Zurück zu Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie: Nach Spinoza machen wir einen Sprung und lassen die Kapitel Locke ( … genauso leer wie eine Tafel, ehe der Lehrer das Klassenzimmer betritt …), Hume (… so werft ihn ins Feuer …) und Berkeley (… wie ein schwindliger Planet um eine brennende Sonne …), das Dreigestirn der britischen Aufklärung und des aufkommenden Empirismus, aus und kommen zu Kant.
Hier wieder die wichtigsten Textpassagen aus dem Buch zu Kant, mit denen diese kleine Reihe zu den wichtigsten Philosophen und ihren Lehren zu Ende gehen wird. Hegel, Marx, Darwin und Freud, denen Jostein Gaarder in „Sofies Welt“ ebenfalls jeweils ein Kapitel gewidmet hat, lasse ich diesmal links liegen. Diese Geister haben sich auf Teilgebiete der menschlichen Erkenntnis festgelegt, deren Ideen und Einsichten heute noch weitläufig diskutiert werden. Eine Beschäftigung mit ihnen sprengt den Rahmen dieser eher kleinen, aber – wie ich doch hoffe – lehrreichen und einfach ‚interessanten’ Einführung in die Gedankenwelt der Philosophie. Immanuel Kant, dessen „kategorische Imperativ“ vielen als Begriff geläufig ist (oft allerdings ohne zu wissen, was dieser bedeutet), hier als Abschluss und – in gewisser Hinsicht zutreffend: als Höhepunkt der Reise durch Sofies Welt der Philosophen:
… Immanuel Kant wurde 1724 in der ostpreußischen Stadt Königsberg als Sohn eines Sattlers geboren. Er verbrachte hier fast sein ganzes Leben bis zu seinem Tod im Alter von achtzig Jahren. Er kam aus einem streng christlichen Zuhause. Seine christliche Überzeugung war deshalb auch eine wichtige Grundlage für seine Philosophie.
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Wir erinnern uns, daß die Rationalisten meinten, die Grundlage aller menschlichen Erkenntnis liege im Bewußtsein des Menschen. Und wir wissen auch noch, daß die Empiriker alles Wissen über die Welt aus der Sinneserfahrung ableiten wollten.
… [Kant] meinte, alle hätten ein bisschen recht, aber fand auch, daß alle sich ein bißchen irrten. … Kant meinte, daß sowohl die Empfindungen als auch die Vernunft eine wichtige Rolle spielen, wenn wir die Welt erfahren.
…
Egal, was wir sehen, vor allem werden wir es als Phänomene in Zeit und Raum auffassen. Kant bezeichnete Zeit und Raum als die beiden ‚Formen der Anschauung’ des Menschen. Und er betont, daß diese beiden Formen in unserem Bewußtsein vor jeglicher Erfahrung kommen. Das bedeutet, daß wir, ehe wir etwas erfahren, wissen können, daß wir es als Phänomen in Zeit und Raum auffassen werden.
Kant erklärt, daß Zeit und Raum zum menschlichen Leben selber gehören. Zeit und Raum sind vor allem Eigenschaften unseres Bewußtseins und nicht Eigenschaften der Welt.
… Das Bewußtsein des Menschen ist also keine passive ‚Tafel’, die nur Sinneseindrücke von außen registriert. Es ist eine kreativ formende Instanz. Das Bewußtsein selber trägt dazu bei, unsere Auffassung der Welt zu prägen. … So fügen sich auch die Sinneseindrücke nach unseren ‚Formen der Anschauung’.
… Kant behauptet, daß sich nicht nur das Bewußtsein nach den Dingen richtet. Die Dinge richten sich auch nach dem Bewußtsein.
… was wir nicht beweisen können, genau das betrachtet Kant als Eigenschaft der menschlichen Vernunft. Das Kausalgesetz gilt immer und absolut, einfach weil die menschliche Vernunft alles, was geschieht, als Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung betrachtet.
… Kant sagt …, daß wir nicht sicher wissen können, wie die Welt ‚an sich’ ist. Wir können nur wissen, wie die Welt ‚für mich’ ist – und also für alle Menschen. … Wie die Dinge ‚an sich’ sind, können wir nie ganz sicher erfahren. Wir können nur wissen, wie die Dinge sich für uns ‚zeigen’. Zum Ausgleich können wir ohne jede Erfahrung sagen, wie die Dinge von der menschlichen Vernunft aufgefaßt werden.
… morgens kannst du nicht wissen, was du an diesem Tag sehen und erleben wirst. Aber du kannst wissen, daß du das, was du siehst und erlebst, als Ereignisse in Zeit und Raum auffassen wirst. Du kannst dir außerdem sicher sein, daß das Kausalgesetz gilt, einfach, weil du es als Teil deines Bewußtseins in dir trägst.
… Kant glaubte, die absolute Gültigkeit der Naturgesetze beweisen zu können, indem er zeigte, daß wir in Wirklichkeit über Gesetze der menschlichen Erkenntnis reden.
… Einerseits haben wir die äußeren Verhältnisse, über die wir nichts wissen können, ehe wir sie nicht empfunden haben. Wir können sie als Material der Erkenntnis bezeichnen. Andererseits haben wir die inneren Verhältnisse im Menschen selber – zum Beispiel, daß wir alles als Ereignisse in Zeit und Raum und außerdem als Prozesse betrachten, die einem unwandelbaren Kausalgesetz folgen. Das können wir als Form der Erkenntnis bezeichnen.
… Kant wies auch darauf hin, daß es klare Grenzen dafür gibt, was Menschen überhaupt erkennen können.
… Kant meinte, der Mensch könne über diese Fragen [ob der Mensch eine unsterbliche Seele hat; ob es einen Gott gibt usw.] niemals sicheres Wissen erlangen.
… Kant meinte, gerade in … großen philosophischen Fragen operiere die Vernunft außerhalb der Grenzen dessen, was wir Menschen erkennen können. … wenn wir zum Beispiel fragen, ob der Weltraum endlich oder unendlich ist, dann stellen wir eine Frage nach einem Ganzen, von dem wir selber ein (winzig kleiner) Teil sind. Und dieses Ganze können wir niemals voll erkennen.
… Ja, das Material für unsere Erkenntnis nehmen wir durch die Sinne auf, … Aber wenn wir uns fragen, woher die Welt stammt … dann kann sie [die Vernunft] nämlich kein Sinnesmaterial ‚bearbeiten’; sie hat keine Erfahrungen, an denen sie sich reiben kann.
…
Bei den großen Frage, die die Wirklichkeit im ganzen angehen, werden immer zwei genau entgegengesetzte Standpunkte gleich wahrscheinlich und gleich unwahrscheinlich sein. …
Es ist genauso sinnvoll zu sagen, die Welt muß einen Anfang in der Zeit haben, wie zu sagen, daß sie keinen Anfang hat. Die Vernunft kann zwischen den beiden Möglichkeiten nicht entscheiden, weil sie sie beide nicht ‚fassen’ kann.
… Und schließlich können wir mit unserer Vernunft auch nicht die Existenz Gottes beweisen. … Weder Vernunft noch Erfahrung haben eine sichere Grundlage für die Behauptung, daß es einen Gott gibt. … dort nämlich, wo unsere Erfahrung und unsere Vernunft nicht hinreichen. Genau diesen Raum kann der religiöse Glaube ausfüllen.
… Kant hielt die Voraussetzung, daß der Mensch eine unsterbliche Seele hat, daß es einen Gott gibt und daß der Mensch einen freien Willen hat, für eine mehr oder weniger unerlässliche Voraussetzung der Moral des Menschen.
… Er selbst bezeichnete den Glauben an eine unsterbliche Seele, ja, sogar an einen Gott und an den freien Willen des Menschen, als praktische Postulate. … Es ist moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen, sagte er.
…
Wir können nicht erwarten, zu verstehen, was wir sind. Vielleicht können wir eine Blume … verstehen, aber niemals uns selber. Noch weniger können wir erwarten, das ganze Universum zu verstehen.
… Kant hatte von Anfang an ganz stark den Eindruck, daß der Unterschied zwischen Recht und Unrecht mehr als nur eine Gefühlssache sein mußte. … Alle Menschen wissen, was Recht ist und was nicht, und wir wissen das nicht nur, weil wir es gelernt haben, sondern auch, weil es unserer Vernunft innewohnt. Kant glaubte, alle Menschen hätten eine praktische Vernunft, die uns jederzeit sagt, was im moralischen Bereich Recht ist und was Unrecht.
… Alle Menschen fassen die Ereignisse in der Welt als ursächlich bestimmt auf – und alle haben auch Zugang zum selben universellen Moralgesetz. Dieses Moralgesetz hat dieselbe absolute Gültigkeit wie die physikalischen Naturgesetze.
… Kant formuliert sein Moralgesetz als kategorischen Imperativ. Darunter versteht er, daß das Moralgesetz ‚kategorisch’ ist, das heißt, in allen Situationen gilt. Außerdem ist es ein ‚Imperativ’ und damit ein ‚Befehl’ und absolut unumgänglich.
Allerdings formuliert Kant seinen kategorischen Imperativ auf verschiedene Weise. Erstens sagt er, wir sollten immer so handeln, daß wir uns gleichzeitig wünschen können, die Regel, nach der wir handeln, würde allgemeines Gesetz. Wörtlich heißt es bei ihm: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“
Kant hat den kategorischen imperativ auch so formuliert, daß wir andere Menschen immer als Zweck an sich selbst und nicht bloß als Mittel zu etwas anderem behandeln sollen.
Wir dürfen andere Menschen also nicht ‚benutzen’, nur um selber Vorteile zu erlangen. … Wir dürfen uns selber auch nicht als Mittel benutzen, um etwas zu erreichen.
… Kant hielt das Moralgesetz für ebenso absolut und allgemeingültig wie zum Beispiel das Kausalgesetz. Auch das läßt sich mit der Vernunft nicht beweisen und ist doch unumgänglich.
… Ja, wenn Kant das Moralgesetz beschreibt, beschreibt er das menschliche Gewissen.
… Nur wenn du etwas tust, weil du es für deine Pflicht hältst, dem Moralgesetz zu folgen, kannst du von einer moralischen Handlung sprechen. Kants Ethik wird deshalb oft als Pflichtethik bezeichnet.
… Nicht die Konsequenzen einer Handlung sind entscheidend. Deshalb nennen wir Kants Ethik auch Gesinnungsethik.
… nur, wenn wir selber wissen, daß wir aus Achtung vor dem Moralgesetz handeln, handeln wir in Freiheit.
… Kant teilt die Menschheit in zwei Teile, … als empfindendes Wesen sind wir voll und ganz den unwandelbaren Kausalgesetzen ausgeliefert, meint Kant. Wir entscheiden ja nicht, was wir empfinden; die Empfindungen stellen sich notgedrungen ein und prägen uns …
Als Sinnenwesen gehören wir ganz und gar der Ordnung der Natur an. …Aber als Vernunftwesen haben wir darüber hinaus Anteil an der Welt ‚an sich’ – also an der Welt, wie sie unabhängig von unseren Empfindungen ist. Nur wenn wir unserer ‚praktischen Vernunft’ folgen … haben wir einen freien Willen.
aus: Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie – S. 381-396 – Carl Hanser Verlag 1995
Kant hat sich vier Fragen gestellt und diese zu beantworten versucht, Fragen, die uns bis auf den heutigen Tag beschäftigen:
1. Was kann ich wissen? – In seiner Erkenntnistheorie
2. Was soll ich tun? – In seiner Ethik
3. Was darf ich hoffen? – In seiner Religionsphilosophie
4. Was ist der Mensch? – In seiner Anthropologie
Hier alle Beiträge zu Sofies Welt im Überblick:
Sofies Welt: Sokrates
Sofies Welt: Platon
Sofies Welt: Aristoteles
Sofies Welt: Descartes
Sofies Welt: Spinoza
Sofies Welt: Sartre