Fortsetzung von: Der Witzableiter (2): Der Unsinn wird befreit
Nachdem uns Eike Christian Hirsch in seiner 1984 im ZEITmagazin erschienenen Kolumne bereits über die Technik des Blödelns aufgeklärt hatte, widmete er sich im folgenden Beitrag dem Kalauer. Es gibt wohl kaum eine Art von Witz, die uns dermaßen nerven kann – wie eben der Kalauer.
„Meinst du es auch ernst mit der Schlankheitskur?“ fragt der Ehemann. „Und ob, ich lese in der Zeitung nicht einmal mehr das Fettgedruckte!“ So etwas tut weh. Offenbar ein Kalauer, ein Wortwitz also, auf den man mit „Aua!“ reagiert. Der Kalauer („Kal-aua!“) steht in schlechtem Ruf; Kuno Fischer, ein Heidelberger Philosoph, der vor hundert Jahren über den „Witz“ geschrieben hat, meinte, der Kalauer dürfe „nicht Anspruch mache, für etwas Besonderes zu gelten“. Er ist sozusagen der Proletarier unter den Witzen. Aber das macht ihn gerade stark!
„Warum hat Müller seinen Sohn Hamlet genannt!“ „Ja, sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.“ Nicht mal schlecht, finde ich, und doch kränkt das Niveau unseren intellektuellen Hochmut. Man hat es daher nötig, das Gesicht schmerzhaft zu verziehen und sich zu distanzieren. Als die deutsche Reichshauptstadt 1943 unter Luftangriffen litt, erhielt ihr Gauleiter Goebbels den Ehrentitel „Berlins Schuttpatron“.
Das ist beißend aggressiv in der Tendenz. Weil ich bisher immer nur von der „Technik“ eines Witzes gesprochen habe, ergibt sich hier die Gelegenheit, auch auf die „Tendenz“ zu sprechen zu kommen. Sie ist wesentlich für die Wirkung eines Witzes verantwortlich, weil allein die Tendenz an unsere Gefühle und Tabus appelliert und ein Lachen hervorrufen kann.
„Warum haben Sie ihrem Nachbarn auf einer Postkarte geschrieben, er sei ein Betrüger?“ fragt der Richter. Der Angeschuldigte rechtfertigt sich: „Andere schreiben ja auch Ansichtskarten.“
Man kann von jedem Wortwitz sagen, daß in ihm zwei Gedanken überraschend zusammenstoßen. Henri Bergson, ein französischer Philosoph, hat in seinem sehr populären Buch über „Das Lachen“ (1900 zum erstenmal erschienen) gemeint, beim Witz komme es zu einer „Interferenz zweier Gedankensysteme in einem Satz“. Arthur Koestler sprach von einem Zusammenprall zweier „mit einander unvereinbarer Spielregeln“. Diesen Zusammenprall taufte er „Bisoziation“, aber man kann den Vorgang nennen, wie man will.
„Lieber Herr Doktor, ich war zwölf Jahre lang taub. Aber seit ich Ihre wunderbare Ohrensalbe benutze, höre ich wieder von meinem Bruder in Amerika.“ Warum wirkt das komisch? Es ist immer dieselbe Technik: Der gleiche Klang eines Wortes soll uns dazu verführen, auch einen gleichen Sinn dahinter zu sehen. Freud meinte, das sei die kindliche Form des Denkens, und es sei für uns sehr entspannend, einmal die schwere Last des ernsthaften Denkens abzuwerfen. Darin sah Freud „eine große Erleichterung der psychischen Arbeit“, die wir ständig leisten müssen. Damit begegnen wir wieder der grundlegenden Annahme Freuds, daß alle Lust am Witz aus einer „Einsparung an psychischem Aufwand“ stamme. Wie Sie wissen, kann ich Freud das nicht so ganz glauben. Es muß noch etwas anderes sein.
„Wo hast du denn deine Armbanduhr gelassen?“ „Ach, die geht immer vor, die ist sicherlich schon zu Hause.“ Das Vergnügen an dieser Art Blödsinn stammt offenbar daher, daß wir uns „für einen Moment auf die kindliche Stufe zurückversetzt“ sehen, sagt Freud. Und darin kann ich ihm gern zustimmen. Genau wie das Blödeln ist der Kalauer (und vielleicht alle Komik?) eine Regression – ein Rückschritt in kindliches Verhalten.
Nach dem Ende der Naziherrschaft sagte man, das Gegenteil von Arisierung sei Wiederjudmachung. Es läßt sich wohl spüren, daß in solchen Scherzen etwas Kindliches zum Vorschein kommt, es ist ein Schritt zurück hinter die Sprachlogik. Bei solchen Wortspielen, so meinte Jürgen Habermas [feierte übrigens letzte Woche seinen 80. Geburtstag], handele es sich sogar um einen Rückfall in die Vorzeit vor der Erfindung der definierenden Sprache; es liege eine „Verwechslung von Identität und Ähnlichkeit“ zweier Wörter vor. Der konservative Politologe Hans Speier hat den doppelsinnigen Kalauer in die Nähe von Orakelsprüchen und „enthusiastischem Wahnsinn“ gebracht und gefragt: Sollte unser „abweisendes Stöhnen“ als Antwort auf den Kalauer am Ende „vielleicht dazu dienen, unbewusste Angst vor Tollheit (kindischem Verhalten) abzuwehren“? Der Kalauer, so scheint es, führt uns jedenfalls in Ur-Zustände zurück.
Sigmund Freud, der sich sonst recht abfällig über Witzbolde geäußert hat, fand am kalauernden Zeitgenossen offenbar Gefallen. In seinem Buch über den Witz berichtet er von einem seiner Freunde, der die Gabe besaß, wenn er in aufgeräumter Stimmung war, durch längere Zeit jede an ihn gerichtete Rede mit einem Kalauer zu beantworten. „Als die Gesellschaft, die er einst so in Atem hielt, der Verwunderung über seine Ausdauer Ausdruck gab, sagte er: ‚Ja, ich liege hier auf der Ka-lauer’, und als man ihn bat, endlich aufzuhören, stellte er die Bedingung, daß man ihn zum Poeta Ka-laureatus ernenne.“
Womit soll ich schließen? Ich traue mich, das Niveau noch weiter zu unterbieten, indem ich einen der bekanntesten Kalauer aller Zeiten hier noch einmal aufwärme. „Was siehst du in der Kristallkugel?“ fragt der Scheich seinen Wahrsager. „Eine große Dürre kommt auf uns zu …“ Der Scheich überlegt und meint dann:“ Eine kleine Dicke wäre mir eigentlich lieber.“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 30/1984
[Fortsetzung folgt]