Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,
inzwischen fand nun auch das Jethro Tull Konzert in Calw statt, und wie ich über das Laufi-Forum erfahren habe war es wohl schon über eine Woche vorher ausverkauft. Wie schön für Mr.Anderson! Ich hatte mir ja die Option offen gelassen, dort vielleicht auch noch hinzugehen, das hatte sich dann natürlich erübrigt – ohne Ticket. Ich hatte aber auch sowieso nach dem Konzert auf Kreta schon beschlossen, dass Calw nicht mehr unbedingt notwendig ist. Käme dagegen Mr. Fogerty nächste Woche noch einmal vorbei, wäre ich sofort wieder mit von der Partie. Der ist allerdings inzwischen längst nach Canada weiter gejettet. Also vielleicht noch ein kurzes abschließendes Resumee der beiden Konzerte im Vergleich.
Wenn man einmal den Gesamteindruck der beiden Bands betrachtet, dann fällt Einem doch auf, dass Jethro Tull einen ziemlich angegrauten Eindruck machen. Der Jüngste der Truppe wird wohl noch Mr. O’Hara sein, ich schätze ihn auf Ende 40. Er macht neben Mr. Anderson auch noch den lebhaftesten Eindruck, wirkt auf mich aber eher albern und kasprig. Von Doane Perry hinter seinem Schlagzeug sieht man kaum etwas, und die beiden Anderen sind weißhaarige Herren. Mr. Goodier wird wohl auch so um die 60 sein, und Mr. Barre wirkt auf mich bereits wie 70 – irgendwie erinnert er mich an Walter Ulbricht. Jedenfalls habe ich mich bei seinem Anblick unwillkürlich gefragt, ob man ihm nicht einen Stuhl bringen sollte – kann man von einem Herrn in diesem Alter noch erwarten, dass er fast 2 Stunden lang steht? Da kann Mr. Anderson hüpfen und tänzeln wie er will, insgesamt bleibt der Eindruck es zumindest teilweise mit Rentnern zu tun zu haben.
Die Mitglieder der Mannschaft von Mr. Fogerty werden alle etwa 20 bis 30 Jahre jünger sein als er, der Älteste ist vielleicht noch der Drummer mit Mitte 40. Der sieht aber aus wie ein Preisboxer und scheint auch eine entsprechende Kondition zu haben. Wie er sein Instrument bearbeitet hat mir erstmals ins Bewußtsein gebracht, dass Drummer wohl ein Knochenjob für Hochleistungssportler sein muss. Fogerty selbst wirkt 30 bis 40 Jahre jünger als er ist, und wenn dann gar noch die Kinder auf die Bühne kommen… Insgesamt hat man jedenfalls den Eindruck es mit einer fitten und frischen Truppe zu tun zu haben und macht sich nicht ständig insgeheim Sorgen, ob für den Ernstfall auch ausreichend Bahren und Rollstühle bereitstehen.
Apropos Rollstühle – wirklich sehr gelungen, Deine kleine Photomontage mit dem Ausblick auf Mr. Anderson’s weitere Bühnen-Karriere, lieber Wilfried. Und einfach genial, den Mikrophon-Ständer auch gleich für den Tropf zu verwenden. Ob Anderson allerdings wirklich gleich zwei Krankenschwestern braucht – man sollte ihn vielleicht auch nicht zu sehr verwöhnen…
Zurück zu unseren beiden Protagonisten. Was erwarten denn Fans von ihren bewunderten Idolen? Sie sind unsere Stellvertreter, die für uns auf der Bühne das sind oder tun, was wir selbst gern sein oder tun würden, aus welchen Gründen auch immer aber nicht können. Das was Mr. Anderson in den 70ern auf der Bühne geboten hat – wow, das war’s, das hätte ich auch gern gemacht! Aber der Mr. Anderson der heutigen Tage repräsentiert nichts mehr, das ich gerne sein oder tun wollte. Ich sitze da und frage mich: „Wer ist das?“, und ich habe keine Antwort. Er erscheint mir fremd, was in seinem Kopf vorgeht kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und so springt da auch kein Funke über.
Was Mr. Fogerty betrifft, hatte ich schon vor ein paar Wochen beim Betrachten dieses Videos („Midnight Special“ live 1970 in London) plötzlich das seltsame Deja-Vu-Erlebnis als sähe ich mich selbst in meinem Schäfer-Outfit auf der Bühne herumspringen. Das ist bei Fogerty 2007 live („Old Man Down The Road“ in Paris) auch nicht anders, ich habe immer irgendwie das Gefühl mir selbst zuzuschauen. Ja, wenn ich da oben auf der Bühne stehen würde, dann würde ich es wohl genauso machen. (Blödsinn, ich würde vermutlich zittern wie Espenlaub, stottern, ständig über meine eigenen Füße stolpern – aber lassen wir das…)
Außerdem ist mir dieser Tage bewußt geworden, dass die Flöte des Mr. Andersons in einer Hinsicht auch ein Handikap darstellen kann. Bislang ist mir die Wahl dieses Instruments immer als reiner Geniestreich erschienen. Nicht nur dass die Flöte den einzigartigen und unverwechselbaren Sound von Jethro Tull geprägt hat, sie war darüber hinaus noch dekorativ, vielseitig als Requisit einsetzbar und ließ ihm auf der Bühne vollen Bewegungsspielraum. Während des Spielens musste er zwar auch am Mikrophon stehen, in den reichlichen Pausen dazwischen konnte er damit aber über die ganze Bühne toben, sie schwingen wie ein Schwert oder einen Zauberstab, damit drohen wie mit einem Knüppel, das Publikum dirigieren oder sonstige akrobatische Übungen vollbringen.
Schaut man sich dagegen Mr. Fogerty anno 1970 an, dann fällt auf mit welch kurzer Leine er über seine Gitarre mit dem Amp verbunden ist. Eigentlich sieht er aus wie ein Kettenhund, der an der Hütte hängt (heute sind solche Haltungsbedingungen übrigens aus Tierschutzgründen nicht mehr zulässig). Sein Bewegungsspielraum erstreckt sich vom Amp bis zum Mikrophon und zwei Schritte nach rechts oder links. Dazu hat er ständig dieses sperrige Instrument umhängen, das er auch noch bedienen muss. Da sind die Möglichkeiten für akrobatische Übungen doch stark begrenzt.
Der Fortschritt der Technik hat dazu geführt, dass Mr. Anderson heute an keinem Mikrophon mehr stehen muss und Mr. Fogerty an keinem Amp mehr hängt. Beide können während sie spielen mit ihren Instrumenten frei über die Bühne turnen, und das tun sie denn auch. Und jetzt fällt der Nachteil der Flöte auf, zumal Mr. Anderson heutzutage wesentlich mehr flötet als in den 70ern: Sie schränkt die Mimik doch erheblich ein. Es dürfte schwer sein beim Flöten zu lächeln, lachen würde ich für völlig unmöglich halten. Mr. Anderson versucht dies auszugleichen, indem er die verschiedensten Grimassen schneidet und mit den Augen rollt, aber so richtig komisch kann ich das nicht finden. Er wirkt dabei eher skurril, in Kombination mit dem schwarzen Kopflappen und dem dunkel gefärbten Bart sogar teilweise regelrecht finster. Solche Probleme hat Mr. Fogerty nicht. Er kann beim Gitarre Spielen ungehindert gute Laune verstömen, und genau das tut er auch (und außerdem hat die Gitarre auch noch den Vorteil, da ss sie den Bauch verdeckt…).
Fazit: Ein Konzert wird vor allem durch die Atmosphäre und die Stimmung zu einem Erlebnis. Dazu ist nötig: Gute Musik, guter Sound und ein oder mehrere Menschen auf der Bühne, die das mit Begeisterung rüberbringen. Was die musikalische Qualität betrifft ist für meinen Geschmack Jethro Tull die bessere Truppe, das gleicht John Fogerty durch den wesentlich besseren Gesang aber mindestens wieder aus. Der Sound war in beiden Fällen gut und dem Musikstil angemessen, durch die gutgelaunte und sympathische Art von John Fogerty kam aber deutlich mehr Stimmung auf. Mr. Anderson hatte völlig recht, als er vor ein paar Jahren in einem Interview sagte, das Publikum wolle auf der Bühne echte, authentische Menschen sehen. Wie das aussieht kann er sich bei John Fogerty anschauen.
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Lieber Wilfried, Du hast einiges zu meinem Fogerty Konzertbericht und dem Vergleich mit Mr. Anderson geschrieben, und in den meisten Punkten kann ich nicht mit Dir übereinstimmen. Vielleicht habe ich ja manches missverständlich ausgedrückt bzw. wichtige Details nicht erwähnt, so dass nicht deutlich werden konnte, was ich meine. Deshalb möchte ich einzeln auf Deine Bemerkungen eingehen und sie dazu zitieren.
Bekanntlich hinken Vergleiche. Und so kann man Herrn Fogerty schlecht mit Herrn Anderson vergleichen…
Die Vergleiche, die hinken, sind Vergleiche nach dem Prinzip „A ist eigentlich das Gleiche wie B“, denn zwei verschiedene Dinge sind nie wirklich gleich. Ich stelle aber ständig Vergleiche an nach dem Prinzip „A ist ganz anders als B“, und solche Vergleiche können nicht hinken. Sicher wird es Dich nicht wundern wenn ich sage, dass ich der Meinung bin man kann Mr. Fogerty hervorragend mit Mr. Anderson vergleichen, ich tue das nun schon seit zwei Monaten exzessiv und nach meinem Dafürhalten mit großem Erfolg (wenn ich mich hier auch einmal selbst loben darf…). Mir ist durch diese Vergleiche schon einiges klar geworden, das ich vorher nicht so deutlich gesehen habe, und nur dazu sollen sie ja dienen. Mr. Fogerty ist dafür deshalb so perfekt geeignet, weil er in praktisch jeder Hinsicht das exakte Gegenteil von Mr. Anderson zu sein scheint, es ist einfach faszinierend. Und wie ich schon einmal bemerkt habe: Manche Dinge erkennt man besser, wenn man sie vor einem kontrastfarbigen Hintergrund betrachtet. Mir geht es jedenfalls so.
Vielleicht klingen meine Ausführungen zu Mr. Fogerty immer wieder so, als wollte ich Mr. Anderson nahelegen ein zweiter Fogerty zu werden. Das wäre natürlich Blödsinn. Ein Fogerty genügt, einen zweiten brauche ich auch nicht, und es ist ja gerade das Phanastische, dass es nicht nur Anderson und nicht nur Fogerty gibt, sondern beide, und außerdem auch noch Mark Knopfler, Al Stewart, Cat Stevens (ja, mit denen bin ich auch noch nicht fertig, aber dazu ein andermal…) und noch viele Andere mehr. Eben Vielfalt und damit für jede Lebenssituation, jede Stimmung, jedes Bedürfnis die passende Musik und den passenden Musiker. Daran möchte ich bestimmt nichts ändern.
Herrn Anderson wird man wohl kaum in den Klamotten auf der Straße antreffen, mit denen er aufgetreten ist… Wie ist das mit Herrn Fogerty? Trägt er auch im normalen Leben Jeans, karierte Hemden und dazu sein ‚Markenzeichen’, das rote Halstuch? Vielleicht bevorzugt er in Wirklichkeit Designer-Klamotten?!
Ich weiß nicht, was Mr. Fogerty zuhause in seinem Wohnzimmer trägt, aber ich habe noch kein Bild von ihm gesehen (ob jetzt Konzert, Fernsehstudio, Interview, Preisverleihung, Händeschütteln mit Politikern oder Treffen mit Fans auf der Strasse), auf dem er etwas anderes angehabt hätte als irgendeine durchschnittliche Hose (meist Jeans) und irgendein durchschnittliches Hemd (kariert, gestreift, einfarbig, Jeanshemd, was auch immer, auf jeden Fall ohne Rüschen und nicht von Armani), eine zeitlang erschien er auch im Cowboy-Stil. Ob er das Halstuch nur zu Auftritten trägt, weiß ich nicht, das ist aber auch schnuppe, oder? Auf jeden Fall finde ich ein Halstuch als „Markenzeichen“ bedeutend sympathischer als eine Penisverlängerung per Flöte (hoffentlich kommt Deine Seite jetzt nicht auf den Index…). Im Gegensatz zu Mr. Anderson, der auf der Bühne deutlich andere Kleidung trägt als zuhause (schwarze Schlabber-Klamotten) oder auf der Strasse (irgendwas Durchschnittliches, meist auch schwarz), scheint die Kleidung des Mr. Fogerty wesentlich weniger zu variieren. Grundsätzlich würde ich von niemandem erwarten, dass er auf der Bühne das Gleiche trägt oder sich genauso benimmt wie auf der Strasse. Schließlich ist er nicht auf der Strasse, sondern auf einer Bühne. Und damit, ob er als Mensch „echt“ wirkt, hat das auch nichts zu tun.
Gut, sein Auftreten wirkt authentisch. Aber IST das wirklich der reale John Fogerty oder doch nur ein Trugbild …?
Diese Frage mutet fast philosophisch an. Vielleicht kann dieses Video etwas Licht ins Dunkel bringen. Es ist eine Live-Aufnahme von 1998 aus einem Fernsehstudio, und Fogerty sagt ein paar Worte zu seinem Song „Lodi“, bevor er ihn spielt. Man merkt, er ist unsicher, er fühlt sich nicht wohl in seiner Haut und wirkt geradezu schüchtern. So etwas spielt niemand. Das ist kein „Image“, das man sich „zulegt“. Das ist es, was ich mit „echt“ meine. Mr. Anderson hätte diese Worte sicher ganz anders vorgetragen. Anderson ist Schauspieler, Fogerty nicht. Wenn Fogerty „locker-flockig“ wirkt oder quietschvergnügt mit seiner Gitarre auf- und abhüpft, dann weil er sich gerade wirklich so fühlt, spielen kann der so etwas nicht. Der kann überhaupt nichts spielen (außer Gitarre natürlich, und das ist wohl auch das Einzige, das er spielen will).
Dass Mr. Fogerty im Prinzip ein unsicherer Mensch ist, merkt man auch beim Auftritt auf der Bühne. Er wirkt in der Anfangsphase nervös, flüchtet sich nach ein paar wenigen Worten in den nächsten Song. Singen kann er besser als reden. Ein Auftritt im Fernsehstudio vor ein paar handverlesenen Zuschauern, die ihn andächtig und still auf den Stühlen sitzend anstarren (wie im oben verlinkten Video), kommt ihm überhaupt nicht entgegen. Er braucht die Bestätigung durch das Publikum. Wenn er die bekommt, kann man ihm geradezu zusehen, wie er aufblüht. Es ist mir noch nie zuvor so deutlich bewußt geworden, wie die Reaktion des Publikums auf denjenigen wirken kann, der oben auf der Bühne steht – es ist eine Wechselwirkung, bei der sich die Stimmung gegenseitig hochschaukelt, bis nach ein paar Songs die pure Party herrscht. Dann, wenn Fogerty spürt, dass er die Herzen seines Publikums gewonnen hat, ist er „locker-flockig“ und bewegt sich auf der Bühne als wär’s sein Wohnzimmer, vorher nicht. So habe ich es jedenfalls erlebt, und ich halte das für echt.
Ganz abgesehen davon glaube ich, dass man rein intuitiv ziemlich genau spürt, ob jemand auf der Bühne etwas spielt, was er eigentlich nicht ist. Erst recht springt es beim direkten Vergleich ins Auge. Deshalb hier einmal drei „Versionen“ von Mr. Fogerty im Vergleich – welchen würdet Ihr für den echten halten? Den geschniegelten Dressman-Verschnitt von 1997, in einem Filmstudio aufgenommen (Old Man Down The Road – das habe ich mit Absicht gewählt, damit man den Vergleich mit der Version aus Paris 2007 hat). Der wirkt auf mich so künstlich wie die bonbonfarbigen Kulissen, vor denen er aufgenommen wurde, und von dem will auch überhaupt keine Stimmung rüberkommen. Ich finde diese Live-Aufnahmen zu „Premonition“ einfach fürchterlich, das ist Hollywood pur.
Dann ist Mr. Fogerty also vielleicht doch eher der große Heroe der Rockgeschichte, ein bißchen auf Mick Jagger getrimmt, 2005 im Wiltern Theatre in LA gefilmt (Fortunate Son)? Der wirkt nicht ganz so steril, aber überzeugen kann er mich auch nicht. Was ich dabei bemerkenswert finde ist die Tatsache, dass die professionellen Live-Aufnahmen von Mr. Fogerty alle einen Eindruck von ihm vermitteln, den er im tatsächlichen Live-Auftritt so nicht macht. Die Filmemacher sind offensichtlich darauf getrimmt, ihr „Objekt“ in einem (nach ihrem Dafürhalten) möglichst positiven Licht erscheinen zu lassen – hollywood-mäßig eben – und da kommt unterm Strich immer irgendwie ein geschniegelter Held raus. Durch Perspektive, Kameraführung und Schnitt kann man da wohl doch einiges machen, vielleicht gab es auch Regieanweisungen (im Filmstudio bestimmt). Den „echten“ Mr. Fogerty scheint man dem Publikum nicht zumuten zu wollen. Trotzdem kommt hier (Looking Out My Backdoor, ebenfalls 2005 in LA) doch zumindest teilweise etwas Natürlichkeit durch.
Wenn man wissen will wie Fogerty 2007 live tatsächlich wirkt, dann muss man sich ein Amateur-Video anschauen. Deshalb hier jetzt eine Aufnahme von einem „Privat-Auftritt“ (wohl vor seiner Studenten-Verbindung – leider ist der Sound teilweise miserabel) vom Juni diesen Jahres (ja, wenn man als Studenten-Verbindung so ein Mitglied hat, dann kann man schon mal eine Party steigen lassen…). Und da wirkt Fogerty so, wie ich ihn in Abenberg erlebt habe – kein großer Held sondern eher ein großes Kind, das tolpatschig über die Bühne turnt. Und gerade weil er so tolpatschig wirkt bin ich mir ziemlich sicher, dass er das nicht vor dem Spiegel einstudiert hat.
Ich stelle immer wieder fest wie wichtig es ist einen Vergleich zu haben, um sich ein Urteil bilden zu können. Vor dem Konzert in Iraklio hatte ich keinen Vergleich, mein letzter Konzertbesuch lag ca. 20 Jahre zurück, mein letztes Rockkonzert fast 30 Jahre. Da fällt einem vieles einfach nicht auf, weil man es für selbstverständlich hält. Erst nach dem Fogerty-Konzert ist mir klar geworden, was ich in Irakio alles nicht gesehen habe, bzw. dass ich garnicht weiß, was ich in Iraklio gesehen habe. Was von dem, das Mr. Anderson auf der Bühne aufführt, ist echt? Und mit „echt“ meine ich – ich denke das ist inzwischen deutlich geworden – spontaner Ausdruck der Persönlichkeit, der Gedanken oder Gefühle im aktuellen Augenblick.
Dieses Video (Thick As A Brick live 1972), dieses Video (Aqualung live 1975) oder
dieses Video (Songs From The Wood live 1977) zeigen mir einen „echten“ Menschen: Den original Ian Anderson in seiner Bühnen-Version. Was er tut ist nicht einstudiert und heruntergespult, darin steckt echte Begeisterung für die eigene Musik, sie wird „vorgelebt“. Das kann man spüren und das wirkt ansteckend. Aber was ist das (Bouree live 2007)? Ist da noch Begeisterung, Freude an der Musik und ein echtes, spontanes Bedürfnis, dazu zu „tanzen“, oder ist das nur noch Routine und Choreographie? Steht er nicht immer bei der gleichen Musikpassage auf einem Bein, weil das halt dazu gehört und vom Publikum mindestens x-mal erwartet wird?
Nur stellt sich die Frage, ob Ian Anderson auf der Bühne wirklich das darstellen möchte, was er ansonsten im wirklichen Leben ist, oder besser: sein muss. Ich denke nein. Eher versucht er sich auf der Bühne so zu geben, wie er ist (oder glaubt zu SEIN) …
Das sehe ich alles ein bißchen anders. Ich würde nicht unterscheiden in „wirkliches Leben“ und „Bühne“, sondern in Privatleben, Geschäftsleben und Bühne, und alle drei sind Bestandteile des wirklichen Lebens des Mr. Anderson. Im Privatleben ist er nach eigenen Angaben ein eher ruhiger und in sich zurückgezogener Mensch. Im Geschäftsleben wird er sich noch am ehesten an Normen anpassen müssen, was ihm aber vermutlich nicht schwer fällt, und auf der Bühne „lässt er die Sau raus“. Im Privatleben würde er es nie wagen sich so zu benehmen, wie er sich auf der Bühne benimmt, das heißt aber nicht, dass er im Privatleben „echter“ wäre als auf der Bühne oder umgekehrt. Es sind einfach zwei verschiedene Seiten seiner Persönlichkeit, die er an zwei verschiedenen Orten auslebt, da ist eine so wirklich und echt wie die andere. So war es jedenfalls in den 60ern und 70ern. Was das darstellen soll, was er heute auf der Bühne aufführt, weiß ich nicht so recht – siehe oben.
Weil sich in den Jahren sein Aussehen so dramatisch verändert hat, führt das natürlich dazu, dass, was früher glaubhaft wirkte, heute für viele wie ein schlechter Witz erscheint…. Ich stelle mir Ian Anderson in den Klamotten früherer Jahre vor (das Tampa-Kostüm lassen wir einmal außen vor): Sähe der gealterte Ian Anderson nicht ähnlich lächerlich aus?
Das käme auf’s Kostüm an, ein paar seiner Bühnen-Outfits waren eigentlich ziemlich „zeitlos“. Wie wär’s mit dem schottischen Clan-Chef oder diesem recht neutralen Anzug – langer Mantel hat ihm immer gut gestanden und macht schlank.
Ich fürchte fast, wir kritisieren Herrn Anderson, weil er alt geworden ist – optisch alt. Sein Bühnen-Outfit passt nicht mehr zu dieser äußeren Erscheinung, die er heute darstellt. Oder anders gesprochen: Herr Anderson genügt nicht mehr unseren Ansprüchen, Erwartungen, was auch immer.
Ich kritisiere Mr. Anderson nicht, weil er alt geworden ist. Wenn er tatsächlich alt geworden ist, dann sollte er sich allerdings auch entsprechend benehmen. Wenn er sich wie ein 30-Jähriger benehmen will, dann sollte er sich auch wenigstens entsprechend kleiden, damit man weiß woran man ist. Sein jetziges Bühnen-Outfit passt zu überhaupt nichts – zu keinem Alter und zu keinem Aussehen.
Aber machen wir hier nicht zu viel Wirbel um Äußerlichkeiten?
Bühnen-Auftritte sind eine Äußerlichkeit, sie haben Äußerlichkeiten zum Inhalt und man bezahlt Eintritt für diese Äußerlichkeiten. Sonst kann ich auch zuhause eine Platte auflegen, und dann ist es mir egal, was Mr. Anderson während der Studioaufnahmen getragen hat oder wie er sich benommen hat. Inzwischen glaube ich, dass ich – was Jethro Tull und Mr. Anderson betrifft – damit auch am besten beraten bin.
Gehen wir vielleicht nicht sogar Herrn Anderson auf dem Leim – oft genug kam die Weisheit in Form des Narrentums einher. Und macht sich nicht der zum Narren, der andere für einen solchen hält?
Dazu müsste in der Narretei irgendein Sinn oder eine Weisheit erkennbar sein. Welche Weisheit steckt in Penisverlängerungen? (Ich weiß, ich sollte dieses Wort jetzt wirklich nicht nochmal schreiben, sonst wird Dir noch der Webspace gesperrt – was schreibe ich bloß stattdessen?)
Wir denken zu wissen, wer wir sind und sind enttäuscht, wenn andere uns anders sehen. Aber wissen wir das wirklich? Sind wir nicht zu oft mit uns selbst beschäftigt … und haben uns dabei selbst längst aus dem Blick verloren? Aber jetzt werde ich philosophisch …
Im Prinzip glaube ich, dass die meisten Menschen schon sich selbst am besten kennen. Dass Andere einen häufig anders sehen, wird meistens daran liegen, dass sie niemals alles sehen können. Und wie man sich selbst aus dem Blick verlieren kann, wenn man sich mit sich selbst beschäftigt, verstehe ich jetzt nicht ganz, ich fürchte das ist mir wirklich zu philosophisch… 😉
In einem ähneln sich die beiden Herren. Beide haben ein ganz bestimmtes Image aufgebaut, so unterschiedlich es auch sein mag. Fogerty ist der Naturbursche, der locker-flockig seine Lieder herunterspult. Anderson dagegen der eher unnahbare Intellektuelle, der sich gern in kurioser Kostümierung zeigt.
Also erst einmal: Fogerty spult garnichts herunter, ich glaube das habe ich bereits deutlich gemacht. Ihm merkt man die Freude an seiner Musik an und sie wirkt echt. Wenn jemand spult, dann ist es Anderson, der hat auch viel mehr Routine darin. Unnahbar kann ich ihn aber auch nicht finden, eher eigenwillig. Einigen wir uns vielleicht auf „Fogerty, der nette Junge von nebenan“ und „Anderson, das intellektuelle Genie“ (die Bilder stammen aus Interviews, wie Du siehst, lieber Wilfried, nutze ich inzwischen exzessiv die Standbild-Technik – vielen Dank noch für den Tipp!).
Und jetzt fängt es aber erst an interessant zu werden, denn ein Image legt sich niemand von ungefähr zu, und es ist ja nicht so, dass es nichts mit dem Träger dieses Images zu tun hätte. Ein Image ist eigentlich nichts anderes als eine Erweiterung des Aussehens um eine Art Aura, die sich aus dem gewöhnlich zu erwartenden Verhalten einer Person ergibt. Das kann so weit von der tatsächlichen Persönlichkeit nicht entfernt liegen, sonst ist es schwer es längere Zeit aufrecht zu erhalten, und die beiden Herren halten ihres jetzt schon seit 40 Jahren aufrecht. So ein Image sagt etwas darüber aus, welche Reaktionen seiner Umwelt der Träger des Images erzielen möchte, und es spiegelt seine Ansprüche und Erwartungen an sein Ansehen wider.
Die Ansprüche des Mr. Anderson an sein Ansehen sind offensichtlich hoch. Er erscheint uns als „Minstrel“, also als Musiker für die feinen Herrschaften, als Landbaron und als schottischer Clan-Chef, aber auch als Hexenmeister, Astronaut oder gar als Superman (oder was sonst soll dieses Tampas-Kostüm bedeuten, eine Ähnlichkeit mit einem Superman-Anzug ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen). Offensichtlich hat er ein Anerkennungs-Defizit. Und ich vermute, dass dies in seinem suboptimalen schulischen Erfolg begründet ist, der wohl den Ansprüchen und Erwartungen seiner Familie (und vielleicht auch seinen eigenen) nicht genügen konnte.
Was den Bildungsstand des Mr. Anderson angeht, bin ich nämlich anderer Meinung als Du, lieber Wilfried. Die spärlichen Informationen aus Wikipedia, die Du zitiert hast, waren mir auch bekannt, nur interpretiere ich sie anders. Wenn Mr. Anderson ab 1964 (ich nehme mal an, ab Herbst) ein College of Art besucht hat, dann wird er wohl vorher die Schule verlassen haben, also vermutlich vor den Sommerferien. Da war er 16 Jahre alt. Glaubst Du wirklich, dass Mr. Anderson im Alter von 16 Jahren Abitur gemacht hat? Ich kenne das britische Schulsystem nicht im Detail, aber ich nehme mal an man kommt auch dort mit 6 Jahren in die Schule und muss bis zum Abitur 12 Klassen absolvieren, macht 18. Sollte Mr. Anderson so hochbegabt gewesen sein, dass er ein oder zwei Schuljahre übersprungen und schon mit 16 ein Abitur abgelegt hätte, dann wäre das doch sicher irgendwo besonders erwähnt, oder? Kunst und Musik kann man auch mit mittlerem Bildungsabschluss studieren, dazu braucht man kein Abitur. Und einen unserer Mittleren Reife vergleichbaren Abschluss wird er nach 10 oder 11 Jahren Grammar School (da will ich mich nicht festlegen, da ich den britischen Stichtag für die Einschulung nicht kenne) wohl haben.
Anerkennung findet man in jungen Jahren vor allem durch gute schulische Leistungen, jedenfalls in einem Elternhaus, in dem die Kinder „auf Erfolg getrimmt“ werden (wie es Anderson ja selbst ausgedrückt hat). Seine wenig erfolgreiche Schulkarriere und das vermutlich damit verbundene geringe Ansehen in seiner Familie (womöglich ist er der Einzige ohne Abitur) scheint ihn bis heute zu belasten. Und so tut er alles um möglichst gebildet und intellektuell zu wirken, damit man ihm diesen Mangel nicht mehr anmerkt. Außerdem muss er ständig sich und seiner Umwelt beweisen, dass er dafür auf anderen Gebieten der Beste und Größte ist – das Thema hatten wir ja bereits.
Schauen wir uns im Gegensatz dazu Mr. Fogerty an, dann fällt auf, dass er sehr geringe Ansprüche an sein Ansehen zu stellen scheint, man könnte auch sagen er hat überhaupt keine. Wer sich in Stallklamotten mit Bubikopf der Öffentlichkeit präsentiert, erwartet weder Ehrfurcht noch Bewunderung. Er will wirklich nur als der einfache, nette Junge erscheinen, offensichtlich hat er ein Beliebtheits-Defizit. Das könnte verschiedene Gründe haben. Wie ich an anderer Stelle schon einmal erwähnt habe war er wohl in seinem eigenen familiären Umfeld nicht besonders beliebt, weil er seinem in Ungnade gefallenen Vater zu ähnlich sah (ich kenne so einen Fall aus der eigenen Verwandtschaft, das ist für den Betroffenen nicht besonders komisch). Da Fogerty sich so betont schlicht, harmlos und volksnah gibt, wäre es möglich, dass er bereits die Erfahrung gemacht hat, dass man sich bei seinen Zeitgenossen unbeliebt macht, wenn man mehr kann, mehr weiß oder erfolgreicher ist als sie. Auch Perfektionisten, die an Andere dieselben Anforderungen stellen wie an sich selbst, bzw. am besten gleich alles im Alleingang selbst machen, weil Andere es doch nie gut genug hinbekommen, sind nicht gerade beliebt. Ich spreche hier gewissermaßen aus eigener Erfahrung, aber nach allem, was ich über Mr. Fogerty inzwischen weiß, müsste sich das mit seinen Erfahrungen decken. In seiner CCR-Zeit war er wohl aus diesen Gründen bei seiner eigenen Truppe nicht besonders beliebt.
Um es noch einmal kurz zusammenzufassen: Mr. Anderson, der geniale Intellektuelle, möchte von einer geistigen Elite akzeptiert, geachtet und bewundert werden. Dass er sich gleichzeitig durch seinen elitären Anspruch bei Vielen unbeliebt macht, scheint ihn nicht zu stören. Durch sein Image kaschiert er seinen eher mäßigen Bildungsstand und erzielt das Ansehen und die Anerkennung, nach der er strebt. Mr. Fogerty, der einfache, nette Junge, möchte möglichst von der ganzen Welt geliebt werden. Dass er sich dazu vielleicht etwas schlichter geben muss, als er eigentlich ist, und Manche deswegen auf ihn herabschauen, scheint ihm nicht weh zu tun. Durch sein Image kaschiert er die Tatsache, dass er ein eher introvertierter, zielstrebiger Perfektionist ist und in seinem privaten Umfeld eher unbeliebt und isoliert.Wie man sieht, kann so ein Image auf den ersten Blick täuschen, bei genauerer Betrachtung aber doch einiges über seinen Träger verraten. Im Prinzip stellt es bei beiden Herren genau das als Stärke heraus, was eigentlich ihre Schwäche oder besser gesagt ihr „wunder Punkt“ ist. Und mit diesen Worten beschließt Frau Professor Dr.h.c. Kretakatze ihre heutige Psychologie-Vorlesung. Sie hofft, niemanden in seinem wohlverdienten Urlaub über Gebühr angestrengt zu haben.
Lieber Lockwood, bevor ich meinen heutigen Beitrag beende möchte ich mich bei Dir für die zahlreichen Komplimente bedanken, mit denen Du mich in letzter Zeit bedacht hast – ich weiß ja garnicht, wie mir geschieht. Meine Kritik an Mr. Anderson ist erfrischend – ob er das auch so sähe? Mein Konzertbericht ist plastisch – offensichtlich hat sein Inhalt doch zu Missverständnissen geführt, oder zumindest ist nicht wirklich deutlich geworden, was ich zum Ausdruck bringen wollte. Meine „kretischen Erzählungen“ könnten jeden Reiseberichterstatter vor Neid erblassen lassen – ooh – wegen ihrer Länge – ach so. Ja, ich hatte viel Zeit… Aber es war ein wirklich schöner, erholsamer Urlaub, so einen könnte ich gleich nochmal brauchen. Nach 4 Wochen Arbeit ist die Erholung inzwischen dahin.
Noch kurz ein paar Worte zu Deiner Verwunderung darüber, dass ich über mein eigenes Bild überrascht war. Vielleicht ist es eine Erklärung wenn ich sage, dass es von mir kaum Photos gibt, bis zu diesen Aufnahmen war mein neustes Bild ein Passphoto aus dem Jahr 2001. Natürlich sehe ich mich jeden Tag beim Zähneputzen im Spiegel, aber da sehe ich immer das Gesicht mit dazu, und dem sieht man schon an, dass ich keine 15 mehr bin. Eigentlich sieht man sich selbst doch kaum jemals mit Abstand, oder?
Liebe Grüße an Euch beide, ich hoffe Euer Urlaub ist so erholsam wie meiner war
Kretakatze
PS.: Vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle einmal die rhetorische Frage gestellt, was ich hier eigentlich tue und warum ich mir seit Wochen die Finger wund schreibe. Inzwischen ist es mir langsam klar geworden (Euch ist es wahrscheinlich schon viel länger klar): Lieber Wilfried, ich bin anscheinend gerade auf einem Selbstfindungs-Trip und mißbrauche dafür Dein Weblog.
Ich muss sagen, so ein Selbstfindungs-Trip ist garnicht so übel, und ich könnte mir vorstellen, dass Mr. Anderson auch mal einen brauchen könnte. Irgendwo zwischen 1980 und 1990 muss er sich verloren haben, es wäre Zeit, dass er sich mal wieder findet. Vielleicht sollte man ihm einen zum Geburtstag schenken? Leider kenne ich kein Reisebüro, das solche Trips im Angebot hätte. Da muss man sich schon als Individualreisender selbst auf die Socken machen, Schreibmaschinchen nicht vergessen. Es ist eine Abenteuer-Reise, man weiß morgens nie, wo man abends sein wird. Und das geht so: Man schreibt einfach unreflektiert allen Mist auf, der einem gerade durch den Kopf geht, und schickt das zur Veröffentlichung an Willi. Das macht richtig Spaß!