Zum Jahreswechsel sendete arte gleich fünf Filme von Jacques Tati, dem genialen französischen Schauspieler, Drehbuchautoren und Regisseur, dem Botschafter einer poetisch-burlesken Welt, die der Filmgeschichte ihren Stempel aufgedrückt hat.
Jacques Tati (bürgerlich Jacques Tatischeff; 1907 – 1982) kam von der Bühne, wo er mit pantomimischen Szenen Erfolg hatte, in denen er Sportarten und Reisen mit verschiedenen Verkehrsmitteln parodierte. Anfang der 1930er Jahre tauchte er erstmals in Kurzfilmen auf, etwa als Tennis-Champion.
1947 hatte Tati seinen Durchbruch mit dem ersten selbst geschriebenen und inszenierten Langfilm Jour de fête (Tatis Schützenfest).
Sein zweiter Film Les Vacances de Monsieur Hulot (Die Ferien des Monsieur Hulot) spielt im Hôtel de la Plage (das heute noch als leicht verändertes Hotel existiert) in einem Urlaubsort am Meer (Saint-Marc-sur-Mer, nahe Saint-Nazaire im Département Loire-Atlantique). Er zeigt zum ersten Mal Tatis Alter Ego Hulot, einen liebenswürdigen Individualisten mit Hut und langer Pfeife, der mit den Tücken der modernen Zivilisation und den neuzeitlichen Umgangsformen einen permanenten Kampf austrägt. Der Film gewann 1953 den Louis-Delluc-Preis, das Drehbuch war 1956 für einen Oscar nominiert. Ein wesentliches Kennzeichen des Films ist der fast vollständige Verzicht auf Dialoge. Die Hauptfigur Monsieur Hulot, die Verkörperung eines tollpatschigen Antihelden, gibt so gut wie kein verständliches Wort von sich. Er spricht nur ein Wort, nämlich seinen Namen Hulot, den er dann auch noch kurz buchstabiert. Im Grunde funktioniert der Film wie ein Stummfilm. Von den wenigen Dialogen, die zudem in den verschiedenen Sprachen der Gäste − Französisch, Deutsch und Englisch − gesprochen werden, gehen die meisten in lauten Hintergrundgeräuschen unter oder sie sind bis auf ein paar Wortfetzen bis zur beinahe vollständigen Unverständlichkeit verstümmelt.
Jacques Tati: Die Ferien des Monsieur Hulot (1953) [leider fehlt hier das Ende des Films, die Verabschiedung der Urlaubsgäste]
Ich habe mir den Film „zwischen den Jahren“ nach vielen Jahren wieder einmal angeschaut. Um es gleich zu sagen: Der Film lässt sich nicht mit heutigen Filmkomödien vergleichen, die so oft die Tendenz haben, überdreht zu sein. Tatis Hulot kommt eher auf leisen Sohlen daher, wenn sein altmodisches Auto auch gleich zu Beginn des Films für viel Krach sorgt. Denke ich da z.B. an die zuletzt geschauten Schweiger-Tatorte, so mutmaße ich, dass dieser Film einem Til Schweiger natürlich nicht gefallen wird. Er ist nicht „kompromisslos, atemlos, viril“ genug und leider auch ohne „Non Stop Action“ a la Schweigers Tatorte. Dafür ist der Film „Die Ferien des Monsieur Hulot“ allerdings in die Filmgeschichte eingegangen (die Schweiger-Filme hat man kaum gesehen, dann schon vergessen …)
Der Film ist der erste, in dessen Mittelpunkt Monsieur Hulot steht, die von Tati erschaffene Figur des verträumten, biederen, linkischen Einzelgängers, der ebenso berühmt werden sollte wie sein Erfinder und in allen späteren Filmen des Regisseurs auftrat.
In einer kleinen Pension in der Bretagne bringt die Ankunft des exzentrischen Monsieur Hulot, der hier seine Urlaubstage verbringen will, die beschauliche Ruhe der Feriengäste durcheinander.
Vor dem Hintergrund des damals im Zuge des bezahlten Urlaubs gerade erst aufkommenden Massentourismus inszeniert Tati mit höchstem künstlerischem Fingerspitzengefühl eine nicht abreißende Reihe poetischer Gags.
Mit dem ihm eigenen Perfektionismus fertigte Tati insgesamt drei Fassungen des Films an: Nach der Originalfassung, die 1953 in die Kinos kam, folgte Anfang der 1960er ein Neuschnitt, in dem Tati mehrere Einstellungen auswechselte und Musik und Tonmischung neu erstellte. Die dritte Fassung (Ende der 1960er Jahre) war für eine neue Zuschauergeneration bestimmt. Neben mehreren Umschnitten fügte Tati eine neu gedrehte Szene hinzu: Der speziell inszenierte Gag war eine Anspielung auf Spielbergs Der weiße Hai, der 1975 in den Kinos weltweit Furore machte und das Bild vom Strand als Ort der Unbeschwertheit für Millionen von Urlaubern für immer veränderte. Diese dritte und letzte Fassung wird auf ARTE gezeigt. (Quelle: Olivier Père)
Tatis Alter Ego, der Monsieur Hulot, war das Vorbild für viele nachfolgende Komiker. Mr. Bean gäbe es mit Sicherheit ohne M. Hulot nicht. Otto Waalkes (dank an meinen alten Kumpel Hajo Graue) ‚hat sich die Gangart des M. Hulot zu eigen gemacht‘. Und wer kennt nicht den berühmten Sketch ‚Zimmerverwüstung‘ von Loriot: „Das Bild hängt schief!“. Hier hat sich Loriot bei M. Hulot bedient. Zzunächst der Loriot-Sketch:
Loriot: Zimmerverwüstung (“Das Bild hängt schief!”)
Und hier der kleine Filmausschnitt aus Tatis Film: Bei dem Versuch, ein Bild gerade zu rücken, hinterlässt Hulot ein Zimmer mit einigen demolierten und beschädigten Gegenständen. Okay, ganz so extrem wie Loriot treibt es M. Hulot nicht:
Ausschnitt aus: Jacques Tati: Die Ferien des Monsieur Hulot (1953) (“Das Bild hängt schief!”)
Und ich erinnere mich an ein Feuerwerk aus einen der Filme um Inspektor Clouseau (mit Peter Sellers), das auch ‚unbeabsichtigt‘ entzündet wurde.
„Wie eine Perlenschnur sind die Gags aufgereiht, verbunden von einer überaus liebenswerten Intelligenz und einem romantischen Charme, der über Chaplins kalkuliertes Spiel weit hinausgeht. Eine zärtlich-erfreuliche Typen-Komödie, die sich gegen jede filmische Einordnung nicht nur im französischen Kino sperrt.“ (Lexikon des Internationalen Films)