Meine Generation (in den 50-er Jahren geboren) ist eine Zwischengeneration, die förmlich zwischen den Stühlen existiert, zwischen 68-er und No-Future, auch Single-Generation bzw. deutsche ‚Generation X‘ genannt, oder wie es die Süddeutsche Zeitung beschreibt:
„Es sind diejenigen, die – voller Pläne und Bildung – es einmal besser haben sollten, aber am Ende feststellen müssen, dass die Gesellschaft gerade für Pläne und Bildung am wenigsten Verwendung zu haben scheint. [Eine] … Generation, die sich von der vorangehenden die Ideale vorkauen ließ und von der nachfolgenden an Illusionslosigkeit und Durchsetzungskraft weit übertroffen wird.“
Ich habe jetzt ein gemeinsames Buch von Georg Heinzen und Uwe Koch, beides Angehörige meiner Generation, erneut gelesen: ‚Von der Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden‚. Das Buch ist 1985 veröffentlicht und wohl bis 1990 auch als Taschenbuch öfter neu aufgelegt worden, heute aber nur noch über Antiquariate erhältlicht. Es handelt von einem Typen, der 1955 geboren wurde.
Mein Lebenslauf unterscheidet sich zwar ziemlich stark von dem des Romanheldens, aber in vielem kann ich mich doch wiederfinden. Beim Lesen kamen bei mir vor allem Erinnerungen hoch, die ich so fast verdrängt hatte.
„Ich muß ohnmächtig und kopflastig zusehen, wie sich die billigsten Ideen durchsetzen und die Verantwortungslosesten die Verantwortung tragen. … Ich belaste das soziale Netz mit meinen Forderungen, für die ich kaum Leistungen erbringe.“
(S. 9 der Taschenbuchausgabe rororo 1989)
„Immer seltener wurde dabei gefordert, etwas Neues zu erreichen, immer häufiger ging es darum, etwas Neues abzuwehren. Aus der Hochschulreform, die die Studenten einmal gefordert hatten, war eine Hochsschulreform geworden, mit der die Regierung drohte.“
(S. 49)
„Als abschließendes Reformationsgeschenk beschloß der Statt meine vorgezogene Volljährigkeit. An einem ersten Januar gab er sie mir und Millionen anderen mit auf den Weg. … Nicht einmal in das juristische Erwachsenensein bin ich hineingewachsen, es wurde mir dekretiert, …“
(S. 51)
Mit dem 1. Januar 1975 wurde die Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre gesenkt. Ich selbst wurde, wie viele andere meiner Generation, also ‚mitten im Leben‘ volljährig (gut einem Monat vor Vollendung meines 21. Lebensjahres).
Die 70-er Jahre waren unsere Jahre; u.a. endete da der Vietnam-Krieg. Und zum ersten Mal in der Nachkriegszeit sprach man wieder von Wirtschaftskrise.
„.. als die letzten amerikanischen Kämpfer in überfüllten Helikoptern aus Saison flohen (1975), habe ich nicht daran gedacht, daß diese Ereignisse auf der anderen Seite der Welt auch mein Leben verändern würden.“
(S. 54)
„Unsere Kenntnisse seien verflacht, weil zu viele sie erworben hätten. Die Demokratisierung von Lebensmöglichkeiten sei eben zugleich ihre Entwertung. Das hätten wir nun von unserer Chancengleichheit.“
(S. 78)
Und es war die Zeit der RAF (Rote Armee Fraktion), damals Baader-Meinhof-Bande genannt, die Zeit, die später die bleiernde genannt wurde.
„Die ganzen sozialspießigen Motive gingen uns langsam auf die Nerven. … Alle, die einmal mitgemacht hatten, etwas zu verändern, das System oder ihre Beziehung, gerieten jetzt in das Taster der Fahndung.“
(S. 79)
„Die Nutzlosigkeit aller Ideen war zur vorherrschenden Idee geworden.“
(S. 80)
„Da wurde Freiheit für den Watzmann und die Verschonung der Gummibärchen gefordert.“
(S. 81)
Nach der Wirtschaftskrise gab es eine Zeit, die sie Wiederbelebung nannten.
„Die Krise war nur vertagt, der Krieg nur verschoben, die Verarmung hatte sich verlangsamt. Wenn das die besseren Zeiten waren, wie würden dann erst die schlechten sein, die noch kommen sollten?“
(S. 85)
„Den Konsumverzicht wollte ich durch Intellektualität ausgleichen, meine Schlichtheit durch Geschmack, meine Machtlosigkeit durch Geist.“
(S. 86)
„… irgendwie war es geil, nicht mehr ganz so kritisch zu sein.“
(S. 91)
In den 70-er Jahren hatte die Antiatombewegung (Stichwort: Brokdorf) ihren Höhepunkt. Außerdem formierte sich der Protest gegen die Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland.
„Und während ich mich fragte, wo dieses System überhaupt noch zu greifen sei, kamen auf VW-Bussen thronend die Entschlossenen an mir vorbeigefahren, die neue Generation des Widerstands, stolze Häuptling, vermummt und martialisch.“
(S. 97)
„Das machten mir die Beweglichen vor, die fröhlich jede Welle mitmachten … und mir höhnisch vorführten, wie unwichtig meine Bildung war. Was sie verkauften, war ganz beliebig, nur neu mußte es sein und erfolgreich. … sie hatten begriffen, daß nicht mehr die Arbeit in hohem Ansehen steht, sondern das Geld.“
(s. 136)
„Ich war wohl für diese Welt längst verloren. War zu anspruchsvoll, um auf das Träumen zu verzichten … War zu bedenkenlos genug, ein paar Sklaven für mich schuften zu lassen, und zu nachdenklich, um selbst groß herauszukommen.“
(S. 148)
Ich selbst habe die Kurve bekommen, wie man das wohl nennt, wenn man einen halbwegs erträglich-einträglichen Job hat, verheiratet und Vater von zwei Kindern ist, die mir langsam über den Kopf wachsen (und irgendwie auch einer Zwischengeneration angehören: teilweise noch No-future, dann aber schon zur digitalen Spaßgeneration gehören).