz, mit Humor“