Im Oktober 2018 war der ältere meiner Söhne mit seiner Freundin bei uns zu Besuch und so waren wir zusammen mit meiner Frau einen Tag in Hamburg, um auch endlich die Elbphilharmonie zu besichtigen. Die öffentliche Aussichtsplattform zwischen dem Backsteinsockel und dem gläsernen Neubau der Elbphilharmonie ist ein Publikumsmagnet. Täglich strömen bis zu 17.000 Gäste in die HafenCity, um auf 37 Metern den Ausblick auf Stadt und Hafen zu genießen.
Elbphilharmonie Hamburg – Übersicht © Elbphilharmonie
Die Elbphilharmonie (auch Elphi genannt) ist ein im November 2016 fertiggestelltes Konzerthaus in Hamburg. Sie wurde mit dem Ziel geplant, ein neues Wahrzeichen der Stadt und ein „Kulturdenkmal für alle“ zu schaffen. Das 110 Meter hohe Gebäude ist im Stadtteil HafenCity zu finden. Die Baukosten sollen 866 Millionen Euro betragen haben. Ob das Geld vielleicht anderweitig sinnvoller hätte genutzt werden können, will ich hier nicht diskutieren. Die Architekten haben sich bei diesem Gebäude auf jeden Fall ‚austoben‘ dürfen (‚Kosten spielen keine Rolle!‘).
Elbphilharmonie Hamburg 2024
Mit einer langen Rolltreppe wird die Plaza mit der Aussichtsplattform erreicht.
Rolltreppe zur Plaza
Am Montag nun war ich mit meiner Frau sechs Jahre später auch endlich bei einem Konzert im großen Saal, dem Herzstück der Elbphilharmonie: Der große Konzertsaal mit seinen 2.100 Plätzen ist nach dem Weinberg-Prinzip gebaut. Die Bühne liegt in der Mitte und ist von terrassenförmigen Publikumsrängen umgeben. Über der Bühne schwebt ein großer Klangreflektor) – hier 360 ° Ansicht (Google Maps)
Meine Frau hat mit einer Freundin ein Theater-Abo. Da diese stark erkältet war, durfte ich als ‚Ersatz‘ einspringen. Mit dem ‚Theaterbus‘ geht es u.a. von Tostedt aus direkt vor das Theater bzw. die Konzerthalle. Nun meine Frau und ich haben es nicht bereut, endlich die ‚Elphi‘ auch einmal von innen zu sehen.
Treppenaufgang zum ‚Großen Saal‘ (1)
Treppenaufgang zum ‚Großen Saal‘ (2)
Elbphilharmonie Hamburg: 3. Philharmonisches Konzert Kent Nagano 2024
Keine Frage, das Konzerthaus ist über alle Maßen beeindruckend. Und der große Saal ist die Krönung des Ganzen. Auf dem Programm stand zunächst ein zeitgenössisches Werk (Helmut Lachenmann: Tanzsuite mit Deutschlandlied) und eine Symphonie (Camille Saint-Saëns: 3. Sinfonie c-Moll op. 78 ∙ »Orgelsinfonie«). Saint-Saëns kenne ich von dem ‚Karneval der Tiere‘ her, einer Suite für Kammerorchester aus dem Jahr 1886.
Es spielte das Philharmonisches Staatsorchester Hamburg unter der Leitung von Kent Nagano, der seit 2015 Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg ist. Das Streichquartett ‚Quatuor Diotima‘ spielte beim ersten Stück. Die Orgel in der ‚Orgelsymphonie‘ wurde von Iveta Apkalna präsentiert.
‚Soundcheck‘
- „Bitte hören Sie zuerst das Stück bis zum Ende und protestieren Sie dann“ – rief Helmut Lachenmann während der Uraufführung aus dem Publikum heraus.
Wenn in Helmut Lachenmanns 1980 entstandener »Tanzsuite mit Deutschlandlied« irgendwann gegen Ende tatsächlich Haydns Kaiserquartett zitiert oder zumindest angedeutet wird, ist längst klar, dass hier keine Hymne mitgesungen werden soll. Und auch von Tanzen kann in diesem Stück von einem der zentralen Komponisten der vergangenen Jahrzehnte keine Klangrede sein. In diesem provokanten, in Donaueschingen uraufgeführten Werk, das hier mithilfe des aufsehenerregenden Quatuor Diotima aus Paris aufgeführt wurde, ging es Lachenmann um Geräusche, um Brüche, um die Frage, was das eigentlich ist, ein Ton.
Okay, einigen Konzertbesuchern fiel die Kinnlade herunter (besonders bei älteren Damen). Meine Sitznachbarin fand das Stück ‚gruselig‘ (passend zu Halloween?). Ein Herr meinte, dass das Stück gewöhnungsbedürftig wäre. Dem muss ich aus meinem Empfinden heraus widersprechen: Für mich war es wie eine Geräuschkulisse einer Großstadt – leise beginnend am frühen Morgen und laut werdend wie in einem Industriegebiet (jeder wird das Stück aber bestimmt anders gehört, anders interpretiert haben). Meine Frau fand es auf jeden Fall sehr gut. Ihr gefielen die außergewöhnlichen ‚Einsatzmöglichkeiten‘ vieler Instrumente (u.a. das Tippen mit zwei Fingern auf das Mundstück bei Blasinstrumenten, was jeweils wie ein ‚Blubb‘ oder gar Pups klang). Es sind Geräusche (Umweltgeräuschen ähnlich) und diese sind eines der wichtigsten Mittel dieses Stücks, die beim (versteckten) Zitieren anderer Werke angewendet werden. Es ist Musik, die darauf abzielt, all jene Klänge auszuloten und zu gestalten, die im mechanischen Prozess der Klangerzeugung eines Tones entstehen, aber bisher als unvermeidbare Nebengeräusche betrachtet wurden. Die zugrundeliegenden Tänze (Marsch, Walzer, Tarantella, Polka usw.) werden ausgehöhlt, bis (zumeist) nur noch die metrische Struktur übrig ist, die in Form von Geräuschen hörbar gemacht wird. Tonhöhen sind in dieser „Zitierweise“ unwichtig …
(Quelle: u.a. das Programmheft zur Aufführung)
Da die Musiker ‚vom Blatt‘ lasen, fragte ich mich, wie eine solche Partitur (die Noten) aussehen könnte. Zunächst bedarf es einer Erklärung einer ‚erweiterten‘ Notenschrift:
Helmut Lachenmann: Tanzsuite mit Deutschlandlied – hier: Zeichenerklärung der Partitur für Bläser
Und so sieht diese Notenschrift dann zu Anfang aus:
Helmut Lachenmann: Tanzsuite mit Deutschlandlied – Partitur Anfang
Noch eine kurze Randbemerkung: Die Suite von Lachenmann hat etwas von Spielerei. Ich frage mich, wie ein Musikstück ‚aussieht‘, wenn diesem z.B. jede zweite Note ‚gestohlen‘ wird. Was bleibt dann noch … (Ich habe ja eine Software zum Erstellen von Noten: Guitar Pro, wenn auch in alter Version – vielleicht gucke ich da mal)
Wer sich für das etwa 30-minütige Werk interessiert, kann zumindest einmal hineinhören. Hier eine Aufnahme der Premiere in Großbritannien unter dem Motto: „It’s the most beautiful ugly sound in the world“ (Es ist der schönste hässlichste Klang der Welt)
Helmut Lachenmann – Tanzsuite mit Deutschlandlied (UK Premiere)
Schräge ‚Musik‘ – schräger Typ? Nur der Vollständigkeit halber hier ein Interview mit dem Komponisten. Helmut Lachenmann – auch hier ein Motto: On the joy of noisiness in music, finding happiness in small-scale disruption and the responsibility to pass on the flame (Über die Freude am Lärm in der Musik, das Glücksgefühl kleiner Störungen und die Verantwortung, die Flamme weiterzugeben.).
Klangforum Wien and Helmut Lachenmann: The Adventure of Listening (Das Abenteuer des Zuhörens)
Um Töne ging es dann natürlich auch im 2. Stück des Abends: Camille Saint-Saëns’ Orgelsinfonie. Iveta Apkalna, Titularorganistin der Elbphilharmonie, brachte den Großen Saal mit 69 Registern samt 4.765 Pfeifen volltönend zum Klingen. Über seine letzte Sinfonie sagte der französische Komponist vielversprechend: »Mit ihr habe ich alles gegeben, was ich geben konnte … so etwas wie dieses Werk werde ich nie wieder schreiben.« – Nun die Einsätze der Orgel waren eher kurz, dafür aber gewaltig. Besonders die tiefen Töne füllten den Saal auf beeindruckende Weise.
Elbphilharmonie: Großer Saal mit Orgel – © Wilfried Sander
Mit der Organistin Iveta Apkalna gibt es eine Aufnahme der Symphonie mit dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks:
Camille Saint-Saëns: 3. Sinfonie c-Moll op. 78 ∙ »Orgelsinfonie« ∙ hr-Sinfonieorchester ∙ Iveta Apkalna ∙ Riccardo Minasi
Nun, es war ein besonderer Abend im ‚großen Saal‘ der Elbphilharmonie. Ich habe es noch gar nicht erwähnt: Die Akustik ist absolut exzellent. Die Wandverkleidung ist mit rund 10.000 Gipsfaserplatten ausgestattet, die den Klang in jeden Winkel reflektieren. Durch die besondere Architektur („Weinberg“-Architektur – mit einer Bühne in der Mitte, die von terrassenförmigen Zuschauerrängen umgeben ist, wie in Weinbergen) sitzt kein Zuschauer weiter als 30 Meter vom Dirigenten entfernt. Das hat allerdings auch zur Folge, dass jedes Hüsteln zu hören ist.
… nach dem Konzert
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