Die Tatort-Reihe der ARD zeichnet sich dadurch aus, dass neben ‚normalen‘ Kriminalfällen auch immer wieder gesellschaftspolitische Themen aufgegriffen werden. So wurde bereits in mehreren Fällen die Flüchtlingsproblematik angesprochen. Der neueste Fall aus Stuttgart HAL ist ein Experiment, mehr Science Fiction als Krimi, und spielt in der nahen Zukunft:
Februar 2017: Ein Kind entdeckt die Leiche einer Frau im Neckar. Die Kommissare Lannert und Bootz nehmen die Ermittlungen auf. Sie finden heraus, dass die Tote die Schauspielschülerin Elena Stemmle ist und sie zwei Nebenjobs nachging: sie arbeitete als Prostituierte für den Escortservice des Onlinedienstes Love Adventure und war zusätzlich als Probandin für das Unternehmen BlueSky mit Sitz in Stuttgart tätig.
Den Kommissaren liegt ein Video vor, das den Mord an Elena zeigt. Das Video belastet den BlueSky-Entwickler David Bogmann, da es nach den Lannert und Bootz vorliegenden Informationen über eine von ihm genutzte IP-Adresse ins Internet auf eine Darknetplattform hochgeladen und dann auf einer Tauschbörse für Snuff-Videos veröffentlicht wurde. Bogmann wird zum Verhör geladen und bestreitet zunächst, Elena gekannt zu haben. Die weiteren Ermittlungen ergeben jedoch, dass Bogmann Elena kannte und sie am Abend ihres Todes unter falschem Namen in ein Hotel gebucht hatte.
Bogmann entwickelt im IT-Unternehmen BlueSky ein gleichnamiges Sicherheitsprogramm, das verteilt arbeitet, mit künstlicher Intelligenz autonom lernt und agiert und zudem schon weit verbreitet ist, insbesondere schon auf vielen Smartphones ohne Wissen der Nutzer im Hintergrund läuft. Die Geschäftsführerin Mea Welsch und der Data Scientist Bogmann verlieren allerdings zunehmend die Kontrolle über ihre Software, das System überwacht Bogmann, Welsch und alle Personen im Umfeld der beiden und manipuliert Daten. Als das Computersystem sich durch die Ermittlungen von Lannert und Bootz beeinträchtigt sieht, überwacht es auch diese und beeinträchtigt die Ermittlungen. So legt es unter anderem das Dienstfahrzeug der Kommissare lahm.
Bogmann fühlt sich zunehmend von BlueSky verfolgt und versucht, das System abzuschalten. Als das nicht gelingt, dringt er in den Serverraum ein, um das System mit seiner Sportwaffe zu zerstören. BlueSky löst Alarm aus und meldet die Existenz einer weiteren Person – einer Putzfrau – im Serverraum, woraufhin die Einsatzleitung anordnet, den Serverraum zu stürmen. Hierbei wird Bogmann angeschossen und erliegt später seinen Verletzungen.
Bogmanns Vorgesetzte Welsch räumt daraufhin den Komissaren gegenüber ein, die Kontrolle über BlueSky verloren zu haben und zeigt den Ermittlern, dass das belastende Video eine computergenerierte Fälschung ist. Es gelingt Lannert und Bootz, von BlueSky eine Aufzeichnung des tatsächlichen Mordes an Elena zu erhalten, welche belegt, dass Elena nach dem Treffen mit Bogmann von ihrem Freund aus Eifersucht erwürgt wird. (Quelle: de.wikepedia.org)
Tatort (991) aus Stuttgart (2016): HAL
Der Filmtitel nimmt Bezug auf den Science-Fiction-Klassiker 2001: Odyssee im Weltraum, in dem das vollautomatische Computersystem HAL 9000 heißt. Ähnlich wie in dem Filmklassiker versucht auch hier das Computersystem, denjenigen, der es abschalten möchte, auszuschalten und letztlich zu töten. Auch andere Elemente z.B. die Eingangssequenz und die Schlussszene zitieren diesen Film. So hören wir das Lied Hänschen Klein. Das Programm BlueSky begrüßt David Bogmann fast ebenso wie HAL den David Bowman im Film.
Erwähnenswert ist zudem, dass diese Tatort-Folge mit Kapitelüberschriften wie „Die Verschollene“, „Der Prozess“ oder „Die Verwandlung“ versehen ist, die auf Werke von Franz Kafka anspielen und damit die kafkaeske Attitüde dieses Films verstärken, dessen Protagonist ein Opfer der Geister wird, die er gerufen hat.
Niki Stein, der bereits für über ein Dutzend anderer Tatorte das Buch geschrieben und dann auch Regie geführt hat, bleibt mit seiner Geschichte durchaus in der Gegenwart, denn er greift die Angst der Menschen vor allumfassender Überwachung auf. Der Software-Entwickler David Bogmann (Ken Duken) hat ein Programm entworfen, das die Kriminalitätsbekämpfung auf eine neue Stufe heben soll: BlueSky ist in der Lage, nicht nur die Mimik und die Körpersprache der Menschen sondern auch Verhaltensmuster zu analysieren. Auf diese Weise sollen vor allem potenzielle Terroristen an ihren Verbrechen gehindert werden.
Ich fand diese Tatort-Folge durchaus logisch nachvollziehbar. Sicherlich ist die Technik noch nicht so weit gediehen, wie hier gezeigt. Aber der Weg wird aufgezeigt und damit die generelle Frage gestellt, wie der Mensch die Technik lenkt. Und die Technik den Menschen. Welchen Bildern vertrauen wir, wenn wir nicht mehr wissen, wer sie produziert hat? Wo hört die Kontrolle auf, wo beginnt die Manipulation?
Siehe hierzu auch die ausführliche Rezension auf tittelbach.tv.
Zudem weist dieser Tatort durchaus auch Humor auf. Wenn z.B. das über das Online-Portal Love Adventure gebuchte Callgirl dem Kunden zuletzt sagt: „Du kannst mich ja liken, wenn’s Dir gefallen hat!“. Facebook lässt grüßen. Oder: Das sagt Mutti und ist deshalb besonders wichtig, wenn es um die richtige Partnerwahl geht: „Einer fürs Image, viele für’n Sex“. (siehe auch zeit.de/zeit-magazin).