Wie schon angeführt, lese ich in den Heften der Literaturzeitschrift ‚Akzente‘ des Jahrgangs 1955, also denen vor 50 Jahren. Hier nun fand ich u.a. einen Artikel über Karl Kraus, dem Herausgeber und maßgeblichen Autor der Zeitschrift „Die Fackel“, die im Österreich und darüber hinaus bis in die 30-er Jahre des letzten Jahrhunderts Politik, Kultur und Journalismus aufmischte.
Karl Kraus | "Die Fackel" 1899 – 1936 |
So schreibt der Autor, Helmut Uhlig, u.a.:
In Karl Kraus war nicht mehr und nicht weniger als der Geist der Sprache am Werk, um den Geist der Zeit, den Kraus als Ungeist entlarvte, zu bekämpfen.
Wenn die Vernunft als natürlicher Widersacher der zeitbeherrschenden Mächte dieser Epoche aufgefaßt werden kann, dann hatte sie in den ersten drei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts ihre klarste und enschiedenste Repräsentanz in Karl Kraus.
Kraus‘ Zeitgegnerschaft … richtete sich gegen das Intrigenspiel in der Politik, gegen die Verlogenheit der Presse, gegen das Schablonenhafte der sogenannten öffentlichen Meinung.
Wer sehr wird ein solcher Vernunftsgeist in der heutigen Zeit vermisst. Denn am Zeitgeist hat sich nichts Wesentliches geändert. Dieser ist in seiner Ausdrucksweise nur subtiler, nicht mehr so grobschlächtig wie in der Zeit während und zwischen der beiden Weltkriege. Und er hat sich flächenddeckend auch über Gebiete wie Wissenschaft und Wirtschaft ausgebreitet. Damals wie heute handeln die Mächtigen im Namen aller und meinen nur ihren eigenen Vorteil.
Wenn man heute in den Heften der „Fackel“ blättert, so fällt einem nicht selten das Unverhältnismäßige von Thema und Umfang seiner Polemik auf. Und selbst der aktuelle Anlaß von damals scheint noch zu gering, um solchen Aufwand im Verstand des heutigen Betrachters zu rechtfertigen.
Gewiss ist das wahr. Aber zeigt sich der Ungeist nicht gerade in den kleinen Dingen? Muss nicht hier der Hebel angesetzt werden, um die Decke zu lüften, unter der es modert und nach Korruptheit stinkt? Selbst der kleinste Skandal, der aufgedeckt wird, beweist doch nur, wie es auch ums Ganze bestellt sein muss.
zu: Karl Kraus und die Sprache
Helmut Uhlig – Vom Pathos der Syntax (aus Akzente – Jg. 1955 Heft 6)