Ernst und/oder unterhaltend (Literatur)

Für den nächsten Flohmarkt hatte einer meiner Schwäger seine Bücherregale ausgemistet; u.a. war dabei ein Buch von David Payne: Bekenntnisse eines Taoisten an der Wall Street (Knaur – vollständige Taschenbuchausgabe 1988). Das Buch kannte ich vom Hörensagen, wusste auch von seiner „Zwiespältigkeit“ (um es einmal so auszudrücken) – und da ich es jetzt vorliegen hatte, mich u.a. auch für den Taoismus interessiere, machte ich mich daran, es zu lesen. Schaut man im Internet nach, dann sieht man, dass es bei uns nur noch in der Krabbelkiste bzw. im Antiquariat erhältlich ist. Nach gut 350 Seiten (von über 800 Seiten) habe ich es entnervt aufgegeben, das Buch weiterzulesen.

Sun I, Sohn eines amerikanischen Fliegers und einer Chinesin, wächst als Tao-Mönch in Szechuyn auf. Als sein Onkel ihm enthüllt, daß sein Vater ein berüchtigter Wall-Street-Hai ist, verläßt er die fernöstliche Welt des Klosters und geht nach New York.
Die Suche nach dem Vater bleibt erfolglos, doch dann öffnet sich auch Sun I eine steile Karriere im Börsengeschäft.

„Das 800-Seiten-Buch ist für die Dallas-Generation das, was für die Hippies Hermann Hesses ‚Siddharta’ war.“ Stern

In meinem Beitrag Ernst und/oder unterhaltend (Musik) hatte ich mich über den Unterschied zwischen anspruchsvoller und mehr oder weniger unterhaltender Musik geäußert, die vereinfachend in E- und U-Musik überschieden wird. Bei Literatur wird das Ganze wohl noch etwas komplizierter. Ich schrieb in dem genannten Beitrag:

Ja, mit den Schublädchen ist das schon so eine Sache. Wie gut, dass sich eben doch nicht alles so einfach einordnen und beschriften lässt. Gerade anspruchvolle Musik, ob als E- oder U-Musik etikettiert, – und natürlich auch Literatur – verdient kein starres Korsett, sondern braucht Raum und Zeit, um ‚atmen’ zu können und als ‚schön’ wahrgenommen zu werden (Wahrnehmung = Ästhetik).

Natürlich spielt auch bei der Bewertung von Literatur die Wahrnehmung eine wichtige Rolle. Schubläden gibt es auch hier genug. Analog der Musik würde ich (auch der Einfachheit halber) Literatur (Fach- und Sachliteratur vernachlässige ich hier) in Belletristik (der Begriff soll hier lediglich zur Abgrenzung dienen) und Unterhaltungsliteratur unterscheiden (Trivialliteratur wie Arzt- und Groschenromane usw. lasse ich ebenfalls unter dem Tisch fallen). Natürlich gibt es viele Gattungen (Epik wie Roman und Erzählung, Drama wie Komödie und Tragödie, Lyrik wie Ballade oder Lied) und Arten von Literatur (z.B. Weltliteratur, Nationalliteratur usw.), die je nachdem der ‚ernsten“ oder ‚unterhaltenden’ Literatur zuzuordnen sind.

Zurück zum Taoisten-Wall Street-Buch: Taoismus bzw. Daoismus ist eine alte chinesische Philosophie und Religion. Seine historisch gesicherten Ursprünge liegen im 4. Jahrhundert v. Chr., als das Daodejing (in älteren Umschriften: Tao te king, Tao te ching …) des Laozi (Laotse, Lao-tzu) entstand – siehe hier meinen kleinen Beitrag: Lao-tse: Tao-Tê-King.

Die Idee dieses Buchs ist nun, das klanglich ähnliche Dao dem Dow (Dow Jones Index) der New Yorker Wall Street gegenüberzustellen, was bereits im Buchtitel zum Ausdruck kommt. Was nach einer „originelle Mischung aus der chinesischen Weisheit des I Ging (Buch der Wandlungen) und seiner Konfrontation mit der westlichen Welt“ aussieht, entpuppt sich aber leider als hochtrabend angelegter Unterhaltungsroman – mehr nicht.

Sicherlich hat sich der Autor sehr ausführlich mit Daoismus, „Tao-te-King“ und „I Ging“ beschäftigt. Auch beweist er ein gewisses Gespür für die Lebensbedingungen des jungen Protagonisten des Buchs. Aber es ist kein Spiegelbild der Wirklichkeit entstanden, sondern eine dick aufgetragene Erzählung, dem kein Klischee zu gering ist, um es zu benutzen.

Eines dieser Klischees ist die Vorstellung, Asiaten würden sich ständig in gewunden-blumiger Sprache äußern. Es ist aber der Autor selbst, der ständig blumig daherschreibt, sodass es mir wirklich zu ‚bunt’ wurde, das weiterhin zu ertragen. Hier nur einige dieser sprachlichen Ergüsse, auch wenn sie aus dem Satzzusammenhang gerissen sind:

„… Prismen eines Kronleuchters ernährt wie einen Weihnachtstruthahn …“ – „Müde, verirrt, entmutigt, emotionell zutiefst versehrt – kurz gesagt: todunglücklich …“ – „Feenkelche der Engelsblümchen …“ – „das kristallklare Wispern fließenden Wassers …“ – „vibrierende Frische des Morgens …“ – „… exquisite Mysterium alkaloider Auflösung.“ – „Nur lag eine gewisse Schärfe in der Luft, eine Schärfe wie der Knall einer Peitsche.“ – „… der eine gebend, der andere nehmend im letzten Koitus des Krieges …“.

Schlimmer noch ist aber, das es an der Psychologie hapert. Auch hier bedient sich das Buch fast durchgängig menschlicher Klischees. Genug dieses Buchs.

Ich lese zz. Martin Walsers „Das Einhorn“ aus dem Jahre 1966 (später dazu mehr). Auch Walser bedient sich teilweise einer „blumigen“ Sprache. Auch hier dient die Sprache oft dem ‚Selbstzweck’. Und doch ist es etwas völlig Anderes.

Was macht also den Unterschied zwischen diesen beiden Polen literarischer Werke aus? Immer wieder werden wir von Bestsellern überschüttet, die von einem breiten Publikum gelesen werden. Ich denke da an „Harry Potter“, an die Werke eines Dan Brown oder eines Ken Follett. Werke dieser Art bevölkern die Büchercharts (z.B. Spiegel). Ab und wann findet sich aber auch ein Werk wie das des letztjährigen Literaturnobelpreisträgers Mario Vargas Llosa hier. Selbst das erwähnte Buch von Martin Walser war seinerzeit in solchen Hitlisten zu finden. In soweit lässt sich kein Unterschied ausmachen. Oder doch? Die Frage ist, was wird gekauft – und was wird wirklich gelesen. Bei Walsers Buch könnte ich mir denken, dass viele Käufer über die ersten 50 Seiten kaum hinausgekommen sind. Zu schwierig, zu wenig ‚unterhaltend’.

Aber auch der ‚Schwierigkeitsgrad’ ist kein wirkliches Kriterium. Es gibt leicht zu lesende Literatur (ich denke da an Kafka), die aber inhaltlich ‚schwer’ zu verdauen ist. Oder wie steht es mit der Ausdruckskraft der Sprache? Auch Verfasser von Unterhaltungsliteratur können fesselnd und sprachlich gekonnt schreiben.

Ich denke, dass ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal im Sujet, im Stoff, dem Thema des literarischen Werks liegt. Verfasser von Unterhaltungsliteratur entführen uns oft in eine ‚andere’ Welt, während Schriftsteller von Belletristik (in meinem Sinne) sich mit der Welt, wie sie ist, begnügen. Unsere Welt bietet Stoff genug – im Guten wie im Schlechten, da muss man nicht erste einen Parallelkosmos erschaffen.

Und es ist der geistige Nährwert, der den Unterschied ausmacht. Unterhaltungsliteratur sorgt oft für Spannung, Nervenkitzel – wahre Belletristik ist auch spannend, aber sie bietet ‚geistige Nahrung’, die uns als Leser weiterbringt, uns zu neuen Erkenntnissen verhilft.

Nun jeder muss letztendlich selbst wissen, was er lesen möchte. Auch ich lese nicht nur Belletristik (Weltliteratur usw.), sondern lasse mich auch gern einmal in Phantasiewelten entführen. Auch ein guter Kriminalroman kann mich begeistern. Aber es geht eben doch nichts gegen ein ‚gutes Buch’, ein wirklich ‚gutes Buch’.

siehe auch meinen Beitrag. Rebecca Michéle: Der Schatz in den Highlands

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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