Lange Zeit hatte ich mich geweigert, zu Herrn Sarrazin in diesem Blog etwas zu schreiben. Dann habe ich zwar begonnen, einen Beitrag zu verfassen, bin aber schnell über viele Einzelheiten gestolpert, die ich für erwähnenswert hielt – so wurde der Beitrag länger und länger …
Ich begann wie folgt:
Jetzt ist er vom Vorstandsposten bei der Deutschen Bundesbank zurückgetreten – aus eigenen Stücken. Damit hat der neue Bundespräsident, Christian Wulff, ein großes Problem vom Hals, denn nur er hätte ihn abberufen können.
Und endet sollte er mit:
Herr Sarrazin hat sich zwar verabschiedet, aber nach Verhandlungen zwischen Bundespräsidialamt, Bundesbankvorstand und Sarrazin erhält dieser eine um 1000 € höhere monatliche Pension ab 2014, so dass drohende finanzielle Verluste aufgrund des freiwilligen Amtsverzichts ausgeglichen werden. Gleichzeitig hält die Bundesbank die negativen Bewertungen seines Verhaltens nicht mehr aufrecht. Ein wahrhaft widerliches Geschacher.
Eigentlich ist mir dieser Herr Sarrazin völlig egal. Er hatte es schon immer verstanden, mit zugespitzt formulierten Schlagworten zu provozieren: Ich erinnere mich noch an ein Beispiel, als er ich glaube Harz IV-Empfängern vorrechnete, wie diese auch mit weniger als vier Euro pro Tag ausreichend und gesund leben könnten (Pellkartoffeln mit Quark?).
Sein Buch, das jetzt dermaßen in der Diskussion steht und zuletzt zu seinem Rücktritt vom Bundesbankposten geführt hat, habe ich nicht gelesen (und es findet hier auch keinen Link). Dieser ganze Rassenwahn geht mir wirklich mehr als nur auf die Nerven. Natürlich zeigt sich die Integration von Migranten, hier besonders von arabischen und türkischen Zuwanderern, als problematisch. Es ist richtig, dass sich viele von ihnen einer Integration entziehen. Das wird viele Gründe haben, auch religiöse. Und sicherlich ist nicht falsch, wenn man dem Islam vorwirft, nicht dem zu entsprechen, was unsere moderne Gesellschaft ausmacht. Aber diesen Vorwurf müsste man dann auch den christlichen Kirchen gegenüber äußern.
Was das Schlimme an dem Buch von Herrn Sarrazin ist, dass seine Thesen die Vorurteile vieler Deutsche pseudo-wissenschaftlich untermauern. Zwar mahnen Experten und verweisen darauf, dass vieles davon „aus dem Zusammenhang gerissen“ wurde. Aber wie auch immer: Das Problem bleibt bestehen – und den Menschen, Deutschen wie Zuwanderern, ist nicht gedient.
Nur am Rande: Der Name Sarrazin klingt nicht sehr deutsch. Ich habe irgendwo gelesen, dass er ein Nachfahre von französischen Hugenotten sei. Ich selbst bin sicherlich auch alles andere als ein ‚reiner’ Deutscher, auch wenn sich mein Nachname aus dem Althochdeutschen (oder als lateinische Form) herleiten lässt. Meine Frau hat einen polnischen Nachnamen – wie auch viele, die im Ruhrgebiet leben. Begriffe wie Volk oder Nation lassen sich also schon aus dieser Tatsache heraus nur wage definieren.
Ich habe einmal in diesem Blog (Mesut Özil – neue Integrationsfigur?!) geschrieben:
Es bedurfte eigentlich keiner Studie, um zu wissen, dass Zuwanderer aus der Türkei schlechter in Deutschland integriert sind als andere Gruppen. Jetzt wissen wir: Jeder Dritte ist ohne Schulabschluss. Die Gründe sind vielfältig. Neben der allgegenwärtigen Ablehnung durch die deutsche Gesellschaft ist ein Grund sicherlich auch der, dass türkische Migranten viel zu lange geglaubt haben, Deutschland wäre nur ein Provisorium für sie.
Wie gesagt: Die Gründe sind vielfältig. Vorurteile helfen auf jeden Fall nicht weiter. Denkanstöße sicherlich. Nur diese verquaste Vermischung von beidem finde ich fatal. Nicht umsonst wirft man Herrn Sarrazin rechtsgerichtete Gesinnung vor. Ich persönlich halte ihn für einen wirren Geist, dem eigentlich nur eigene (finanzielle) Interessen vorrangig sind.
Irgendwie lässt mich das Thema Sarrazin einfach nicht los. Der SPD-Vorstand hat das Parteiordnungsverfahren gegen Thilo Sarrazin ohne Gegenstimmen beschlossen. So wie ich in der Presse lesen kann, hat der Fall Sarrazin ein grosses Echo innerhalb der SPD hervorgerufen. Warum so frage ich mich, macht diese Partei nicht eine Mitgliederbefragung. Sicher aus dem gleichen Grund warum die Merkel nicht die Bürger über die Verlängerung der AKWs befragt hat. Etwas mehr direkte Demokratie ist schon wünschenswert, in den Parteien, wie in der Regierung. Der Bürger kommt sich langsam wie Stimmvieh vor, dass alle 4 Jahre an die Urne gerufen wird. Kein Wunder, dass die Anzahl der Nichtwähler immer mehr ansteigt.
Mehr Demokratie – da bin ich dabei.
Aber wenn dieses Mehr dazu führt, dass jeder Stimmberechtigte über Fragen wie Atomenergie oder NATO-Doppelbeschluss entscheidet, tritt mir der Angstschweiß auf die Stirn.
Dazu fehlt den meisten Bürgern -incl. mir- die notwendige Fachkompetenz. Solche Entscheidungen überlasse ich doch lieber Menschen, die von Berufswegen eine übergeordnete Sicht auf die Dinge haben. Selbst auf die Gefahr hin, dass ihre Entscheidungen nicht ganz unbeeinflusst von Interessenverbänden getroffen werden.
Um es etwas überspitzt zu formulieren:
Ich werde lieber von nicht 100% neutralen Politikern regiert als vom Stammtisch.
Viele Grüße
Lockwood