Was ist bloß mit Ian los? Teil 45: Von drei geigenden Damen

Hallo Wilfried,

wenn ich richtig gerechnet habe, ist Dein erster Besuch eines JT – Konzerts am kommenden Samstag 35 Jahre her. In der schnelllebigen Musikwelt ist das ein stolzer Wert. Das spricht für Jethro Tull und seine Fans gleichermaßen. Ich glaube nicht, dass sich in weiteren 35 Jahren die Tokio-Hotel – Fans über ihre Stars austauschen werden.

Dein Zwicken wegen der beiden JT-DVDs wirkt, aber nur halbseitig. Vielleicht bin ich ein Banause, aber auf das Dokument der Isle of Wight kann ich leicht verzichten, da es aus einer für meinen Geschmack zu frühen Schaffensperiode stammt. Die DVD des Tampa-Konzerts würde mich schon mehr reizen, denn in meinen Augen war der Meister in dieser Zeit auf dem Gipfel seiner Kreativität. Aber auch in diesem Fall kann ich den Kauf ohne weitere Entzugserscheinungen weiter nach hinten schieben; nicht zuletzt durch Deinen Einsatz ist auf youtube fast alles zu sehen, was ich sehen möchte.

Ich bin ein sparsamer Mensch, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wenn ich im Moment einige Euros erübrigen könnte, würde ich sie in Zubehör für meine Kamera investieren. So hätte ich z.B. gern einen Polarisationsfilter, aber ich tue mich schwer damit, 70 € für eine kleine Glasscheibe mit Plastikrand auszugeben. Auch hätte ich gerne ein neues Stativ, bei dem ich mir nicht den Rücken verrenken muss, um durch den Sucher blicken zu können. Tja, zwei Wünsche von vielen. Ich möchte damit nur andeuten, dass Investitionen in Musik vorerst noch warten müssen.

Direkt gemeckert habe ich über die langen Fingernägel des Meisters nicht. Ich versuche schließlich, mich zurückzuhalten. Ich habe lediglich geschrieben, dass sie mir aufgefallen seien. Ich habe Gitarrenspieler gesehen, die die Nägel der rechten Hand wachsen lassen, um damit die Saiten zu zupfen. Aber Mr. Anderson zupft die Saiten nicht, zumindest nicht mit den Fingern. Es ist kein Phänomen, dass man über Jahre beobachten könnte. Ich habe mir andere Fotos angesehen; üblicherweise trägt er seine Fingernägel in passabler Länge. Also, es sei ihm verziehen. Ich werde weder Stab noch Nagelschere über ihn brechen. Schreiben wir es seiner britischen Nonchalance zu.

Ich habe mir die von Dir dankenswerterweise gelinkten Tourdaten angesehen. Auf der Deutschlandtour kommt er nicht einmal annähernd in meine Nähe. Das räumlich nächste Konzert wäre in Gelsenkirchen, vielleicht 120 km von hier. Aber für Reisekosten und Eintritt bekäme ich schon fast ein Stativ. Siehst Du, soweit bin ich schon. Der gealterte Meister ist mir nicht einmal ein Stativ wert. Ach, was kann die „Jugend“ grausam sein !

Deiner Aussage, dass der Meister eine ruhmreiche Vergangenheit und eine sehr ungewisse Zukunft hat, schließe ich mich vorbehaltlos an.

Die Montage des Songbooks habe ich Dir nicht geschickt, um Dich neidisch zu machen. Bei aller gebotenen Bescheidenheit erscheint sie mir einigermaßen gelungen. Zumindest für meine begrenzten Möglichkeiten. Elektronische Bildbearbeitung hat mit Technik zu tun und über mein Verhältnis zur Technik brauche ich Dir nichts mehr zu sagen. Im Stillen hatte ich gehofft, dass Du die Montage in Dein Weblog einbaust. Das Foto des Songbooks eignet sich gut für Montagen. Mit gesonderter Post werde ich Dir einen weiteren Versuch von mir zusenden.

Ich wünsche Dir und uns allen weniger stürmische Zeiten und pünktliche Züge. Man muss ja schon froh sein, wenn sie überhaupt fahren…

Bis nächste Woche
Lockwood

20.01.2007

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Hallo Lockwood,

ja richtig, nächsten Samstag ist es bereits 35 Jahre her, dass ich in Hannover bei meinem ersten Tull-Konzert war. Wenn ich der Tull Tour History von ministry-of-information.co.uk glauben darf, dann spielten die Jungs folgende Titel:

My God (w. flute solo, incl. Soirée, By Kind Permission Of…, Bourée), Thick As A Brick, Aqualung, To Cry You A Song, A New Day Yesterday, Cross-Eyed Mary (w. drum solo), Tomorrow Was Today, Hymn 43, Nothing Is Easy, Wind up, Locomotive Breath/Hard-Headed English General, Wind-Up (reprise)

„Thick as a Brick“ wundert mich eigentlich, da die Scheibe erst im März in Großbritannien und im Mai 1972 in den USA auf dem Markt kam. Wenn ich ehrlich bin, dann kann ich mich auch nur ziemlich dunkel an das Konzert erinnern. Als Vorgruppe trat „Gentle Giant“ auf, die ich bis dahin nicht kannte, und die mich ziemlich überraschten. Vielleicht hat mich das auch etwas vom Tull-Auftritt abgelenkt. Mit meinem Freund war ich auf jeden Fall schon sehr früh dort und konnte mir einen guten Platz ergattern (die Halle war unbestuhlt). Ich erinnere mich aber schon, dass ein bis dato ‚unbekanntes’ Stück von ziemlicher Länge vorgetragen wurde (eben: Thick as a Brick) und dass ich die nächsten Tage und Wochen immer wieder vergeblich in die Plattenläden gerannt bin, um die neue Scheibe zu kaufen. Es war auch das Konzert, in dem John Evan über die Bühne gerannt war, um von der Orgel, die wohl rechts außen stand, zum Flügel, der am linken Bühnerand aufgestellt war, zu wechseln. Manchmal denke ich aber, ich habe das nur geträumt.

Nochmals Dank für Deine Songbook-Montage. Ich habe Deine stille Hoffnung durchaus nicht enttäuscht und von mir aus das gelungene Bild in diesem Weblog eingebaut. Augen auf, junger Mann! Der Meister ersteht förmlich aus dem Buch. Ich kann Deine Komplimente nur zurückgeben. Du machst Dich!

Zum Zupfen eignen sich lange Fingernägel durchaus. Was ich meinte bezog sich auf das Greifen der Saiten. Da sollten die Fingernägel möglichst kurz sein.

Was den Kauf z.B. der Tampa-DVD betrifft, habe ich auch lange überlegt, ob ich das Geld dafür ausgeben soll. Ich habe sie dann aber doch gekauft, weil damit die Aussicht verbunden war (noch ist?), dass vielleicht auch der 2. Teil des Konzertes eines Tages als DVD herauskommt. Leider ist es (z.B. im Laufi-Forum) recht leise darum geworden.

Apropos Laufi-Forum und in diesem Zusammenhang die Tull-Tour 2007 (im Forum ab Seite 3 interessant):

Da ist ja in den letzten Tagen viel Aufregung zu spüren – und wie die Ratten springen jetzt wohl auch die eingefleischtesten Tull-Fan von Bord. Klar, ich kann die Aufregung verstehen, da kündigt Herr Anderson eine Tour unter den Namen Jethro Tull an, für Deutschland sogar als „Acoustic and Electric Tull“, und von der Band bleiben neben seiner Wenigkeit nur noch Martin Barre übrig (und das auch nur, wenn dieser kann). Die Diskussion im Laufi-Forum offenbart dabei einige wichtige Details, die mir so ‚unten den Tisch’ gefallen waren, z.B. den großen Umbruch 1980, als z.B. Herr Jobson die Herren Evan und Palmer ablöste. Immerhin kam damals Dave Pegg, denn John Glascock war ja gestorben. Heute wird das Jahr 1980 als Beginn des Endes angesehen, ein ziemlich langer Tod, schreiben wir bereits das Jahr 2007. Aber sicherlich ging der personelle Umbruch auch mit dem musikalischen einher. Du darfst Dich voll und ganz bestätigt sehen. Alles was mit „A“ und danach kam, deckt nicht mehr Deinen musikalischen Geschmack.

Sollten die Herrn Giddings, Noyce und Perry (der angeblich so schwer krank sein soll, sodass er sich nie wieder ans Schlagzeug setzen kann – was dieser ausdrücklich widerrief) tatsächlich in die Wüste geschickt sein, dann finde ich das als solches sicherlich nicht ganz so schlimm (um Herrn Perry täte es mir Leid). Nur sollte Herr Anderson schon den Mut aufbringen und seine Fans entsprechend informieren. Wozu sollte das Internet sonst gut sein.

Und dann einige Anekdoten (Stichwort Autogramme und Catering), die Herrn Anderson nicht gerade im hellen Lichte zeigen. Deine Eindrücke werden hier bestätigt und machen den Meister nicht gerade sympathischer.

Aber komme ich zunächst auf die geigenden Damen zurück, die Herrn Anderson seit einiger Zeit begleiten. Für die Tour 2007 kommt eine weitere Dame hinzu: Anna Phoebe, die wenigstens einen engeren Bezug zur Rockmusik hat.

Lucia Micarelli Ann Marie Calhoun Anna Phoebe
Lucia Micarelli Ann Marie Calhoun Anna Phoebe

Lucia Micarelli kennen wir vom Mozart-Auftritt her, Ann Marie Calhoun war im weihnachtlichen Maria Laach dabei.

Was mich eigentlich wundert ist, dass es damals keinen großen Aufschrei gab, als neben dem Flötenkobold plötzlich eine Geigenfee auf der Bühne stand. Leichte Verwunderung ja, auch schon die eine oder andere Anzüglichkeit. Aber am Ende hat man die Kröte geschluckt. Dabei sind die Auftritte der geigenden Damen größere Einschnitte als der Wechsel von Musikern, wenigstens finde ich das. Da spielt Jethro Tull plötzlich Fremdtitel („Kashmir“ von Led Zeppelin), die eigentlich so nicht ins Programm passen, nur damit eine der Damen sich einmal richtig ‚auslassen’ darf. Wenn Herr Anderson bei Auftritten wie anlässlich des Mozart-Geburtstages oder zuletzt beim Weihnachtskonzert neben sich eine Violinistin duldet, dann ist das in Ordnung. Aber als Special Guest oder so ist eine solche Dame bei nominellen Tull-Konzerten eine eindeutige Fehlbesetzung. Oder war es bisher.

In diesem Zusammenhang habe ich mich gefragt, ob ich wirklich das Konzert 2005 besucht hätte, wenn schon damals eine Lucia, Ann Marie oder Anna mit der Band aufgetreten wäre. Vermutlich nicht – oder nur, weil es ja auch ein Treffen mit einem alten Freund von mir war.

Auch zum neuen Tagebuch-Eintrag von Ian Anderson gibt es im Laufi-Forum einige Unruhe, um es gelinde auszudrücken. Aber genug davon.

Nun, wir müssen davon ausgehen, dass es die Gruppe Jethro Tull als Rockband nicht mehr geben wird. Spätestens mit einem möglichen Ausscheiden von Martin Barre sind dann auch die letzten alten Fans davon gelaufen. Ob das durch neue Fans kompensiert wird, ist zu bezweifeln. Wie gut die Überschrift zu dieser Rubrik passt: Was ist bloß mit Ian los?

Eine geruhsame Woche
wünscht Dir Wilfried

22.01.2007

English Translation for Ian Anderson