Die Zunahme rechtsgerichtete Ansichten bei den Jugendlichen in Deutschland ist leider eine nicht zu leugnende Tatsache. Fremdenfeindlichkeit breitet ich immer mehr aus bei den 14- bis 18-Jährigen. Das Problem ist also nicht auf einen kleinen Ort wie Tostedt begrenzt. Hier wird aber das Thema durch die Präsenz eines Neonazi-Szeneladens verschärft. Dessen Inhaber ist eine berüchtigte Größe in rechten Kreisen. Außerdem stand Tostedt bereits in früheren Jahren, besonders in den 90er Jahren (u.a. sind selbst auf der Website der BBC heute noch Informationen aufrufbar), immer wieder durch rechtsextreme Aufmärsche usw. im Brennpunkt der Öffentlichkeit. Tostedts Ruf ist bis heute in diesem Punkt nicht der beste.
Daher sollte die Politik besonders sensibel reagieren, wenn Jugendliche sich in einem Offenen Brief an diese wendet, um auf den erstarkenden Rechtsextremismus in Tostedt hinzuweisen, den die Jugendlichen vor Ort an den Schulen beobachtet haben.
So trafen sich am Montagmorgen gegen 11 Uhr in einem öffentlichen Gespräch die Vertreter der Jugend-Initiative mit dem Bürgermeister der Samtgemeinde Tostedt, Dirk Bostelmann. Das Ergebnis dieses Gesprächs war für die Jugendlichen ernüchternd.
Herr Bostelmann sieht zunächst das Ansehen Tostedts gefährdet und verweist dabei auf die Tatsache, dass viele Rechte aus ganz Norddeutschland nach Tostedt kämen, aber auch die Linken anreisten, um Krawall zu machen; u.a. warnte er die Jugendlichen davor, das Recht in die eigene Hand zu nehmen.
In seinem offensichtlichen Bemühen das Problem herunterzuspielen, bekam der Samtgemeindebürgermeister Unterstützung vom Polizeichef des Landkreises Harburg, Uwe Lehne, indem dieser erklärte, Tostedt hätte im Moment kein wirkliches Problem mit den Rechten, die Situation sei nicht besorgniserregend.
Spätestens am Montagabend mussten sich Bürgermeister und Polizeichef eines Besseren belehren lassen:
Zehn vermummte Personen warfen am Montag gegen 21 Uhr 45 Steine auf Fensterscheiben eines Hauses in Wistedt, in dem einer der Initiatoren des Offenen Briefes wohnt und skandierten rechte Parolen. Es wurde dabei wenigstens niemand verletzt.
Timo V., der Betroffene, sieht in dieser Attacke eine Chance: „Jetzt kann die Problematik nicht mehr heruntergeredet werden.“ Und: „Jetzt haben wir etwas gegen die Rechten in der Hand.“ Der Schüler erstattete Anzeige.
Siehe hierzu die Beiträge im Hamburger Abendblatt und in der HAN
Gestern am Abend gab es nun aufgrund der Attacke eine spontane Demonstration von Anhängern der linken Szene (Antifa) in Tostedt, die friedlich verlief und nach gut einer Stunde beendet war.
Eigentlich sollten unsere Politiker froh sein, junge engagierte Mitbürger zu haben. Zu viel Engagement scheint mir dann aber bei einigen nicht so sehr willkommen zu sein. Wenn Herr Bostelmann die Jugendlichen davor warnt, das Recht in die eigene Hand zu nehmen, so klingt das für mich so, als wolle er die Jugendlichen in die linke Ecke drängen (in Anspielung auf die Antifa, die „das Heft in die eigene Hand’ nimmt). Aber genau das wollen die Jugendlichen nicht, darum suchen sie das Gespräch mit Vertretern der öffentlichen Hand. Diese zeigt sich aber auf dem rechten Auge stark kurzsichtig.
Sicherlich gibt es in der letzten Zeit zunächst kein offensichtliches Problem mit den Rechten in Tostedt, keine Aufmärsche und keine bekannt gewordenen Gewalttaten (von der Attacke jetzt einmal abgesehen). Die Wählerstimmen für rechtsextremistische Parteien sind nicht höher als in anderen Gemeinden und Städte, eher niedriger. Die Rekrutierung junger Menschen geschieht im Verborgenen, der Zulauf von Mitläufern nimmt von der Öffentlichkeit unbeobachtet stetig zu. Ausgangspunkt ist dabei der Neonazi-Laden in Tostedt.
Dagegen ist etwas zu tun. Wenn der Polizeichef warnt, nicht einseitig zu polarisieren, die Rechten nicht auszugrenzen und ihnen gegenüber gesprächsbereit zu bleiben, dann kann das nur für die Mitläufer gelten. Der harte Kern wird unbelehrbar bleiben. Oder möchte Herr Lehne, der Polizeichef, es einmal mit Herrn Silar versuchen? Es wäre hoffnungslos.
In Tostedt hat sich Widerstand gegen rechts etabliert, der sich zu den demokratischen Grundlagen bekennt: Das Forum für Zivilcourage mit ihrer Tostedter Erklärung. Die drei Initiatoren des Offenen Briefes, die sich u.a. auch ehrenamtlich in der Kirchenjugend betätigen, arbeiten dort mit.
Erste kleinere Maßnahmen sind bereits geplant. Was fehlt ist die Unterstützung der Politik. Herr Bostelmann, wachen Sie auf! In der nächsten Sitzung des Samtgemeinderates wird das Nazi-Problem auf der Tagesordnung stehen – dank der Grünen, die einen entsprechenden Antrag eingebracht haben.
Siehe auch den Beitrag von Radio Bremen: Jugendprotest gegen Nazis in Tostedt
Nachtrag: Unter HAN online erschien vor kurzem folgender Beitrag: Tostedt: Empörung über Eskalation