Seit 26 Jahren regiert Alexander Lukaschenko quasi als Alleinherrscher mit eiserner Hand in Belarus (Weißrussland) und gilt als „letzter Diktator Europas“. Belarus hängt an der Nabelschnur Russlands und ist wirtschaftlich fast vollständig von den Russen abhängig. Bisher haben Belarusinnen und Belarusen mit stoischer Ruhe ihr Schicksal ertragen und sich stumm mit den Verhältnissen arrangiert. Durch das Versagen der staatliche Organe und allen voran Lukaschenkos in der Coronakrise ist das Vertrauen der Bevölkerung rapide gesunken. Außerdem empfinden die Menschen die wirtschaftliche Lage so schlecht wie seit zwanzig Jahren nicht mehr.
Und jetzt die Wahl: Nach dem Motto „Alle außer einem“ – haben sich die Menschen nach Alternativen gesehnt; doch aussichtsreiche Oppositionelle wie der frühere Bankier Viktor Babariko oder der Ex-Botschafter von Belarus in den USA, Valerij Zepkalo, wurden nicht zur Wahl zugelassen. Mit Swetlana Tichanowskaja, die anstelle ihres inhaftierten Ehemanns Sergej Tichanowskij in den Wahlkampf eintrat, und ihren Mitstreiterinnen Weronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa traten „neue Gesichter“ auf die politische Bühne, die Lukaschenko unterschätzte.
‚Marsch der Freiheit‘ in Minsk, der Hauptstadt von Belarus
Der offensichtliche Wahlbetrug (angeblich erreichte Lukaschenko 80 % der Wählerstimmen, Tichanowskaja gerade 10 %) brachte nun das Fass zum Überlaufen. Die Menschen gehen auf die Straße, um gegen Lukaschenko zu demonstrieren. Und von Tag und Tag werden es mehr. Vertreter der Opposition wollen heute zudem Strafanzeige wegen Polizeigewalt gegen friedliche Bürger stellen. Und Lukaschenkos Gegner riefen zu Beginn der neuen Arbeitswoche zu flächendeckenden Streiks in den Staatsbetrieben auf.
Lukaschenko hat einen Stich
Ich denke, dass sich Lukaschenko nicht mehr lange halten wird. Alles hängt jetzt von der Rolle Moskaus ab, denn Putin wird es kaum zulassen, dass sich eine pro-westliche Regierung in Belarus‘ Hauptstadt Minsk einrichtet.
Warum berühren mich die Ereignisse in Belarus in so hohem Maße? Die Lebensgefährtin meines älteren Sohnes, die wie dieser in Mannheim studiert, ist Belarusin und kurz vor der Wahl zu ihren Eltern nach Minsk gereist. Sie hat an der Wahl teilgenommen. In wenigen Tagen erwartet sie mein Sohn zurück in Deutschland. Wir hoffen alle, dass sie wohlbehalten zurückkehren wird. Mein Sohn war inzwischen auch schon einige Male in Belarus.