Hallo Wilfried, Hallo Lockwood!
Xerokambos, Kreta – 19.06.2007
Nun sitze ich also hier am Ende der Welt im Schatten auf der Terrasse vor meinem Zimmer, Meeresblick inbegriffen. Gestern hat mich ein wenig der Sonnenbrand ereilt, und da es heute außerdem sehr windig – eher schon stürmisch – ist, werde ich wohl erst gegen Abend an den Strand gehen. Und inzwischen tue ich, was ich nicht lassen kann – ich schreibe. Ich habe nämlich etwas getan, was ich bei jedem Anderen bislang mit Spott und Häme quittiert hätte, ich habe tatsächlich meinen Laptop mit in den Urlaub genommen. Mich hat doch der Gedanke gequält, dass mich auch im Urlaub die Schreibwut überkommen könnte, und dass es einfach furchtbar wäre, wenn ich dann meine „Schreibmaschine“ nicht griffbereit hätte. Das hätte mir wo möglich den ganzen Urlaub versaut. Und das wollte ich nicht riskieren. Außerdem kann ich so jeden Abend gleich die neuen Bilder von der Digitalkamera herunterladen. Die wäre sonst schon nach 3 Tagen übergelaufen, ich habe alleine gestern 45 Aufnahmen gemacht. Im Urlaub packt mich nämlich immer auch die Photographierwut.
Aber das interessiert Euch sicher alles garnicht, Ihr wollt eher wissen wie es um meine Jethro Tull Aktivitäten bestellt ist. Um es kurz zu machen, ich habe immernoch kein Ticket fürs Konzert, und vor Samstag bekomme ich hier am Ende der Welt (äußerste Südostküste Kretas, von Iraklio 175 km entfernt) auch keines mehr. Dummerweise bin ich an einem Sonntag in Iraklio gelandet, und man hat mich schon am Flughafen darüber aufgeklärt, dass sonntags die Karten-Verkaufsstellen geschlossen haben. Allerdings hat man mir glaubhaft versichert, dass es bestimmt am Samstag noch Karten gäbe. Jethro Tull wären hier nicht so bekannt, da könne ich sicher auch noch an der Abendkasse mein Ticket lösen. Überhaupt wäre es bei solchen Veranstaltungen hier üblich, nachdem alle zahlenden Gäste eingelassen sind einfach die Tore für Jedermann zu öffnen, falls es noch freie Plätze gibt. Ob Meister Anderson über diese griechischen Sitten informiert ist… Vielleicht gilt dieses Verfahren aber auch nur für griechische und nicht für schottische Konzerte.
Aber komme ich nun zu Euren letzten Mails. Wilfried hat Einiges über typisch amerikanische und typisch britische Mentalität geschrieben. Nun war ich selbst einmal ein Vierteljahr in den USA, aber darüber, wie „die Amerikaner“ sind, würde ich jetzt deswegen keine Aussage machen wollen. Ich habe diese 3 Monate auf einer Ranch in Texas gearbeitet, und außer den Ranch-Besitzern, deren nächstem Verwandten- und Bekanntenkreis und einigen mexikanischen „Gastarbeitern“ (fast alle illegal) niemanden kennengelernt. Das wäre genauso, als hätte ich 3 Monate auf einem Aussiedler-Berghof im Bayrischen Wald verbracht und wollte jetzt etwas über „die Deutschen“ erzählen. Natürlich hat man trotzdem, wie Wilfried schon richtig vermerkt hat, aufgrund von Medienberichten und Hollywood-Filmen so seine Vorstellungen.
Zum Stichwort „unverbindliche Art der Amerikaner“ fand ich folgenden Kommentar bemerkenswert, den man unter diesem Video von Almost Saturday Night nachlesen kann (es geht einmal wieder um John Fogerty):„I met John backstage at a Connecticut show in ’97, thanked him for writing this song, my favorite, and asked could he add it to the setlist next time he came around. He said „Sure!“ And he did. I’ll take full credit(j/k).“ Natürlich kann man den Wahrheitsgehalt solcher Kommentare nicht nachprüfen. Trotzdem erscheint mir dieser glaubhaft. Man stelle sich im Gegenzug vor: Man trifft Mr. Anderson backstage (ich weiß nicht genau, was man tun müsste um in diesen Genuss zu kommen, bei Mr. Fogerty reicht dafür evt. die Mitgliedschaft im örtlichen Fanclub), dankt ihm dafür, dass er „A Passion Play“ geschrieben hat und bittet ihn ein Stückchen daraus zu spielen, wenn er das nächste Mal vorbeikommt. Er sagt „Aber klar doch!“ und tut das dann auch tatsächlich. Eher unwahrscheinlich, oder? Jetzt ist natürlich „A Passion Play“ nicht mit „Almost Saturday Night“ vergleichbar. Ob man vielleicht mit, sagen wir mal, „We Used To Know“ bessere Chancen hätte? Allgemein glaube ich, dass dieses „Sie-wünschen-wir-spielen“ Prinzip bei den wenigsten Musikern funktionieren würde.
Wilfried hat weiterhin ein Zitat aus einem Buch von Dietrich Schwanitz aufgeführt, in dem es um die amerikanische Tischsitte geht, zuerst das Steak mit dem Messer zu zerkleinern, um dann allein mit der Gabel essen zu können. Jetzt kenne ich den Zusammenhang nicht, aus dem der Ausschnitt entnommen ist, aber der Text scheint mir doch eher witzig gemeint zu sein, denn besonders viel Sinn macht der Inhalt für meine Begriffe nicht. Wer hält denn den Colt in der linken Hand, wenn man ihn zum Schießen rechts braucht? Im Übrigen habe ich auch schon Deutsche so essen sehen. Ich denke Tischmanieren sind eher eine Frage von sozialer Herkunft, Gewohnheit und Bequemlichkeit.
Dann war ich erstaunt zu lesen, dass Mr. Anderson aufgrund seiner Bildung der „Upper Class“ zuzurechnen sei. Habe ich da etwas nicht richtig mitbekommen? Ich dachte er ist mit 16 von der Schule abgegangen, hat keinerlei abgeschlossene Berufausbildung und kann außerdem weder Noten lesen noch hat er einen Führerschein. Was davon prädestiniert nun für die „Upper Class“? Da hat ja Mr. Fogerty mehr zu bieten, der hat zumindest mal einen High School Abschluss.
Nicht dass ich hier falsch verstanden werde – ich bin die Letzte, die glaubt, dass ein bestimmter Bildungsabschluss gleichzusetzen sei mit einem bestimmten Intelligenzgrad. Zu meinem Freundeskreis zählen mehrere Personen mit Realschulabschluss, von deren gesundem Menschenverstand ich noch manches lernen kann und deren Rat mir immer willkommen ist, während ich Personen mit Hochschulexamen kenne, die so hohl sind wie ein Luftballon (und auch ungefähr so aufgeblasen). Ich erwähne die Bildung des Mr. Anderson nur, da sie von Wilfried als Grund für seine Zugehörigkeit zur „Upper Class“ aufgeführt wurde. Die würde ich aber eher in Anderson’s Herkunft aus dem Randbereich der High Society sehen – der Vater als Hoteldirektor verkehrte wohl eher in den „besseren Kreisen“ und kannte auch einige Prominenz.
Nach eigenen Worten kommt Mr. Anderson allerdings „down from the upper class“, d.h. sie ist seine Herkunft, die er aber verlassen hat, er zählt sich selbst nicht mehr dazu. Für ihn scheint sie auch eher gleichbedeutend zu sein mit „High Snobiety“, mit der er sowieso nichts zu tun haben möchte. Er sieht sich selbst lieber als den einfachen „Landmann“. Der elitäre Anspruch, von dem ich schrieb, bezieht sich ausschließlich auf sein Metier, die Musikbranche, und schlägt sich in einem ausgeprägten Konkurrenzdenken nieder. Mr. Anderson möchte gerne immer und überall der Beste sein – der Beste auf seinem Instrument, der beste Texter, der beste Songschreiber etc.. Nach eigenen Angaben ist er als Kind der „Upper Class“ von klein auf auf Erfolg getrimmt worden (Wind Up: „…they groomed me for success…“ – Thick As A Brick: „…a son is born, an we pronounce him fit to fight…“). (Sorry, wenn meine Zitate nicht ganz korrekt sind, ich kann hier nirgends die genauen Textstellen nachschlagen…). Diese Erziehung scheint bei ihm auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein.
Ich kenne keinen anderen Musiker, der sich ständig in der Öffentlichkeit derart mit der „Konkurrenz“ vergleicht. Kein Konzert und kein Interview, bei dem er nicht irgendwann den Namen mindestens eines anderen Musikers oder einer anderen Band erwähnt. Am häufigsten sind das Led Zeppelin, die er wohl einerseits bewundert und andererseits für seine stärkste Konkurrenz hält. Anspielungen auf „Stairway To Heaven“, „Whole Lotta Love“ oder auch „Led Zeppelin’s famous hit Whole Lotta Brick“ (für meine Begriffe sein bester Gag) gehören praktisch zu jedem Auftritt, aber auch Deep Purple’s „Smoke On The Water“ findet Erwähnung. Aussprüche wie „On guitar Martin Lancelot Barre, balding as ever, comes next to Elton John“ oder „I think we could be Johnny Cash, if we tried very hard“ sind ebenfalls typisch für ihn. In einem Interview von 1975 vergleicht er sich mit David Bowie, in einem anderen Interview von 1977 zählt er fast die gesamte damalige Rock-Elite auf (darunter auch wieder Led Zeppelin, Elton John und David Bowie) und bringt dann gar noch Beethoven ins Spiel, und bei einem Interview von 2003 lässt er sich ausgiebig über Michael Jackson aus, obwohl ihn kein Mensch danach gefragt hat. Man muss ihn eigentlich nur 2 Minuten reden lassen, schon ist er bei einem anderen Musiker, mit dem er sich vergleicht. Dieses „Ich-muss-der-Beste-sein-Wo-stehe-ich“ scheint ihn ständig zu verfolgen. Und wenn er meint, in irgendeinem Punkt besser zu sein als ein Anderer, dann bringt er das entsprechend deutlich zum Ausdruck.
Xerokambos, Kreta – 20.06.2007
Es ist immernoch sehr windig und auch der Sonnenbrand muss noch ein bißchen gepflegt werden. Also sitze ich einmal wieder auf der Terrasse…
Wilfried hat einige Beispiele für das „politische Engagement“ des Mr. Anderson aufgeführt, die für mich allerdings eher unter die Rubrik „soziales Engagement“ fallen würden. Einsatz für Natur- und Artenschutz zählen für mich ebenso dazu wie Auftritte zugunsten von Tsunami-Opfern, AIDS-Kranken oder Obdachlosen. Gesellschaftskritische Anmerkungen in einigen Songtexten haben für mich nichts mit Politik zu tun, genauso wenig wie öffentliche Bekundungen gegen amerikanische Flaggen oder Hippies. Und wenn Mr. Anderson mal, wie hier, einem bekannten Politiker die Hand schüttelt, dann ist das „PR“ und keine politische Aktion. Unter politischem Engagement verstehe ich eigentlich eher die Stellungnahme zu aktuellen tagespolitischen Ereignissen oder Entscheidungen bzw. den Versuch diese zu beeinflussen.
Um einmal wieder Mr. Fogerty zum Vergleich heranzuziehen: Sein Fortunate Son von 1969 wandte sich gezielt gegen den Vietnam-Krieg und gegen die politische Entscheidung vor allem die Söhne der „Lower Class“ in diesem Krieg zu „verheizen“. Im Jahre 2004 hat er mit Deja Vu (All Over Again) gegen den Irak-Krieg und seine Folgen protestiert. Der Irak-Krieg hätte auch ein Thema für Mr. Anderson sein können, schließlich hat sich auch Großbritannien heftig an diesem Krieg beteiligt. Mir ist aber nicht bekannt, dass sich Mr. Anderson zu diesem Thema vernehmbar geäußert hätte, zumindest nicht musikalisch. Das soll jetzt keine Kritik sein, es ist nur eine Feststellung. Ich halte Mr. Anderson für einen eher unpolitischen Menschen. Allein im Bereich Natur- und Umweltschutz zeigt er ein gewisses politisches Interesse, was sich in Liedern wie z.B. dem bereits aus anderen Gründen erwähnten Silver River Turning oder auch Farm On The Freeway niederschlägt.
Nun hängt das politische Engagement amerikanischer Künstler auch mit speziellen amerikanischen Gepflogenheiten zusammen. Traditionsgemäß werden in den amerikanischen Wahlkampf-Zirkus so ziemlich alle erwähnenswerten Künstler aus Musik und Film mit eingebunden, jede Partei versucht sich zu schnappen, wessen sie habhaft werden kann. Und so wurde auch Mr. Fogerty schon auf diversen Wahlkampfveranstaltungen der Demokraten gesichtet, wo er vermutlich zum musikalischen Rahmenprogramm beitragen und anschließend seine Wahlempfehlung ins Mikrophon sprechen durfte. In den USA kann man sich als Künstler also der Politik viel weniger entziehen als in Großbritannien. Andererseits hat man auch größere Chancen, mit dem was man sagt oder singt politisches Gehör zu finden, denn spätestens im nächsten Wahlkampf wird man wieder gebraucht. Das führt wohl allgemein zu einem stärkeren politischen Engagement amerikanischer Künstler, als man es aus anderen Ländern gewohnt ist. Trotzdem: Zuerst hat Mr. Fogerty seine Songs geschrieben (darunter mit „Working Man“ z.B. auch ein Titel über die Arbeitsbedingungen einfacher Arbeiter), dann sind die Demokraten zu dem Schluss gekommen „Der könnte zu uns passen“.
Nun wird es aber Zeit, dass ich mich dem armen Lockwood zuwende, den ich offensichtlich durch meine letzten Bemerkungen zu Brian May und seinem Gitarrenspiel persönlich schwer getroffen habe. Lieber Lockwood, ich war bestürzt zu lesen, dass Dir meine Worte die Tränen in die Augen getrieben haben. Bitte entschuldige vielmals mein unsensibles Vorgehen. Ich weiß, mir mangelt es immer wieder am nötigen Fingerspitzengefühl, meine oftmals kritischen Ansichten schonend und positiv motivierend vorzubringen. Ich werde mich bemühen in Zukunft meine Worte mit mehr Feingefühl zu wählen.
Und da stehe ich nun schon vor dem Problem: Wie tue ich das? Das von Dir zuletzt verlinkte „The March of the Black Queen“…wie soll ich sagen…könnte bei mir einen ersten Preis gewinnen für das wirrste Musikstück, das ich je gehört habe. Es klingt als ob Musikschnipsel aus ungefähr einem Dutzend unterschiedlicher Songs unterschiedlicher Musikrichtungen per Zufallsgenerator zusammengestückelt worden wären. Wobei keine dieser Musikrichtungen meinem Geschmack entspricht. Oh je, das war jetzt wahrscheinlich auch wieder nicht besonders feinfühlig formuliert. Bitte nicht gleich weinen! Queen ist halt vermutlich einfach nicht mein Fall. Diesen Eindruck hatte ich schon in den 70ern, und daran hat sich wohl auch nichts geändert.
Da kann ich mit Mr. Clapton, der „Supergroup“ Cream und dem Titel „White Room“ schon mehr anfangen. Cream waren mir bislang nur dem Namen nach bekannt, auch von Eric Clapton hatte ich wohl noch nie bewusst etwas gehört. Dass er das Solo in „While My Guitar Gently Weeps“ spielt, war mir unbekannt, gibt aber unbedingt Pluspunkte. Und „White Room“ klingt interessant, der Song hat etwas…
Außerdem kommt mit Cream nun eine weitere Art von Rockband ins Spiel – neben der „One-Man-Band“ (a la Jethro Tull, Dire Straits oder CCR) und der „Group Band“ (z.B. Queen) nun noch die „Supergroup“. Sie besteht ausschließlich aus Frontmännern und hat offensichtlich eine noch kürzere Halbwertzeit als die „One-Man-Band“. Schon nach 2 Jahren war sie am Ende, da ihre 3 Köpfe in unterschiedliche Richtungen marschieren wollten. Insbesondere Mr. Clapton scheint sich danach kreuz und quer durch die Musiklandschaft gespielt zu haben, so wie in seinem Leben wohl auch noch so manches andere kreuz und quer gelaufen ist. Da kann man sich nur wundern, dass er das alles doch relativ unbeschadet überstanden zu haben scheint und heute noch auf einer Bühne stehen und spielen kann. Ich gönne es ihm. Jimi Hendrix dagegen, auch wenn das hart und herzlos klingt, weine ich keine Träne nach. Weder konnte ich je mit seiner Musik etwas anfangen, noch hat er meiner Meinung nach irgend einen positiven Einfluss auf seine Umwelt ausgeübt – eher ganz im Gegenteil.
Xerokambos, Kreta – 21.06.2007
Gestern habe ich die neue Erfahrung gemacht, dass auch Krabben ganz unterschiedliche Charaktere haben können. Gegen Abend saß ich auf einem meerumspülten Felsplateau und konnte etwa eine Stunde lang gleich 3 Exemplare gleichzeitig beobachten. Die erste, durch die ich auf die „Krabbenstelle“ überhaupt erst aufmerksam wurde, war von der gefräßigen Sorte. Sie ließ sich durch mich nicht stören und knabberte an einem Stück Meerespflanze, als ich sie entdeckte. Es sah lustig aus, wie sie bald mit der linken und bald mit der rechten Schere ein Stückchen Pflanze abzwickte und ins Maul schob (sagt man bei Krabben so?). Die zweite saß in einer dunklen Felsspalte etwa einen halben Meter entfernt, und hatte sich genauso dunkelgrau gefärbt wie der Untergrund. In Abständen lugte sie mit ihren Stielaugen aus der Felsspalte hervor, zuckte aber jedesmal sofort zusammen, sobald ich mich bewegte, und verschwand wieder in ihrem Versteck – ein scheues und ängstliches Exemplar. Die Dritte schien – im Gegensatz zu den anderen beiden – farbliche Tarnung nicht nötig zu haben. Mit ihren rotbraunen Flecken auf hellem Grund hob sie sich deutlich vom sandfarbenen Felsen ab. Sie war die größte und dickste von Allen und von eher phlegmatischem Typ. Ungefähr im Abstand von je 10 Minuten bewegte sie mal ein Bein oder knapste ein Stück Alge vom Stein, während inzwischen Vielfraß Nr. 1 etwa 30 cm entfernt quer über den Fels wanderte und dabei den schmierigen Algenfilm abgraste. Dieses Tier hat wirklich eine Stunde lang ununterbrochen gefressen und war damit noch nicht fertig, als ich mich schließlich auf den Heimweg machte.
Soweit zu meinen neuen Erkenntnissen aus dem Reich der Krabben. Ich schreibe das alles nur, um Euch einen kleinen Einblick in meinen erlebnisreichen Tagesablauf zu geben. Irgendwelcher Bezug zu den Herren Anderson, Fogerty und Co. wäre rein zufälliger Natur.
Kommen wir zurück zur Musik. Was die Leistungen des Mark Knopfler betrifft, scheinen wir uns ja alle ziemlich einig zu sein. Und der Rest der Welt wohl auch. Ich finde es erstaunlich, mit wem oder für wen Mr. Knopfler schon in die Gitarrensaiten gegriffen hat. Von Bob Dylan, der ihn schon 1979 für sein Album „Slow Train Coming“ angeheuert hatte, über Eric Clapton bis John Fogerty (wie wir ja schon gesehen und gehört haben). Ich habe den Eindruck so ziemlich jeder, der eine Gitarre halten kann, möchte wenigstens einmal mit ihm zusammen arbeiten um ihm über die Schulter zu schauen und zu sehen, wie er das macht.
Weitere Gitarristen kenne ich nicht – jedenfalls ist mir keiner aufgefallen, der mich besonders beeindruckt hätte. John Fogerty würde man ja offiziell bestimmt nicht dazu zählen wollen – wobei mir das eigentlich ziemlich schnuppe ist. Wie ich schon erwähnt habe finde ich das Solo aus I Put A Spell On You (hier mal eine Live-Version aus Woodstock) auch ziemlich stark. Aber im Moment möchte ich dieses Video eigentlich nur zur Überleitung auf ein neues Thema benutzen: Pleiten, Pech und Pannen in Musikvideos.
Eigentlich gibt es keine Woodstock-Videos von CCR, aufgrund der schlechten Qualität hat sie John Fogerty nie zur Veröffentlichung freigegeben. Wenn man die Aufnahmen sieht, weiß man auch warum. Wegen organisatorischer Mängel fand der Auftritt von CCR erst zwischen 1:00 und 3:00 Uhr nachts statt als die meisten Fans schon schliefen (oder sonstwie voll zugedröhnt waren). Auch die Kameraleute und die Tontechniker waren wohl schon in Tiefschlaf versunken. Das Bild ist kaum ausgeleuchtet, man sieht nur schemenhaft ein paar Dunkelmänner auf der Bühne, dazu ist der Ton übersteuert und schäppert. Irgendwie müssen einige Fans doch der Aufnahmen habhaft geworden sein und haben versucht, noch das beste daraus zu machen. An der Kameraführung konnten aber auch sie nichts mehr ändern. Beim Gitarrensolo von „I Put A Spell On You“ (siehe oben) wird ausgiebig Fogerty’s Rücken gefilmt, der Gitarrenhals von hinten oder das Schlagzeug statt der Gitarre (und zwar möglichst von vorne) – wer möchte denn sowas sehen?
Was für die Amerikaner und CCR Woodstock war, war für die Briten und Jethro Tull die Isle Of Wight. Davon gibt es durchaus gelungene Aufnahmen, die man ja auch auf DVD erwerben kann, aber auch hier gibt es eine Stelle, bei der ich immer lachen muss, da sie dokumentiert wie die Kameraleute damals von den neuen Herausforderungen eines Rockkonzerts (und vor allem eines Ian Anderson) doch etwas überfordert waren. Offensichtlich waren sie bis dahin gewohnt, dass man um einen Sänger zu filmen seine Kamera auf’s Mikrophon ausrichten und sich dann auf ein Nickerchen ablegen kann. Das hat bei Mr. Anderson so nicht ganz funktioniert.
Nachdem er seine vier Strophen von We Used To Know abgesungen hat, vollführt er einen seiner berüchtigten Fallrückzieher, wodurch er innerhalb von Sekundenbruchteilen komplett aus dem Bild verschwindet. Es vergehen einige Schrecksekunden bis der Kameramann merkt, dass er einen nackten Mikrophonständer filmt. Mit zittriger Hand geht er auf die Suche nach dem Objekt seiner Begierde, das zu diesem Zeitpunkt noch ungefähr 20 cm flach über dem Boden schwebt. Bis er es entdeckt hat, springt dieses allerdings auf und rennt davon. Er versucht verzweifelt ihm mit wackliger Kamera zu folgen, bekommt es aber nie so recht ins Bild. Schließlich wird auf die Kamera auf der vom Zuschauer aus rechten Bühnenseite umgestellt, von der aus vermutlich die ganze Aktion komplett im Bild gewesen wäre. Warum eigentlich nicht gleich so?
Xerokambos, Kreta – 22.06.2007
Gestern habe ich nach dem Baden noch eine kleine Wanderung in eine Schlucht unternommen. Immer nur in Gesellschaft von Krabben fand ich es auf die Dauer doch etwas öde, ich wollte einmal wieder die Ansprache eines Wirbeltiers, und in Schluchten trifft man üblicherweise auf Ziegen. In dieser hatte ich allerdings Pech. Die einzigen Lebewesen, auf die ich traf (außer den Insekten) waren ein paar Vögel, vor allem ein Bussard oder Habicht, der sich etwa 3 Meter über meinem Kopf schlechtgelaunt aus eine Felshöhle stürzte. Ich hatte ihn wo möglich beim Brüten gestört.
Abends in der Taverne hatte ich dann nochmals Pech. Auch hier am Ende der Welt ist ja schon die Neuzeit eingekehrt, und bei Kostas kann man gratis im Internet surfen. Also dachte ich, ich schaue mal in meinen Emails nach, ob es etwas Neues von Wilfried oder Lockwood gibt. Die technischen Gegebenheiten, die ich vorfand, entsprachen allerdings nach meiner Erinnerung dem Stand aus dem letzten Jahrtausend. Es dauerte mindestens 5 Minuten, bis auch nur die Verbindung zum Internet hergestellt war, und danach dauerte jeder Seitenaufbau ungefähr genauso lang. Als ich auf diese Weise nach einer halben Sunde endlich bei Yahoo eingeloggt und in meinem Postfach angekommen war, konnte dann plötzlich die Seite mit den Mails nicht angezeigt werden und der Rechner hängte sich komplett auf. Restart – Dauer ca. 10 Minuten – neue Verbindung mit dem Internet. Das Einloggen konnte ich mir diesmal sparen, aber wieder konnte die Seite mit den Mails nicht geöffnet werden. Dann habe ich testhalber mal versucht, meine eigene Homepage aufzumachen – ging auch nicht. Da habe ich mich bei Yahoo wieder ausgeloggt (wenigstens das ging noch!) und bin unverrichteter Dinge gegen Mitternacht nach Hause gezogen.
Soweit mein pannenreicher Tag von gestern. Und nun zu den pannenreichen Videos. Das letzte, das mir zu diesem Thema im Moment einfällt, ist der CCR-Clip zu Sweet Hitch-Hiker von 1972 – eigentlich weniger ein Pannen-Video als mehr ein weiteres Beispiel für unsinnige Kameraführung. Nahaufnahmen sind wirklich sehr schön, aber man kann es auch übertreiben. Wenn eine Nahaufnahme so nah ist, dass nur noch zwei Zähne im Bild sind, dann fragt man sich langsam, was das soll.
Apropos Zähne – ich finde es immer wieder herzerfrischend wie die Herren um 1970 beim Singen ihre nicht immer tadellosen Gebisse entblößt haben. Mr. Anderson’s Zahnfehlstellungen lassen sich z.B. sehr schön anhand dieses bei mir besonders beliebten Witch’s Promise Video analysieren. John Fogerty’s lückig vorstehende Schneidezähne können u.a. in den bereits verlinkten Videos zu …Grapevine oder …Backdoor besichtigt werden. Das oben erwähnte Video zu „Sweet Hitch-Hiker“ wäre sicher auch als Arbeitsgrundlage für einen Kieferorthopäden oder Zahntechniker geeignet. Heute stehen bei diesen Herren die Zähne makellos in Reih und Glied, was vermuten lässt, dass sie alle nicht mehr echt sind. Ich fand sie mit den Original-Zähnen irgendwie netter, das hatte sowas Ursprüngliches. Meine Zähne sind jedenfalls immernoch so schief wie damals…
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Heute gab es bei mir am Strand noch mehr Pannen. Zunächst einmal war es nicht nur windig sondern stürmisch. Eigentlich meide ich Sandstrände an solchen Tagen, aber es gab da noch ein bestimmtes Felsplateau, bei dem ich schnorcheln wollte, direkt am Sandstrand. Während ich im Wasser war muss wohl der Wind aufgefrischt sein. Als ich plitschnass herauskam geriet ich jedenfalls direkt in einen Sandsturm und wurde mit Sandkörnern paniert. Das liebe ich garnicht, also schnappte ich schnell meine Sachen, um barfuß quer über den Strand zu den windgeschützten Felsen zu laufen. Ungefähr auf halbem Wege trat ich in irgendetwas – AUA – konnte mich aber nirgends hinsetzen und hatte im Sandsturm auch keine Lust dazu. Also humpelte ich bis zu den Felsen weiter, wo ich schließlich am Wasser einen Stein zum Hinsetzen fand. Dort konnte ich mir dann einen kleinen Glassplitter aus der sandigen Fußsohle ziehen.
Während ich noch darauf wartete, dass der Schmerz nachlässt, fiel mir ein, dass es mir vor Jahren in Italien noch viel schlimmer ergangen war. Im zarten Alter von 16 Jahren war ich mit meinen beiden besten Freundinnen für zwei Wochen nach Sorrent in Urlaub gefahren. Es war das erste Mal, dass wir unbeaufsichtigt auf den Rest der Menschheit losgelassen waren, und der Rest der Menschheit in Form von Horden heißblütiger Italiener auf uns. Ich möchte mich jetzt nicht über die Details dieses erlebnisreichen Urlaubs auslassen, nur soviel: Falls Ihr noch Töchter unter 18 Jahren habt, lasst sie nicht allein nach Italien! Ich glaube nicht, dass sich die Zustände inzwischen gebessert haben. Übrigens: Falls die Töchter schon über 18 sind, würde ich sie auch nicht fahren lassen. Aber ich komme vom Thema ab.
In diesem Urlaub war es uns allen Dreien gelungen bereits am ersten oder zweiten Tag in Seeigel zu treten, übrigens auf der Flucht vor Italienern. Da die Stacheln nicht mehr aus den Füßen zu bekommen waren, haben wir praktisch 2 Wochen Urlaub mit Seeigel-Stacheln in den Füßen verbracht. Wir konnten zwar nur mühsam laufen, aber es war trotzdem ein toller Urlaub, der uns immer in guter Erinnerung bleiben wird. Beim Gedanken daran war der Glassplitter schon bald vergessen.
Ich hatte danach noch einen schönen restlichen Nachmittag auf den Felsen, aber ich sollte noch nicht die letzte Panne erlebt haben. Auf meinem Weg zurück vom Strand zum Zimmer komme ich immer an einem Salzsee vorbei. Es ist eine mit Meerwasser gefüllte Senke, die schon vor Wochen durch eine Sandbank vom Meer abgetrennt wurde und seither vor sich hin dümpelt. Das seichte Wasser hat Badewannen-Temperatur, die Algen wachsen, es stinkt. Man kann zusehen, wie der „See“ durch Verdunstung von Tag zu Tag kleiner wird, in ein paar Wochen wird es nur noch eine salzverkrustete Sandfläche sein, so wie seinerzeit im August, als ich das letzte Mal hier war.
Am Rande des Sees ragen inzwischen einige Sandkuppen aus dem schlammigen Wasser, und es schien mir eine nette Abwechslung, meinen Weg zurück über diese Sandkuppen zu nehmen. Allerdings hatte ich nicht mit deren schmieriger Konsistens gerechnet. Bereits beim Sprung von der zweiten zur dritten Kuppe – ich musste einen kräftigen Satz machen – rutschte ich auf der glitschigen Oberfläche aus und fiel der Länge nach hin. Zum Glück konnte ich meine diversen Badesachen vor der Algenbrühe bewahren, aber davon abgesehen war ich großflächig schlammverschmiert und in meinen Sandalen befand sich je ungefähr ein Pfund sandiger Schlick – es sind die Sandalen, die ich morgen ins Konzert anziehen wollte, ich habe keine anderen.
Nun ja, ich habe die Sandalen inzwischen gewaschen und zum Trocknen aufgehängt, hoffentlich sind sie morgen wieder brauchbar. Ansonsten steht mir morgen ein anstrengender Tag bevor – Sachen packen, zurück nach Iraklio fahren (ca. dreieinhalb Stunden reine Fahrzeit), Zimmer für die Nacht finden, Busfahrzeiten nach Lendas für Sonntag in Erfahrung bringen, Auto zurückgeben, und nicht zuletzt – irgendwie ins Jethro Tull Konzert kommen. Mal sehen, wie mir das alles gelingen wird. Vermutlich komme ich frühestens übermorgen wieder zum Schreiben, dann aus Lendas.
Bis dahin grüßt Euch
Kretakatze
PS.: Um noch ein weiteres Mal auf das Karohemd-Thema zurückzukommen (nicht gleich stöhnen…) und dabei noch einen weiteren Aspekt ins Blickfeld zu rücken: Tatsächlich gibt es einen Fernsehauftritt von 1969, bei dem John Fogerty in einem einfarbig schwarzen Hemd erscheint: Es ist die Aufnahme von Fortunate Son, die ich schon mehrfach verlinkt hatte. Das hat mich zunächst tief betrübt, bis ich am Schluss dieser bei gleicher Gelegenheit aufgenommenen Version von Down On The Corner erkannt habe, warum. John trägt das gleiche Hemd wie sein Bruder Tom, wahrscheinlich sollte das der „Brüder-Look“ sein. Ich würde soweit gehen zu vermuten, dass man John vor diesem Auftritt von höherer Stelle nahegelegt hatte, mal was Gescheites anzuziehen, schließlich hatten CCR bei irgendeiner Wahl den ersten Platz belegt und ein kurzer Auftritt zusammen mit dem Moderator war auch noch angesagt. Tom hatte sich zu diesem feierlichen Anlass gar extra noch eine weiße Kravatte ans schwarze Hemd gebunden und sah daher wohl so seriös aus, dass er schließlich als einziger von der Truppe auch noch ein paar Worte sagen durfte.
Was mir bei dieser Gelegenheit auch noch auffiel: Doug Clifford war zu dieser Zeit bei Auftritten üblicherweise mit einem geringelten T-Shirt bekleidet. Auch er erscheint zu diesem Anlass im einfarbigen Hemd, allerdings: Dafür ist die Hose gestreift. Ich finde die Jungs wirklich so goldig… Tatsächlich fällt mir ein nicht geringelter Doug Clifford ungefähr genauso heftig ins Auge wie ein unkarierter John Fogerty. Ich weiß nicht mehr, was die Jungs auf dem Poster über meinem Bett anhatten, aber ich würde wetten: Fogerty war kariert und Clifford war geringelt. Es ist wirklich unglaublich, wie sich diese Bilder aus frühster Kindheit und Jugend für immer ins Gehirn einbrennen.
Jetzt bin ich aber immer noch nicht ganz bei dem Punkt, zu dem ich eigentlich kommen wollte – sorry, ich bin heute ziemlich weitschweifig. Aber jetzt kommt’s gleich. Wenn man mich nun fragen würde, wie die anderen beiden Band-Mitglieder eingekleidet sein müssten, dann würde ich sagen: Stu Cook – gemustertes Hemd, Tom Fogerty – einfarbiges Hemd. Ob auch wegen dem Poster, weiß ich nicht, aber diese Kleiderordnung passt zu fast allen Videos, die ich bisher gesehen habe. Und das finde ich ein geradezu geniales Prinzip. Man vepasst in einer Gruppe jedem sein eigenes Muster: Einer kariert, Einer gestreift, Einer sonstwie gemustert und Einer einfarbig. Das hat einen ungeheuren Wiedererkennungswert selbst bei Personen mit schwerer Sehbehinderung oder solchen, die sich keine Gesichter merken können (so wie ich zum Beispiel). Heutzutage werden nach monatelanger Markterforschung derartige Gruppen am Reissbrett entworfen, und CCR haben das schon Ende der 60er Jahre einfach so aus dem Ärmel geschüttelt. Bewundernswert!
Bei Jethro Tull hätte dieses Prinzip leider nie funktioniert, denen wären schon nach kurzer Zeit die Muster ausgegangen. Dabei hätte ich es bei denen viel nötiger gehabt. Die CCR-Jungs sahen alle so unterschiedlich aus, die hätte ich auch ohne Muster auseinanderhalten können. Bei den Jethro Tullern hatte ich da immer Probleme – Alle mit so langen Haaren und ziemlich zugewachsen, Anderson und Barre beide irgendwie blond gelockt, dazu von Jahr zu Jahr mindestens ein Musiker ausgetauscht – da wären klar abgegrenzte Muster oder Farben zur Identifikation schon hilfreich gewesen.