Nachdem ich bereits Sartre abgehandelt habe, möchte ich doch zurückkehren und lande so bei Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie beim französischen Philosophen René Descartes.
Mit Descartes beginnt die Philosophie der Neuzeit. Wichtige Punkte seiner Arbeit sind dabei
– eine Erkenntnistheorie, die nur das als richtig akzeptiert, was durch die eigene schrittweise Analyse und logische Reflexion als plausibel verifiziert wird,
– eine Ethik, gemäß der das Individuum sich im Sinne bewährter gesellschaftlicher Konventionen pflichtbewusst und moralisch zu verhalten hat,
– eine Metaphysik, die zwar (durch logischen Beweis) die Existenz eines vollkommenen Schöpfer-Gottes annimmt, aber kirchenartigen Institutionen wenig Raum lässt,
– eine Physik, die die Natur als durch zwar gottgegebene, aber allgemein gültige Gesetze geregelt betrachtet (Wunder also ausschließt) und dem Menschen ihre rationale Erklärung und damit letztlich ihre Beherrschung zur Aufgabe macht.
Hier die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch, die ein ziemlich klares Bild von Descartes’ Philosophiesystem vermitteln:
René Descartes wurde 1596 geboren und reiste zeitlebens viel in Europa hin und her. Schon als junger Mann verspürte er den heißen Wunsch, Einsicht in die Natur von Mensch und Universum zu erlangen. Aber nachdem er Philosophie studiert hatte, wurde ihm vor allem seine eigene Unwissenheit bewußt.
… Wie Sokrates war er … überzeugt davon, daß uns sichere Erkenntnis nur die Vernunft geben kann. … Wir können nicht … dem vertrauen, was unsere Sinne uns erzählen.
… Von Sokrates und Platon führt eine direkte Linie über Augustinus bis zu Descartes. Allesamt waren sie ausgeprägte Rationalisten. Sie hielten die Vernunft für die einzigste sichere Quelle der Erkenntnis.
… Ohne Übertreibung können wir sagen, daß Descartes der Begründer der Philosophie der neueren Zeit war. Nach der berauschenden Neuentdeckung von Mensch und Natur in der Renaissance entstand abermals das Bedürfnis, die zeitgenössischen Gedanken in einem einzigen zusammenhängenden philosophischen System zu vereinen. Der erste große Systembauer war Descartes, und ihm folgten Spinoza und Leibniz, Locke und Berkeley, Hume und Kant.
… im 17. Jahrhundert versuchte die Philosophie wieder, die neuen Gedanken in ein philosophisches System zu bringen. Der erste, der diesen Versuch machte, war Descartes. Er gab den Startschuß zu dem, was für die folgenden Generationen zum wichtigsten philosophischen Projekt werden sollte. Vor allem beschäftigte ihn das, was wir wissen können, also die Frage nach der Sicherheit unserer Erkenntnis. Die zweite große Frage, die ihm am Herzen lag, war das Verhältnis zwischen Körper und Seele.
… Bei der Frage, wie wir sicheres Wissen erlangen können, brachten viele ihren totalen philosophischen Skeptizismus zum Ausdruck. … zu Lebzeiten von Descartes hatte die neue Naturwissenschaft eine Methode entwickelt, die eine ganz sichere und exakte Beschreibung der Naturprozesse liefern sollte. Descartes mußte sich fragen, ob es nicht eine ebenso sichere und exakte Methode für die philosophische Reflexion gab.
… Immer mehr Menschen sprachen sich für ein materialistisches Naturverständnis aus. Aber je mechanistischer die physische Welt aufgefaßt wurde, desto dringlicher wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen Körper und Seele.
… Descartes erklärt, daß wir nichts als wahr betrachten dürfen, solange wir nicht klar und deutlich erkannt haben, daß es wahr ist. Um das zu erreichen, müssen wir vielleicht ein kompliziertes Problem in so viele Einzelteile wie möglich zerlegen. … Descartes glaubte, der Philosoph könne vom Einfachen zum Komplizierten weitergehen. Auf diese Weise könne eine neue Erkenntnis aufgebaut werden. Bis ganz zum Schluß müsse man dann durch ständiges Nachrechnen und Kontrollieren überprüfen, daß man nichts ausgelassen hat. Nur so könne man zu philosophischen Schlußfolgerungen kommen.
.. Descartes wollte die ‚mathematische Methode’ … auf die philosophische Reflexion anwenden. … Er wollte genau dasselbe Werkzeug anwenden, das wir bei der Arbeit mit Zahlen benutzen, nämlich der Vernunft. Denn nur die Vernunft kann uns sichere Erkenntnis vermitteln.
… er stellt als erster klar, daß wir im Ausgangspunkt an allem zweifeln müssen.
… Descartes fand es wichtig, altes Gedankengut über Bord zu werfen, ehe er mit seiner eigenen philosophischen Untersuchung begann.
… Aber Descartes’ Zweifel reichen noch tiefer. Wir können nicht einmal dem vertrauen, was unsere Sinne uns erzählen, meinte er. Vielleicht werden wir von ihnen zum Narren gehalten.
… Er ist zu der Erkenntnis gekommen, daß er alles anzweifeln, und daß das einzige ist, dessen er sich ganz sicher sein kann. … Aber wenn er zweifelt, muß auch feststehen, daß er denkt, und wenn er denkt, dann muß feststehen, daß er ein denkendes Wesen ist. Oder, wie er selber sagt: ‚Cogito, ergo sum.’ Ich denke, also bin ich.
… er versteht zugleich, daß dieses denkende Ich wirklicher ist, als die physische Welt, die wir mit den Sinnen wahrnehmen. … Er erkennt, daß er auch eine klare und deutliche Vorstellung eines vollkommenen Wesens hat … Die Vorstellung eines vollkommenen Wesens kann nicht von etwas herstammen, das selbst unvollkommen ist. … Also muß die Vorstellung eines vollkommenen Wesens von diesem vollkommenen Wesen selber herstammen – mit anderen Worten: von Gott.
.. ein vollkommenes Wesen wäre nicht vollkommen, wenn es nicht existierte. Außerdem hätten wir keine Vorstellung von einem vollkommenen Wesen, wenn es kein solches Wesen gäbe. Denn wir sind unvollkommen, und deshalb kann die Idee des Vollkommenen nicht von uns stammen.
… Descartes sah wie Sokrates und Platon einen Zusammenhang zwischen Denken und Existenz. Je einleuchtender etwas für das Denken ist, um so sicherer ist auch seine Existenz.
… auch die äußere Wirklichkeit hat einige Eigenschaften, die wir mit der Vernunft erkennen können. Und zwar die mathematischen Verhältnisse, also das, was gemessen werden kann, nämlich Länge, Breite und Tiefe. Diese quantitativen Eigenschaften sind für die Vernunft ebenso deutlich wie die Tatsache, daß ich ein denkendes Wesen bin. Qualitative Eigenschaften wie Farbe, Geruch und Geschmack hängen dagegen mit unserem Sinnesapparat zusammen und beschreiben eigentlich keine äußere Wirklichkeit.
… zwischen der äußeren Wirklichkeit und der Wirklichkeit der Gedanken besteht ein Wesensunterschied. Descartes kann jetzt davon ausgehen, daß es zwei verschiedene Formen der Wirklichkeit gibt – oder zwei Substanzen. Die eine Substanz ist das Denken oder die Seele, die andere die Ausdehnung oder die Materie. Die Seele ist nur bewußt, sie nimmt im Raum keinen Platz ein, und deshalb läßt sie sich auch nicht mehr in kleinere Teile aufteilen. Die Materie dagegen ist nur ausgedehnt, sie nimmt Platz im Raum ein und läßt sich deshalb in immer kleinere Teile zerteilen – aber sie ist nicht bewußt.
…
Wie bezeichnen Descartes als Dualisten, und das bedeutet, daß er eine scharfe Trennlinie zwischen der geistigen und der räumlichen Wirklichkeit zieht.
…Descartes kam zu dem Schluß, daß der Mensch ein Doppelwesen ist, das sowohl denkt als auch Raum einnimmt. Der Mensch hat demnach also eine Seele und einen räumlichen Körper.
Nicht einmal Descartes konnte abstreiten, daß es immer wieder zu einer Wechselwirkung zwischen Seele und Körper kommt. Solange die Seele im Körper sitzt, meinte er, sei sie mit dem Körper durch ein ganz spezielles Gehirnorgan, eine Drüse, verbunden, in der eine dauernde Wechselwirkung zwischen Geist und Materie stattfinde. Auf diese Weise kann Descartes zufolge die Seele dauernd von Gefühlen und Empfindungen verwirrt werden, die mit den Bedürfnissen der Körpers zu tun haben. Das Ziel ist, der Seele die Leitung zu übertragen.
aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 275-285 – Carl Hanser Verlag 1995