Fortsetzung von: Der Witzableiter (4): Reime, die sich schütteln
In Eike Christian Hirschs Kolumne, 1984 im ZEITmagazin erschienen, geht es diesmal um Wortspiele, so genannte Bonmots. Und um grundlegende Erkenntnisse den Witz betreffend. Etwas Theorie muss eben auch sein.
„Wie geht’s denn in Charleys neuer Ehe?“ „Na, wie soll’s schon gehen. Sie wirft ihm das Trinken vor – und er ihr das Essen nach.“ Zu den ersten Witzen, die in Umlauf kamen, gehörten geistvolle Wortspiele. Im vorigen Jahrhundert haben sich daher die Theoretiker des Witzes hauptsächlich mit solchen Bonmots beschäftigt. Als einen „geradezu diabolisch guten Witz“ zitiert Sigmund Freud diese Vermutung über den erstaunlichen Wohlstand eines Ehepaares: „Nach der Ansicht der einen soll der Mann viel verdient und sich dabei etwas zurückgelegt haben, nach anderen wieder soll sich die Frau etwas zurückgelegt und dabei viel verdient haben.“
Aber wenn wir hier nur die Technik des Witzes betrachten, gibt es schon genug zu staunen, so reibungslos läuft alles und ist doch in dem Wort „zurückgelegt“ nur angedeutet. Nebenbei hat dieser Witz auch noch eine herrlich böse Tendenz, die jetzt nicht unser Thema ist. Dies Bonmot wurde durch einen Wiener Journalisten verbreitet und war zu Freuds Zeiten sehr bekannt. Daß Freud gerade dieses Bonmot am meisten schätzte, ist uns nun wiederum Anlaß, Freud mit der Frage zu necken, ob er nicht wirklich in finanzieller Not war. (Und gewinnt nicht Freuds These, Lust stamme aus Ersparung, einen ganz neuen Sinn, wenn wir hier hören, daß Erspartes aus Lust stammen kann?)
Der junge Lyriker fragt den Verleger: „Sie meinen, ich sollte mehr Feuer in meine Gedichte legen?“ „Umgekehrt“, antwortet der Verleger, „mehr Gedichte ins Feuer.“ Es wirkt immer besonders elegant, wenn dasselbe Wortmaterial zweimal verwendet wird, weil dabei mit der schwierigen Materie Sprache anscheinend so mühelos gespielt wird. Es gibt zwei große Enttäuschungen im Leben eines Mannes. Das erste Mal, wenn es das zweitemal nicht mehr klappt, und das zweite Mal, wenn es das erstemal nicht mehr klappt.
Man nennt das zu Recht ein Wortspiel, wobei ich das Wort „Spiel“ betonen möchte. Wahrscheinlich ist unsere Lust am Witz überhaupt die gleiche wie die am Spiel. Beim Wortspiel mag sich darüber hinaus noch ein besonderer Reiz einstellen. Freud bemerkt, daß dabei „jedes Mal etwas Bekanntes wiedergefunden wird“, und daß dieses Wiederfinden „lustvoll“ sei. Ich glaube, noch etwas Drittes kommt hinzu. Die Eleganz der Technik macht uns Freude, weil wir uns plötzlich so fühlen, als hätten wir die widerspenstige Materie Sprache selbst spielend besiegt. Zum Beispiel so: Unter uns wohnt ein kinderloses Ehepaar, über uns ein eheloses Kinderpaar. Na, bitte.
So fortgeschritten die Technik bei diesen Witzen auch ist, die Lust beim Witz stammt weniger aus der Technik (also aus dem Schliff der Worte und aus der Mechanik der Pointe) als aus der Tendenz. Das habe ich schon einmal erwähnt. Hier noch mal ausführlicher: Die Technik ist bestenfalls das Hämmerchen, das den Zündfunken auslöst. Was dann explodiert, ist von anderer Art; das ist unser angestautes Gefühl, das sich, durch den Witz befreit, endlich entladen kann. Nehmen wir wieder ein Beispiel: Besser ein Haar in der Suppe als Suppe im Haar. Die Technik kann uns zwar erfreuen, was aber wirklich komisch ist, ist allein die peinliche Vorstellung von Suppe im Haar; komisch ist auch der scheinbar so nüchtern gezogene Vergleich selbst. Diesen Unterschied von Technik und Tendenz, der uns heute so unentbehrlich scheint, hat übrigens erst Sigmund Freud entdeckt und beschrieben.
Ein passionierter Jäger kauft beim Hundezwinger von Herrn Schindler einen Schweißhund, der seinen hohen Preis wert sein soll. Empört schreibt der Jäger nach zwei Wochen einen Brief: „Sehr geehrter Herr Schindler, das W. das in Ihrem Namen fehlt, hat Ihr Schweißhund zuviel!“
Wir nehmen uns an dieser Stelle ein wenig Zeit zur Theorie. Worin besteht überhaupt die Technik eines Witzes? In jedem Witz stoßen zwei unabhängige Gedanken plötzlich aufeinander. Bergson nannte das, wie wir gehört haben, „Interferenz“. Koestler sprach von „Bisoziation“. Diese Beobachtung aber hat, soviel ich weiß, als erster Immanuel Kant gemacht und in seiner Vorlesung über Anthropologie 1798 veröffentlicht: „Der Witz paart (assimiliert) heterogene Vorstellungen, die oft nach dem Gesetz der Einbildungskraft (der Assoziation) weit auseinanderliegen.“ Das ist schon eine sehr vollkommene Definition.
Populär geworden ist diese Gedanke durch den Dichter und Witztheoretiker Jean Paul (den wir in dieser Eigenschaft auch schon kennengelernt haben), der 1804 vom Witz sagte, er sei „der verkleidete Priester, der jedes Paar kopuliert“. Wenn wir diese Erkenntnis nun auf Herrn Schindlers Schweißhund anwenden, merken wir, daß der Witz den Familiennamen des Verkäufers und den Gattungsnamen des Hundes (die beide „heterogen“ sind) überraschend paart.
„Alle Achtung, Sie fahren Mercedes?“ „Nun, das bin ich meinem Beruf schuldig.“ „Und woher haben Sie so viel Geld?“ „Nun, das bin ich meiner Bank schuldig.“ Die Brautleute gleichen sich völlig. Der verkleidete Priester aber hat in Wirklichkeit das Paar „schuldig sein“ und „Schulden haben“ getraut – das zu paaren sich unser Verstand nicht getraut hätte.
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 32/1984
[Fortsetzung folgt]