Was ist bloß mit Ian los? Teil 5: Folk und Emotionen

Hallo Wilfried,

zunächst einmal bin ich erfreut darüber, dass Du mich nicht vergessen hast. Deinen Urlaub und die Radtour habe ich in groben Zügen in Deinem Blog verfolgt. Auf Deiner Website habe ich mir noch einiges zum Thema Tull reingezogen, habe aber immer noch nicht alle Tiefen Deines Angebots dort ausloten können.

Deine literarischen Ambitionen gereichen Dir zu Ehre; bei mir geht es oft deutlich trivialer zu. Historische Romane habe ich buchstäblich zentnerweise verschlungen. Die beste Schriftstellerin dieses Genres ist in meinen Augen Rebecca Gablè. Da aber die Belletristik nicht auf die anspruchsvolleren Fragen des Lebens antwortet, habe ich auch das ein oder andere Fachbuch eingestreut. Bücher über Physik, Religion, Soziobiologie, Anthropologie. Du siehst, auch ich interessiere mich für den Menschen und für das, was ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. Sowie sein Verhältnis zur restlichen Schöpfung.

Presseausweis
Bild: www.gaylmurphy.com

Bei mir liegt der Schwerpunkt des Interesses jedoch auf dem Menschen als (Tier-)Art, also eine mehr allgemeinere Betrachtung, während Du den Focus auf das Individuum legst. Diese spezielle Betrachtung hat natürlich auch für mich seine Reize, aber noch mehr interessiere ich mich für die „übergeordneten“ Aspekte der Schöpfung und des Menschen. Hier sind wir ganz schnell beim Thema Religion. Das ist ein Feld, dass mir schon schlaflose Nächte bereitet hat. Die Frage, ob es ein Schöpferwesen, einen Weltenlenker gibt oder nicht. Aber diese Erörterungen würden im Augenblick zu weit führen.

Deinen Hinweis auf Martin Walser habe ich zur Kenntnis genommen. Ich werde diesen Schriftsteller bei Gelegenheit „ausprobieren“. In der Vergangenheit habe ich mich an den großen Namen der Literatur versucht: Böll, Solschenizyn, Dostojewski, Grass, Thomas Mann, Goethe, von Kleist … Ich muss gestehen, dass ich nicht erkennen kann, worin das Genie dieser Leute liegt. Auf mich wirkten ihre Werke……langweilig. Wobei ich sicher bin, dass das an mir liegt und nicht an den preisgekrönten Literaten.

In puncto Musikgeschmack haben wir wohl nur eine kleine Schnittmenge:
Folk im Allgemeinen und Tull im Besonderen. Deinen Favoriten Clapton, Armatrading und Zappa kann ich nur wenig abgewinnen. Die pluralistische Gesellschaft äußert sich eben nicht zuletzt im Musikgeschmack: Es lebe die Vielfalt !

Mein Interesse an Weltmusik beschränkt sich auf die Folklore. Hier macht natürlich die britische Folkmusik das Rennen. (Hast Du mal darüber nachgedacht, warum die deutsche Volksmusik so wenig ansprechend ist ? Warum die Typen aus dem Musikantenstadl so wenig mit Tull, den Dubliners oder Pogues gemeinsam haben ?)

Vor einigen Tagen habe ich eine mir bis dahin unbekannte Folk-Punk-Band entdeckt: Dropkick Murphys aus Bosten. Klingen stellenweise vielversprechend. Da man mit bedeutender Folkmusik aus dem Hause Tull nicht mehr rechnen kann, bin ich immer auf der Suche nach Substituten.

Von Mr. Andersons Soloplatten kenne ich nur „Divinities“ und „The Secret Language of Birds“. Diese Alben bieten beide nicht den Anderson, den ich hören möchte. Language vielleicht ein wenig mehr als die 12 Tänze, aber immer noch nicht genug, um mich zu begeistern. Nein, das sind in meinen Augen Alben für den Gabentisch: „Platten, die Sie sich schenken können.“ Da mein erster Kontakt zu Mr. Anderson seine Folk-Platten waren, werde ich den Käse, den er danach gemacht hat, nicht überwinden können. Mr. Anderson hat mich musikalisch traumatisiert und polarisiert. Glücklicherweise ist die Lücke, die er durch seine Stilwechsel in meine Musikwelt gerissen hat, nicht vollkommen unverschließbar. Glücklicherweise gibt es noch die Pogues, Kate Bush, Waterboys. Niemand ist unersätzlich. Auch Mr. Anderson nicht. (Aber er hätte ruhig noch 2 Folk-Platten machen können….)

Das mit seinem Zynismus dem Publikum gegenüber schrieb ein Rock-Lexikon über seine jungen Jahre. Es hatte also nichts mit der Abgeklärtheit der reiferen Generation zu tun.

Mit Deinem Hinweis auf den Anderson’schen Gesang streust Du Salz in meine Wunden:
Es ist ganz einfach grauenhaft ! Das Internet ist voll mit Einträgen von Fans, die es genau so sehen. Mit seinem Gekrächze der letzten 20 Jahre demontiert er sein eigenes Denkmal. Über dieses Thema habe ich mich in einer früheren Mail ausführlich und erregt geäußert.

Dass Mr. Anderson Deinen Vorschlag aufgreift und andere singen lässt, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Das wäre so, als würde Schumi sich von einem Chauffeur über den Nürburgring fahren lassen.

Viele Grüße aus dem Rheinland !

Lockwood

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Hier meine Antwort:

Hallo Lockwood,

Dank für Deine schnelle Antwort.

Nur kurz etwas zu Deinen und meinen literarischen Ambitionen. Ich will da nicht als Oberschullehrer auftreten. Mit Literatur ist das schon so eine Sache. Wie mit Musik eben auch. Bestimmte Autoren tun sich nicht so leicht auf. Teilweise liegt es auch an ihrem ‚Schreibstil‘. Erst neulich habe ich Günter Grass‚ Stil als ‚barock‘ bezeichnet. Er schreibt in einem Stil, der dem von Grimmelhausen ähnlich ist, breit angelegt und ziemlich bildhaft mit einer Wortwahl, die sich mit der heutigen ziemlich wenig deckt.

Es ist oft ein ungewohntes Lesen, mit dem man sich erst anfreunden muss, was nicht immer gelingt. Und einen Thomas Mann habe ich auch schon einmal wieder in den Schrank zurückgelegt, weil mir der Vierteiler ‚Joseph und seine Brüder‘ nicht nur zu dick, sondern einfach zu hochtrabend war. Das aber nur nebenbei.

Zur deutschen Folklore: Natürlich finde ich „Schwarz-braun ist die Haselnuss“ und dergleichen auch zum Kotzen. Aber das ist nicht die deutsche Folklore oder nicht allein, sondern immer noch der ‚volksnahe‘ Beitrag, der sich aus der Nazizeit herübergerettet hat. Schriebst Du nicht etwas von Liederjan oder Zupfgeigenhansl (und ‚Schelmish‘)? Da greift man durchaus auf altes, ‚deutsches‘ Liedgut zu, was weder schwarz noch braun angehaucht ist.

Zu Dropkick Murphys – da muss ich meinen Sohn Jan interviewen. Der dürfte einiges von denen haben. Der steht (zurzeit?!) auf Punk, Ska und ähnliches.

Mit dem Gesang (oder Nichtgesang) von Ian Anderson hast Du wohl recht. Es ist nicht nur das Flötenspiel, das Jethro Tull ausmacht (oder Barres Gitarrenspiel – übrigens ein Thema für sich, erst kürzlich las ich, das sein Gitarrensolo auf Aqualung zu den zehn besten in der Rockszene gerechnet wird), sondern auch seine Stimme, sein Gesang, der unverkennbar ist (besser: war!). Die ist nicht zu ersetzen.

Überhaupt noch etwas zu meinem Weblog. Das sind so genannte dynamische Seiten. Die Textinhalte werden dabei in einer Datenbank gespeichert und je nach ‚Anfrage‘ aus dieser herausgelesen. Die einzelnen Beiträge haben ja ein Datum, ruft man die erste Seite des Weblogs auf (also z.B. nur https://www.willizblog.de/) dann wird immer der aktuellste Beitrag als erstes angezeigt. Insgesamt werden (ich glaube) sieben Beiträge angezeigt, man kann dann zurückblättern. Ich selbst kann natürlich schon Beiträge mit einem Datum verfassen, das in der Zukunft liegt. Die werden erst aufgerufen, wenn das Datum zutrifft. Außerdem kann ich auch das Layout wechseln, ohne dass die Inhalte davon betroffen werden (zz. ist das Bildchen oben in orange gehalten, ich habe auch noch blau, gelb usw. ‚vorrätig‘, außerdem auch ganz andere Layouts, die aber eine andere Seitenaufteilung haben und daher Probleme bereiten können, z.B. mit der Anzeige der Bilder usw.).

Übrigens hatte ich dieser Tage zwei Einträge in unser ‚Gästebuch‘ zum Thema Jethro Tull. Der eine kam von einem wohl ziemlich abgedrehten Typen. Ich will hier keinen an den Pranger stellen, aber ich will Dir den Eintrag und die wechselnde Antworten per Mail nicht vorenthalten, weil zum einen etwas zu Andersons Aussehen geschrieben steht – und dann auch welche ‚Schnittstellen‘ es sonst noch so geben kann (hier: Jethro Tull und Tokio Hotel – die Erklärung finde ich ‚faszinierend‘):

Ian Anderson Orchestral in Bayern

Francis aus Kaufbeuren (Sunday, 13. Aug 2006 Kommentar: Altusried 12.08 2006 Orchestral Jethro Tull Ian Anderson schockte das Publikum mit:12 Koffer der Band sind von der Fluggesellschaft versehentlich woanderst verschickt worden. Ian musste sich eine neue Querflöte besorgen. A piece of shit so Ian, wie er sie nannte und kostete 1500 Euro. Trotzdem liess sich Ian nicht beirren und meisterte das Konzert gekonnt, auch wenn improvisiert werden musste. Es hat sehr Spass gemacht, trotz kälte 8 Grad und auch wenn sein Piratenlook fehlte. Applaus Gruss Franzis

Ich antwortete:

Hallo Francis,

vielen Dank für Deine Einträge in unser Gästebuch. Wir kenne uns wohl schon von früher her.

Also Ian Anderson nicht im Piratenlook? Was hatte er denn sonst an? Ich kenne ihn zuletzt eigentlich nur mit dem schwarz-weiß-gemusterten ‚Schlafanzug‘ und natürlich mit dem Tuch um das spärliche Haar.

Ich habe einen Blick auf Deine Seiten im Internet geworfen. Dass mit Tokio Hotel verstehe ich aber nicht so ganz. Die und Jethro Tull – das sind doch ganz unterschiedliche Welten, oder?

Mach es gut und nichts für ungut.
Viele Grüße aus der norddeutschen Tiefebene nach Kaufbeuren.

Heute kam nun die Rückantwort von Francis:

Hi, Ian Anderson kam eigentlich wie in Zivil gekleidet auf die Bühne, dunkle Hose, dunkle Jacke und mit Brille. Ohne Kopfbedeckung. Auch keine Stiefel oder so. Aber Hauptsache die Musik stimmte, obwohl ihm auch seine Bambooflöte fehlte.

Wie ich zu Tokio Hotel kam ist mir selbst ein wenig schleierhaft? Als ich vor ca. einem Jahr einen Bericht in der Zeitung davon las, sagte mir das momentan gar nichts. Ach wieder irgend so ne Punk Band dachte ich und hatte damals eigentlich noch kein einziges Stück von denen gehört. Vorurteil.

Als mir an einem Abend mal langweilig war, suchte ich nach neuem Sound, dabei fielen mir Tokio Hotel wieder ein, und was machen die eigentlich für Musik? Also lud ich mir mal was runter. „Schrei“, dachte ich mir mal, weil der Titel einen interessanten Eindruck machte ,aber auch das sagte mir nicht so besonders zu, fand aber die Stimme von Bill als sehr angenehm. Dann hörte ich Durch den Monsun, dann hats gefunkt.

Ian und Bill haben zwar nicht dieselbe Stimme, doch dieser gewisser Sehnsuchtsausdruck, in den Stimmlagen sind ungefähr dieselben. Während Ian Anderson bei dem Song „Nursie“ singt über eine Krankenschwester, die lieb lächelt um seine Schmerzen zu lindern, bittet Bill in dem Song Rette mich um Hilfe, weil er das Gefühl hat innerlich zu verbrennen. Es geht um Emotionen, Gefühle, einfach Dinge aus dem Leben, die manchen Berühren. Wie auch in Salamander von Too old to rock n roll…brenne für mich und ich brenne für dich. Es geht immer um Liebe oder Traurigkeit und gewissen Hinweisen, wie z.B. Kriege in unserer Welt. Bei Jethro Tull genauso wie bei Tokio Hotel, obwohl es eigentlich nach wie zwei anderen Welten klingt. Damals bei den Beatles war schon das Gekreische gross und das wollte ich mal wieder erleben und sah mir sogar zwei Konzerte von Tokio Hotel an. Wie schön wäre es noch mal 19 zu sein, als ich Jethro Tull zum erstenmal live erlebte. Ja das ist es was ich da empfinde. Und bei Tokio Hotel setze ich mich in eine Zeitmaschine und versuche mich in die Traumwelt der girls hineinzuversetzen. Es war damals ähnlich und sage einfach heute „wondring aloud“.

Schöne Grüsse Francis

Ist schon witzig! Der gute Francis war geradezu enttäuscht, Herrn Anderson nicht im Piratenlook zu sehen („Hauptsache die Musik stimmte …“). Ist schon richtig, das mit der pluralistischen Gesellschaft (Es lebe die Vielfalt!), auch wenn Du es ironisch meintest, oder?!

Bald mehr.

Viele Grüße
Wilfried

P.S. Ein echter Fußballfan bin ich nun nicht gerade. Und das mit der Fußball-WM und dem ganzen Drumherum ging mir reichlich auf die Nerven. Ian Anderson, nur so nebenbei, hasst Fußball. Wie steht es mit Dir: Aachen-Fan oder so? Meine eher leise Werder-Begeisterung stammt noch aus alten Tagen. Ich lebte fast 25 Jahre in Bremen – und lebe jetzt auch nicht so weit davon entfernt (Tostedt liegt auf fast halber Strecke zwischen Bremen und Hamburg, wenn auch etwas näher an Hamburg, wo ich z.B. arbeite).

English Translation for Ian Anderson