Der Zug mit den Castor-Behältern ist inzwischen im Verladebahnhof Dannenberg angekommen, nachdem die Polizei die Schienenblockade von Castor-Gegnern halbwegs friedlich geräumt hat.
Unterdessen wettert unsere allseits geliebte Frau Bundeskanzlerin gegen die Anti-Castor-Aktionen. Das sei teils kein friedlicher Protest mehr, sondern einfach nur kriminell. Ich finde es schon „bemerkelswert“, wie hier verallgemeinert wird. Und das politische Kalkül will es wohl, dass alles in einem Topf geworfen wird oder Sack, auf den dann eingedroschen werden kann.
„Bemerkelswert“ ist es eben, wie Konflikte wieder aufgebrochen werden, die durch den verabschiedeten Atomausstieg längst befriedet waren. Wie fern jeder Realität hausen da Regierungsmitglieder in ihren Wolkenkuckucksheimen in Berlin und entscheiden über unsere Zukunft. Sicherlich sind Umfrageergebnisse keine Wahlergebnisse. Aber wie Merkel und Westerwelle Stimmungsbilder ignorieren, das ist schon keine Arroganz mehr, das ist Größenwahn.
Aber wie sollte es anders auch sein: Ein Kippen des bisherigen Atom-Konsenses durch Schwarz-Gelb war vorhersehbar. Die beabsichtigten Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken sind längst nicht der Weisheit letzter Schluss. Spätestens in drei Jahren, wenn Umfrageergebnisse doch zu Wahlergebnissen geworden sind, dürfte es die Umkehr von der Umkehr geben (aber dieses Hin und Her kann wirklich nicht der Sinn von Politik sein).
Ich will hier nicht philosophieren. Und es wäre fast schon anmaßend, sich auf Persönlichkeiten wie Gandhi oder Martin Luther King Jr. zu beziehen. Aber ich kann gut verstehen, wenn Tausende auf die Straße gehen, um gegen eine verantwortungslose Politik zu protestieren. Ziviler Ungehorsam heißt das Stichwort und beinhaltet auch einen bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen. Und wie anders als mit zivilen Ungehorsam können Bürger gegen politische Entscheidungen vorgehen, die zwar von einer mit Mehrheit gewählten Regierung verabschiedet, die aber nicht von einer Bevölkerungsmehrheit getragen werden.
Ziviler Ungehorsam ist per Definition mehr als Demonstration und Gesprächsrunde (die z.B. die Bundesumweltminister anbietet); es ist kalkulierte Regelverletzung symbolischen Charakters, die durch ihre Illegalität auf die Dringlichkeit des vertretenen Anliegens hinweisen soll. Ziel ist es, die Mehrheit durch Appelle an deren Gerechtigkeitssinn und die Einsichtsfähigkeit aufzurütteln. Und ziviler Ungehorsam richtet sich gegen „gesetzliches Unrecht“.
Das Problem ist nun aber die Frage, ob es sich z.B. bei den Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke (AKW) um solches Unrecht handelt. Die Bundesregierung verneint diese und stempelt jede Aktion wie z.B. das so genannte „Castor-Schottern“ als kriminell ab. Illegal ist dieses so oder so. Ähnlich verhält es sich auch bei den Sitzblockaden. Die Polizei war nur so großmütig, die Blockierer ziehen zu lassen.
Der Ausstieg aus der Atomkraft war beschlossene Sache und wurde durch die neue schwarz-gelbe durch Laufzeitverlängerungen bestehender Atomkraftwerke ausgehebelt. Man versteht sie als Brückentechnologie. Das bedeutet, das weiterhin hochradioaktiver Atommüll anfällt, der in Zwischenlagern wie in Gorleben 40 Jahre lang abkühlen muss. Ein Endlager für diesen Müll ist weiterhin nicht vorhanden. Inzwischen hat sich die Mehrheit der deutschen Bürger gegen diese Weiternutzung gewandt. Über die Risiken der Atomkraft brauche ich mich hier wohl nicht weiter zu äußern. Viele sehen es so als unverantwortlich an, alte AKWs länger als nötig betreiben zu lassen. In meinem Augen kommt das einem „gesetzlichen Unrecht“ gleich.
Die weitere Frage ist, mit welchen Mitteln, Aktionen usw. der zivile Ungehorsam durchzuführen ist. Ich will hier nicht zum Aufruhr aufrufen, obwohl mir manchmal danach zu Mute ist. Henry David Thoreau, der den Begriff prägte, protestierte u.a. gegen die Sklavenhaltung, indem er keine Steuern mehr bezahlte. Ähnlich könnte auch bei uns gegen die weitere Nutzung von Atomstrom vorgegangen werden. Eine erste und zudem völlig legale Maßnahme wäre es, den Stromanbieter zu wechseln (weg von den Energieriesen wie Eon und RWE) bzw. auf Öko-Strom umzusteigen. Das kann natürlich nicht genügen.
Um was es mir eigentlich geht: Jeder sollte sich fragen, ob er zum Vieh gehört, das man am Wahltag zur Urne schleifen kann, um es dann abzuschlachten, oder ob es Sinn macht, gegen Entscheidungen anzugehen, die unsere Zukunft und die unserer Kinder betreffen. Die Politik muss endlich begreifen, dass sie bei Themen wie Stuttgart21 und AKW-Laufzeitverlängerungen nicht am Bürger vorbei entscheiden kann.
Und: Wer den Bürgerwillen wohlweislich ignoriert, dem sollte nicht nur die politische Rechnung (Abwahl) vorgelegt bekommen, sondern der sollte auch auf andere Weise zur Verantwortung gezogen werden können. Wie das aussehen könnte, will ich hier offen lassen.