Fortsetzung von: (19): Von Claudias neuen Kleidern
In der Kolumne „Der Witzableiter“ von Eike Christian Hirsch, die 1984 im ZEITmagazin erschien, geht es heute nochmals um Sex-Witze. Dabei erfahren wir zusätzlich etwas über die Prüderie von vor 25 Jahren.
Das Buch zur Kolumne: Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter: Oder Schule des Lachens
Die allzu üppige Stewardeß steckt den Kopf durch die Tür zum Cockpit und fragt den Kapitän: „Would you like coffee or milk?“ Der Kapitän dreht sich herum, starrt auf den Busen der neuen Kollegin und fragt: „Which one is coffee and which one is milk?“
Der einzige Autor, der sich ausgiebig mit dem schmutzigen Humor beschäftigt hat, der Amerikaner Gershon Legman, ist der Meinung, Sex-Witze seinen für den, der sie macht, nicht das reine Vergnügen. Sie dienten vor allem dazu, latente Ängste zu lindern. Es sei eine Art Selbsttherapie mit dem Zweck, die „tiefe Angst“ vor der Sexualität „loszuwerden“. Das klingt dann so:
Ein Börsenmakler sagt leise unter der Bettdecke zu seiner Frau: „Die Aktien steigen, der Kurs ist fest.“ „Nein“, antwortet sie, „die Börse ist geschlossen.“ Brummend dreht sich der Makler auf die Seite. Nach einer Weile hat es sich die Frau überlegt und sagt: „Liebling, die Börse ist jetzt geöffnet, ich nehme die Aktien zum Höchstpreis“. „Zu spät“, brummt der Ehemann, „ich habe sie gerade unter der Hand verschleudert.“
Vielleicht ist Legmans These von der männlichen Angst auch nur Ausdruck von Selbstmitleid. Die streitbare Autorin Karin Huffzky hat ihn jedenfalls einen Frauenhasser genannt. Kein Wunder, denn viele dieser Witze machen nun wiederum Frauen angst. Also scheint Angst so oder so im Spiel zu sein.
Diese Behauptung, bei Witzen sei immer Angst dabei, mag Sie, liebe Leserin, lieber Leser, wundern oder gar ärgern. Ich habe mich darüber, als ich zuerst davon hörte, auch gewundert. Inzwischen glaube ich es. Bei diesem Beispiel geht es etwa um die Angst der Frauen vor zu großer (und um die Angst der Männer vor der eignen geringen) Potenz:
Im Zoo zeigt der kleine Junge auf einen Elefanten: „Was ist das, was da so runterhängt?“ Das junge Kinderfräulein sagt: „Das ist der Rüssel.“ „Nein, ich meine hinten.“ „Das ist der Schwanz.“ „Nein, da so unterm Bauch!“ „Ach“, sagt das Kindermädchen verlegen, „das ist gar nichts.“ „Oha“, brummt ein Herr, der dabeisteht, „mein Fräulein, Sie sind verwöhnt.“
Natürlich machen Witze auch Lust. Das ist sogar die Funktion, die wir an ihnen allein wahrnehmen. Gerade das Thema Sexualität ist an sich schon lustvoll. Freilich darf man auch nicht vergessen, daß uns allen diese Lust auch einmal ausgetrieben worden ist. Mehr oder weniger gilt sie im Alltag als verpönt. Das macht Sex-Witze zugleich begehrt und gefährlich. Strafangst kommt auf. Bei diesem Exemplar habe ich besondere Hemmungen, es Ihnen vorzuführen:
„Stell dir vor“, sagt die ältere Krankenschwester zu ihrer jungen Kollegin, „der Seemann auf Zimmer acht ist tätowiert, sogar auf dem Glied. Da steht ‚Rumbalotte’ oder so ähnlich.“ Die junge Schwester kommt nach einer halben Stunde zurück und sagt: „In Wirklichkeit steht da: ‚Ruhm und Ehre der Baltischen Flotte’.“
Alles, was Spaß macht, ist entweder verboten, macht dick oder ist unmoralisch. Dieser moderne Stoßseufzer läßt sich gut auf Witze abwandeln. Alles, wovon Witze handeln, macht Spaß und ist doch verboten. Wenn wir für einen Augenblick das heutige Thema Sex verlassen, können wir schnell mal aufzählen, wovon Witze sonst noch handeln: vom lustigen Unsinn, von Haß und Grausamkeiten, von Schadenfreude und unserem Wunsch nach Überlegenheit. Alles lustvoll und unerlaubt. Daher die Angst.
Die Straßenbahn ist überfüllt. Die junge Dame dreht sich um und sagt zu dem Mann hinter ihr: „Bitte, drängen Sie nicht so!“ „Entschuldigen Sie“, sagt er, „aber ich habe heute eine Zulage in Hartgeld ausgezahlt bekommen.“ „Nun sagen Sie bloß noch“, zischt die Frau, ohne sich umzudrehen, „Sie hätten seit der vorletzten Haltestelle auch noch eine Gehaltserhöhung bekommen.“
Vielleicht ist Ihnen die These, alle Witze handelten unbemerkt auch von der Angst, nun nicht mehr so fremd. Diese Ansicht wird jedenfalls seit Jahrzehnten von mehreren Forschern vertreten. Dabei wird immer vorausgesetzt, daß das Ferment Angst die Lust nur noch steigern kann. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, daß Angst-Lust das Gefühlspaar ist, das letztlich jeden Witz bestimmt. In diesem Fall scheint das besonders deutlich:
Ein älterer Herr, offenbar stark angetrunken, steht in der Toilette des vornehmen Hotels und wühlt in seiner Hose. Dabei murmelt er immer wieder etwas vor sich hin. Der Toilettenwärter geht näher ran und hört: „Komm raus, du Feigling, du brauchst nur zu pinkeln.“
Was verboten ist, das macht uns gerade scharf. Das gilt auch von der verdrängten Lust. Die verbotenen Früchte sind auch im Witz die süßesten. Selbst das Lachen wird erst recht unwiderstehlich, wenn man es unterdrücken muß. So paradox das klingt: ohne Erziehung und Tabus hätten wir kaum was zu lachen.
Knecht Ruprecht kommt nach alter Sitte durch den Schornstein und landet in einem Zimmer, wo eine wunderschöne Frau nackt auf dem Sofa liegt. Er legt die Geschenke ab und ist unschlüssig, ob er sich der Frau nähern soll. „Tu ich’s, dann komme ich nicht wieder in den Himmel“, sagt er sich, „tu ich’s nicht, komm ich nicht wieder durch den Kamin.“
Ich schließe mit einer Geschichte, die bei meinem kleinen Test besonders umstritten war. Der Fabrikant kommt nach Hause und muß seiner Frau erklären, woher er das blaue Auge hat. „Mir fehlte ein Hosenknopf. Da habe ich unsere Hausmeistersfrau gebeten, ihn mir anzunähen. Das tat sie auch, ich behielt natürlich die Hose an.“ „Das ist doch kein Grund für ein blaues Auge!“ „Nein, natürlich nicht, aber ihr Mann kam rein, als sie gerade den Faden abbiß.“
Eike Christian Hirsch – Der Witzableiter (Kolumne in 25 Teilen)
aus: ZEITmagazin – Nr. 47/1984
[Fortsetzung folgt]