Am Wegesrand ein Blümlein wächst, dessen Duft mir in die Nase steigt. Ein sanftes Kribbeln. Paß auf, daß Du das zarte Pflänzlein nicht unter Deinen tapsigen Stiefeln begräbst. Mir könnte etwas fehlen («Tritt nicht aufs Fettkraut!»). Befreie Dich von den klobigen Tretern und wage es wie ich, barfüßig durch das Gras zu gehn. Spürest auch Du einen Hauch vom Morgentau? Von Frische, die die Zehen benetzt? Mach Deinen Kopf frei! Und fühle! Atme ein und atme aus.
Besinne Dich, Du Ochs! Gedankenlos kippst Du allen Dreck in die Natur aus. Überall stolpere ich über Müll, den Du wie die Schleimspur einer Schnecke gleich hinter Dir herziehst, und falle mit der Nase in schimmligen Quark («In jeden Quark begräbt er seine Nase.»). Ich mag wohl gern meinen Riecher in andrer Leute Sachen stecken, aber nicht in solch fauligem Schlamm.
«Hopfen und Malz, Du stinkst aus dem Hals!» Fettbäuchig begräbst du das Blümlein unter deinem auseinanderquellenden Arsch. Um dich herum stapeln sich Bierdosen und Schnapsflaschen. Aus deinem Maul quillt nicht nur der abgestandenen Pesthauch und Sabber, sondern mit den aufgequollenen Lippen formst du unförmige Wörter, die wie Kotzbrocken aus der Fresse fallen.
Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ich kann mich hüten davor, es zu tun. Staub soll er fressen, und mit Lust, wohl bekomm ’s! Es würde dir besser bekommen als der Fraß aus Tüten, die entleert die Straßen säumen.
Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehn! Also packt deinen Kram, und dann pack‘ dich! Aber bald, denn was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan, und es wird dann nimmer mehr geschehn. Halbseidener Schlaumeier, erhebe dich … Oder bleib‘ ganz einfach sitzen, denn dann wirst du samt deines Unrats als menschlicher Sperrmüll zusammengekehrt und abtransportiert. Welch Schauspiel! Aber ach! ein Schauspiel nur! der Meister sprach ’s, aber ach, ein Müllwerker klaubt dich aus dem Dreck, hilft dir sogar auf die Beine und fegt überstehenden Abfall von deinen Kleidern. Oh, Gott, der Schrott steht auf beiden Füßen. Ja, kehre nur der holden Erdensonne entschlossen deinen Rücken zu! Schuld- und schuttbeladen wankt er davon. Die Träne quillt, die Erde hat ihn wieder! Aber irgendeiner Schuld ist er sich nicht bewußt. Vergeblich ist mein Reden. Da steht er nun, der arme Tor! Und ist so klug als wie zuvor; und wankt davon und wankt. Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang, des Toren taube Ohren zu predigen. Und er wankt. Das also war des Pudels Kern! Müllemanns fetter Hintern! Er wankt und wankt.
Auch für mich ist es Zeit, mich aus dem Staube zu machen, mich aus seinem Dunstkreis zu entfernen.Des Denkens Faden ist zerrissen, mir ekelt lange vor allem Wissen.Was Müllemann, der wankt, nicht weiß, wenn er auch denkt, zu wissen. Er nennt ’s Vernunft und braucht ’s allein, nur tierischer als jedes Tier zu sein. Aber bekanntlich: Es irrt der Mensch, solang er strebt.
Aber ja, aus den Augen, aus dem Sinn! So hoff‘ ich, meinen Seelenfrieden wieder zu finden. Und suche nach Entschuldigung und find‘ sorgenvolle Kindheit. Und suche nach Erklärung und finde schädigendes Milieu. Schon der Großvater hat …, und der Vater war … Und Müllemann wankt. Mir reißt der Faden. Ach! unsre Taten selbst, so gut als unsre Leiden, sie hemmen unsres Lebens Gang. Und Müllemann, ach Müllemann, du wankst.
Die Spiegelflut erglänzt zu meinen Füßen, zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag. So suche ich das Weite in der Ferne. Und ich gehe dahin, ein letzter Blick über die linke Schulter erspäht Müllemann, wie er wankt. Und ich laufe. Und ich hoffe, daß ein Blümlein am Wegesrand sich erholt und aufersteht und blüht und zu meiner Freude duftet und …
Freud muß Leid, Leid muß Freude haben. Und ich laufe, um einem Platz zu finden, an dem ich sagen kann: Hier bin ich Mensch, hier darf ich ’s sein! Während Müllemann wankt, nach Hause wankt, wankt, wankt …
[Frei nach Goethes ‚Faust‘] [Mehr]