Profaner Jesus und profaner Teufel

Hallo Kretakatze, (und natürlich auch: Hallo, Lockwood)

Mein Blog ist kein reines Jethro Tull-Blog. Und bisschen Wind aus anderen Richtungen wird nicht schaden. Sicherlich „klinge ich etwas gereizt“, denn DSDS und all die Idol-Sachen finde ich schlechtweg „unter aller Sau“. Es ist einfach nicht meine Welt, nicht nur, weil es nicht meine Musik ist. Hier versucht die Musikindustrie billig an Talente zu kommen, schlachtet die dann aus – und lässt sie schnell wieder fallen, wenn ein Talent wie eine Zitrone ausgepresst ist. Das Du nicht noch zusätzlich auf DSDS zu sprechen kommst, war mir schon klar. Wie solltest Du das auch wagen :-).

Zu Clay Aiken: Natürlich kann der gute Mann singen, sonst hätte er nicht diesen Erfolg. Aber was Du schreibst, unterstützt nur noch mehr meinen Verdacht, hier ein typisch amerikanisches Phänomen zu betrachten. Der religiöse Bezug ist mir natürlich nicht entgangen. Auch ohne die Hinweise bei Wikipedia hatte ich einen entsprechenden „Verdacht“. Das er sich für geistig behinderte Kinder einsetzt, ehrt ihn ungemein. Aber alles andere sieht für mich doch sehr nach Sektierertum aus. Das, was Dich, Kretakatze, an dem Mann vielleicht fasziniert, stößt mich eher ab. Ich reagiere leicht allergisch auf religiös-verbrämte Lebensansichten. Natürlich muss jeder selbst wissen, was er aus seinem Leben macht. Ich bemühe mich zumindest, ein „guter Mensch“ zu sein und meinen Kindern ein halbwegs akzeptables Vorbild zu sein.

Clay Aiken, wenn er so „pure“, so rein und „sauber“ ist, wie die Jurorin meint, also ein Heiliger (oder?), dann bekomme ich eher Schüttelfrost. Wenn sich ein so Heiliger mit dem Teufel einlässt (Musikbranche), dann ist da doch etwas faul.

Clay Aiken ein Idol? Wer so rein ist, der ist wahrscheinlich mit dem Schmutz noch nicht in Berührung gekommen. Nicht, dass er nicht die Schattenseiten dieses Lebens kennen gelernt hat. Aber hat er diese auch wirklich wahrgenommen? Ich will hier nicht den Stab über Herrn Aiken brechen. Dazu kenne ich ihn viel zu wenig (ich kenne ihn nicht). Es gibt aber einiges, was ihn mir und seine „Bewegung“ („kirchenähnlich“ schreibst Du – ähnlich wie eine Sekte?) suspekt erscheinen lässt.

Wahrscheinlich ist er aber nur ein „armer Teufel“, der es gut meint, der sich freut, Geld für seine Kinder zu sammeln und der keiner Fliege etwas zu Leide tun kann.

Gruß
Wilfried

02.04.2008

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Hallo Wilfried, Hallo Lockwood,

Inzwischen wünsche ich mir, ich hätte Euch den Namen Clay Aiken für alle Zeiten verheimlicht. Es scheint wie verhext, je mehr ich über ihn schreibe desto mehr Missverständnisse gibt es. Und die muss ich dann natürlich wieder aufklären. Hoffentlich bekomme ich das jetzt dieses Mal auf die Reihe…

Ich muss zugeben, lieber Wilfried, dass mich Deine Mail vom 02.04. ziemlich ratlos hinterlassen hat. Vieles von dem, was Du schreibst, verstehe ich nicht, es erscheint mir schwammig oder abstrakt, ich weiß einfach nicht wovon Du sprichst. Was sind z.B. „religiös-verbrämte Lebensansichten“, hat Mr. Aiken solche, und wenn ja, welche? Könntest Du ein Beispiel nennen? Was meinst Du mit „Sektierertum“, was sieht für Dich danach aus? Mit welchem „Schmutz“ ist er „noch nicht in Berührung gekommen“, welche „Schattenseiten“ hat er „nicht wirklich wahrgenommen“? Dann vergleichst Du die Musikbranche mit dem Teufel – geht das nicht doch ein bißchen weit? Nur deshalb weil Mr. Aiken gern ein bißchen singt und ein paar CDs verkauft hat, ist er doch nicht gleich mit dem Teufel im Bunde, oder? Das sind ja fast radikal-islamistische Ansichten… Manche Worte haben mich geradezu erschaudern lassen – da sprichst Du von seiner „Bewegung“, „kirchenähnlich?“, eine „Sekte“? Hilfe, was habe ich da nur angerichtet!?!

Also fangen wird noch mal von vorne an. Hier noch einmal das Video zu Somewhere Out There mit der Prophezeiung, in der die von uns noch nicht identifizierte Dame in der Jury Mr. Aiken als „mystery“ und „pure“ bezeichnet. Das englische Wort „pure“ hast Du gleich einmal mit „heilig“ übersetzt – ich glaube da schießt Du übers Ziel hinaus, ich würde da nicht soviel hineininterpretieren wollen. „Pure“ bedeutet für mich erst einmal „rein“, „klar“, „ohne überflüssiges Beiwerk“, „die Essenz von etwas“. Paula bezeichnet ihn zuvor in ihrem Kommentar als „natural“, und ich glaube da meint sie praktisch das Gleiche. Es ist dies vermutlich auch das erste Mal, dass im Zusammenhang mit Mr. Aiken der Begriff „sexy“ fällt. Und das ist genau der springende Punkt. Mystery – natural/pure – sexy – diese Worte gehören zusammen. Man könnte das auch so schreiben: mystery + pure = sexy, oder anders ausgedrückt: Jesus ist sexy. Es ist natürlich verständlich, dass Dir als Mann das entgangen ist, und es hat Dich wohl auf die völlig falsche Fährte gesetzt. Es geht hier nicht um eine „Sekte“, es geht um einen „Sexiest Singer“.

Die „Bewegung“ des Mr. Aiken hat mit Religiosität nichts zu tun. Ich weiß, ich habe Worte wie „kirchenähnlich?“ und „Jünger“ gebraucht – das war grob fahrlässig und ich bereue es zutiefst. Natürlich war das ironisch gemeint um eine entfernte Parallele zu Jesus herzustellen. Auch meine Erwähnung von „Aktionen“, zu denen er im Fernsehen aufruft, hat vielleicht einen falschen Eindruck erweckt. Soweit ich das bisher mitbekommen habe, handelte es sich dabei immer um Interviews im Rahmen seiner Tätigkeit als UNICEF-Botschafter, und in dieser Funktion ist das auch schlicht und einfach seine Aufgabe.

Tatsächlich sind seine „Claymates“ oder „Clay Nations“ einfach gut organisierte Fanclubs, und ihre Qualität beruht vor allem auf der Qualität der Fans. Wenn man bei seinen Auftritten in die Zuschauerräume sieht, dann sitzen da weit überwiegend Frauen, nicht wenige davon über vierzig, Teenager sind kaum dabei. Da Mr. Aiken von klein auf verlacht und verspottet wurde, abgelehnt und ausgegrenzt, es nun aber trotzdem zu sagenhaftem Ruhm, Erfolg und Beliebtheit gebracht hat, ist er natürlich eine Identifikationsfigur und strahlendes Leitbild für jeden, der sich nicht ernst genommen, ausgegrenzt oder unverstanden fühlt (auch das übrigens eine Parallele zu Jesus) – und das sind in unserer Gesellschaft nicht wenige. Dieses Publikum ist zuverlässig, diszipliniert, anhänglich und einsatzwillig.

Überhaupt war mein ganzer Vergleich mit Jesus viel profaner gemeint, als Du das offensichtlich aufgefasst hast. Auch Jesus war ein Lehrer und Entertainer. Er ist von Ort zu Ort gezogen und hat die Menschen unterhalten, so wie Mr. Aiken das heute auf seinen Konzerttourneen auch tut (vielleicht nicht ganz genauso, aber so ähnlich). Er hat Geschichten erzählt und mit den Menschen diskutiert, das war bestimmt eine unterhaltsame Abwechslung in Zeiten, als das Leben fast ausschließlich aus Arbeit bestand und es auf dem Lande weder Kino noch Disco gab. Und er hat Wunder vollbracht, so etwas hat einen unerhörten Unterhaltungswert.

Wunder vollbringt Mr. Aiken natürlich nicht. Aber er unterhält sein Publikum, und er unterhält sich mit seinem Publikum. Wenn man sich Videos von seinen Konzerten anschaut, gewinnt man den Eindruck, dass er mehr redet als er singt. Hier ein kurzes Beispiel dafür, wie christlich-besinnlich es auf seiner Weihnachtstournee zugeht, und dann noch der Lehrer-Entertainer in Aktion mit seiner Mega-Schulkasse – man merkt, das sind alles seine Kinder.

So ungefähr, stelle ich mir vor, muss das bei Jesus vor 2000 Jahren auch gewesen sein, abgesehen davon, dass er etwas tiefgründigere Dinge von sich gegeben hat. Aber zwischendurch hat er vielleicht auch einmal geblödelt. Man muss sein Publikum dort abholen, wo es steht, da kann man nicht ständig nur hochgeistig sein, sonst läuft es davon. Wenn man heutzutage eine Botschaft an den Mann (oder die Frau) bringen will, dann muss man sie schon ziemlich gut verpacken, sonst wird sie nicht geschluckt. Deshalb ist der moderne Jesus ein Verpackungskünstler. Er verpackt seine Botschaft so gut, dass man sie schon kaum noch bemerkt, sie besteht eigentlich nur noch aus seiner Person und ihrer Biographie und wird daher mehr durch die Medien transportiert als durch ihn selbst.

Was ist denn nun eigentlich der wesentliche Unterschied zwischen einem modernen Jesus und irgendeinem x-beliebigen (meist selbst ernannten) Propheten oder Erweckungsprediger? Der Erweckungsprediger erreicht nur die, die sowieso bereits „bekehrt“ sind, oder die bereit sind sich „bekehren“ zu lassen. Jesus erreicht alle und sammelt auch die noch ein, die gegen jegliche Art von Missionierung resistent sind und den bloßen Versuch bereits als Belästigung empfinden, die Kritischen, die Zweifler, diejenigen, die in allem und jedem sofort die Fehler, Mängel und Schwächen erkennen, diejeningen, die alles bereits wissen, und das besser, die immer recht haben und sich von niemandem etwas sagen lassen – also mich zum Beispiel. Er überzeugt nämlich vor allem dadurch, dass er nicht predigt. Und mit Religion hat das auch alles nichts zu tun.

Übrigens hat Mr. Aiken schon früh verkündet, wie er seinen Einfluss in der Öffentlichkeit zu nutzen gedenkt, lange bevor er irgendwelchen Einfluss hatte und als es noch in den Sternen stand, ob er jemals irgendwelchen Einfluss haben würde, nämlich bei einer seiner Auditions in Hollywood im Vorfeld von AI2. Als Randbemerkung zu diesem Video: Hier meint Mr. Aiken scherzhaft, er klänge als wäre er bei Miss America, ein Dreivierteljahr später war er tatsächlich bei Miss America. Ich finde solche „Zufälle“ faszinierend, besonders wenn sie sich häufen. Dir, lieber Wilfried, ist das suspekt?

Kommen wir von Jesus zum „armen Teufel“ – so hat Wilfried Mr. Aiken bezeichnet, und der Ausdruck passt meiner Meinung nach überhaupt nicht. Er klingt nach einem Opfer, nach jemandem, „mit dem man es machen kann“, und das ist Mr. Aiken bestimmt nicht. Schon für sein erstes Album nach AI mussten z.B. Songtexte eigens für ihn umgeschrieben werden, denn „er singt nicht von Sex, und er singt das sonst nicht“ (und seine Auslegung ist da ziemlich kleinlich). Das hätte nicht jeder in seiner Position gewagt, er war nicht der Gewinner der Show und hatte keinen Anspruch darauf, dass man überhaupt eine CD mit ihm produziert, er hatte Anspruch auf garnichts. Auch seine häufig wiederholte Aussage, über sein Aussehen würden Andere entscheiden, kaufe ich ihm schon lange nicht mehr ab – das hat vielleicht für seine Anfangszeit bei AI gegolten. Wenn er dann mal anfängt zu erzählen, merkt man schnell, dass das doch alles ein bißchen anders ist. Da wollte ER bei einem Überraschungs-Auftritt in American Idol 5 nicht genauso aussehen wie sein Double, das bei dieser Gelegenheit mit einem Scherz-Preis für die „Best Impersonation“ ausgezeichnet wurde. Also berief ER seine Stylisten ein, es wurde „verschiedenes ausprobiert“, bis der Herr mit seinem neuen Look zufrieden war. Es war dies sein erstes Erscheinen in der Öffentlichkeit mit langen dunklen Haaren.

Für sein letztes Album „A 1000 Different Ways“ hatte seine Plattenfirma zunächst lauter neue Songs schreiben lassen. „Aber dann kamen WIR zu dem Schluss, dass die meisten der neuen Songs von der Qualität her mit den Klassikern nicht mithalten konnten.“ Ich glaube eher, dass ER zu diesem Schluss gekommen ist, seine Produzenten legen ihm doch nicht Songs vor und bemerken dann erst, dass sie nicht gut genug für ihn sind. Es wurden dann überwiegend Covers von Klassikern aufgenommen (vermutlich nach Auswahl von Mr. Aiken). Ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, dass er es letztlich immer schafft, dass alle das machen, was er will, nur stellt er das so geschickt an, dass es kaum auffällt. Ein „armer Teufel“ sieht jedenfalls anders aus.

Was fasziniert mich nun also an Mr. Aiken? Du meinst es wäre das Gleiche, das Dich abstösst. Das kann ich nicht beurteilen, zumal ich nicht behaupten wollte, dass ich schon restlos verstanden hätte, was mich an ihm fasziniert. Zunächst einmal bin ich natürlich an ihm hängengeblieben, weil ich einige Ähnlichkeiten mit mir selbst entdecken konnte. Da Ihr mich bereits bestens kennt, könnt Ihr Euch vielleicht denken, was das ist (und wenn nicht, ist es auch nicht schlimm). Dann bewundert man üblicherweise Menschen, die Eigenschaften oder Fähigkeiten besitzen, die man an sich selbst vermisst. Ich persönlich bin z.B. obercool, wie Euch sicher schon aufgefallen ist, und das hauptsächlich deshalb, weil ich viel zu feige bin zu riskieren eine Angriffsfläche zu bieten. Menschen, die das nicht nötig haben, imponieren mir irgendwie.

Darüber hinaus bin ich auch noch Analytiker, und ich bin erst zufrieden, wenn ich alles bis ins Detail zerlegt und verstanden habe. Mit Mr. Aiken ist mir das bislang noch nicht gelungen. Insbesondere irritiert mich seine chamäleonartige Wandlungsfähigkeit, und das nicht nur äußerlich. Oder bilde ich mir das nur ein? Wenn ich mich mal an jemanden gewöhnt habe, dann möchte ich mich gerne jedesmal, wenn ich ihn sehe, in ihm wiederfinden. Ihr erinnert Euch sicher noch an John Fogerty und das karierte Hemd… Da ist Mr. Aiken eine echte Herausforderung. Das eine Mal denke ich, den kenne ich, beim nächsten Video frage ich mich „Wer ist denn das nun schon wieder?“. Das macht mich ganz kirre! Soweit zu meiner nicht immer restlos ungetrübten Beziehung zu Mr. Aiken.

Zusammenfassend könnte ich vielleicht sagen: Mir scheint Mr. Aiken ein Mensch zu sein, der sehr genau weiß, was er will. Das bin ich im Prinzip auch. Nur bin ich nicht sehr geschickt darin, es auch zu bekommen. Er scheint da wesentlich erfolgreicher zu sein als ich. Und ich wüßte gern, wie er das macht.

Nun doch noch einmal zu DSDS und AI. Von Wilfried stammt folgendes Zitat: „Hier versucht die Musikindustrie billig an Talente zu kommen, schlachtet die dann aus – und lässt sie schnell wieder fallen, wenn ein Talent wie eine Zitrone ausgepresst ist.“ Zu DSDS kann und möchte ich in dieser Beziehung eigentlich nichts sagen – ich habe mich nicht näher damit beschäftigt und möchte das auch nicht, es ist zu deprimierend. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Deutschland in der derzeitigen Musiklandschaft eine Sonderstellung einnimmt, wir sind durch einflussreiche Musikproduzenten auf qualitativ unterstem Niveau zur musikalischen Bananenrepublik verkommen. Talente mit Persönlichkeit und Niveau haben zurzeit in Deutschland keine Chance. Der deutsche Markt saugt Musik aus dem Ausland an wie ein Vakuum. Dazu vielleicht ein andermal ein paar Beispiele.

Was z.B. American Idol und die amerikanische Musikindustrie betrifft, habe ich inzwschen in mancher Hinsicht meine früheren Ansichten revidiert. Wenn man 100.000 Bewerber durchsieben muss, um letztlich ein oder zwei Talente zu finden, mit denen man Geld verdienen kann, dann ist dieser Aufwand immens, da kann man nicht mehr von „billig“ sprechen. Da ist es bestimmt billiger im Plattenstudio zu sitzen und darauf zu warten, dass junge Musiker ihre auf eigene Kosten erstellten Demo-Aufnahmen einreichen.

Und es ist ja auch nicht so, dass man einfach die Leute von der Strasse holt und auf die Bühne stellt. AI ist spätestens ab der Runde der letzten 12 ein 7-Tage-die-Woche-10-Stunden-am-Tag Crash-Kurs in Showbiz. Die Kandidaten bekommen Stimmtrainer und Gesangslehrer zur Seite, die Performance wird geübt. Jede AI-Show steht unter einem anderen Motto, bei der „Movie Night“ muss z.B. jeder eine Filmmusik singen, worum es bei „Country Night“, Rock Night“, „Musical Night“ etc. geht, könnt Ihr Euch sicher denken – die Bewerber werden durch alle Stilrichtungen der Musik gejagt. Jede Woche wird ein anderer Star aus der entsprechenden Musikrichtung eingeladen um die Kandidaten zu coachen und ihnen Tipps für den Auftritt zu geben. Für die „Bon Jovi Night“ ist das natürlich kein anderer als Jon Bon Jovi selbst, und der macht das sicher auch nicht für umsonst. Hier ein Beispiel dafür, wie man dabei aus einem schüchternen kleinen Mäuschen eine neue Tina Tuner macht. Melinda wurde übrigens in diesem Wettbewerb die Dritte und hat jetzt auch einen Plattenvertrag. Zu ihrer Audition kam sie noch zitternd herein.

Ich will jetzt nicht diese American Idol Show glorifizieren. Sie produziert eine völlig andere Art von Musikern, als wir das aus der guten alten Zeit mit „handgemachten“ Bands wie Jethro Tull gewöhnt sind. Es sind fast ausschließlich reine Interpreten, es ist ein Wettbewerb für Pop-Sänger, nicht für Rock-Bands, und nur gelegentlich ist mal ein Musiker dabei, der auch ein Instrument spielt oder selbst Songs schreibt. Taylor Hicks war einer von dieser Sorte, er hat AI 2005 gewonnen, mich aber weder durch seinen Gesang noch durch seine Songs vom Hocker gerissen. (Übrigens: In den letzten Runden, wenn die Kandidaten mehr als einen Song pro Abend darzubieten haben, ist auch Gelegenheit dafür die eigenen Kompositionen vorzutragen – Mr. Hicks hat das getan.) Was ich eigentlich sagen will – hier wird keine neue Musik geschaffen, aber diese Show ist trotzdem ein Fortschritt gegenüber der Zeit, als ausschließlich Musikproduzenten darüber entschieden haben, wer vor ein Mikrophon darf, denn jetzt haben auch Talente eine Chance, die sonst nie das Licht eines Fernsehscheinwerfers erblickt hätte. Norwegen hat einen neuen Nationalhelden, Amerika hat einen neuen Jesus – das ist doch was. (Und was haben wir? Dieter Bohlen – es ist zum Ko…!)

Zu Wilfried’s Problem mit den Song-Lizensen – ich glaube, da brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen. Wie wir schon gesehen haben – zur „Bon Jovi Night“ betätigt sich Mr. Bon Jovi selbst als Coach, bei der „Neil Sedaka Night“ (Solitaire) sitzt Mr. Sedaka mit in der Jury, bei der „Bee Gees Night“ (To Love Somebody) ist es Robin Gibb. Da werden die Herren bestimmt ihr Scherflein abbekommen. Das kann heutzutage niemand machen, dass im Fernsehen vor Millionen von Zuschauern Songs dargeboten werden, und die Rechteinhaber bekommen kein Geld – das würde Klagen hageln. Für die paar gekrächzten Takte, die die „skurrilen Nichtskönner“ bei den Castings vortragen, wird es allerdings wohl kaum was geben, lieber Wilfried. Das wirst Du aber auch nicht ernsthaft erwartet haben – oder?

Soweit ausführlich dazu, wie die heutige Musikindustrie „billig“ an Talente kommt. Beschäftigen wir uns nun noch kurz mit dem „Ausschlachten“, „Auspressen“ und „Fallenlassen“. Das ist sicher alles schon vorgekommen, aber ich würde bezweifeln, dass es die Regel ist. Die Musikproduzenten haben kein Interesse daran ihre Stars zu verheizen, sie haben Geld in sie investiert und möchten möglichst lange an ihnen verdienen. Natürlich werden sie einen Musiker fallenlassen, wenn er beim Publikum nicht (mehr) ankommt, sie sind keine Wohltätigkeitsunternehmen. Aber das „Ausschlachten“ besorgen Andere – die Medien. Auf der ständigen Suche nach Schlagzeilen und Stories durchwühlt die Boulevard-Presse das Privatleben der Stars (das betrifft natürlich nicht nur die Musiker sondern genauso auch Schauspieler) bis sie eigentlich kein Privatleben mehr haben – es wird öffentlich – und jede kleine Ungeschicklichkeit oder Peinlichkeit wird aufgegriffen, aufgebauscht und breitgewalzt.

Zu diesem Thema vielleicht eine harmlose kleine Episode aus dem Leben des Mr. Aiken. In oben verlinktem Video sagt er zu der Dame, der er gerade das Fernglas abgenommen hat: „You’re close enough to smell the … I ate earlier.“ (leider verstehe ich nicht, was er da gegessen hat). Das ist bestimmt eine Anspielung darauf, dass sich wenige Wochen zuvor irgendjemand öffentlich darüber beschwert hatte, dass er bei irgend einer Gelegenheit nach irgendetwas gestunken hätte (vermutlich gerade dieses von mir nicht identifizierbare Lebensmittel oder Gericht). Es gab tatsächlich eine Schlagzeile nach dem Motto „X sagt: Clay Aiken stinkt!“. Das ist so doof, dass es eigentlich jeder Beschreibung spottet, aber das Thema beschäftigte Presse und Fernsehen auf sämtlichen Kanälen. Nach so einem „Skandal“ kann er sicher davon ausgehen, dass er in den nächsten 10 Interviews gefragt wird, ob er wirklich gestunken hat, nach was er gestunken hat und warum er gestunken hat usw.. Das nur als Beispiel dafür, auf welchem Niveau da geschossen wird.

Früher oder später wird jeder, der einem solchen Leben ausgesetzt ist, zum Nervenbündel. Dadurch macht er nur noch mehr Fehler und die „Skandale“ häufen sich. Nach und nach wird das Ansehen dieser Person in der Öffentlichkeit demontiert – wer möchte schon eine CD kaufen von jemandem, der stinkt? Und so geht es mit der Karriere darnieder, wenn der Betreffende nicht schon vorzeitig wegen Nervenzusammenbruch, Alkohol- oder Drogenkonsum ausscheidet. Das liegt aber nicht an der Musikbranche.

Du meine Güte, jetzt bin ich schon wieder ausgeufert. Und dabei habe ich noch nicht einmal auf Wilfried’s neue Themen reagiert oder auf Lockwoods Vorstellung von Tom Waits. Das wird jetzt wohl erst noch warten müssen…

Seid ganz lieb gegrüßt bis demnächst
Kretakatze

PS.:So, lieber Wilfried, nun habe ich Deine letzte Mail wieder einmal restlos zerpflückt und in den Boden gestampft, ich hoffe Du bist nicht allzu deprimiert. Deshalb zum Schluss nun noch ein Video, das Dich hoffentlich wieder aufbaut. Es beweist, dass Du zumindest in einem Punkt absolut recht hast: Mr. Aiken ist sehr amerikanisch (wenn ich auch noch nicht so ganz verstanden habe, was Du damit eigentlich meinst).

07.04.2008

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Hallo Kretakatze, Hallo Wilfried,

in Euren letzten mails tauchen häufiger die Begriffe Jesus, Hölle, heilig auf. Ich denke, hier erhebt Ihr die Musikindustrie und ihre Protagonisten auf ein Level, das ihnen eine Nummer zu groß ist.

Auch wenn Mr. Aiken eine charismatische Ausstrahlung besitzt und durch seine Wohltätigkeiten ein gottgefälliges Leben führt, so kann ich doch nichts Messianisches an ihm entdecken. Darüber hinaus erscheint sich sein Sendungsbewusstsein auf die Staaten zu reduzieren; ohne Eure Beiträge hätte ich noch von ihm gehört.

Auch der Begriff Hölle für die Widrigkeiten des Showbiz scheint mir etwas übertrieben. Wir wissen alle, dass es im modernen Arbeitsleben nicht immer leicht ist, im Schweiße seines Angesichtes sein Brot zu verdienen. Das gilt nicht nur für die Musikbranche. Ein Superstar ist in meinen Augen ebenso ein Werktätiger wie ein Bäcker oder Buchhalter. Alle stellen ihre Fähigkeiten zur Verfügung und werden dafür entlohnt.

Weit mehr kann ich mich mit Kretakatzes Ausführungen über die Wandlungsfähigkeit einiger Künstler identifizieren. Jaaa, das Karohemd von Mr. Fogerty steht für einen hohen Wiedererkennungswert, ebenso die Bärte von ZZ Top, der Pferdeschwanz von Status Quo oder die blonde Mähne von Led Zeppelin. Da weiß man, woran man ist.

Mit einem wandlungsfähigen Künstler habe ich auch so meine Probleme. Im Zusammenhang mit Ian Anderson habe ich darüber schon geschrieben. Die Grenzen zwischen künstlerischem Fortschritt und wirtschaftlichem Opportunismus sind in vielen Fällen verwischt. Ich fordere nicht, dass ein füllig gewordener Künstler in seinen 50ern die gleichen engen Klamotten trägt wie in Zeiten seiner schlanken Jugend. Aber die abrupten Stilwechsel eines Mr. Anderson haben mir schon zu schaffen gemacht. Genau wie Kretakatze bei Mr. Aiken habe ich mich gefragt, wer das denn jetzt sei. Möglicherweise gefällt einigen Fans die Vielseitigkeit ihres Künstlers; mehr fehlt dazu die geistige Flexibilität.

Das war es auch schon von meiner Seite für heute.
Lasst es Euch gut gehen.
Lockwood

08.04.2007

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Hallo Ihr Lieben,

es ist schon erstaunlich, wie viel Kretakatze immer wieder zu schreiben weiß. Nicht das ich denke, Du, Kretakatze, hättest nichts Besseres zu tun. Aber es erstaunt schon, wie sehr Du Dich z.B. an diesen Clay Aiken ‚hängst’. So ausführlich werde ich Dir, zumindest in dieser Sache, natürlich nicht antworten wollen.

Also zunächst zu Deinem Vorwurf, ich äußere ‚fast’ radikal-islamische Anschichten! Wieso ‚fast’, es sind radikal-islamische Ansichten. Zumindest verstehe ich immer besser, wenn islamische Radikale nicht gut auf Amerika zu sprechen sind. Aber im Ernst:

Ich möchte nicht so sehr auf den Herrn Aiken eingehen, sondern mich eher zu der Frage äußern, was ich als typisch amerikanisch ansehe. Und ich möchte nur ein Detail aufgreifen, denn sonst wird das hier einfach zu lang.

Etwa wie Israel sehen viele Amerikaner ihr Land als das ‚gelobte Land’ an. Gott ist besonders ihrem Land wohlgesonnen. Das ist der reinste Calvinismus, nachdem nur bestimmte Menschen (hier ‚fast’ ein ganzes Land) dazu prädestiniert sind, den Weg zur Seligkeit zu gehen. Der Rest (wir Europäer eingeschlossen) kommt in die Hölle. Da kann er machen, was er will.

Natürlich hat das Ganze öfter einen Knacks bekommen; z.B. als Kennedy ermordet wurde, war das für viele Amerikaner geradezu unfassbar. Unfassbar allein deshalb, weil Gott den Amerikanern doch so etwas nicht antun kann. Und ähnlich ist es jetzt mit dem weltweiten Terror, dessen Hauptziel Amerika ist. Allein der Begriff „Achse des Bösen“ zeigt für mich die religiöse „Verbrämtheit“ auf, die das Ganze gewonnen hat.

Und so ist nach meiner Sicht vieles in Amerika religiös verbrämt (bemäntelt, ‚verziert’, ausgeschmückt). Ist Gott mit dir, dann wird sich das auch in deiner steilen beruflichen bzw. geschäftlichen Karriere zeigen. Daraus lässt sich eine Selbstherrlichkeit vieler Amerikaner ableiten, die sicherlich nicht nur mich abstößt.

Ein Aspekt nur, aber ein wesentlicher. Natürlich kann das nicht für alle Amerikaner gelten. Aber es ist eine ‚Grundhaltung’, die durch viele Alltäglichkeiten fundamentalisiert wird (z.B. das ständige Bekenntnis zur Nation schon in der Schule hat diesen halbreligiösen Charakter und ‚schult’ dieses Gefühl, zu etwas ‚Großem’ zu gehören).

Wenn Du, Kretakatze, Deinen Vergleich Clay A. mit Jesus C. auch „viel profaner gemeint hast“, so denke ich doch, dass einige Amerikaner (wahrscheinlich eher unbewusst) das Auftreten des Clay A. in einem religiösen Sinne ‚begreifen’. Und: Ich weiß, ich bin manchmal sehr abstrakt. Aber wie soll ich das in wenigen Worten sagen. Genug.

Noch einen Satz (oder zwei) zu dem Vergleich Musikbranche und Teufel. Natürlich meine ich das nicht wortwörtlich, eher auch im Sinne von profan, materialistisch ausgerichtet (Geld und noch einmal Geld): Ein profaner Jesus gerät in profane Versuchung (Plattenvertrag) durch den profanen Teufel (Musikindustrie).

Natürlich hat Kretakatze Recht: Das Aussieben von ein, zwei Talenten aus einer Masse von 100.000 Kandidaten ist immens aufwändig. Anderseits ist die entsprechende Präsentation im Fernsehen sehr publikumswirksam. American Idol, Pop Idol, DSDS und wie diese Sendungen noch heißen werden von einer breiten Öffentlichkeit angeschaut (auch wenn viele das nicht zugeben). Selbst Lockwood wirft öfter einen Blick hinein. Das Ausschlachten der wenigen Talente ist dann nur noch ein ‚Abfallprodukt’, dem sich die Musikindustrie dann aber um so lieber widmet. Das Ganze (TV-Show und Musikproduktion) stellt einen großen Markt da. Wäre das nicht so gewinnbringend, würden sowohl TV-Sender als auch Musikindustrie schnell ihre Finger davon lassen. Überhaupt TV- und Musikbranche – sind diese beiden in den USA nicht besonders eng verwoben (und die Filmindustrie kommt da auch noch hinzu)?

Kretakatze sieht hier eine unaufhaltsame Tendenz zu Einzelkünstlern. Diese Tendenz wird aus meiner Sicht von der Musikbranche beeinflusst, ja ich behaupte: gesteuert (eben durch solche Sendungen). Musikgruppen, eben Bands, müssen zusehen, wo sie bleiben. Denen bleiben meist nur noch ‚unabhängige’ Labels oder (zunehmend) der Eigenvertrieb. Eine Ausnahme davon bilden vielleicht die „etablierten“ Bands, also die mit großen Namen. Ein Grund mehr für mich, Sony & Co. nur der Geldschneiderei zu bezichtigen.

Und es gibt noch einen Trend: Vieles wird zum x-ten Mal wiedergekäut und bis zum letzten Exzess ausgeschlachtet. Single-Auskopplungen gab es schon immer. Aber heute sind viele Alben nur noch Vorab-Samplers von Single-Scheiben ohne Ende. Dann die x-te Version eines Liedes (Langfassung, Single-Fasssung, Disco- und sonst wie-Fassung). Alles muss sich mehrfach verwerten lassen. Die Filmindustrie ist hier vielleicht noch etwas erfolgreicher: Nach dem Kinofilm kommt die DVD, dann verdient man mit TV-Rechten (und zunehmend mit Rechten für Online-Film-Dienste), und bei besonders erfolgreichen Filmen kommt dann später noch der Director’s Cut als Doppel- und Dreifach-DVD auf den Markt. Und wenn sich die Technik wandelt, dann kommt ein solcher Film auch noch auf den neuen Medien (z.B. Blu-Ray) heraus. Da will und kann sich die Musikindustrie nicht hintanstellen: alles noch einmal in Super-Technik als Musik-DVD (5.1 Dolby Digital oder Surround DTS). So viele Ohren hat man nicht, um zu hören.

Da z.B. Sony nicht nur die Software liefert (sprich: Musik) sondern auch die Hardware (Player aller Art), ist der Verdienst ein doppelter. Früher wurden Plattenfirmen von Idealisten gegründet und geleitet. Heute sind das bei den großen Firmen nur noch Kaufleute. So rückte auch zunehmend der Geschmack der breiten Massen in den Vordergrund. Und wenn diese keinen Geschmack haben, dann wird denen schon etwas schmackhaft gemacht.

Auch wenn wir hier vom Thema Ian Anderson und Jethro Tull weit entfernt sind (so weit nun auch wieder nicht – auch Herr Anderson hat neben seinem Musikschaffen regen Geschäftssinn bewiesen – und um Musik geht es letztendlich ja auch immer noch), so lautet die Beschreibung zur Rubrik „Was ist bloß mit Ian los?“ immerhin doch „Jethro Tull & vieles mehr“ (siehe Quickinfo – mit der Maus auf den Rubrikentitel zeigen).

Damit wir für heute den Faden zu Jethro Tull nicht völlig verlieren, hier einige Infos, die ich beim Surfen im weltweiten Netz aufgegabelt habe. Entgegen der Meinung, das Thema Jethro Tull wäre erschöpft, denke ich nach wie vor, dass sich immer noch etwas finden lässt, was lohnenswert ist, hier angemerkt zu werden.

Was mich immer schon interessierte ist, welche „Schnittstellen“ es zu anderen Gruppen gab und gibt. Zum einen kommen solche Schnittstellen dadurch zu Stande, dass Gruppenmitglieder ausgetauscht wurden. Die bringen gewissermaßen eine Vorgeschichte mit. Dazu gibt es z.B. einen Stammbaum (Family Tree) bei collecting-tull.com. Und bereits im Beitrag Was ist bloß mit Ian los? Teil 29: Sexy Ian schreibt Noten verwies ich auf die interessante Website bandtoband.com, die die Verzweigungen der Bands untereinander anschaulich darstellt. Ich habe außerdem ein großformatiges Buch zu Hause: Pete Frame ’s Rock Family Tree aus dem Jahre 1979 (also schon bisschen alt, es gibt aber wohl auch neuere Auflagen), da ist in grafischer Übersicht der Stammbaum z.B. von Fleetwood Mac, Fairport Convention (u.a. durch Dave Pegg zu einer JT-Schnittstelle geworden) und Eric Clapton zu finden. Jethro Tull selbst findet sich da noch nicht. Ich habe aber einen entsprechenden Stammbaum irgendwo im Internet gesehen (nur wo?). Soviel zu Vorgeschichte:

Ian Anderson hatte öfter Frank Zappa als einen der Musiker erwähnt, die er mag. Oft weiß man zwar nicht, ob der Meister das wirklich ernst meint. Ich glaube aber: ja. Und zwischen Jethro Tull und Zappa gibt es bekanntlich das Bindeglied Eddie Jobson, wie ebenso in einem früheren Beitrag in diesem Blog festgestellt wurde (Was ist bloß mit Ian los? Teil 39: Widmungen und mehr). Das bestätigt natürlich nicht unbedingt die Aussage von Herrn Anderson (Jobson war ja nicht der typische Tull-Musiker). Vor einiger Zeit las ich aber, dass Ian Anderson in den 70-er Jahren ein Plattenprojekt einer Gruppe aus dem Umfeld von Captain Beefheart finanziell unterstützt hätte. Captain Beefheart steht ähnlich wie Zappa für avantgardistische Musik und beide haben auch öfter gemeinsam musiziert. Ich habe also nachgeforscht, weil mir das doch sehr kurios vorkam. Und tatsächlich. Im April 1972 tourte Jethro Tull durch die USA, abwechselnd mit der Gruppe Wild Turkey (mit Ex-Tull Bassist Glenn Cornick) und Captain Beefheart als Vorgruppe. Am Rande: u.a. wurde „Thick as a Brick“ dabei mehrmals vollständig aufgeführt. Hier lernte Anderson also Don Van Vliet und seine Jungs kennen.

Als Begleitband von Captain Beefheart spielten u.a. Bill Harkleroad (Zoot Horn Rollo) und Mark Boston (Rockette Morton) von 1968 bis 1974 in der so genannten Magic Band. 1974 kamen die beiden mit dem Schlagzeuger Artie Tripp III (Ed Marimba) nach England, um dort als MALLARD ein Album aufzunehmen. Die Gruppe nahm dann 1975 und 1976 insgesamt zwei LPs auf. Und die erste hat tatsächlich Ian Anderson finanziert. Angeblich soll Anderson den Jungs auch einen Song geschrieben haben. Was daraus wurde, ist aber wohl nicht ganz klar (immerhin soll das Lied aufgenommen worden sein und das Band sich dazu im Besitz von Bill Harkleroad befinden). Nachzulesen ist alles in einem Interview mit Bill Harkleroad (Zoot Horn Rollo); u.a. steht dort:

didn’t ian anderson initially back the mallard project?

totally. he set up a situation where we got signed to virgin records. through being the opening act and making the connection early on, he got hold of bill shumow, our manager at the time, and said: ‚hey, where are these guys and what are they doin‘?‘ he got us into the studio and wrote a song for us. a bizarre song. i’ve got the tape of it (laughs). real ian anderson-sounding! anyway, he says: ‚hey, here you go. i’ll give you the money. here’s a tune.‘

so ian anderson wrote a song for mallard?

one song. it never showed up anywhere. he was in town and the way i thought of it is: here’s this guy who works twenty hours a day and needs to be busy [laughs]. he had a day off, so he wrote us a song. anyway, he was very nice and i appreciated what he did. we went to england and recorded the first album in his studio with his engineer.

Ian Anderson also als Sponsor. Man glaubt es kaum. Die CD ist sogar käuflich zu erwerben: Mallard – in a Different Climate.

Noch einige Worte zum Thema „Wandlungsfähigkeit und Wiedererkennungswert“. Letzteres hat sicherlich auch etwas mit dem Erfolg eines Musikers bzw. eine Band zu tun. Trotz der vielen Verwandlungen (optisch wie musikalisch) hat auch Ian Anderson einen hohen Wiedererkennungswert: Klar, durch sein Flötenspiel auf einem Bein. Kein Wunder also, wenn er dann mit Bezeichnungen wie Hans Huckebein, der Bluesrabe oder Der Rattenfänger der Rockmusik benannt wird. Wer selbst die Namen Anderson oder Jethro Tull und deren Musik nicht kennt (oder nur am Rande), wird zumindest wissen, wo er den Mann mit Flöte auf einem Bein unterzubringen hat. Da spielt es keine Rolle, in welcher Kostümierung er sich zeigt.

Komme ich zum Schluss für heute: In einem anderen Zusammenhang bin ich auf die Frage (besser: Antwort) gestoßen, welchen Hintergrund das Plattencover zu “War Child” bildet. Hinter Ian Anderson im „Minstrel“-Outfit ist die Skyline einer Großstadt zu sehen. Die Frage lautet, ist klar, um welche Stadt es sich dabei handelt. Mit dieser Frage verabschiede ich mich für heute und wünsche Euch nicht zu stressige Arbeitstage.

Cheerio und Tschüss
Euer Willi

09.04.2008

English Translation for Ian Anderson