Ist die Darstellung von Gewalt faszinierend? Das Massakrieren von Menschen, also rohe Gewalt fand ich immer abstoßend und finde es heute noch mehr. Es gibt aber eine sehr subtile Gewalt, die selbst mich interessiert, mich neugierig macht, weil sie vielleicht körperlich nicht verletzt oder gar tötet, die aber einen Menschen seelisch zerstören kann. Und die Hintergründe, die Psychologie der Bestie Mensch – ein Interesse hierfür ist im Grunde existenziell.
Quentin Tarantino ist ein Regisseur, der für beide Spielarten der Gewalt Interesse zeigt. Und da er geradezu obsessiv Bilder roher Gewalt in Szene setzt, in denen das Blut nicht allein fließt, sondern durch die Gegend spritzt, habe ich bisher bewusst seine Filme gemieden. Okay, Pulp Fiction aus 1994 kenne ich, auch From Dusk Till Dawn, den Tarantino 1996 als Autor bediente. Aber bei Kill Bill – Volume 1 (2003) und Kill Bill – Volume 2 (2004) versagte mein Interesse. Sin City (2005), für den Tarantino als Gastregisseur in einer kurzen Sequenz tätig wurde (nachdem Regisseur Rodriguez die Filmmusik für Tarantinos Kill Bill Vol. 2 (für eine Gage von einem US-Dollar) geschrieben hat, hat Quentin Tarantino in einer Szene Regie geführt (ebenfalls für einen US-Dollar Gage)), diesen Film habe ich zwar noch vorliegen, aber lediglich nur kurz quergeguckt.
Was mir endgültig den Rest gegeben hat, ist die Tatsache, dass Tarantino als ausführender Produzent für die beiden ersten Hostel-Filme (Regie: Eli Roth) zeichnete, für mich kranke Machwerke, deren Folter- und so genannte Goreszenen einfach widerlich sind (in „Hostel 2“ habe ich einmal einen Blick hineingeworfen, das genügte mir auf immer und ewig).
Jetzt liegt Tarantinos letzter Film Inglourious Basterds als DVD vor. In diesem Film arbeitet Tarantino den Nationalsozialismus auf seine ganz eigene Weise auf. Ich habe es gewagt und mir den Film am letzten Wochenende angeschaut:
Kapitel eins: Der Judenjäger Col. Hans Landa (Christoph Waltz) stattet dem französischen Bauern Perrier LaPedite (Denis Menochet), von dem er vermutet, dass er in seinem Haus eine jüdische Familie versteckt, einen Besuch ab. Es gibt leckere Milch zu trinken. Kapitel zwei: Die Basterds, eine Spezialeinheit unter der Führung von Lt. Aldo Raine (Brad Pitt), die hinter den feindlichen Linien Jagd auf Naziskalps macht, hat einen deutschen Soldaten gefangenen genommen. Der Bärenjude genannte Vollstrecker der Truppe, Sgt. Donny Donowitz (Eli Roth, genau: Regisseur der „Hostel“-Filme), klappert schon mit seinem Baseballschläger. Kapitel drei: Der deutsche Kriegsheld und Kinostar Fredrick Zoller (Daniel Brühl) verguckt sich in die hübsche französische Kinobetreiberin Shosanna (Mélanie Laurent). Die ist jedoch Jüdin und wartet nur auf den richtigen Moment, um sich an den Besatzern zu rächen. Dieser scheint gekommen, als Propagandaminister Joseph Goebbels (Sylvester Groth) zustimmt, eine deutsche Filmpremiere ausgerechnet in ihrem Lichtspielhaus zu veranstalten. Kapitel vier: Der britische General Ed Fenech (Mike Myers) entsendet den ehemaligen Filmkritiker Lt. Archie Hicox (Michael Fassbender) nach Frankreich, wo er sich gemeinsam mit den deutschsprachigen Mitgliedern der Basterds, Sgt. Hugo Stiglitz (Til Schweiger) und Cpl. Wilhelm Wicki (Gedeon Burkhard), und der Unterstützung des deutschen Filmstars Bridget von Hammersmark (Diane Kruger), die inzwischen für die Briten arbeitet, in die geplante Premiere schleichen soll. Kapitel fünf: das furiose Finale…
Aus: filmstarts.de
Inglourious Basterds – Deutscher Trailer
Zunächst: Von den 160 Minuten, die der Film dauert, sind 140 den ausgefeilten, aber auch ausufernden Dialogen gewidmet – in den restlichen Minuten spritzt das Blut. Die Darstellung von brutaler, roher Gewalt hält sich also ‚in Grenzen’, macht den Film aber mit Sicherheit für viele ‚ungenießbar’.
Kurze Exkursion: Ich habe einmal ein reales Video über eine Exekution gesehen. Einem Mann wurde der Kopf vom Körper getrennt. Gegen dieses Video ist Tarantinos Gewaltdarstellung Puppentheater. Es stellt sich für mich einfach nicht die Frage, ob rohe Gewalt in einem Film dargestellt werden muss, weil sie auch im wirklichen Leben existiert. Ähnlich wie in Bond-Filmen, die jenseits von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit den Protagonisten erlauben, mit dem Gegner ‚kurzen Prozess’ zu machen, so stehen auch in Tarantinos Film die ‚guten Helden’ jenseits aller Gerichtsbarkeit. Nur ein toter Nazi ist ein guter Nazi, wobei alle Deutschen in Uniform vereinfacht Nazis zu sein haben. Aber selbst wenn dem so wäre, so ist diese Art von Blutschau eher abstoßend. Für mich werden durch solche Filme lediglich kranke Voyeure bedient. Aber das ist schon ein eigenes Thema.
Komme ich zum Film zurück: Es sind zwei Charaktere, die den Film prägen. Zum einen ist es Lt. Aldo Raine – Aldo, der Apache -, Anführer der Basterds. Brad Pitt spielt diese Figur mit viel Coolness. Aber es gibt jemanden, der Pitt ganz gewaltig die Schau stiehlt. Der Österreicher Christoph Waltz, der für seine Rolle als Judenjäger Hans Landa zu Recht mit dem Darstellerpreis in Cannes geehrt wurde und sich wohl auch für die Oscar-Verleihung 2010 einiges an Chancen ausrechnen darf, steht zwar in Sachen Marketing nicht an vorderster Front, fungiert aber als der eigentliche Motor des Films. Er bekommt von allen Darstellern die meiste Leinwandzeit und reißt jede Szene, in der er vorkommt, in Sekundenbruchteilen an sich. Zwar überhöht er seine Rolle bis zum Geht-nicht-mehr (Landas Art ist von einem derart schleimigen Zynismus geprägt, dass einem jedes Mal der Atem stockt, wenn er den Mund aufmacht), aber dennoch verkommt die Figur – im Gegensatz zum vom Theater- und „Tatort“-Star Martin Wuttke verkörperten Hitler – nie zur reinen Karikatur. Eher das Gegenteil ist der Fall: Landa ist ein Soziopath, wie er im Buche steht – er ist hochintelligent, kann Menschen lesen und hat die Lächerlichkeit der Nationalsozialisten längst durchschaut. Er selbst ist keinesfalls ein überzeugter Nazi, vielmehr ist er als eiskalter Analytiker nur Teil der SS, um bei der Judenjagd seine perfiden Mord- und vor allem Machtphantasien bis zum Exzess auszuleben.
Hier geht es um weitaus subtilere Gewalt, auch wenn sie am Ende in Mord und Todschlag endet (dafür hat Landa notfalls seine Chargen). Die Dialoge mit Landa/Waltz und den anderen lassen einem die Haare zu Berge stehen. Es hat geradezu etwas Teuflisches an sich, wie Landa/Waltz seine Antagonisten mit Worten in die Enge treibt. Hier ist Tarantino wirklich meisterlich.
„Inglourious Basterds“ ist auch eine Liebeserklärung an das Kino. In Shosannas Kino läuft gerade „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ mit Leni Riefenstahl, dessen Regisseur Georg Wilhelm Pabst auch später immer wieder Erwähnung findet. Und der Showdown findet im gleichen Kino statt, in dem die Nazigrößen von Hitler bis Goebbels den Tod finden. Kino als Instrument gegen Gewalt? Es müssen schon Filmspulen, die leicht entzündbar sind, herhalten, um das Feuer zu entfachen, in dem Hitler und Konsorten im Film ums Leben kommen. Ansonsten mag das Medium Film als Propaganda dienstbar sein, als Mittel gegen Diktatoren taugt es leider weiterhin nur wenig.
Was mich irritiert, sind die vielen Dialoge, in denen es um Spitz- oder Nicknamen, wie man heute sagt, geht. Landa ist der Judenjäger, Aldo ist der Apache, was sowohl etwas zu seiner Abstammung als auch zu seinen Praktiken (Skalpierung) aussagt. Und da gibt es den Bärenjuden, eben jenen Basterd, der seine Opfer bis zur Unkenntlichkeit mit dem Baseballschläger traktiert. Hier verkürzt Tarantino die jeweilige Rolle auf eine Kurzbezeichnung. Solches hat sich eben auch bei uns eingebürgert. Gibt man so dem Grauen einen einprägsamen Namen?
Am Ende des Films sind es nur noch Landa und Aldo Raine, die die Tarintino’schen Massaker überleben. Landa hat einen Deal ausgehandelt. Er ist maßgeblich an dem Tod von Hitler und Co. beteiligt. Dafür bekommt er nicht nur Straffreiheit, sondern wird auch materiell ausreichend entlohnt. Auch ein dicker Orden muss es sein. Das Böse, das dem Guten dient. Eine schreckliche Vorstellung. Aber wir kennen es aus der amerikanischen Politik zur Genüge, in der Diktatoren oft genug hofiert wurden. Aldo, der Apache, mag sich im Namen aller Zuschauer damit nicht abfinden und ritzt seinem Gegner ein Kainszeichen, nämlich ein Hakenkreuz, in die Stirn. Damit will Tarantino gleichzeitig die Zuschauer zu Befürwortern seiner blutigen Phantasie machen, was ihm in den meisten Fällen sogar gelingen sollte.
Tarantinos Film lässt mich ziemlich ratlos zurück. Hätte er die Gewaltszenen auf ein notwendiges Übliches reduziert, so wäre ich begeistert von dem Film. Christoph Waltz als Landa hat den Oscar mit Sicherheit verdient. Aber die rohen Gewaltszenen irritieren mich. Vielleicht soll das so sein. Vielleicht will Tarantino aufzeigen, wohin selbst die subtilste Gewalt führt: in ein Blutbad ohne Ende! Ich sehe allein zumindest die Gefahr, dass ein solcher Film missverstanden und die rohe Gewalt verherrlicht werden könnte.
Der Film im Film: Stolz der Nation (Nation’s Pride)
Ich empfand diese Rezension als sehr gut beschrieben und auch nachvollziehbar. Mir persönlich sind die Gewaltszenen allerdings nicht so übel aufgestoßen. In jedem Tarantino-Streifen kommt Brutalität vor und als Stilmittel spielt Tarantino das Schockieren der Zuschauer perfekt aus.