Heute Ruhetag (15): Rainer Maria Rilke – Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Rainer Maria Rilke (1875 in Prag; † 1926 bei Montreux, Schweiz) war einer der bedeutendsten Lyriker deutscher Sprache. Bekannt sind seine Duineser Elegien oder die Sonette an Orpheus. Allerdings verfasste er nur einen Roman: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge ist ein 1910 veröffentlichter Roman in Tagebuchform. Der Roman wurde 1904 in Rom begonnen und reflektiert unter anderem die ersten Eindrücke eines Paris-Aufenthaltes des Autors von 1902/03.

Heute Ruhetag!

11. September, Rue Toullier.

So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe eine schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu überzeugen, ob sie noch da sei. Ja, sie war noch da. Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan: Maison d’Accouchement. Gut. Man wird sie entbinden – man kann das. Weiter, Rue Saint-Jacques, ein großes Gebäude mit einer Kuppel. Der Plan gab an Val-ge-grâce, Hôpital militaire. Das brauchte ich eigentlich nicht zu wissen, aber es schadet nicht. Die Gasse begann von allen Seiten zu riechen. Es roch, soviel sich unterscheiden ließ, nach Jodoform, nach dem Fett von Pommes frites, nach Angst. Alle Städte riechen im Sommer. Dann habe ich ein eigentümlich starblindes Haus gesehen, es war im Plan nicht zu finden, aber über der Tür stand noch ziemlich leserlich: Asyle de nuit. Neben dem Eingang waren die Preise. Ich habe sie gelesen. Es war nicht teuer.

Rainer Maria Rilke

Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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