Sex, Crime & Kafka: Guilty of Romance

    „Wie viel besser wäre ich dran, wenn ich niemals die Bedeutung der Worte erfahren hätte. Ich stehe still im Inneren deiner Tränen und komme allein zurück in dein Blut.“
    Ryuichi Tamura
    Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.
    Franz Kafka: Das Schloss

Guilty of Romance ist ein japanischer Film aus dem Jahre 2011 von Sion Sono. Er ist nach Love Exposure und Cold Fish der Abschluss von Sonos „Hass“-Trilogie.

    Guilty of Romance (2011)

Eine präparierte Frauenleiche wird im Rotlichtbezirk Tokios gefunden: Der Rumpf und der Oberkörper sind getrennt und nur lose aneinandergelegt. Kopf und Geschlechtsteile fehlen ganz. Einige Extremitäten sind durch Puppenteile ergänzt. Bei ihren Ermittlungen stößt Kommissarin Kazuko Yoshida auf die verschwundene Hausfrau Izumi Kikuchi, die mit einem berühmten Schriftsteller verheiratet ist. Ihr ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, ihm alle Wünsche von den Lippen abzulesen und perfekt den Haushalt zu führen, damit er sich ganz dem Schreiben seiner erotischen Novellen widmen kann.

Emotional und intellektuell frustriert, sucht sie eine Arbeit, findet aber nur eine Anstellung als Wurstverkäuferin im Supermarkt. Ausgerechnet dort wird eine Casting-Agentin auf sie aufmerksam, die nach Pornodarstellern sucht. Izumi gewinnt durch ihren neuen Nebenerwerb eine Souveränität und Selbstsicherheit, die ihr bislang fremd waren.

Sie lässt sich nun häufiger mit fremden Männern ein. Im Rotlichtmilieu macht sie Bekanntschaft mit der Universitätsdozentin Mitsuko Ozawa. Die beiden freunden sich an und Mitsuko lehrt der jüngeren Frau das Geschäft der käuflichen Liebe. Doch als Izumi nach der Lehrzeit ihre Reifeprüfung ablegen soll, wird das einer der beiden Frauen das Leben kosten …

aus: arte.tv


Guilty of Romance (mit dt. Untertiteln)

In dem Film Guilty of Romance stehen zwei Frauen im Mittelpunkt, eigentlich drei, denn die ermittelnde Kommissarin ist ebenfalls in einem Wust aus Sex und Gewalt verstrickt. Beide Frauen sind auf der Suche nach Liebe und Erfüllung, die eine, weil sie ungeliebt von ihrem Mann zu Hause dahin vegetiert; die andere, weil sie die Liebe ihres Vaters, der vor Jahren gestorben ist, verloren hat.

Ein Gedicht von Ryuichi Tamura spielt eine wichtige Rolle, in dem es heißt: „Wie viel besser wäre ich dran, wenn ich niemals die Bedeutung der Worte erfahren hätte“ – und endet mit: „Ich stehe still im Inneren deiner Tränen und komme allein zurück in dein Blut.“

Mitsuko, die Literaturprofessorin, spricht gegenüber Izumi, der Hausfrau, von dem Körper des Wortes, der die des Wortes Bedeutung ergibt: „Bald wird das Wort Liebe für dich einen Körper haben“, sagt Mitsuko zu Izumi. Der Literaturprofessorin folgend erlangen Worte nur dann Bedeutung, wenn sie physisch erfahrbar werden – was wiederum nur über einen Ausbruch aus sexuellen und moralischen Konventionen erreicht werden kann. Die Suche nach dem Ich ist hier immer auch die Überwindung romantischer Bilder und die Entfesselung aggressiver Sexualität (filmstarts.de). Dabei wird „Das Schloss“ von Franz Kafka zum Sinnbild für diese vergebliche Suche. Wie K., der Landvermesser aus dem Roman, finden sie nicht das ‚Tor’, keinen Zugang zum Schloss, also keinen Zugang zum eigenen Ich.

Man ahnt es bereits: Der Film ist ein oft verstörender Ausbruch aus Thriller, Psychodrama, Sexploitation, dem genuin japanischen Erotik-Genre Pink Eiga und einer kulturwissenschaftlichen Abhandlung. Ein provozierendes, schockierendes Werk um Patriarchat, Sex und Gewalt. Sion Sono, einer der wichtigsten zeitgenössischen Regisseure Japans, schließt hier seine „Hass-Trilogie“ ab – mit Stilbrüchen, einer unkonventionellen Bildsprache und natürlich auch mit aufschlussreichen Einblicken in die Kultur Japans.

Mahlers Fünfte ist in „Guilty of Romance“ eines der musikalischen Themen, und je intensiver die Verstörung wird, desto unverdrossener unterlegt Sion Sono den Szenen kammermusikalische Passagen, die keineswegs ironisch wirken, sondern wie eine Struktur, auf der sich das Unerhörte entfalten kann. Die poetologische Selbstdeutung, die er seinem Film durch das Gedicht von Ryuichi Tamura gegeben hat, lässt sich also sogar auf mehr noch beziehen als nur auf den Körper, den die Worte bekommen müssen.

Das Kino insgesamt wird in „Guilty of Romance“ zu einer Erfahrung von Sinnlichkeit und Distanz, in einem ständigen, höchst formbewussten Wechselspiel zwischen Ermittlung und Verstrickung. Das Reich der Sinne hat hier keine Außenseite mehr, es gibt keine Beobachterposition, auf der uns nicht auch irgendwann die spritzende Farbe treffen könnte, und der Hinweis auf den höheren Blödsinn, der dieser Film sicher auch ist, ist keine Gewähr dagegen, dass einen dieser vielleicht ehrgeizigste aller Erotikthriller nicht doch ein wenig mitnimmt (Quelle: faz.net).

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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