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Was ist bloß mit Ian los? Teil 81: Tull und Fogerty in Concert

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

inzwischen fand nun auch das Jethro Tull Konzert in Calw statt, und wie ich über das Laufi-Forum erfahren habe war es wohl schon über eine Woche vorher ausverkauft. Wie schön für Mr.Anderson! Ich hatte mir ja die Option offen gelassen, dort vielleicht auch noch hinzugehen, das hatte sich dann natürlich erübrigt – ohne Ticket. Ich hatte aber auch sowieso nach dem Konzert auf Kreta schon beschlossen, dass Calw nicht mehr unbedingt notwendig ist. Käme dagegen Mr. Fogerty nächste Woche noch einmal vorbei, wäre ich sofort wieder mit von der Partie. Der ist allerdings inzwischen längst nach Canada weiter gejettet. Also vielleicht noch ein kurzes abschließendes Resumee der beiden Konzerte im Vergleich.

Wenn man einmal den Gesamteindruck der beiden Bands betrachtet, dann fällt Einem doch auf, dass Jethro Tull einen ziemlich angegrauten Eindruck machen. Der Jüngste der Truppe wird wohl noch Mr. O’Hara sein, ich schätze ihn auf Ende 40. Er macht neben Mr. Anderson auch noch den lebhaftesten Eindruck, wirkt auf mich aber eher albern und kasprig. Von Doane Perry hinter seinem Schlagzeug sieht man kaum etwas, und die beiden Anderen sind weißhaarige Herren. Mr. Goodier wird wohl auch so um die 60 sein, und Mr. Barre wirkt auf mich bereits wie 70 – irgendwie erinnert er mich an Walter Ulbricht. Jedenfalls habe ich mich bei seinem Anblick unwillkürlich gefragt, ob man ihm nicht einen Stuhl bringen sollte – kann man von einem Herrn in diesem Alter noch erwarten, dass er fast 2 Stunden lang steht? Da kann Mr. Anderson hüpfen und tänzeln wie er will, insgesamt bleibt der Eindruck es zumindest teilweise mit Rentnern zu tun zu haben.

Die Mitglieder der Mannschaft von Mr. Fogerty werden alle etwa 20 bis 30 Jahre jünger sein als er, der Älteste ist vielleicht noch der Drummer mit Mitte 40. Der sieht aber aus wie ein Preisboxer und scheint auch eine entsprechende Kondition zu haben. Wie er sein Instrument bearbeitet hat mir erstmals ins Bewußtsein gebracht, dass Drummer wohl ein Knochenjob für Hochleistungssportler sein muss. Fogerty selbst wirkt 30 bis 40 Jahre jünger als er ist, und wenn dann gar noch die Kinder auf die Bühne kommen… Insgesamt hat man jedenfalls den Eindruck es mit einer fitten und frischen Truppe zu tun zu haben und macht sich nicht ständig insgeheim Sorgen, ob für den Ernstfall auch ausreichend Bahren und Rollstühle bereitstehen.

Apropos Rollstühle – wirklich sehr gelungen, Deine kleine Photomontage mit dem Ausblick auf Mr. Anderson’s weitere Bühnen-Karriere, lieber Wilfried. Und einfach genial, den Mikrophon-Ständer auch gleich für den Tropf zu verwenden. Ob Anderson allerdings wirklich gleich zwei Krankenschwestern braucht – man sollte ihn vielleicht auch nicht zu sehr verwöhnen…

Zurück zu unseren beiden Protagonisten. Was erwarten denn Fans von ihren bewunderten Idolen? Sie sind unsere Stellvertreter, die für uns auf der Bühne das sind oder tun, was wir selbst gern sein oder tun würden, aus welchen Gründen auch immer aber nicht können. Das was Mr. Anderson in den 70ern auf der Bühne geboten hat – wow, das war’s, das hätte ich auch gern gemacht! Aber der Mr. Anderson der heutigen Tage repräsentiert nichts mehr, das ich gerne sein oder tun wollte. Ich sitze da und frage mich: „Wer ist das?“, und ich habe keine Antwort. Er erscheint mir fremd, was in seinem Kopf vorgeht kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und so springt da auch kein Funke über.

Was Mr. Fogerty betrifft, hatte ich schon vor ein paar Wochen beim Betrachten dieses Videos („Midnight Special“ live 1970 in London) plötzlich das seltsame Deja-Vu-Erlebnis als sähe ich mich selbst in meinem Schäfer-Outfit auf der Bühne herumspringen. Das ist bei Fogerty 2007 live („Old Man Down The Road“ in Paris) auch nicht anders, ich habe immer irgendwie das Gefühl mir selbst zuzuschauen. Ja, wenn ich da oben auf der Bühne stehen würde, dann würde ich es wohl genauso machen. (Blödsinn, ich würde vermutlich zittern wie Espenlaub, stottern, ständig über meine eigenen Füße stolpern – aber lassen wir das…)

Außerdem ist mir dieser Tage bewußt geworden, dass die Flöte des Mr. Andersons in einer Hinsicht auch ein Handikap darstellen kann. Bislang ist mir die Wahl dieses Instruments immer als reiner Geniestreich erschienen. Nicht nur dass die Flöte den einzigartigen und unverwechselbaren Sound von Jethro Tull geprägt hat, sie war darüber hinaus noch dekorativ, vielseitig als Requisit einsetzbar und ließ ihm auf der Bühne vollen Bewegungsspielraum. Während des Spielens musste er zwar auch am Mikrophon stehen, in den reichlichen Pausen dazwischen konnte er damit aber über die ganze Bühne toben, sie schwingen wie ein Schwert oder einen Zauberstab, damit drohen wie mit einem Knüppel, das Publikum dirigieren oder sonstige akrobatische Übungen vollbringen.

Schaut man sich dagegen Mr. Fogerty anno 1970 an, dann fällt auf mit welch kurzer Leine er über seine Gitarre mit dem Amp verbunden ist. Eigentlich sieht er aus wie ein Kettenhund, der an der Hütte hängt (heute sind solche Haltungsbedingungen übrigens aus Tierschutzgründen nicht mehr zulässig). Sein Bewegungsspielraum erstreckt sich vom Amp bis zum Mikrophon und zwei Schritte nach rechts oder links. Dazu hat er ständig dieses sperrige Instrument umhängen, das er auch noch bedienen muss. Da sind die Möglichkeiten für akrobatische Übungen doch stark begrenzt.

Der Fortschritt der Technik hat dazu geführt, dass Mr. Anderson heute an keinem Mikrophon mehr stehen muss und Mr. Fogerty an keinem Amp mehr hängt. Beide können während sie spielen mit ihren Instrumenten frei über die Bühne turnen, und das tun sie denn auch. Und jetzt fällt der Nachteil der Flöte auf, zumal Mr. Anderson heutzutage wesentlich mehr flötet als in den 70ern: Sie schränkt die Mimik doch erheblich ein. Es dürfte schwer sein beim Flöten zu lächeln, lachen würde ich für völlig unmöglich halten. Mr. Anderson versucht dies auszugleichen, indem er die verschiedensten Grimassen schneidet und mit den Augen rollt, aber so richtig komisch kann ich das nicht finden. Er wirkt dabei eher skurril, in Kombination mit dem schwarzen Kopflappen und dem dunkel gefärbten Bart sogar teilweise regelrecht finster. Solche Probleme hat Mr. Fogerty nicht. Er kann beim Gitarre Spielen ungehindert gute Laune verstömen, und genau das tut er auch (und außerdem hat die Gitarre auch noch den Vorteil, da ss sie den Bauch verdeckt…).

Fazit: Ein Konzert wird vor allem durch die Atmosphäre und die Stimmung zu einem Erlebnis. Dazu ist nötig: Gute Musik, guter Sound und ein oder mehrere Menschen auf der Bühne, die das mit Begeisterung rüberbringen. Was die musikalische Qualität betrifft ist für meinen Geschmack Jethro Tull die bessere Truppe, das gleicht John Fogerty durch den wesentlich besseren Gesang aber mindestens wieder aus. Der Sound war in beiden Fällen gut und dem Musikstil angemessen, durch die gutgelaunte und sympathische Art von John Fogerty kam aber deutlich mehr Stimmung auf. Mr. Anderson hatte völlig recht, als er vor ein paar Jahren in einem Interview sagte, das Publikum wolle auf der Bühne echte, authentische Menschen sehen. Wie das aussieht kann er sich bei John Fogerty anschauen.

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Lieber Wilfried, Du hast einiges zu meinem Fogerty Konzertbericht und dem Vergleich mit Mr. Anderson geschrieben, und in den meisten Punkten kann ich nicht mit Dir übereinstimmen. Vielleicht habe ich ja manches missverständlich ausgedrückt bzw. wichtige Details nicht erwähnt, so dass nicht deutlich werden konnte, was ich meine. Deshalb möchte ich einzeln auf Deine Bemerkungen eingehen und sie dazu zitieren.

Bekanntlich hinken Vergleiche. Und so kann man Herrn Fogerty schlecht mit Herrn Anderson vergleichen…

Die Vergleiche, die hinken, sind Vergleiche nach dem Prinzip „A ist eigentlich das Gleiche wie B“, denn zwei verschiedene Dinge sind nie wirklich gleich. Ich stelle aber ständig Vergleiche an nach dem Prinzip „A ist ganz anders als B“, und solche Vergleiche können nicht hinken. Sicher wird es Dich nicht wundern wenn ich sage, dass ich der Meinung bin man kann Mr. Fogerty hervorragend mit Mr. Anderson vergleichen, ich tue das nun schon seit zwei Monaten exzessiv und nach meinem Dafürhalten mit großem Erfolg (wenn ich mich hier auch einmal selbst loben darf…). Mir ist durch diese Vergleiche schon einiges klar geworden, das ich vorher nicht so deutlich gesehen habe, und nur dazu sollen sie ja dienen. Mr. Fogerty ist dafür deshalb so perfekt geeignet, weil er in praktisch jeder Hinsicht das exakte Gegenteil von Mr. Anderson zu sein scheint, es ist einfach faszinierend. Und wie ich schon einmal bemerkt habe: Manche Dinge erkennt man besser, wenn man sie vor einem kontrastfarbigen Hintergrund betrachtet. Mir geht es jedenfalls so.

Vielleicht klingen meine Ausführungen zu Mr. Fogerty immer wieder so, als wollte ich Mr. Anderson nahelegen ein zweiter Fogerty zu werden. Das wäre natürlich Blödsinn. Ein Fogerty genügt, einen zweiten brauche ich auch nicht, und es ist ja gerade das Phanastische, dass es nicht nur Anderson und nicht nur Fogerty gibt, sondern beide, und außerdem auch noch Mark Knopfler, Al Stewart, Cat Stevens (ja, mit denen bin ich auch noch nicht fertig, aber dazu ein andermal…) und noch viele Andere mehr. Eben Vielfalt und damit für jede Lebenssituation, jede Stimmung, jedes Bedürfnis die passende Musik und den passenden Musiker. Daran möchte ich bestimmt nichts ändern.

Herrn Anderson wird man wohl kaum in den Klamotten auf der Straße antreffen, mit denen er aufgetreten ist… Wie ist das mit Herrn Fogerty? Trägt er auch im normalen Leben Jeans, karierte Hemden und dazu sein ‚Markenzeichen’, das rote Halstuch? Vielleicht bevorzugt er in Wirklichkeit Designer-Klamotten?!

Ich weiß nicht, was Mr. Fogerty zuhause in seinem Wohnzimmer trägt, aber ich habe noch kein Bild von ihm gesehen (ob jetzt Konzert, Fernsehstudio, Interview, Preisverleihung, Händeschütteln mit Politikern oder Treffen mit Fans auf der Strasse), auf dem er etwas anderes angehabt hätte als irgendeine durchschnittliche Hose (meist Jeans) und irgendein durchschnittliches Hemd (kariert, gestreift, einfarbig, Jeanshemd, was auch immer, auf jeden Fall ohne Rüschen und nicht von Armani), eine zeitlang erschien er auch im Cowboy-Stil. Ob er das Halstuch nur zu Auftritten trägt, weiß ich nicht, das ist aber auch schnuppe, oder? Auf jeden Fall finde ich ein Halstuch als „Markenzeichen“ bedeutend sympathischer als eine Penisverlängerung per Flöte (hoffentlich kommt Deine Seite jetzt nicht auf den Index…). Im Gegensatz zu Mr. Anderson, der auf der Bühne deutlich andere Kleidung trägt als zuhause (schwarze Schlabber-Klamotten) oder auf der Strasse (irgendwas Durchschnittliches, meist auch schwarz), scheint die Kleidung des Mr. Fogerty wesentlich weniger zu variieren. Grundsätzlich würde ich von niemandem erwarten, dass er auf der Bühne das Gleiche trägt oder sich genauso benimmt wie auf der Strasse. Schließlich ist er nicht auf der Strasse, sondern auf einer Bühne. Und damit, ob er als Mensch „echt“ wirkt, hat das auch nichts zu tun.

Gut, sein Auftreten wirkt authentisch. Aber IST das wirklich der reale John Fogerty oder doch nur ein Trugbild …?

Diese Frage mutet fast philosophisch an. Vielleicht kann dieses Video etwas Licht ins Dunkel bringen. Es ist eine Live-Aufnahme von 1998 aus einem Fernsehstudio, und Fogerty sagt ein paar Worte zu seinem Song „Lodi“, bevor er ihn spielt. Man merkt, er ist unsicher, er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut und wirkt geradezu schüchtern. So etwas spielt niemand. Das ist kein „Image“, das man sich „zulegt“. Das ist es, was ich mit „echt“ meine. Mr. Anderson hätte diese Worte sicher ganz anders vorgetragen. Anderson ist Schauspieler, Fogerty nicht. Wenn Fogerty „locker-flockig“ wirkt oder quietschvergnügt mit seiner Gitarre auf- und abhüpft, dann weil er sich gerade wirklich so fühlt, spielen kann der so etwas nicht. Der kann überhaupt nichts spielen (außer Gitarre natürlich, und das ist wohl auch das Einzige, das er spielen will).

Dass Mr. Fogerty im Prinzip ein unsicherer Mensch ist, merkt man auch beim Auftritt auf der Bühne. Er wirkt in der Anfangsphase nervös, flüchtet sich nach ein paar wenigen Worten in den nächsten Song. Singen kann er besser als reden. Ein Auftritt im Fernsehstudio vor ein paar handverlesenen Zuschauern, die ihn andächtig und still auf den Stühlen sitzend anstarren (wie im oben verlinkten Video), kommt ihm überhaupt nicht entgegen. Er braucht die Bestätigung durch das Publikum. Wenn er die bekommt, kann man ihm geradezu zusehen, wie er aufblüht. Es ist mir noch nie zuvor so deutlich bewußt geworden, wie die Reaktion des Publikums auf denjenigen wirken kann, der oben auf der Bühne steht – es ist eine Wechselwirkung, bei der sich die Stimmung gegenseitig hochschaukelt, bis nach ein paar Songs die pure Party herrscht. Dann, wenn Fogerty spürt, dass er die Herzen seines Publikums gewonnen hat, ist er „locker-flockig“ und bewegt sich auf der Bühne als wär’s sein Wohnzimmer, vorher nicht. So habe ich es jedenfalls erlebt, und ich halte das für echt.

Ganz abgesehen davon glaube ich, dass man rein intuitiv ziemlich genau spürt, ob jemand auf der Bühne etwas spielt, was er eigentlich nicht ist. Erst recht springt es beim direkten Vergleich ins Auge. Deshalb hier einmal drei „Versionen“ von Mr. Fogerty im Vergleich – welchen würdet Ihr für den echten halten? Den geschniegelten Dressman-Verschnitt von 1997, in einem Filmstudio aufgenommen (Old Man Down The Road – das habe ich mit Absicht gewählt, damit man den Vergleich mit der Version aus Paris 2007 hat). Der wirkt auf mich so künstlich wie die bonbonfarbigen Kulissen, vor denen er aufgenommen wurde, und von dem will auch überhaupt keine Stimmung rüberkommen. Ich finde diese Live-Aufnahmen zu „Premonition“ einfach fürchterlich, das ist Hollywood pur.

Dann ist Mr. Fogerty also vielleicht doch eher der große Heroe der Rockgeschichte, ein bißchen auf Mick Jagger getrimmt, 2005 im Wiltern Theatre in LA gefilmt (Fortunate Son)? Der wirkt nicht ganz so steril, aber überzeugen kann er mich auch nicht. Was ich dabei bemerkenswert finde ist die Tatsache, dass die professionellen Live-Aufnahmen von Mr. Fogerty alle einen Eindruck von ihm vermitteln, den er im tatsächlichen Live-Auftritt so nicht macht. Die Filmemacher sind offensichtlich darauf getrimmt, ihr „Objekt“ in einem (nach ihrem Dafürhalten) möglichst positiven Licht erscheinen zu lassen – hollywood-mäßig eben – und da kommt unterm Strich immer irgendwie ein geschniegelter Held raus. Durch Perspektive, Kameraführung und Schnitt kann man da wohl doch einiges machen, vielleicht gab es auch Regieanweisungen (im Filmstudio bestimmt). Den „echten“ Mr. Fogerty scheint man dem Publikum nicht zumuten zu wollen. Trotzdem kommt hier (Looking Out My Backdoor, ebenfalls 2005 in LA) doch zumindest teilweise etwas Natürlichkeit durch.

Wenn man wissen will wie Fogerty 2007 live tatsächlich wirkt, dann muss man sich ein Amateur-Video anschauen. Deshalb hier jetzt eine Aufnahme von einem „Privat-Auftritt“ (wohl vor seiner Studenten-Verbindung – leider ist der Sound teilweise miserabel) vom Juni diesen Jahres (ja, wenn man als Studenten-Verbindung so ein Mitglied hat, dann kann man schon mal eine Party steigen lassen…). Und da wirkt Fogerty so, wie ich ihn in Abenberg erlebt habe – kein großer Held sondern eher ein großes Kind, das tolpatschig über die Bühne turnt. Und gerade weil er so tolpatschig wirkt bin ich mir ziemlich sicher, dass er das nicht vor dem Spiegel einstudiert hat.

Ich stelle immer wieder fest wie wichtig es ist einen Vergleich zu haben, um sich ein Urteil bilden zu können. Vor dem Konzert in Iraklio hatte ich keinen Vergleich, mein letzter Konzertbesuch lag ca. 20 Jahre zurück, mein letztes Rockkonzert fast 30 Jahre. Da fällt einem vieles einfach nicht auf, weil man es für selbstverständlich hält. Erst nach dem Fogerty-Konzert ist mir klar geworden, was ich in Irakio alles nicht gesehen habe, bzw. dass ich garnicht weiß, was ich in Iraklio gesehen habe. Was von dem, das Mr. Anderson auf der Bühne aufführt, ist echt? Und mit „echt“ meine ich – ich denke das ist inzwischen deutlich geworden – spontaner Ausdruck der Persönlichkeit, der Gedanken oder Gefühle im aktuellen Augenblick.

Dieses Video (Thick As A Brick live 1972), dieses Video (Aqualung live 1975) oder
dieses Video (Songs From The Wood live 1977) zeigen mir einen „echten“ Menschen: Den original Ian Anderson in seiner Bühnen-Version. Was er tut ist nicht einstudiert und heruntergespult, darin steckt echte Begeisterung für die eigene Musik, sie wird „vorgelebt“. Das kann man spüren und das wirkt ansteckend. Aber was ist das (Bouree live 2007)? Ist da noch Begeisterung, Freude an der Musik und ein echtes, spontanes Bedürfnis, dazu zu „tanzen“, oder ist das nur noch Routine und Choreographie? Steht er nicht immer bei der gleichen Musikpassage auf einem Bein, weil das halt dazu gehört und vom Publikum mindestens x-mal erwartet wird?

Nur stellt sich die Frage, ob Ian Anderson auf der Bühne wirklich das darstellen möchte, was er ansonsten im wirklichen Leben ist, oder besser: sein muss. Ich denke nein. Eher versucht er sich auf der Bühne so zu geben, wie er ist (oder glaubt zu SEIN) …

Das sehe ich alles ein bißchen anders. Ich würde nicht unterscheiden in „wirkliches Leben“ und „Bühne“, sondern in Privatleben, Geschäftsleben und Bühne, und alle drei sind Bestandteile des wirklichen Lebens des Mr. Anderson. Im Privatleben ist er nach eigenen Angaben ein eher ruhiger und in sich zurückgezogener Mensch. Im Geschäftsleben wird er sich noch am ehesten an Normen anpassen müssen, was ihm aber vermutlich nicht schwer fällt, und auf der Bühne „lässt er die Sau raus“. Im Privatleben würde er es nie wagen sich so zu benehmen, wie er sich auf der Bühne benimmt, das heißt aber nicht, dass er im Privatleben „echter“ wäre als auf der Bühne oder umgekehrt. Es sind einfach zwei verschiedene Seiten seiner Persönlichkeit, die er an zwei verschiedenen Orten auslebt, da ist eine so wirklich und echt wie die andere. So war es jedenfalls in den 60ern und 70ern. Was das darstellen soll, was er heute auf der Bühne aufführt, weiß ich nicht so recht – siehe oben.

Weil sich in den Jahren sein Aussehen so dramatisch verändert hat, führt das natürlich dazu, dass, was früher glaubhaft wirkte, heute für viele wie ein schlechter Witz erscheint…. Ich stelle mir Ian Anderson in den Klamotten früherer Jahre vor (das Tampa-Kostüm lassen wir einmal außen vor): Sähe der gealterte Ian Anderson nicht ähnlich lächerlich aus?

Das käme auf’s Kostüm an, ein paar seiner Bühnen-Outfits waren eigentlich ziemlich „zeitlos“. Wie wär’s mit dem schottischen Clan-Chef oder diesem recht neutralen Anzug – langer Mantel hat ihm immer gut gestanden und macht schlank.

Ich fürchte fast, wir kritisieren Herrn Anderson, weil er alt geworden ist – optisch alt. Sein Bühnen-Outfit passt nicht mehr zu dieser äußeren Erscheinung, die er heute darstellt. Oder anders gesprochen: Herr Anderson genügt nicht mehr unseren Ansprüchen, Erwartungen, was auch immer.

Ich kritisiere Mr. Anderson nicht, weil er alt geworden ist. Wenn er tatsächlich alt geworden ist, dann sollte er sich allerdings auch entsprechend benehmen. Wenn er sich wie ein 30-Jähriger benehmen will, dann sollte er sich auch wenigstens entsprechend kleiden, damit man weiß woran man ist. Sein jetziges Bühnen-Outfit passt zu überhaupt nichts – zu keinem Alter und zu keinem Aussehen.

Aber machen wir hier nicht zu viel Wirbel um Äußerlichkeiten?

Bühnen-Auftritte sind eine Äußerlichkeit, sie haben Äußerlichkeiten zum Inhalt und man bezahlt Eintritt für diese Äußerlichkeiten. Sonst kann ich auch zuhause eine Platte auflegen, und dann ist es mir egal, was Mr. Anderson während der Studioaufnahmen getragen hat oder wie er sich benommen hat. Inzwischen glaube ich, dass ich – was Jethro Tull und Mr. Anderson betrifft – damit auch am besten beraten bin.

Gehen wir vielleicht nicht sogar Herrn Anderson auf dem Leim – oft genug kam die Weisheit in Form des Narrentums einher. Und macht sich nicht der zum Narren, der andere für einen solchen hält?

Dazu müsste in der Narretei irgendein Sinn oder eine Weisheit erkennbar sein. Welche Weisheit steckt in Penisverlängerungen? (Ich weiß, ich sollte dieses Wort jetzt wirklich nicht nochmal schreiben, sonst wird Dir noch der Webspace gesperrt – was schreibe ich bloß stattdessen?)

Wir denken zu wissen, wer wir sind und sind enttäuscht, wenn andere uns anders sehen. Aber wissen wir das wirklich? Sind wir nicht zu oft mit uns selbst beschäftigt … und haben uns dabei selbst längst aus dem Blick verloren? Aber jetzt werde ich philosophisch …

Im Prinzip glaube ich, dass die meisten Menschen schon sich selbst am besten kennen. Dass Andere einen häufig anders sehen, wird meistens daran liegen, dass sie niemals alles sehen können. Und wie man sich selbst aus dem Blick verlieren kann, wenn man sich mit sich selbst beschäftigt, verstehe ich jetzt nicht ganz, ich fürchte das ist mir wirklich zu philosophisch… 😉

In einem ähneln sich die beiden Herren. Beide haben ein ganz bestimmtes Image aufgebaut, so unterschiedlich es auch sein mag. Fogerty ist der Naturbursche, der locker-flockig seine Lieder herunterspult. Anderson dagegen der eher unnahbare Intellektuelle, der sich gern in kurioser Kostümierung zeigt.

Also erst einmal: Fogerty spult garnichts herunter, ich glaube das habe ich bereits deutlich gemacht. Ihm merkt man die Freude an seiner Musik an und sie wirkt echt. Wenn jemand spult, dann ist es Anderson, der hat auch viel mehr Routine darin. Unnahbar kann ich ihn aber auch nicht finden, eher eigenwillig. Einigen wir uns vielleicht auf „Fogerty, der nette Junge von nebenan“ und „Anderson, das intellektuelle Genie“ (die Bilder stammen aus Interviews, wie Du siehst, lieber Wilfried, nutze ich inzwischen exzessiv die Standbild-Technik – vielen Dank noch für den Tipp!).

Und jetzt fängt es aber erst an interessant zu werden, denn ein Image legt sich niemand von ungefähr zu, und es ist ja nicht so, dass es nichts mit dem Träger dieses Images zu tun hätte. Ein Image ist eigentlich nichts anderes als eine Erweiterung des Aussehens um eine Art Aura, die sich aus dem gewöhnlich zu erwartenden Verhalten einer Person ergibt. Das kann so weit von der tatsächlichen Persönlichkeit nicht entfernt liegen, sonst ist es schwer es längere Zeit aufrecht zu erhalten, und die beiden Herren halten ihres jetzt schon seit 40 Jahren aufrecht. So ein Image sagt etwas darüber aus, welche Reaktionen seiner Umwelt der Träger des Images erzielen möchte, und es spiegelt seine Ansprüche und Erwartungen an sein Ansehen wider.

Die Ansprüche des Mr. Anderson an sein Ansehen sind offensichtlich hoch. Er erscheint uns als „Minstrel“, also als Musiker für die feinen Herrschaften, als Landbaron und als schottischer Clan-Chef, aber auch als Hexenmeister, Astronaut oder gar als Superman (oder was sonst soll dieses Tampas-Kostüm bedeuten, eine Ähnlichkeit mit einem Superman-Anzug ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen). Offensichtlich hat er ein Anerkennungs-Defizit. Und ich vermute, dass dies in seinem suboptimalen schulischen Erfolg begründet ist, der wohl den Ansprüchen und Erwartungen seiner Familie (und vielleicht auch seinen eigenen) nicht genügen konnte.

Was den Bildungsstand des Mr. Anderson angeht, bin ich nämlich anderer Meinung als Du, lieber Wilfried. Die spärlichen Informationen aus Wikipedia, die Du zitiert hast, waren mir auch bekannt, nur interpretiere ich sie anders. Wenn Mr. Anderson ab 1964 (ich nehme mal an, ab Herbst) ein College of Art besucht hat, dann wird er wohl vorher die Schule verlassen haben, also vermutlich vor den Sommerferien. Da war er 16 Jahre alt. Glaubst Du wirklich, dass Mr. Anderson im Alter von 16 Jahren Abitur gemacht hat? Ich kenne das britische Schulsystem nicht im Detail, aber ich nehme mal an man kommt auch dort mit 6 Jahren in die Schule und muss bis zum Abitur 12 Klassen absolvieren, macht 18. Sollte Mr. Anderson so hochbegabt gewesen sein, dass er ein oder zwei Schuljahre übersprungen und schon mit 16 ein Abitur abgelegt hätte, dann wäre das doch sicher irgendwo besonders erwähnt, oder? Kunst und Musik kann man auch mit mittlerem Bildungsabschluss studieren, dazu braucht man kein Abitur. Und einen unserer Mittleren Reife vergleichbaren Abschluss wird er nach 10 oder 11 Jahren Grammar School (da will ich mich nicht festlegen, da ich den britischen Stichtag für die Einschulung nicht kenne) wohl haben.

Anerkennung findet man in jungen Jahren vor allem durch gute schulische Leistungen, jedenfalls in einem Elternhaus, in dem die Kinder „auf Erfolg getrimmt“ werden (wie es Anderson ja selbst ausgedrückt hat). Seine wenig erfolgreiche Schulkarriere und das vermutlich damit verbundene geringe Ansehen in seiner Familie (womöglich ist er der Einzige ohne Abitur) scheint ihn bis heute zu belasten. Und so tut er alles um möglichst gebildet und intellektuell zu wirken, damit man ihm diesen Mangel nicht mehr anmerkt. Außerdem muss er ständig sich und seiner Umwelt beweisen, dass er dafür auf anderen Gebieten der Beste und Größte ist – das Thema hatten wir ja bereits.

Schauen wir uns im Gegensatz dazu Mr. Fogerty an, dann fällt auf, dass er sehr geringe Ansprüche an sein Ansehen zu stellen scheint, man könnte auch sagen er hat überhaupt keine. Wer sich in Stallklamotten mit Bubikopf der Öffentlichkeit präsentiert, erwartet weder Ehrfurcht noch Bewunderung. Er will wirklich nur als der einfache, nette Junge erscheinen, offensichtlich hat er ein Beliebtheits-Defizit. Das könnte verschiedene Gründe haben. Wie ich an anderer Stelle schon einmal erwähnt habe war er wohl in seinem eigenen familiären Umfeld nicht besonders beliebt, weil er seinem in Ungnade gefallenen Vater zu ähnlich sah (ich kenne so einen Fall aus der eigenen Verwandtschaft, das ist für den Betroffenen nicht besonders komisch). Da Fogerty sich so betont schlicht, harmlos und volksnah gibt, wäre es möglich, dass er bereits die Erfahrung gemacht hat, dass man sich bei seinen Zeitgenossen unbeliebt macht, wenn man mehr kann, mehr weiß oder erfolgreicher ist als sie. Auch Perfektionisten, die an Andere dieselben Anforderungen stellen wie an sich selbst, bzw. am besten gleich alles im Alleingang selbst machen, weil Andere es doch nie gut genug hinbekommen, sind nicht gerade beliebt. Ich spreche hier gewissermaßen aus eigener Erfahrung, aber nach allem, was ich über Mr. Fogerty inzwischen weiß, müsste sich das mit seinen Erfahrungen decken. In seiner CCR-Zeit war er wohl aus diesen Gründen bei seiner eigenen Truppe nicht besonders beliebt.

Um es noch einmal kurz zusammenzufassen: Mr. Anderson, der geniale Intellektuelle, möchte von einer geistigen Elite akzeptiert, geachtet und bewundert werden. Dass er sich gleichzeitig durch seinen elitären Anspruch bei Vielen unbeliebt macht, scheint ihn nicht zu stören. Durch sein Image kaschiert er seinen eher mäßigen Bildungsstand und erzielt das Ansehen und die Anerkennung, nach der er strebt. Mr. Fogerty, der einfache, nette Junge, möchte möglichst von der ganzen Welt geliebt werden. Dass er sich dazu vielleicht etwas schlichter geben muss, als er eigentlich ist, und Manche deswegen auf ihn herabschauen, scheint ihm nicht weh zu tun. Durch sein Image kaschiert er die Tatsache, dass er ein eher introvertierter, zielstrebiger Perfektionist ist und in seinem privaten Umfeld eher unbeliebt und isoliert.Wie man sieht, kann so ein Image auf den ersten Blick täuschen, bei genauerer Betrachtung aber doch einiges über seinen Träger verraten. Im Prinzip stellt es bei beiden Herren genau das als Stärke heraus, was eigentlich ihre Schwäche oder besser gesagt ihr „wunder Punkt“ ist. Und mit diesen Worten beschließt Frau Professor Dr.h.c. Kretakatze ihre heutige Psychologie-Vorlesung. Sie hofft, niemanden in seinem wohlverdienten Urlaub über Gebühr angestrengt zu haben.

Lieber Lockwood, bevor ich meinen heutigen Beitrag beende möchte ich mich bei Dir für die zahlreichen Komplimente bedanken, mit denen Du mich in letzter Zeit bedacht hast – ich weiß ja garnicht, wie mir geschieht. Meine Kritik an Mr. Anderson ist erfrischend – ob er das auch so sähe? Mein Konzertbericht ist plastisch – offensichtlich hat sein Inhalt doch zu Missverständnissen geführt, oder zumindest ist nicht wirklich deutlich geworden, was ich zum Ausdruck bringen wollte. Meine „kretischen Erzählungen“ könnten jeden Reiseberichterstatter vor Neid erblassen lassen – ooh – wegen ihrer Länge – ach so. Ja, ich hatte viel Zeit… Aber es war ein wirklich schöner, erholsamer Urlaub, so einen könnte ich gleich nochmal brauchen. Nach 4 Wochen Arbeit ist die Erholung inzwischen dahin.

Noch kurz ein paar Worte zu Deiner Verwunderung darüber, dass ich über mein eigenes Bild überrascht war. Vielleicht ist es eine Erklärung wenn ich sage, dass es von mir kaum Photos gibt, bis zu diesen Aufnahmen war mein neustes Bild ein Passphoto aus dem Jahr 2001. Natürlich sehe ich mich jeden Tag beim Zähneputzen im Spiegel, aber da sehe ich immer das Gesicht mit dazu, und dem sieht man schon an, dass ich keine 15 mehr bin. Eigentlich sieht man sich selbst doch kaum jemals mit Abstand, oder?

Liebe Grüße an Euch beide, ich hoffe Euer Urlaub ist so erholsam wie meiner war
Kretakatze

PS.: Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle einmal die rhetorische Frage gestellt, was ich hier eigentlich tue und warum ich mir seit Wochen die Finger wund schreibe. Inzwischen ist es mir langsam klar geworden (Euch ist es wahrscheinlich schon viel länger klar): Lieber Wilfried, ich bin anscheinend gerade auf einem Selbstfindungs-Trip und mißbrauche dafür Dein Weblog.

Ich muss sagen, so ein Selbstfindungs-Trip ist garnicht so übel, und ich könnte mir vorstellen, dass Mr. Anderson auch mal einen brauchen könnte. Irgendwo zwischen 1980 und 1990 muss er sich verloren haben, es wäre Zeit, dass er sich mal wieder findet. Vielleicht sollte man ihm einen zum Geburtstag schenken? Leider kenne ich kein Reisebüro, das solche Trips im Angebot hätte. Da muss man sich schon als Individualreisender selbst auf die Socken machen, Schreibmaschinchen nicht vergessen. Es ist eine Abenteuer-Reise, man weiß morgens nie, wo man abends sein wird. Und das geht so: Man schreibt einfach unreflektiert allen Mist auf, der einem gerade durch den Kopf geht, und schickt das zur Veröffentlichung an Willi. Das macht richtig Spaß!

Was ist bloß mit Ian los? Teil 78: Jethro Tull auf Kreta – Teil 3

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood!

Lendas, Kreta – 26.06.2007

Es ist 23 Uhr und ich sitze einmal wieder auf der Terrasse in brütender Hitze. Es geht zwar heute Abend ein leichter Wind, aber der scheint direkt aus einem Heißluftbackofen zu kommen. Vor ein paar Stunden habe ich mit meiner Freundin von der Tierschutzorganisation in Chania telefoniert, dort waren heute 43°C. Zum Glück konnte sie letzte Woche noch kurzfristig eine Klimanalage in die Quarantänestation einbauen lassen, die Tiere wären ihr sonst diese Woche umgekippt. Die Hitzewelle hat Kreta fest im Griff und wird wohl noch ein paar Tage andauern.

Wie immer hat sie es geschafft, mir mehr Katzen auf’s Auge zu drücken, als ich nehmen wollte. Einmal habe ich sie angerufen um zu sagen, dass ich zwei Kätzchen nehmen könnte, und nach dem Telefonat hatte ich sechs Katzen an der Backe. Ganz so schlimm war’s diesmal nicht, statt vier bekomme ich jetzt halt fünf. Silke wird auch von niemandem gefragt, wieviele Katzen sie nehmen will. Kürzlich hat sie in einer Woche 35 Kätzchen reinbekommen, alle mutterlos und die meisten davon noch mit der Flasche aufzuziehen – es ist zum K***rank werden. Ach übrigens: Wenn man die Kinder mal aus dem Gröbsten raus hat, kann man durch Anschaffung ein bis mehrerer Katzen dafür sorgen, dass man nie aus dem Gröbsten rauskommt. Ich könnte Euch diesbezüglich weiterhelfen.

Aber ich denke ich sollte langsam wieder zum Thema zurückkommen. Um vielleicht doch noch eine kleine Nachlese zum Konzert vom Samstag zu betreiben: Ich hatte Euch ja von meinem kleinen Malheur mit den Sandalen erzählt. Nun, sie waren am Samstag morgen wieder weitgehend trocken, hatten allerdings ein paar weiße Salzränder. Ich hoffe nur, dass es Mr. Anderson nicht weiter aufgefallen ist, dass ich mit salzigen Sandalen in seinem Konzert saß – das wäre mir sonst peinlich…

Da wir ja erst das Thema „Gitarrensoli“ hatten, habe ich auch versucht ein wenig auf Mr. Barre’s Gitarrenkünste zu achten. Nun ja, es gibt Gitarrensoli bei Jethro Tull, und Mr. Anderson weist sogar üblicherweise extra darauf hin. Während Mr. Barre dann im Spotlight steht und sein Bestes gibt, trinkt er einen kräftigen Schluck aus der Pulle (in diesem Fall kein „Could You bring me a glass of water, Ray“, sondern Selbstbedienung, und die Flasche sah auch wirklich nach Wasser aus), oder verschwindet überhaupt kurz hinter den Kulissen. Was Mr. Barre dann zu bieten hat, ist nicht schlecht, wäre mir aber ohne extra Hinweis von Mr. Anderson nicht aufgefallen. Es klingt für mich zu sehr nach Background-Sound, es sticht klanglich nicht wirklich heraus. Aber – auch um Lockwood noch einmal zu trösten, den ich ja neulich mit meiner Aussage über startende Düsenjets erschüttert hatte – live ist selbst ein startender Düsenjet nicht unbedingt zu verachten, solange er für die richtige Vibration sorgt. Live wirkt manches schon allein durch die Lautstärke.

Lendas, Kreta – 27.06.2007

Ich möchte Euch nicht schon wieder damit langweilen, wie heiß es ist. Mir wird es langsam auch langweilig. Und deshalb mache ich jetzt gleich mit dem Thema weiter.

Das Bühnen-Outfit des Mr. Anderson lässt mir keine Ruhe, bzw. die Frage, wie man es mit seinen „Bühnenaktivitäten“ besser in Einklang bringen könnte. Prinzipiell sind es doch nichts anderes als Kriegstänze, was er da zu seiner Musik vollführt. Schon als ich das erste Mal dieses Video (Thick As A Brick live 1972, besonders die Schluss-Szenen ab 8:30) gesehen habe, habe ich mir gesagt: Früher sind junge Männer, die zuviel überschüssige Energie hatten, in den Krieg gezogen und haben sich gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. Heute springen sie auf einer Bühne herum, machen laute Musik und schwingen dazu eine Flöte. Das nenne ich Fortschritt! Ich weiß nicht, ob das schon jemals ausreichend gewürdigt worden ist.

Zu diesem Thema passt auch das folgende Video (Live-Ausschnitte und kurzes Interview von 1969), das ich bei TullTapes gefunden und heruntergeladen habe. Was Mr. Anderson hier über seine Aggressivität sagt, spricht Bände, war mir aber auch schon längst vorher klar. Dabei wirkt er doch so harmlos, eigentlich sieht er richtig süß aus.

Es ist schon seltsam, wie die Zeit die Fronten verschiebt. In den 70ern waren Herren wie Anderson, Fogerty und Co. für mich respektable, junge Männer, ungefähr doppelt so alt wie ich, die ich in die Kategorie „ungefähr so alt wie mein Bruder“ (der ist Jahrgang 1948) einordnen konnte. Wenn ich die gleichen Bilder heute sehe, sind das junge Kerle, ungefähr halb so alt wie ich und kaum älter als mein Sohn, da bekomme ich fast mütterliche Gefühle (wie sich Mr. Anderson in diesem Video quer vor den Mikrophon-Ständer auf den Boden schmeisst und mit den Beinen strampelt, erinnert mich wirklich stark an meinen Sohn, im Alter von 5 bis 6 Jahren hatte der auch solche Phasen). Zeitreisen a la YouTube machen’s möglich.

Dieses Video von 1969 hat mich in einem weiteren Punkt persönlich erwischt. Hier kommt auch Mr. Anderson senior ins Bild, und bei seinem Anblick traf mich fast der Schlag. So sah mein Vater auch aus! Dann diese „Stereoanlage“, wie nannte man die doch damals? Ich glaube wir sagten „Musiktruhe“. Vermutlich hatte jede bessere Familie um 1970 so ein Möbelstück mit eingebautem Radio und Plattenspieler im Wohnzimmer stehen, wir jedenfalls auch, wobei unseres nicht unter sondern neben dem Fenster stand. Erst recht unheimlich wurde mir dann aber, als ich gesehen habe wie Mr. Anderson senior dieses Gerät bedient. Platte auflegen, Klappe zu. Dann in gebeugter Haltung neben dem Apparat verharren und lauschen – Lautstärkeregler noch 1,324 mm nach links drehen – lauschen – nein, das war zuviel, 0,436 mm zurück usw… Das war mein Vater, wie er leibte und lebte, ich dachte ich sehe Bilder aus unserem Wohnzimmer. Zeitreisen a la YouTube…

Lendas, Kreta – 28.06.2007

Luft – Frischluft! Ich sitze auf der Terrasse und lasse mir den angenehm kühlen Wind um die Nase wehen. Bei solchem Wetter kann man endlich einmal eine kleine Wanderung wagen. Auch hier gibt es eine Schlucht – soger mit Ziegen und Strand! Das ist zwar ein Fußmarsch von zwei bis drei Stunden, aber bei solchen Temperaturen kein Problem.

Heute möchte ich auf einen weiteren Aspekt der Rock- und Pop-Musik kommen: Musikerinnen. Sängerinnen im Rock- und noch mehr im Pop-Bereich gibt es wie Sand am Meer. Sucht man Solche, die dazu auch noch ein Instrument spielen können, lichten sich die Reihen schon deutlich. Wenn es gar darum geht, welche davon selbst Songs schreiben, muss man anfangen mit der Lupe zu suchen. Die Damen, die mir da einfallen, kann man an den Fingern einer Hand abzählen.

Da ist naürlich die von uns schon mehrfach erwähnte und allseits geschätzte Kate Bush (hier mit Wuthering Heights, das übrigens auch ein sehr hörenswertes Gitarrensolo enthält). In meiner Plattensammlung befindet sich noch eine Scheibe von Melanie Safka (hier ihre Woodstock-Hymne Lay Down). Die anderen beiden Rock-Damen sehen schon aus wie Männer: Patti Smith (Because The Night) und Annie Lennox (Sweet Dreams), wobei die Zweite, wenn sie wollte, schon aussehen könnte wie ein Frau – will sie aber anscheinend nicht. Kennt Ihr noch mehr Rockerinnen? Kennt Ihr eine bedeutende Komponistin, so in der Größenordnung von Bach, Mozart oder Beethoven? Ich kenne nicht einmal eine völlig unbedeutende.

Die Geschlechterverteilung in der Musikbranche sieht ungefähr so aus wie in der Gruppe Abba: Die Mädels stehen vorne am Mikrophon, schwingen die Hüften und singen, die Jungs im Hintergrund spielen die Instrumente und schreiben die Songs.

Was will mir das sagen? Musik schreiben ist männlich, es muss irgend etwas mit typisch männlichen Eigenschaften zu tun haben. Was und warum, ist mir allerdings noch nicht so ganz klar. Sicher ist es, besonders was Rock-Musik betrifft, ein Ventil für Aggressivität. Wie schon die Texte der meisten Lieder vermuten lassen – in mehr als der Hälfte aller Songs geht es doch immer nur um ein Thema – spielt die Kanalisation erotischer Energien eine Rolle. Warum auf diesem Gebiet die Männer aber so dermaßen dominieren, habe ich trotzdem noch nicht ganz durchschaut.

Auch in angrenzenden Bereichen herrscht Frauenmangel. In Laufi’s Jethro Tull Forum konnte ich bislang nur zwei Frauen entdecken – ich zähle nicht. In Willi’s Jethro Tull Weblog sieht es noch magerer aus – wie gesagt, ich zähle nicht. Jethro Tull scheint kein Thema für Frauen zu sein. Das ist aber vermutlich kein spezielles Jethro Tull Phänomen. Ich gehe davon aus, dass es bei anderen Rock-Gruppen nicht anders aussieht. Auch Fan-Pages werden üblicherweise von Männern gestaltet – ich kenne jedenfalls keine von einer Frau. Worauf ich hinaus will? Frauen scheinen sich üblicherweise anderweitig zu beschäftigen. Was tue ich hier eigentlich? Warum schreibe ich mir seit Wochen die Finger wund über die Farbe von Anderson’s Bart und das Muster von Fogerty’s Hemd – habe ich nichts Besseres zu tun? Aber die Frage könnt Ihr mir wahrscheinlich auch nicht beantworten. Ich gehe jetzt an den Strand!

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Es war ein schöner, aber anstrengender Tag. Auch wenn die ganze Zeit vom Meer her eine frische Brise weht, sollte man doch die Hitze nicht unterschätzen, die von einer glühend heißen Staubstrasse aufsteigt. Dabei habe ich für die Stecke – trotz 15 Minuten Pause unter einer Tamariske am Strand von Loutra – nur 1 Stunde und 40 Mnuten gebraucht. Früher habe ich für diesen Fußmarsch immer zweieinhalb bis drei Stunden eingeplant. Da merkt man erst, was die lieben Kleinen ausmachen – „Mama, ich habe Durst – Mama, ich habe Hunger – Mama, ich kann nicht mehr“ usw…

Direkt vor dem Aufstieg zur Schlucht, in einer ehemals sandigen, flachen Bucht, in der mein Sohn und ich im letzten Urlaub noch geschnorchelt haben, habe ich dann das entdeckt: Einen pikobello frisch betonierten Fischereihafen. Eine große Holztafel gibt darüber Auskunft, dass er über 3,2 Mio. EUR gekostet hat und zu 75% von der EU bezahlt wurde. Griechen sind nämlich ein wenig seltsam, sie hassen die Hand, die sie füttert. Damit sie sie zumindest nicht ständig beissen, werden sie schon seit Jahren durch entsprechende Schilder an jedem von der EU gesponserten Projekt darauf hingewiesen, wieviel Geld man ihnen wieder geschenkt hat.

Was mich gewundert hat: Wozu braucht man hier am Ende der Welt, mehr als 5 km entfernt vom nächsten Ort und vom letzten asphaltierten Straßenabschnitt, einen völlig neuen Fischereihafen? Es gibt sowieso keine Fische mehr, das griechische Meer ist leergefischt. Immerhin liegt hier gerade ein kleiner Fischkutter am Kai, aber die anderen Boote sehen mir nach Hobby-Fischern aus, die sich am Wochenende oder im Urlaub die Zeit mit Angeln verteiben. Als nächstes wird jetzt natürlich die Straße asphaltiert werden müssen, sicher auch wieder mit EU-Geldern. Auch die Ziegen, die hier in der Mittagssonne wiederkäuend von den frisch planierten Terrassen auf den neuen Hafen herabschauen, scheinen sich zu fragen, was das soll. (Gesamtansicht: Fischereihafen am Ende der Welt – Lendas liegt übrigens in der Bucht vor dem großen „liegenden Löwen“, der dem Ort den Namen gab: Leondas = Löwe

Der Strand am Ausgang der Schlucht ist schattenlos, nur in der westlichen Bergwand gibt es zwei Felsspalten, die ab mittags im Schatten liegen. Die größere war schon von einer Familie belegt, aber die kleinere war noch frei, und so fand ich ein angenehm klimatisiertes Plätzchen. Nach der ersten Schnorchel-Runde bin ich dann auch prompt in meiner Höhle eingeschlafen und erst abends nach 18 Uhr wieder aufgewacht – eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, den ganzen Nachmittag zu verpennen.

Während ich die Kinder der Familie aus der Nachbarhöhle beobachtete, fiel mir wieder ein, wie ich vor 15 Jahren zum ersten Mal in diese Schlucht gekommen war, zusammen mit meinem Sohn und einer Freundin mit Mann und Kind. Die Jungs waren damals 5 Jahre alt. Zum Zeitvertreib für die Kinder hatten wir zuvor eine Schmalspur-Angelausrüstung gekauft – Nylonschnur, zwei Haken, Gewicht und Schwimmer, alles auf eine Korkplatte gewickelt. Am späten Nachmittag sind wir über die Felsen am westlichen Berghang zu einer Stelle geklettert, wo das Wasser schon relativ tief war und wir die „Angel“ auswerfen konnen. Als Köder hatten wir zuvor einige Muscheln gesammelt. Und dann – oh Schreck – hing tatsächlich nach kurzer Zeit ein Fisch am Haken. Damit hatten wir nicht unbedingt gerechnet.

Große Aufregung, die Kinder waren natürlich begeistert, aber jetzt: Was tun? Zuerst wurde der Fisch mal photographiert, aber dann musste er irgendwie vom Haken. Man glaubt garnicht, wie glitschig diese Tiere sind, wenn man noch nie etwas mit ihnen zu tun hatte. Etwa 5 Minuten lang kämpften 3 Erwachsene und 2 Kinder, um ein 15 cm Fischlein vom Haken zu bekommen. Zum Glück war niemand vom Tierschutz anwesend, ich war damals noch nicht so aktiv. Schließlich hatten wir den Fisch von der Angel befreit, und – was hätten wir sonst schon mit ihm machen sollen – haben ihn ins Meer zurück geworfen. Ich weiß nicht, ob er danach noch sehr alt geworden ist, ein bißchen Schlagseite hatte er schon.

Es war schon gegen 19:30 Uhr, als ich mich auf den Rückweg gemacht habe. In der Schlucht habe ich dann noch ein paar Ziegen photographiert, deshalb gibt’s hier noch ein Suchbild mit Ziege. Es ist schon erstaunlich, wie sich auch diese Tiere farblich bereits ihrem Untergrund angepasst haben. Nach einem Souvlaki (schwesterlich geteilt mit den Katzen) in einer neuen Taverne in der Bucht von Loutra gegenüber dem neuen Hafen, bin ich schließlich im Mondenschein (es ist fast Vollmond) zurück nach Lendas marschiert, wo ich gerade noch rechtzeitig eintraf, um im „Supermarket“ mein Frühstück für morgen einzukaufen.

Das war jetzt alles ziemlich „Off Topic“, aber ich denke mein Thema heißt „Jethro Tull auf Kreta“, und das war jetzt der „auf Kreta“-Teil.

Lendas, Kreta – 29.06.2007

Inzwischen ist die Brise vom Meer aufgefrischt, man könnte es auch als windig bezeichnen. Die Temperatur ist seit vorgestern bestimmt um mindestens 10 Grad gefallen, es ist jetzt richtig angenehm. Trotzdem mache ich heute nicht gleich wieder einen Gewaltmarsch, heute wird gefaulenzt.

Kommen wir noch einmal auf Laufi’s Jethro Tull Forum zurück. Dort hatte ich vor ein paar Wochen ein Schlüssel-Erlebnis. Bis dahin hatte ich gedacht, wie zahlreiche andere Menschen wohl auch, ich könne „objektiv“ gute Musik von schlechter unterscheiden, oberflächliche von tiefschürfender, belangslose von bedeutungsvoller – unabhängig vom „Geschmack“. Dann las ich dort – übrigens geschrieben von einem Jethro Tull Fan, was sonst – die Worte, „Overhang“ sei oberflächliches Gedudel. Das hat mich in meinem Innersten erschüttert. Wie konnte jemand diesen Aufschrei aus meiner tiefsten Seele für „oberflächliches Gedudel“ halten?

Es wird so gerne leichthin gesagt, Musik sei eine Sprache, die jeder versteht. Davon bin ich abgekommen. Es gibt in der Musik vermutlich mindestens so viele verschiedene Sprachen, wie im gesprochenen Wort, und nicht Jeder versteht jede. Wenn sich zwei Menschen auf chinesisch unterhalten, ist das für mich unter Umständen von bedeutunglosem Baby-Gebrabbel nicht zu unterscheiden, dabei kann es sich um ein hochgeistiges Gespräch handeln. In der Musik scheint es ähnlich zu sein. Ich habe mir daher vorgenommen mich davor zu hüten, eine Musik als oberflächlich oder inhaltlos zu bezeichnen, nur weil sie mir nichts sagt. Schon garnicht sollte man jemanden als „hirnamputiert“ bezeichnen (wie bei Laufi geschehen), nur weil ihm eine Musik gefällt, mit der man selbst nichts anfangen kann. Solange es einen ernstzunehmenden Menschen gibt, dem diese Musik etwas bedeutet, ist sie nicht bedeutungslos. Sie drückt nur wahrscheinlich ein Gefühl oder aus, das man selbst nicht kennt.

Allerdings muss ich zugeben, dass mein Verständnis da auf Grenzen stösst, wo in der Musik Gewalt verherrlicht wird, wo sie diskriminierende Inhalte transportiert oder Brutalität ausdrückt. Wobei man sicher darüber streiten kann, ob solche Musik zum Abbau oder zum Aufbau von Aggressionen beiträgt. Es kommt vermutlich auf den Menschen an, der sie hört.

Lendas, Kreta – 30.06.2007

Mein Urlaub geht unaufhaltsam seinem Ende entgegen, morgen früh wird gepackt und dann geht es zurück nach Hause. Mir fällt auch langsam wirklich nichts mehr ein, und ich bin gespannt, was Ihr inzwischen so getrieben habt.

In nächster Zeit werde ich vermutlich kaum zum Schreiben kommen, die Katzen und die Arbeit warten. Vielleicht gibt’s hin und wieder ein kurzes Lebenszeichen von mir – mal sehen.

Ganz liebe Urlaubsgrüße von
Kretakatze

PS.: Es ist der 02.07. und das Arbeitsleben hat mich zurück. Ein paar kleine Programmfehler waren während meiner Abwesenheit aufgetreten, aber nichts so Dringendes, dass man es nicht für mich bis nach meinem Urlaub hätte aufheben können.

Auch meine Katzen hatten eine kleine Überraschung für mich vorbereitet – sie hatten eine tote Maus im Wäschekorb versteckt. Diese nette Idee scheinen sie bereits kurz nach meiner Abfahrt vorausblickend in die Tat umgesetzt zu haben, damit die Maus bis zu meiner Rückkehr auch das nötige Reifestadium erreicht hat. Der dezente Geruch im Badezimmer sowie die zahlreichen gut entwickelten Maden, die sich im der Wäsche tummelten, zeugten davon, dass ihnen das Timing optimal gelungen war. Wie ich schon einmal erwähnt habe: Wenn die Kinder mal aus dem Gröbsten raus sind, muss man deswegen nicht verzweifeln…

Gerade eben habe ich noch dieses Video von Nothing Is Easy gefunden, aufgenommen am 23.06.2007 in Iraklio. Eigentlich müsste ich irgendwo im Bild sein, ich habe mich aber noch nicht entdeckt… Und auch dieses Video (neues Intro zu Aqualung) stammt vom Konzert in Iraklio, offensichtlich aufgenommen von jemandem, der direkt hinter den Steh-Reihen saß. Die Handys scheinen doch nicht so gut zu filmen, wie ich dachte.

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 77: Jethro Tull auf Kreta – Teil 2

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood!

Lendas, Kreta – 24.06.2007/25.06.2007

Nun bin ich also in Lendas angekommen, und es ist brütend heiß. Das war es schon gestern in Iraklio – 39°C nach Auskunft meines Autoverleihers, in Athen wohl sogar 42°C. Es ist kurz vor Mitternacht, ich sitze auf der Terrasse vor dem Zimmer und die Luft ist zum Schneiden – an Schlafen nicht zu denken. Aber fangen wir von vorne an.

Gestern war also der große Tag, an dem ich mein erstes Jethro Tull Konzert erleben sollte. Nach 10 Uhr war ich in Xerokambos aufgebrochen und gegen 2 Uhr kam ich in Iraklio an. Da ich, wie ich schon wiederholt erwähnt habe, immer sehr für sparsame Haushaltsführung bin, hatte ich beschlossen mein Nachtlager im Youth Hostel aufzuschlagen. Schließlich brauchte ich nur eine Schlafunterlage für die Nacht, und außerdem liegt es nicht weit von meiner Autovermietung entfernt. Nun, jetzt weiß ich auch wie diese Art der Unterbringung zu bewerten ist: Nicht zu empfehlen. Das Etablissement in Iraklio ist äußerst schlicht, nicht unbedingt sauber und kostet immerhin 10 EUR die Nacht. Auch beunruhigte mich von Anfang an die Auskunft, dass um 24 Uhr die Pforte geschlossen wird. Wer bis dahin nicht im heimischen Hafen eingelaufen ist, darf unter freiem Himmel nächtigen. Und schließlich wußte ich nicht so genau, wie lang das Konzert dauern könnte.

Wie auch immer – bis 15 Uhr hatte ich im Youth Hostel eingecheckt und mein Gepäck in einem 8-Bett-Zimmer auf einer Pritsche abgeladen. Bei der Autovermietung war niemand anzutreffen, also machte ich mich erst einmal auf den Weg die Busverbindung nach Lendas für den nächsten Tag auszukundschaften. Dazu war ein kleiner Fußmarsch von 20 Minuten zur Busstation erforderlich. Auf dem Weg kam ich an zahlreichen Plakatwänden vorbei, an denen die verschiedensten Konzerte angekündigt wurden – nur konnte ich nicht den Zipfel eines Plakats von Jethro Tull entdecken. Das begann mich zu beunruhigen.

Mich peinigte der Gedanke, dass das Konzert vielleicht inzwischen abgesagt worden war, und ich nur nichts davon mitbekommen hatte. Oder hatte man aus organisatorischen Gründen nur einfach vergessen Plakate zu kleben? Das soll ja schon 1976 Cat Stevens in Athen passiert sein – er durfte vor nahezu leerem Haus auftreten. Oder hatte man die Plakate überklebt, weil längst ausverkauft war? Um eine Antwort zu erhalten würde mir nichts anderes übrig bleiben, als vor Ort am Kipotheatro die Lage zu peilen. Nachdem ich an der Busstation mit der Information beglückt worden war, dass weder samstags noch sonntags Busse nach Lendas fahren – ich würde also zumindest für die letzten 30 km ein Taxi brauchen – machte ich mich auf zum Ort der Handlung, dem „Gartentheater“, in dem Jethro Tull nach meiner Information heute Abend 20 Uhr auftreten sollten.

Nochmals 20 Minuten Fußmarsch bei sengender Hitze, ich mußte mich durchfragen. Trotzdem war ich eigentlich erstaunt, wie nahe alles beieinander lag. Nach der Karte hätte ich die Entfernungen viel weiter geschätzt. Iraklio, die fünftgrößte Stadt Griechenlands, ist im Zentrum eigentlich auch nur ein großes Dorf.

Als ich am Kipotheatro ankam war es ca. 16:30 Uhr. Im Cafe vor dem Eingang saßen eine Handvoll Leute, sonst war nichts los. Der Eingang stand offen, und hier hingen tatsächlich auch ein paar Jethro Tull Plakate. Ich warf einen Blick in die heiligen Hallen und bekam folgendes zu sehen: Kipotheatro1 Kipotheatro2. Es sah tatsächlich so aus, als ob hier ein Konzert vorbereitet würde. Das ließ mich Hoffnung schöpfen. Wenn ich nur auch schon ein Ticket hätte. Der Verkaufsschalter am Kipotheatro war geschlossen. Und auch sonst hatte ich bislang nirgendwo einen Laden entdecken können, der so aussah als ob dort Konzertkarten zu bekommen wären.

Nur als Einschub zwischendurch: Selbst ich war von der Überschaubarkeit dieser Lokalität überrascht. Ich schreibe das nur, weil immer wieder von verschiedener Seite vermutet wird, Mr. Anderson ginge auf Tournee um Geld zu scheffeln. Spätestens wenn man die Größe dieser Venue sieht muss einem klar werden, dass so eine Vermutung lächerlich ist. Für die paar Kröten, die hier zu verdienen sind, würde ich mir den Stress eines Konzerts jedenfalls nicht antun. Hier tritt nur auf, wer es wirklich nötig hat, oder wer es überhaupt nicht nötig hat. Bei Mr. Anderson würde ich das Zweite vermuten. Konzerttourneen scheinen sein Hobby zu sein, solange er nicht draufzahlt, ist es ok.

Jetzt wurde es aber wirklich langsam Zeit, dass ich das Auto loswurde. Also nochmal zur Autovermietung. Nach einem Telefonat, 10 Minuten warten auf den Vermieter, einer Limo und einem Schwätzchen war das auch erledigt. Nichts wie zurück zum Kipotheatro. Wer wußte schon, wann der Verkaufsschalter öffnen und sich die Menschenmassen drängen würden. Es war ca. 17:45 Uhr als ich ankam, und diesmal klang mir bereits das Intro zu Locomotive Breath entgegen. Der Eingang stand immernoch offen und so bot sich mir das folgende Bild: Kipotheatro3. Eindeutig waren bereits die Herren Perry, Goodier und O’Hara auf der Bühne zu erkennen, der äußerst Rechte (Stage Left) könnte Mr. Barre sein. Nur vom Meister keine Spur. Würden Jethro Tull etwa ohne Mr. Anderson auftreten? Das wäre ja mal ganz was Neues.

Während ich photographierte lief ein Trupp schwarz gekleidete Sicherheitsleute an mir vorbei. Es wollte zwar Keiner etwas von mir, aber ich dachte ich sollte vielleicht doch besser nicht so auffällig im Weg herumstehen. Außerdem hatte ich noch ein Telefonat zu erledigen. Als ich 18:00 Uhr zurückkam, tönte mir eine Flöte entgegen – Mother Goose. Da war der Meister wohl doch noch eingetroffen. Allerdings: Jetzt war der Eingang zu und mindestens 15 bis 20 Sicherheitsleute standen oder saßen herum. Pech!

Wie man vielleicht schon auf den Bildern gesehen hat, ist das Kipotheatro von beiden Längsseiten von hohen Mauern eingeschlossen. Die im Bild rechte ist die Außenseite der historischen Stadtmauer. Links des Theaters führt eine Straße den Berg hinauf. Der Hang ist ebenfalls durch eine Mauer abgesichert. Von der Straße her ist die Mauer natürlich so hoch gezogen, dass man nicht von oben ins Theater hineinsehen kann – das wäre ja auch zu einfach. Allerdings zieht sich die Mauer mit einer Höhe von nur etwa einem Meter bis kurz hinter den Eingang, und von dort aus konnte ich durch die Zweige einer Kiefer hindurch zumindest Teile der Bühne einsehen. Hier bezog ich für die nächsten anderthalb Stunden Stellung.

Ich konnte nun erstmals den Meister erspähen, wie er in schwarzem T-Shirt und schwarzer Hose, Flöte in der Hand, auf er Bühne herumsprang. Und – welch Wunder – er trug keine Kopfbedeckung. Hatte ihn etwa die kretische Sonne dazu animiert, sie sich auf’s blanke Haupt scheinen zu lassen? Wäre es gar möglich, dass es ohne den lächerlichen Kopf-Fummel auftreten würde? Die Aussichten für den Abend wurden immer erfreulicher.

Gegen 18:30 Uhr war der Soundcheck zu den Instrumenten „akustische Gitarre und Gesang“ fortgeschritten. Es wurde der Anfang von „Thick As A Brick“ geboten – das klang nicht einmal so schlecht. Als ca. 19:00 Uhr noch ein komplettes „Farm On The Freeway“ gespielt wurde, kam bei mir langsam richtig Stimmung auf. Dem Meister schien allerdings irgendetwas nicht gefallen zu haben. Es gab eine kurze Diskussion und danach wurde ein Teil wiederholt.

Eigentlich sind diese Open Air Venues garnicht so schlecht. Sollte ich wirklich kein Ticket mehr bekommen, dann hatte ich hier auf der Mauer im Schatten einer Platane trotzdem einen luftigen Sitzplatz, von dem aus ich einiges sehen und alles hören konnte. Aber meine diesbezüglichen Bedenken waren grundlos. Inzwischen hatte der Kartenverkaufsschalter geöffnet und die Länge der Schlange hielt sich in Grenzen. Tickets schienen noch genug vorhanden, es wurde vom dicken Block herunter verkauft und ich erhielt das Ticket No. 5 (ein Jethro Tull Ticket ist ja vielleicht nichts sooo Sensationelles, aber nicht jeder hat eins in griechischer Schrift…). Auf dem Ticket las ich dann auch die „richtigen Öffnungszeiten“: Einlass 19:30 Uhr, Beginn 21:30 Uhr!!! Um Mitternacht schließt das Youth Hostel, und für die Strecke brauche ich mindestens 20 Minuten zu Fuß. Das könnte knapp werden. Ich begann mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich die Nacht auf einer Parkbank verbingen würde, während mein Gepäck sanft auf der Pritsche ruhte.

Ticket Jethro Tull 2007 auf Kreta

Nach dem Kartenkauf bezog ich wieder meinen Logenplatz auf der Mauer. Jetzt wurde es richtig rockig, gegen 19:20 Uhr stand „Sweet Dream“ auf dem Programm. Danach wurden noch Ausschnitte aus „America“ und nochmals „Mother Goose“ geboten. Der Soundcheck schien um 19:40 Uhr beendet, die Herren verschwanden von der Bühne. Inzwischen hatten auch die ersten Besucher Stellung vor dem Eingang bezogen, und es wurde Zeit, dass ich mich für den Einlass günstig positionerte. Das gelang mir auch problemlos.

Das Publikum, das sich allmählich vor dem Eingang sammelte, war erstaunlich bunt gemischt. Neben einem älteren deutschen Ehepaar waren Griechen allen Alters vertreten, teilweise ganze Familien einschließlich Kindern unter 10. Außerdem bemerkenswert viele junge Leute und Jugendliche, aber auch ein typischer, mindestens 60-jähriger kretischer Opa. Natürlich muss man dabei bedenken, dass es sich um eine Samstag Abend Veranstaltung handelte. Bestimmt hatten sich einige Zuschauer nach dem Motto – „Was gibt’s diesen Samstag?“ – „Jethro Tull spielen“ – „Kenne ich nicht, aber gucken wir mal, was das ist“ – zu diesem Konzertbesuch entschlossen. Viele der Jugendlichen waren wahrscheinlich einfach gekommen, weil ein Rock-Konzert angesagt war. So groß wird das kulturelle Angebot in Irakio nicht sein – zumindest was „ausländische“ Musik und Rockmusik betrifft. Da nimmt man mit, was man bekommen kann.

Trotzdem muss man sich bei den Preisen doch wundern, wer sich das alles leisten wollte. 40 EUR sind für einen 13- oder 14-Jährigen (und es gab eine ganze Menge Jungs in etwa der Altersklasse) doch bestimmt eine Menge Geld, und wenn eine dreiköpfige Familie für einen Samstag Abend 120 EUR hinblättern muss, ist das auch kein Pappenstiel. Wenn ich da an die Preise in meiner Jugend denke – Cat Stevens 1976 kostete 16 DM, Al Stewart 1977 14 DM, Dire Straits 1979 waren schon teuer mit 20 DM. Früher war halt alles besser und vor allem billiger.

Kurz nach 20:00 Uhr wurden dann tatsächlich die Tore geöffnet, man wurde gruppenweise eingelassen und ggf. gefilzt (so wie ich z.B. mit meinem kleinen Rucksack – Wasserflasche, ein Apfel, eine Packung Kekse und eine Packung Nüsse gingen aber anstandslos durch, das Seitenfach mit der Kamera interessierte niemanden). Da ich gleich in der zweiten eingelassenen Gruppe war, hatte ich noch praktisch freie Platzwahl, und ich positionierte mich in der Mitte der vierten Reihe ungefähr auf gleicher Fußhöhe mit der Bühne – das sollte sich später noch als gute Wahl erweisen. Aus unerfindlichen Gründen wollte sich niemand neben mich setzen, so dass die Plätze rechts und links von mir frei blieben (eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass ich sooo gestunken habe…), obwohl sich das Theater allmählich füllte. Gegen 21:30 Uhr konnte ich jedenfalls in den Reihen vor und hinter mir keine freien Plätze mehr erkennen, stattdessen saßen inzwischen Zuschauer auf den Mäuerchen rechts und links oder standen in den Gängen. Auch die Stehplätze hinter den Sitzreihen schienen nicht unbenutzt zu bleiben. Ich dagegen tronte in der Mitte der vierten Reihe auf drei Plätzen wie die Königin von Saba.

Nachdem ich mich auf meinem Sitz häuslich eingerichtet hatte, war bis zum Konzertbeginn noch über eine Stunde totzuschlagen. Etwas Abwechslung bot das Programm auf der Bühne, hier hantierten 3 Männer mit einer Leiter, um sämtliche Scheinwerfer neu zu justieren. Hinter mir hatte sich ein griechischer Jethro Tull Experte – so um die 40 – platziert, der seiner Gesellschaft lautstark die Bedeutung von Aqualung und Songs From The Wood näherbrachte, selbst Marin Barre’s Stage Left war ihm nicht unbekannt. Vor mir hatte ein Ehepaar für die gesamte Verwandschaft und Bekanntschaft gleich 10 Plätze belegt, setzte sich dann direkt vor mich und begann zu qualmen, was die Lunge hergab (Dazu muss man wissen: Mir wird von Rauch in kleinsten Mengen schlecht – ich rieche, wenn sich jemand in 100 m Entfernung eine Zigarette anzündet). Überhaupt schien sich um das strikte Rauchverbot, auf das schon am Eingang hingewiesen wurde, niemand zu scheren. Vor und während der Vorstellung stiegen aus dem Publikum immer wieder regelrechte Rauchwolken auf. Die Sicherheitskräfte hatten damit kein Problem.

Nachdem sich das Publikum weitgehend auf den Plätzen etabliert hatte, begann es sich mit Lebensmitteln einzudecken. Jede Menge Bier in Pappbechern wurde in Freundeskreisen verteilt, hinter mir wurden Chipstüten durchgereicht. Inzwischen begann es einzudunkeln, und die Bühnenscheinwerfer mussten nochmals ausgiebig getestet werden. Dazu wurde auch das Publikum angestrahlt und ausgeleuchtet. Mehrmals traf mich einer der Scheinwerfer so ins Auge, dass ich danach einige Momente lang überhaupt nichts mehr sah. Das ist Körperverletzung, hoffentlich machen die das nicht auch während der Vorstellung so!

Dann endlich, um 21:45 Uhr (es wird wohl doch die Parkbank werden) ging das Licht aus, einige Schattengestalten huschten über die Bühne, dann Licht an und los ging’s mit „Living In The Past“. Gejohle und Beifall aus dem Publikum, und jetzt wurde mir schnell klar, warum vor der Bühne Absperrgitter aufgestellt und dahinter Sicherheitsleute postiert waren. Wie auf Kommando stürzte Publikum aus den Gängen, von hinten und von der Seite vor zur Bühne, die erste Reihe wurde einfach überrannt. Schon nach wenigen Takten war von der ersten Sitzreihe nichts mehr zu sehen, wer dort gesessen hatte musste notgedrungen auch stehen, sonst wäre er wohl erstickt. Direkt vor der Bühne bildeten sich etwa 4 Steh-Reihen, aber von meinem Sitzplatz in der vierten (jetzt dritten) Reihe konnte ich gerade eben bequem über die Köpfe hinweg sehen – das hatte ich mal wieder optimal getroffen.

Was mir sofort auffiel: Oh nein, er hat doch wieder die schwarze Abdeckplane übers bare Haupt gezogen, und hat er sich eigentlich den Bart passend zum Kopfverband gefärbt? Der war doch früher nicht schwarz, oder? Ansonsten war Mr. Anderson mit der gleichen gelb-rot gemusterten Weste bekleidet, die ich schon aus den Südamerika-Videos kannte. Eigentlich kam ich mir vor wie in YouTube mit Vergrößerung.

Was mir nach dem Soundcheck schon klar war: Es war keine Geigerin mit von der Partie, die Herren waren unter sich und spielten das „klassische“ Programm. Ich werde jetzt nicht jeden gespielten Titel einzeln durchgehen, sondern nur allgemein ein paar Anmerkungen machen. Eine tabellarische Zusammenfassung des Konzerts einschließlich Setlist findet Ihr am Ende meines Beitrags.

Nach dem ersten Titel musste Mr. Anderson erst einmal mit dem Publikum schimpfen: Warum denn hier alle vor an die Bühne rennen, es wäre doch nicht nett den dahinter Sitzenden die Sicht zu versperren. Also zurück auf die Plätze, er habe schließlich noch nicht einmal richtig angefangen. Das brachte ihm zwar ein paar Lacher ein, aber natürlich hat sich trotzdem niemand auch nur einen Zentimeter von der Stelle gerührt. Immerhin, er hat’s versucht, das fand ich eigentlich ganz nett.

Was mir schon bei „Living In The Past“ auffiel – die Stimme hatte nachmittags beim Soundcheck noch besser geklungen. Auch bei „Mother Goose“ und erst recht bei „Thick As A Brick“ bekam er die hohen Töne nicht und lag teilweise im Ton daneben. So etwas tut mir immer in der Seele weh, ich hätte am liebsten beim Singen ausgeholfen. Bei den lauteren Titeln fiel es nicht so auf, da hörte man die Stimme teilweise kaum. Vielleicht liegt es auch vor allem an der Tonhöhe. Beim „Locomotive Breath“ am Schluss klang die Stimme wieder garnicht so schlecht.

Der zweite gespielte Titel war „Jack In The Green“. Hier habe ich versucht, mit meiner (schon etwas älteren) Digitalkamera ein paar Photos zu machen. Nach dem zweiten Bild waren die Akkus leer, andere hatte ich nicht dabei (auf der Pritsche im Youth Hostel…). Letztendlich hätten mir andere Akkus aber auch nichts genützt, denn offensichtlich war meine Kamera von den Lichtverhältnissen überfordert. Ich glaube die Griechen um mich herum haben mit ihren Handys bessere Photos geschossen. Teilweise wurde mit dem Handy wohl auch gefilmt, die Dame schräg vor mir verfolgte das Geschehen immer wieder minutenlang über das 5×5 cm Display ihres Handys, statt sich die Aktion auf der Bühne 3 m vor ihrer Nase anzusehen. Mit der Faszination der Technik kann ein Mr. Anderson halt selbst in Lebensgröße nicht mehr mithalten.

Da die beiden von mir gemachten Bilder so schlecht sind, dass sie schon fast wieder einen künstlerischen Wert besitzen, möchte ich sie Euch nun doch nicht vorenthalten. Ihr werdet sehen, man sieht so gut wie nichts: Bild1 Bild2

Ich bin bei diesem Live-Erlebnis einmal wieder zu dem Schluss gekommen, dass bei solch einem Konzert die eigentliche Attraktion nicht das ist, was man sieht, sondern dass man aufgrund der Lautstärke die Musik nicht nur hört sondern auch fühlt. Und so kam die richtige Begeisterung beim Publikum auch immer dann auf, wenn es laut und schnell wurde. „Living In The Past“, „Sweet Dream“ (angekündigt als „a lot of noisy guitar from Mr. Barre“), „Aqualung“ (aber erst der „eigentliche“ Teil nach dem neuen Intro), „My God“ und zum Schluss natürlich „Locomotive Breath“ kamen daher am besten an. Dabei war die Lautstärke für mein Gefühl absolut ok, weder zu leise noch zu laut.

Auch die diversen Flötensolos oder geflöteten Instrumentalstücke brachten Stimmung – „The Donkey An The Drum“ (klingt wegen des ungeraden Takts für mich auch wie ein griechischer Tanz, das Publikum ging entsprechend mit), „Bourree“ (von Mr. Anderson als „a piece of porn Jazz“ angekündigt) und „King Henry’s Madrigal“ (dazu gab’s einige launige Anmerkungen zu König Henry, seiner poetischen Ader und seinen „kopflosen“ Frauen) wurden vom Publikum entsprechend freudig aufgenommen. Weniger gut konnte Martin Barre mit seinem „After You, After Me“ landen – auch ich merkte, dass ich nach kurzer Zeit nach den Glühwürmchen Ausschau hielt (es flogen tatsächlich einige herum), überprüfte wieviele Sterne am Himmel standen etc.. Nun ja, ich habe ja bereits an anderer Stelle erwähnt, dass Instrumentalmusik nicht so mein Fall ist und Gitarrensolos mich üblicherweise eher langweilen. Dem übrigen Publikum schien es ähnlich zu gehen.

Allgemein war zu bemerken, dass die Aufmerksamkeit des Publikums nachließ, sobald das Spotlight längere Zeit von Mr. Anderson auf Mr. Barre schwenkte (wegen eines Solos), und der Erstere evt. sogar vorübergehend hinter Schlagzeug oder Kulisse verschwand. Der Show-Effekt, den ein Ian Anderson auf die Bühne bringt, ist auch heute noch nicht zu unterschätzen. Auch wenn es teilweise albern wirkt, wenn er wie Rumpelstilzchen über die Bühne hüpft und stapft, die Beine schmeißt oder Grimassen zieht, es gibt einfach immer etwas zu sehen. Irgendwie verstehe ich ja, wenn er sich nicht seriöser kleidet, es würde zu seinem unseriösen Auftreten nicht passen. Ich komme aber immer mehr zu dem Schluss, dass eine Montur im Stile „Pontischer Kriegstänzer“ Mr. Anderson’s Naturell am ehesten entgegen käme. Wenn er sich schon unbedingt einen schwarzen Putzlappen auf den Kopf binden muss, dann wäre das die passende Tracht dazu. Sie würde viele seiner „Aufführungen“ weniger lächerlich sondern stattdessen symbolhaft bedeutsam erscheinen lassen. Ich denke ich werde ihm mal einen Tipp geben müssen.

Ernsthafte Geschmacklosigkeiten oder Entgleisungen gehörten nicht zum Programm. Die üblichen Schlüpfrigkeiten eben: Die große Blockflöte (gespielt in „Mother Goose“ von Mr. Barre) und die kleine Flöte (Mr. O’Hara), und ob es nun auf die Größe ankommt? Natürlich durfte auch der „Flötenpenis“ wieder nicht fehlen, obwohl er es nicht allzu sehr übertrieben hat. Ich weiß nicht ob Mr.Anderson aufgefallen war, dass sich im Publikum kleine Kinder (und gleich vorne an der Bühne auch eine ganze Reihe ziemlich junge Mädchen) befanden.

Auch auf die Erwähnung der Konkurrenz (bzw. den Hinweis darauf, in welcher Klasse er spielt) musste man natürlich nicht verzichten. So verkündete Mr. Anderson, jetzt komme sein bekanntestes Stück, „Smoke On The…äh…Stairway To…Aqualung“. Na ja, „Whole Lotta…Brick“ fand ich den besseren Gag, aber der ist ja nun halt auch schon 30 Jahre alt. Um noch kurz bei „Aqualung“ zu bleiben – das neue Intro passt meiner Meinung nach überhaupt nicht, es ist viel zu süßlich. Die Melodie erinnert mich an den Titanic-Schmachtfetzen (ist jetzt nicht abwertend gemeint, ich mag dieses Lied) „The Heart Does Go On“, eigentlich scheint es mir das Intro zu diesem Titel zu sein. Ein Intro zu „Aqualung“ müsste viel rockiger klingen.

Was die Setlist betrifft, dürfen natürlich bei Auftritt an einem Ort, an dem man bestenfalls alle 10 Jahre mal vorbeikommt, die Klassiker nicht fehlen – „Living In the Past“, „Bourree“, „Thick As A Brick“, „Aqualung“ und „Locomotive Breath“ sind daher unvermeidlich. Ansonsten fand ich die Auswahl allerdings stark „1969-lastig“, auch „Farm On the Freeway“ und „Budapest“ sind meiner Meinung nach nicht beide notwendig. Die Titel klingen für mich irgendwie ähnlich, und „…Freeway“ gefällt mir besser. „America“ halte ich nun für völlig überflüssig. Ich hätte mir eher noch ein oder zwei Stücke aus der „Songs-From-The-Wood-Heavy-Horses-Phase“ gewünscht, auch ein Titel aus „Broadsword“ oder noch etwas rockiges aus „Crest Of A Knave“ hat meiner Meinung nach gefehlt. Aber natürlich muss Mr. Anderson die Auswahl auch danach treffen, was er stimmlich noch halbwegs hinbekommt – es ist ein Jammer.

Zusammenfassend würde ich trotzdem sagen, dass es ein gelungener Abend war und auch das griechische Publikum zufrieden nach Hause ging. Ganz besonders dankbar war ich den Jungs dafür, dass sie ohne Pause durchgespielt haben und daher laut meiner Uhr um 23:33 Uhr (einschließlich Zugabe) fertig waren. Das gab mir Chancen der Parkbank zu entkommen. Nachdem ich mich durch den Stau in den Theatergängen gekämpft hatte, eilte ich durch die Stadt nach Hause und erreichte die rettende Pforte um 5 vor 12. So konnte ich mich noch zu meinem Gepäck auf die Pritsche legen und trotz der Affenhitze habe ich tatsächlich ein paar Stunden geschlafen.

So, das war’s erst einmal zum Thema „Jethro Tull auf Kreta“.

Es grüßt Euch
Kretakatze

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Jethro Tull in Iraklio, Kreta – Samstag 23.06.2007

Venue: Kipotheatro „Nikos Kazantzakis“ (Gartentheater)
Offiziell laut Internet Einlass ab 19:00 Uhr, Beginn 20:00 Uhr
Offiziell laut Ticket Einlass ab 19:30 Uhr, Beginn 21:30 Uhr
16:30 Uhr: erste Vorbereitungen auf der Bühne
17:45 Uhr: Intro von Locomotive Breath, die Herren O’Hara, Goodier, Perry (und Barre) auf der Bühne
18:00 Uhr: eine Flöte tönt (Mother Goose), Tor ist geschlossen
18:30 Uhr: Soundcheck „akustische Gitarre mit Gesang“ – Thick As A Brick
19:00 Uhr: Farm On The Freeway (komplett und ein Teil wiederholt)
19:20 Uhr: Sweet Dream (Ausschnitt) – America (Flöte) – Mother Goose (Flöte)
19:40 Uhr: Soundcheck beendet, die Herren verschwinden
20:00 Uhr: Einlass

Beginn: ca. 21:45 Uhr
Es treten auf die Herren Anderson, Barre, Perry, Goodier, O’Hara
(Wer welches Instrument spielt muss ich wohl nicht extra erwähnen)

Setlist:
Living In The Past
Jack In The Green
The Donkey And The Drum
Thick As A Brick (Really don’t mind…, Spin me back down the years…, A son is born…, I come down from the upper class…, So you ride yourself…)
Mother Goose
Sweat Dream
King Henry’s Madrigal (Pastime With Good Company)
Bourree
Nothing Is Easy
Barre Solo: After You, After Me
Farm On The Freeway
Aqualung (mit neuem Intro)
America
My God
Budapest
Zugabe: Locomotive Breath

Es wurde ohne Pause durchgespielt
Ende: kurz nach 23:30 Uhr

English Translation for Ian Anderson

Was ist bloß mit Ian los? Teil 76: Jethro Tull auf Kreta – Teil 1

Hallo Wilfried, Hallo Lockwood!

Xerokambos, Kreta – 19.06.2007

Nun sitze ich also hier am Ende der Welt im Schatten auf der Terrasse vor meinem Zimmer, Meeresblick inbegriffen. Gestern hat mich ein wenig der Sonnenbrand ereilt, und da es heute außerdem sehr windig – eher schon stürmisch – ist, werde ich wohl erst gegen Abend an den Strand gehen. Und inzwischen tue ich, was ich nicht lassen kann – ich schreibe. Ich habe nämlich etwas getan, was ich bei jedem Anderen bislang mit Spott und Häme quittiert hätte, ich habe tatsächlich meinen Laptop mit in den Urlaub genommen. Mich hat doch der Gedanke gequält, dass mich auch im Urlaub die Schreibwut überkommen könnte, und dass es einfach furchtbar wäre, wenn ich dann meine „Schreibmaschine“ nicht griffbereit hätte. Das hätte mir wo möglich den ganzen Urlaub versaut. Und das wollte ich nicht riskieren. Außerdem kann ich so jeden Abend gleich die neuen Bilder von der Digitalkamera herunterladen. Die wäre sonst schon nach 3 Tagen übergelaufen, ich habe alleine gestern 45 Aufnahmen gemacht. Im Urlaub packt mich nämlich immer auch die Photographierwut.

Aber das interessiert Euch sicher alles garnicht, Ihr wollt eher wissen wie es um meine Jethro Tull Aktivitäten bestellt ist. Um es kurz zu machen, ich habe immernoch kein Ticket fürs Konzert, und vor Samstag bekomme ich hier am Ende der Welt (äußerste Südostküste Kretas, von Iraklio 175 km entfernt) auch keines mehr. Dummerweise bin ich an einem Sonntag in Iraklio gelandet, und man hat mich schon am Flughafen darüber aufgeklärt, dass sonntags die Karten-Verkaufsstellen geschlossen haben. Allerdings hat man mir glaubhaft versichert, dass es bestimmt am Samstag noch Karten gäbe. Jethro Tull wären hier nicht so bekannt, da könne ich sicher auch noch an der Abendkasse mein Ticket lösen. Überhaupt wäre es bei solchen Veranstaltungen hier üblich, nachdem alle zahlenden Gäste eingelassen sind einfach die Tore für Jedermann zu öffnen, falls es noch freie Plätze gibt. Ob Meister Anderson über diese griechischen Sitten informiert ist… Vielleicht gilt dieses Verfahren aber auch nur für griechische und nicht für schottische Konzerte.

Aber komme ich nun zu Euren letzten Mails. Wilfried hat Einiges über typisch amerikanische und typisch britische Mentalität geschrieben. Nun war ich selbst einmal ein Vierteljahr in den USA, aber darüber, wie „die Amerikaner“ sind, würde ich jetzt deswegen keine Aussage machen wollen. Ich habe diese 3 Monate auf einer Ranch in Texas gearbeitet, und außer den Ranch-Besitzern, deren nächstem Verwandten- und Bekanntenkreis und einigen mexikanischen „Gastarbeitern“ (fast alle illegal) niemanden kennengelernt. Das wäre genauso, als hätte ich 3 Monate auf einem Aussiedler-Berghof im Bayrischen Wald verbracht und wollte jetzt etwas über „die Deutschen“ erzählen. Natürlich hat man trotzdem, wie Wilfried schon richtig vermerkt hat, aufgrund von Medienberichten und Hollywood-Filmen so seine Vorstellungen.

Zum Stichwort „unverbindliche Art der Amerikaner“ fand ich folgenden Kommentar bemerkenswert, den man unter diesem Video von Almost Saturday Night nachlesen kann (es geht einmal wieder um John Fogerty):„I met John backstage at a Connecticut show in ’97, thanked him for writing this song, my favorite, and asked could he add it to the setlist next time he came around. He said „Sure!“ And he did. I’ll take full credit(j/k).“ Natürlich kann man den Wahrheitsgehalt solcher Kommentare nicht nachprüfen. Trotzdem erscheint mir dieser glaubhaft. Man stelle sich im Gegenzug vor: Man trifft Mr. Anderson backstage (ich weiß nicht genau, was man tun müsste um in diesen Genuss zu kommen, bei Mr. Fogerty reicht dafür evt. die Mitgliedschaft im örtlichen Fanclub), dankt ihm dafür, dass er „A Passion Play“ geschrieben hat und bittet ihn ein Stückchen daraus zu spielen, wenn er das nächste Mal vorbeikommt. Er sagt „Aber klar doch!“ und tut das dann auch tatsächlich. Eher unwahrscheinlich, oder? Jetzt ist natürlich „A Passion Play“ nicht mit „Almost Saturday Night“ vergleichbar. Ob man vielleicht mit, sagen wir mal, „We Used To Know“ bessere Chancen hätte? Allgemein glaube ich, dass dieses „Sie-wünschen-wir-spielen“ Prinzip bei den wenigsten Musikern funktionieren würde.

Wilfried hat weiterhin ein Zitat aus einem Buch von Dietrich Schwanitz aufgeführt, in dem es um die amerikanische Tischsitte geht, zuerst das Steak mit dem Messer zu zerkleinern, um dann allein mit der Gabel essen zu können. Jetzt kenne ich den Zusammenhang nicht, aus dem der Ausschnitt entnommen ist, aber der Text scheint mir doch eher witzig gemeint zu sein, denn besonders viel Sinn macht der Inhalt für meine Begriffe nicht. Wer hält denn den Colt in der linken Hand, wenn man ihn zum Schießen rechts braucht? Im Übrigen habe ich auch schon Deutsche so essen sehen. Ich denke Tischmanieren sind eher eine Frage von sozialer Herkunft, Gewohnheit und Bequemlichkeit.

Dann war ich erstaunt zu lesen, dass Mr. Anderson aufgrund seiner Bildung der „Upper Class“ zuzurechnen sei. Habe ich da etwas nicht richtig mitbekommen? Ich dachte er ist mit 16 von der Schule abgegangen, hat keinerlei abgeschlossene Berufausbildung und kann außerdem weder Noten lesen noch hat er einen Führerschein. Was davon prädestiniert nun für die „Upper Class“? Da hat ja Mr. Fogerty mehr zu bieten, der hat zumindest mal einen High School Abschluss.

Nicht dass ich hier falsch verstanden werde – ich bin die Letzte, die glaubt, dass ein bestimmter Bildungsabschluss gleichzusetzen sei mit einem bestimmten Intelligenzgrad. Zu meinem Freundeskreis zählen mehrere Personen mit Realschulabschluss, von deren gesundem Menschenverstand ich noch manches lernen kann und deren Rat mir immer willkommen ist, während ich Personen mit Hochschulexamen kenne, die so hohl sind wie ein Luftballon (und auch ungefähr so aufgeblasen). Ich erwähne die Bildung des Mr. Anderson nur, da sie von Wilfried als Grund für seine Zugehörigkeit zur „Upper Class“ aufgeführt wurde. Die würde ich aber eher in Anderson’s Herkunft aus dem Randbereich der High Society sehen – der Vater als Hoteldirektor verkehrte wohl eher in den „besseren Kreisen“ und kannte auch einige Prominenz.

Nach eigenen Worten kommt Mr. Anderson allerdings „down from the upper class“, d.h. sie ist seine Herkunft, die er aber verlassen hat, er zählt sich selbst nicht mehr dazu. Für ihn scheint sie auch eher gleichbedeutend zu sein mit „High Snobiety“, mit der er sowieso nichts zu tun haben möchte. Er sieht sich selbst lieber als den einfachen „Landmann“. Der elitäre Anspruch, von dem ich schrieb, bezieht sich ausschließlich auf sein Metier, die Musikbranche, und schlägt sich in einem ausgeprägten Konkurrenzdenken nieder. Mr. Anderson möchte gerne immer und überall der Beste sein – der Beste auf seinem Instrument, der beste Texter, der beste Songschreiber etc.. Nach eigenen Angaben ist er als Kind der „Upper Class“ von klein auf auf Erfolg getrimmt worden (Wind Up: „…they groomed me for success…“ – Thick As A Brick: „…a son is born, an we pronounce him fit to fight…“). (Sorry, wenn meine Zitate nicht ganz korrekt sind, ich kann hier nirgends die genauen Textstellen nachschlagen…). Diese Erziehung scheint bei ihm auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein.

Ich kenne keinen anderen Musiker, der sich ständig in der Öffentlichkeit derart mit der „Konkurrenz“ vergleicht. Kein Konzert und kein Interview, bei dem er nicht irgendwann den Namen mindestens eines anderen Musikers oder einer anderen Band erwähnt. Am häufigsten sind das Led Zeppelin, die er wohl einerseits bewundert und andererseits für seine stärkste Konkurrenz hält. Anspielungen auf „Stairway To Heaven“, „Whole Lotta Love“ oder auch „Led Zeppelin’s famous hit Whole Lotta Brick“ (für meine Begriffe sein bester Gag) gehören praktisch zu jedem Auftritt, aber auch Deep Purple’s „Smoke On The Water“ findet Erwähnung. Aussprüche wie „On guitar Martin Lancelot Barre, balding as ever, comes next to Elton John“ oder „I think we could be Johnny Cash, if we tried very hard“ sind ebenfalls typisch für ihn. In einem Interview von 1975 vergleicht er sich mit David Bowie, in einem anderen Interview von 1977 zählt er fast die gesamte damalige Rock-Elite auf (darunter auch wieder Led Zeppelin, Elton John und David Bowie) und bringt dann gar noch Beethoven ins Spiel, und bei einem Interview von 2003 lässt er sich ausgiebig über Michael Jackson aus, obwohl ihn kein Mensch danach gefragt hat. Man muss ihn eigentlich nur 2 Minuten reden lassen, schon ist er bei einem anderen Musiker, mit dem er sich vergleicht. Dieses „Ich-muss-der-Beste-sein-Wo-stehe-ich“ scheint ihn ständig zu verfolgen. Und wenn er meint, in irgendeinem Punkt besser zu sein als ein Anderer, dann bringt er das entsprechend deutlich zum Ausdruck.

Xerokambos, Kreta – 20.06.2007

Es ist immernoch sehr windig und auch der Sonnenbrand muss noch ein bißchen gepflegt werden. Also sitze ich einmal wieder auf der Terrasse…

Wilfried hat einige Beispiele für das „politische Engagement“ des Mr. Anderson aufgeführt, die für mich allerdings eher unter die Rubrik „soziales Engagement“ fallen würden. Einsatz für Natur- und Artenschutz zählen für mich ebenso dazu wie Auftritte zugunsten von Tsunami-Opfern, AIDS-Kranken oder Obdachlosen. Gesellschaftskritische Anmerkungen in einigen Songtexten haben für mich nichts mit Politik zu tun, genauso wenig wie öffentliche Bekundungen gegen amerikanische Flaggen oder Hippies. Und wenn Mr. Anderson mal, wie hier, einem bekannten Politiker die Hand schüttelt, dann ist das „PR“ und keine politische Aktion. Unter politischem Engagement verstehe ich eigentlich eher die Stellungnahme zu aktuellen tagespolitischen Ereignissen oder Entscheidungen bzw. den Versuch diese zu beeinflussen.

Um einmal wieder Mr. Fogerty zum Vergleich heranzuziehen: Sein Fortunate Son von 1969 wandte sich gezielt gegen den Vietnam-Krieg und gegen die politische Entscheidung vor allem die Söhne der „Lower Class“ in diesem Krieg zu „verheizen“. Im Jahre 2004 hat er mit Deja Vu (All Over Again) gegen den Irak-Krieg und seine Folgen protestiert. Der Irak-Krieg hätte auch ein Thema für Mr. Anderson sein können, schließlich hat sich auch Großbritannien heftig an diesem Krieg beteiligt. Mir ist aber nicht bekannt, dass sich Mr. Anderson zu diesem Thema vernehmbar geäußert hätte, zumindest nicht musikalisch. Das soll jetzt keine Kritik sein, es ist nur eine Feststellung. Ich halte Mr. Anderson für einen eher unpolitischen Menschen. Allein im Bereich Natur- und Umweltschutz zeigt er ein gewisses politisches Interesse, was sich in Liedern wie z.B. dem bereits aus anderen Gründen erwähnten Silver River Turning oder auch Farm On The Freeway niederschlägt.

Nun hängt das politische Engagement amerikanischer Künstler auch mit speziellen amerikanischen Gepflogenheiten zusammen. Traditionsgemäß werden in den amerikanischen Wahlkampf-Zirkus so ziemlich alle erwähnenswerten Künstler aus Musik und Film mit eingebunden, jede Partei versucht sich zu schnappen, wessen sie habhaft werden kann. Und so wurde auch Mr. Fogerty schon auf diversen Wahlkampfveranstaltungen der Demokraten gesichtet, wo er vermutlich zum musikalischen Rahmenprogramm beitragen und anschließend seine Wahlempfehlung ins Mikrophon sprechen durfte. In den USA kann man sich als Künstler also der Politik viel weniger entziehen als in Großbritannien. Andererseits hat man auch größere Chancen, mit dem was man sagt oder singt politisches Gehör zu finden, denn spätestens im nächsten Wahlkampf wird man wieder gebraucht. Das führt wohl allgemein zu einem stärkeren politischen Engagement amerikanischer Künstler, als man es aus anderen Ländern gewohnt ist. Trotzdem: Zuerst hat Mr. Fogerty seine Songs geschrieben (darunter mit „Working Man“ z.B. auch ein Titel über die Arbeitsbedingungen einfacher Arbeiter), dann sind die Demokraten zu dem Schluss gekommen „Der könnte zu uns passen“.

Nun wird es aber Zeit, dass ich mich dem armen Lockwood zuwende, den ich offensichtlich durch meine letzten Bemerkungen zu Brian May und seinem Gitarrenspiel persönlich schwer getroffen habe. Lieber Lockwood, ich war bestürzt zu lesen, dass Dir meine Worte die Tränen in die Augen getrieben haben. Bitte entschuldige vielmals mein unsensibles Vorgehen. Ich weiß, mir mangelt es immer wieder am nötigen Fingerspitzengefühl, meine oftmals kritischen Ansichten schonend und positiv motivierend vorzubringen. Ich werde mich bemühen in Zukunft meine Worte mit mehr Feingefühl zu wählen.

Und da stehe ich nun schon vor dem Problem: Wie tue ich das? Das von Dir zuletzt verlinkte „The March of the Black Queen“…wie soll ich sagen…könnte bei mir einen ersten Preis gewinnen für das wirrste Musikstück, das ich je gehört habe. Es klingt als ob Musikschnipsel aus ungefähr einem Dutzend unterschiedlicher Songs unterschiedlicher Musikrichtungen per Zufallsgenerator zusammengestückelt worden wären. Wobei keine dieser Musikrichtungen meinem Geschmack entspricht. Oh je, das war jetzt wahrscheinlich auch wieder nicht besonders feinfühlig formuliert. Bitte nicht gleich weinen! Queen ist halt vermutlich einfach nicht mein Fall. Diesen Eindruck hatte ich schon in den 70ern, und daran hat sich wohl auch nichts geändert.

Da kann ich mit Mr. Clapton, der „Supergroup“ Cream und dem Titel „White Room“ schon mehr anfangen. Cream waren mir bislang nur dem Namen nach bekannt, auch von Eric Clapton hatte ich wohl noch nie bewusst etwas gehört. Dass er das Solo in „While My Guitar Gently Weeps“ spielt, war mir unbekannt, gibt aber unbedingt Pluspunkte. Und „White Room“ klingt interessant, der Song hat etwas…

Außerdem kommt mit Cream nun eine weitere Art von Rockband ins Spiel – neben der „One-Man-Band“ (a la Jethro Tull, Dire Straits oder CCR) und der „Group Band“ (z.B. Queen) nun noch die „Supergroup“. Sie besteht ausschließlich aus Frontmännern und hat offensichtlich eine noch kürzere Halbwertzeit als die „One-Man-Band“. Schon nach 2 Jahren war sie am Ende, da ihre 3 Köpfe in unterschiedliche Richtungen marschieren wollten. Insbesondere Mr. Clapton scheint sich danach kreuz und quer durch die Musiklandschaft gespielt zu haben, so wie in seinem Leben wohl auch noch so manches andere kreuz und quer gelaufen ist. Da kann man sich nur wundern, dass er das alles doch relativ unbeschadet überstanden zu haben scheint und heute noch auf einer Bühne stehen und spielen kann. Ich gönne es ihm. Jimi Hendrix dagegen, auch wenn das hart und herzlos klingt, weine ich keine Träne nach. Weder konnte ich je mit seiner Musik etwas anfangen, noch hat er meiner Meinung nach irgend einen positiven Einfluss auf seine Umwelt ausgeübt – eher ganz im Gegenteil.

Xerokambos, Kreta – 21.06.2007

Gestern habe ich die neue Erfahrung gemacht, dass auch Krabben ganz unterschiedliche Charaktere haben können. Gegen Abend saß ich auf einem meerumspülten Felsplateau und konnte etwa eine Stunde lang gleich 3 Exemplare gleichzeitig beobachten. Die erste, durch die ich auf die „Krabbenstelle“ überhaupt erst aufmerksam wurde, war von der gefräßigen Sorte. Sie ließ sich durch mich nicht stören und knabberte an einem Stück Meerespflanze, als ich sie entdeckte. Es sah lustig aus, wie sie bald mit der linken und bald mit der rechten Schere ein Stückchen Pflanze abzwickte und ins Maul schob (sagt man bei Krabben so?). Die zweite saß in einer dunklen Felsspalte etwa einen halben Meter entfernt, und hatte sich genauso dunkelgrau gefärbt wie der Untergrund. In Abständen lugte sie mit ihren Stielaugen aus der Felsspalte hervor, zuckte aber jedesmal sofort zusammen, sobald ich mich bewegte, und verschwand wieder in ihrem Versteck – ein scheues und ängstliches Exemplar. Die Dritte schien – im Gegensatz zu den anderen beiden – farbliche Tarnung nicht nötig zu haben. Mit ihren rotbraunen Flecken auf hellem Grund hob sie sich deutlich vom sandfarbenen Felsen ab. Sie war die größte und dickste von Allen und von eher phlegmatischem Typ. Ungefähr im Abstand von je 10 Minuten bewegte sie mal ein Bein oder knapste ein Stück Alge vom Stein, während inzwischen Vielfraß Nr. 1 etwa 30 cm entfernt quer über den Fels wanderte und dabei den schmierigen Algenfilm abgraste. Dieses Tier hat wirklich eine Stunde lang ununterbrochen gefressen und war damit noch nicht fertig, als ich mich schließlich auf den Heimweg machte.

Soweit zu meinen neuen Erkenntnissen aus dem Reich der Krabben. Ich schreibe das alles nur, um Euch einen kleinen Einblick in meinen erlebnisreichen Tagesablauf zu geben. Irgendwelcher Bezug zu den Herren Anderson, Fogerty und Co. wäre rein zufälliger Natur.

Kommen wir zurück zur Musik. Was die Leistungen des Mark Knopfler betrifft, scheinen wir uns ja alle ziemlich einig zu sein. Und der Rest der Welt wohl auch. Ich finde es erstaunlich, mit wem oder für wen Mr. Knopfler schon in die Gitarrensaiten gegriffen hat. Von Bob Dylan, der ihn schon 1979 für sein Album „Slow Train Coming“ angeheuert hatte, über Eric Clapton bis John Fogerty (wie wir ja schon gesehen und gehört haben). Ich habe den Eindruck so ziemlich jeder, der eine Gitarre halten kann, möchte wenigstens einmal mit ihm zusammen arbeiten um ihm über die Schulter zu schauen und zu sehen, wie er das macht.

Weitere Gitarristen kenne ich nicht – jedenfalls ist mir keiner aufgefallen, der mich besonders beeindruckt hätte. John Fogerty würde man ja offiziell bestimmt nicht dazu zählen wollen – wobei mir das eigentlich ziemlich schnuppe ist. Wie ich schon erwähnt habe finde ich das Solo aus I Put A Spell On You (hier mal eine Live-Version aus Woodstock) auch ziemlich stark. Aber im Moment möchte ich dieses Video eigentlich nur zur Überleitung auf ein neues Thema benutzen: Pleiten, Pech und Pannen in Musikvideos.

Eigentlich gibt es keine Woodstock-Videos von CCR, aufgrund der schlechten Qualität hat sie John Fogerty nie zur Veröffentlichung freigegeben. Wenn man die Aufnahmen sieht, weiß man auch warum. Wegen organisatorischer Mängel fand der Auftritt von CCR erst zwischen 1:00 und 3:00 Uhr nachts statt als die meisten Fans schon schliefen (oder sonstwie voll zugedröhnt waren). Auch die Kameraleute und die Tontechniker waren wohl schon in Tiefschlaf versunken. Das Bild ist kaum ausgeleuchtet, man sieht nur schemenhaft ein paar Dunkelmänner auf der Bühne, dazu ist der Ton übersteuert und schäppert. Irgendwie müssen einige Fans doch der Aufnahmen habhaft geworden sein und haben versucht, noch das beste daraus zu machen. An der Kameraführung konnten aber auch sie nichts mehr ändern. Beim Gitarrensolo von „I Put A Spell On You“ (siehe oben) wird ausgiebig Fogerty’s Rücken gefilmt, der Gitarrenhals von hinten oder das Schlagzeug statt der Gitarre (und zwar möglichst von vorne) – wer möchte denn sowas sehen?

Was für die Amerikaner und CCR Woodstock war, war für die Briten und Jethro Tull die Isle Of Wight. Davon gibt es durchaus gelungene Aufnahmen, die man ja auch auf DVD erwerben kann, aber auch hier gibt es eine Stelle, bei der ich immer lachen muss, da sie dokumentiert wie die Kameraleute damals von den neuen Herausforderungen eines Rockkonzerts (und vor allem eines Ian Anderson) doch etwas überfordert waren. Offensichtlich waren sie bis dahin gewohnt, dass man um einen Sänger zu filmen seine Kamera auf’s Mikrophon ausrichten und sich dann auf ein Nickerchen ablegen kann. Das hat bei Mr. Anderson so nicht ganz funktioniert.

Nachdem er seine vier Strophen von We Used To Know abgesungen hat, vollführt er einen seiner berüchtigten Fallrückzieher, wodurch er innerhalb von Sekundenbruchteilen komplett aus dem Bild verschwindet. Es vergehen einige Schrecksekunden bis der Kameramann merkt, dass er einen nackten Mikrophonständer filmt. Mit zittriger Hand geht er auf die Suche nach dem Objekt seiner Begierde, das zu diesem Zeitpunkt noch ungefähr 20 cm flach über dem Boden schwebt. Bis er es entdeckt hat, springt dieses allerdings auf und rennt davon. Er versucht verzweifelt ihm mit wackliger Kamera zu folgen, bekommt es aber nie so recht ins Bild. Schließlich wird auf die Kamera auf der vom Zuschauer aus rechten Bühnenseite umgestellt, von der aus vermutlich die ganze Aktion komplett im Bild gewesen wäre. Warum eigentlich nicht gleich so?

Xerokambos, Kreta – 22.06.2007

Gestern habe ich nach dem Baden noch eine kleine Wanderung in eine Schlucht unternommen. Immer nur in Gesellschaft von Krabben fand ich es auf die Dauer doch etwas öde, ich wollte einmal wieder die Ansprache eines Wirbeltiers, und in Schluchten trifft man üblicherweise auf Ziegen. In dieser hatte ich allerdings Pech. Die einzigen Lebewesen, auf die ich traf (außer den Insekten) waren ein paar Vögel, vor allem ein Bussard oder Habicht, der sich etwa 3 Meter über meinem Kopf schlechtgelaunt aus eine Felshöhle stürzte. Ich hatte ihn wo möglich beim Brüten gestört.

Abends in der Taverne hatte ich dann nochmals Pech. Auch hier am Ende der Welt ist ja schon die Neuzeit eingekehrt, und bei Kostas kann man gratis im Internet surfen. Also dachte ich, ich schaue mal in meinen Emails nach, ob es etwas Neues von Wilfried oder Lockwood gibt. Die technischen Gegebenheiten, die ich vorfand, entsprachen allerdings nach meiner Erinnerung dem Stand aus dem letzten Jahrtausend. Es dauerte mindestens 5 Minuten, bis auch nur die Verbindung zum Internet hergestellt war, und danach dauerte jeder Seitenaufbau ungefähr genauso lang. Als ich auf diese Weise nach einer halben Sunde endlich bei Yahoo eingeloggt und in meinem Postfach angekommen war, konnte dann plötzlich die Seite mit den Mails nicht angezeigt werden und der Rechner hängte sich komplett auf. Restart – Dauer ca. 10 Minuten – neue Verbindung mit dem Internet. Das Einloggen konnte ich mir diesmal sparen, aber wieder konnte die Seite mit den Mails nicht geöffnet werden. Dann habe ich testhalber mal versucht, meine eigene Homepage aufzumachen – ging auch nicht. Da habe ich mich bei Yahoo wieder ausgeloggt (wenigstens das ging noch!) und bin unverrichteter Dinge gegen Mitternacht nach Hause gezogen.

Soweit mein pannenreicher Tag von gestern. Und nun zu den pannenreichen Videos. Das letzte, das mir zu diesem Thema im Moment einfällt, ist der CCR-Clip zu Sweet Hitch-Hiker von 1972 – eigentlich weniger ein Pannen-Video als mehr ein weiteres Beispiel für unsinnige Kameraführung. Nahaufnahmen sind wirklich sehr schön, aber man kann es auch übertreiben. Wenn eine Nahaufnahme so nah ist, dass nur noch zwei Zähne im Bild sind, dann fragt man sich langsam, was das soll.

Apropos Zähne – ich finde es immer wieder herzerfrischend wie die Herren um 1970 beim Singen ihre nicht immer tadellosen Gebisse entblößt haben. Mr. Anderson’s Zahnfehlstellungen lassen sich z.B. sehr schön anhand dieses bei mir besonders beliebten Witch’s Promise Video analysieren. John Fogerty’s lückig vorstehende Schneidezähne können u.a. in den bereits verlinkten Videos zu …Grapevine oder …Backdoor besichtigt werden. Das oben erwähnte Video zu „Sweet Hitch-Hiker“ wäre sicher auch als Arbeitsgrundlage für einen Kieferorthopäden oder Zahntechniker geeignet. Heute stehen bei diesen Herren die Zähne makellos in Reih und Glied, was vermuten lässt, dass sie alle nicht mehr echt sind. Ich fand sie mit den Original-Zähnen irgendwie netter, das hatte sowas Ursprüngliches. Meine Zähne sind jedenfalls immernoch so schief wie damals…

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Heute gab es bei mir am Strand noch mehr Pannen. Zunächst einmal war es nicht nur windig sondern stürmisch. Eigentlich meide ich Sandstrände an solchen Tagen, aber es gab da noch ein bestimmtes Felsplateau, bei dem ich schnorcheln wollte, direkt am Sandstrand. Während ich im Wasser war muss wohl der Wind aufgefrischt sein. Als ich plitschnass herauskam geriet ich jedenfalls direkt in einen Sandsturm und wurde mit Sandkörnern paniert. Das liebe ich garnicht, also schnappte ich schnell meine Sachen, um barfuß quer über den Strand zu den windgeschützten Felsen zu laufen. Ungefähr auf halbem Wege trat ich in irgendetwas – AUA – konnte mich aber nirgends hinsetzen und hatte im Sandsturm auch keine Lust dazu. Also humpelte ich bis zu den Felsen weiter, wo ich schließlich am Wasser einen Stein zum Hinsetzen fand. Dort konnte ich mir dann einen kleinen Glassplitter aus der sandigen Fußsohle ziehen.

Während ich noch darauf wartete, dass der Schmerz nachlässt, fiel mir ein, dass es mir vor Jahren in Italien noch viel schlimmer ergangen war. Im zarten Alter von 16 Jahren war ich mit meinen beiden besten Freundinnen für zwei Wochen nach Sorrent in Urlaub gefahren. Es war das erste Mal, dass wir unbeaufsichtigt auf den Rest der Menschheit losgelassen waren, und der Rest der Menschheit in Form von Horden heißblütiger Italiener auf uns. Ich möchte mich jetzt nicht über die Details dieses erlebnisreichen Urlaubs auslassen, nur soviel: Falls Ihr noch Töchter unter 18 Jahren habt, lasst sie nicht allein nach Italien! Ich glaube nicht, dass sich die Zustände inzwischen gebessert haben. Übrigens: Falls die Töchter schon über 18 sind, würde ich sie auch nicht fahren lassen. Aber ich komme vom Thema ab.

In diesem Urlaub war es uns allen Dreien gelungen bereits am ersten oder zweiten Tag in Seeigel zu treten, übrigens auf der Flucht vor Italienern. Da die Stacheln nicht mehr aus den Füßen zu bekommen waren, haben wir praktisch 2 Wochen Urlaub mit Seeigel-Stacheln in den Füßen verbracht. Wir konnten zwar nur mühsam laufen, aber es war trotzdem ein toller Urlaub, der uns immer in guter Erinnerung bleiben wird. Beim Gedanken daran war der Glassplitter schon bald vergessen.

Ich hatte danach noch einen schönen restlichen Nachmittag auf den Felsen, aber ich sollte noch nicht die letzte Panne erlebt haben. Auf meinem Weg zurück vom Strand zum Zimmer komme ich immer an einem Salzsee vorbei. Es ist eine mit Meerwasser gefüllte Senke, die schon vor Wochen durch eine Sandbank vom Meer abgetrennt wurde und seither vor sich hin dümpelt. Das seichte Wasser hat Badewannen-Temperatur, die Algen wachsen, es stinkt. Man kann zusehen, wie der „See“ durch Verdunstung von Tag zu Tag kleiner wird, in ein paar Wochen wird es nur noch eine salzverkrustete Sandfläche sein, so wie seinerzeit im August, als ich das letzte Mal hier war.

Am Rande des Sees ragen inzwischen einige Sandkuppen aus dem schlammigen Wasser, und es schien mir eine nette Abwechslung, meinen Weg zurück über diese Sandkuppen zu nehmen. Allerdings hatte ich nicht mit deren schmieriger Konsistens gerechnet. Bereits beim Sprung von der zweiten zur dritten Kuppe – ich musste einen kräftigen Satz machen – rutschte ich auf der glitschigen Oberfläche aus und fiel der Länge nach hin. Zum Glück konnte ich meine diversen Badesachen vor der Algenbrühe bewahren, aber davon abgesehen war ich großflächig schlammverschmiert und in meinen Sandalen befand sich je ungefähr ein Pfund sandiger Schlick – es sind die Sandalen, die ich morgen ins Konzert anziehen wollte, ich habe keine anderen.

Nun ja, ich habe die Sandalen inzwischen gewaschen und zum Trocknen aufgehängt, hoffentlich sind sie morgen wieder brauchbar. Ansonsten steht mir morgen ein anstrengender Tag bevor – Sachen packen, zurück nach Iraklio fahren (ca. dreieinhalb Stunden reine Fahrzeit), Zimmer für die Nacht finden, Busfahrzeiten nach Lendas für Sonntag in Erfahrung bringen, Auto zurückgeben, und nicht zuletzt – irgendwie ins Jethro Tull Konzert kommen. Mal sehen, wie mir das alles gelingen wird. Vermutlich komme ich frühestens übermorgen wieder zum Schreiben, dann aus Lendas.

Bis dahin grüßt Euch

Kretakatze

PS.: Um noch ein weiteres Mal auf das Karohemd-Thema zurückzukommen (nicht gleich stöhnen…) und dabei noch einen weiteren Aspekt ins Blickfeld zu rücken: Tatsächlich gibt es einen Fernsehauftritt von 1969, bei dem John Fogerty in einem einfarbig schwarzen Hemd erscheint: Es ist die Aufnahme von Fortunate Son, die ich schon mehrfach verlinkt hatte. Das hat mich zunächst tief betrübt, bis ich am Schluss dieser bei gleicher Gelegenheit aufgenommenen Version von Down On The Corner erkannt habe, warum. John trägt das gleiche Hemd wie sein Bruder Tom, wahrscheinlich sollte das der „Brüder-Look“ sein. Ich würde soweit gehen zu vermuten, dass man John vor diesem Auftritt von höherer Stelle nahegelegt hatte, mal was Gescheites anzuziehen, schließlich hatten CCR bei irgendeiner Wahl den ersten Platz belegt und ein kurzer Auftritt zusammen mit dem Moderator war auch noch angesagt. Tom hatte sich zu diesem feierlichen Anlass gar extra noch eine weiße Kravatte ans schwarze Hemd gebunden und sah daher wohl so seriös aus, dass er schließlich als einziger von der Truppe auch noch ein paar Worte sagen durfte.

Was mir bei dieser Gelegenheit auch noch auffiel: Doug Clifford war zu dieser Zeit bei Auftritten üblicherweise mit einem geringelten T-Shirt bekleidet. Auch er erscheint zu diesem Anlass im einfarbigen Hemd, allerdings: Dafür ist die Hose gestreift. Ich finde die Jungs wirklich so goldig… Tatsächlich fällt mir ein nicht geringelter Doug Clifford ungefähr genauso heftig ins Auge wie ein unkarierter John Fogerty. Ich weiß nicht mehr, was die Jungs auf dem Poster über meinem Bett anhatten, aber ich würde wetten: Fogerty war kariert und Clifford war geringelt. Es ist wirklich unglaublich, wie sich diese Bilder aus frühster Kindheit und Jugend für immer ins Gehirn einbrennen.

Jetzt bin ich aber immer noch nicht ganz bei dem Punkt, zu dem ich eigentlich kommen wollte – sorry, ich bin heute ziemlich weitschweifig. Aber jetzt kommt’s gleich. Wenn man mich nun fragen würde, wie die anderen beiden Band-Mitglieder eingekleidet sein müssten, dann würde ich sagen: Stu Cook – gemustertes Hemd, Tom Fogerty – einfarbiges Hemd. Ob auch wegen dem Poster, weiß ich nicht, aber diese Kleiderordnung passt zu fast allen Videos, die ich bisher gesehen habe. Und das finde ich ein geradezu geniales Prinzip. Man vepasst in einer Gruppe jedem sein eigenes Muster: Einer kariert, Einer gestreift, Einer sonstwie gemustert und Einer einfarbig. Das hat einen ungeheuren Wiedererkennungswert selbst bei Personen mit schwerer Sehbehinderung oder solchen, die sich keine Gesichter merken können (so wie ich zum Beispiel). Heutzutage werden nach monatelanger Markterforschung derartige Gruppen am Reissbrett entworfen, und CCR haben das schon Ende der 60er Jahre einfach so aus dem Ärmel geschüttelt. Bewundernswert!

Bei Jethro Tull hätte dieses Prinzip leider nie funktioniert, denen wären schon nach kurzer Zeit die Muster ausgegangen. Dabei hätte ich es bei denen viel nötiger gehabt. Die CCR-Jungs sahen alle so unterschiedlich aus, die hätte ich auch ohne Muster auseinanderhalten können. Bei den Jethro Tullern hatte ich da immer Probleme – Alle mit so langen Haaren und ziemlich zugewachsen, Anderson und Barre beide irgendwie blond gelockt, dazu von Jahr zu Jahr mindestens ein Musiker ausgetauscht – da wären klar abgegrenzte Muster oder Farben zur Identifikation schon hilfreich gewesen.

English Translation for Ian Anderson