Sagen und Märchen haben auch heute noch ihren Reiz. Und welche Region in Deutschland hat nicht ihre eigenen Sagen, die eng mit der Landschaft und den Menschn dort verknüpft sind. Ich wohne nun mit meinen Lieben in Tostedt, also in einem kleien Ort in der Lüneburger Heide auf fast halben Weg zwischen Bremen und Hamburg. Auch aus dieser Gegend kommen Sagen. Auf der Suche nach einer, die irgendwie mit meinem Wohnort zu tun hat, bin ich auf folgende kurze Sage gestoßen, in der Tostedt zumindest als Lokalität auftaucht. Und vielleicht ist der Kiepenkerl, von dem die Rede ist, aus Tostedt gebürtig und hat sich dort seine Hofstelle gekauft.
Ein uralter und ausgefahrener Weg führt von Tostedt her quer durch die Nordheide, vorbei am Scheinberg und Falkenberg bei Neugraben, dann durchs Moor zur Elbe nach Moorburg. Dieser Weg wurde in früheren Jahrhunderten allgemein viel von Eier- und Hühneraufkäufern benutzt, die ihre Ware nach Hamburg zum Verkauf brachten; daher heißt er heute noch im Volksmunde „Küken- oder Heunerstieg“. Diesen Weg benutzte eines Tages ein sogenannter „Kiepenkerl“. Beim Erhandeln seines Federviehes und der Eier war es sehr spät geworden, so daß er erst gegen Mitternacht bei hellem Mondenschein durch die Neugrabener Heide am Falkenberg vorbeikam. Der Mann wollte von Moorburg aus mit dem Schiff nach Hamburg fahren, um dort am anderen Morgen seine Eier zu verkaufen. Unterwegs rauchte er seine kurze Pfeife, die ihm ausging. Da er kein Feuerzeug bei sich führte, so wollte es das Glück, daß er, als er am Falkenberg vorbeikam, glühende Kohlen am Wege liegen sah. „Halt!“ dachte er, „da haben gestern die Schäfer ein Feuer gehabt. Das trifft sich gut. Hier kann ich endlich meine Pfeife wieder anstecken. Das trifft sich ja prächtig!“ Er klopft also seine Pfeife aus, stopft sie aufs neue mit Tabak und bückt sich, eine Kohle aufzunehmen. Kaum hat er diese erfaßt, so bekommt er einen heftigen Schlag in den Nacken, so daß er zur Erde taumelte. „Wat schall so ’n Unsinn!“ ruft der erschrockene Mann aus und dreht sich um; aber kein Mensch ist zu sehen.
Er wundert sich nicht schlecht und geht bald seines Weges weiter durchs Moor nach der Elbe zu. Als er auf dem Schiff seine Pfeife ausklopft, fallen mehrere blinkende Goldstücke heraus. Ganz erstaunt hebt er sie auf und beschaut sich nach allen Seiten hin. Er ist starr vor Verwunderung und grübelt ständig über seinen ihm in den Schoß gefallenen Schatz nach. Da fällt ihm das Kohlenfeuer am Falkenberg ein. Er hat in seiner Jugendzeit oft die Geschichte von den Schätzen gehört, die der Teufel dort bewachen soll. Schnell bringt der Kiepenkerl am andern Morgen in Hamburg seine Eier und Hühner auf den Markt und eilt wieder heim, um möglichst rasch nach dem Falkenberg zu kommen. Hofft er doch, dort weitere Schätze zu finden. Das Feuer ist zwar erloschen. Der Mann rührt mit seinem Stock in der Asche, und richtig findet er noch einige Goldstücke. Er waren Schätze des Teufels, die dieser beim gestrigen Mondenschein an die Oberwelt gebracht und sich an ihrem Glanz ergötzt hatte. In der Eile hatte er einige Stücke vergessen, die nun dem glücklichen Händler in die Hände fielen. Der machte mit dem Gold sein Glück, kaufte sich eine Hofstelle und brauchte von jetzt ab nicht mehr den sauren und fraglichen Weg durch die Heide anzutreten.
aus: Sagen aus Niedersachsen
– gesammelt und herausgegeben von Ulf Diederichs und Christa Hinze
Bechtermünz Verlag 1998 – S. 211-212.
– Quelle: Mackensen 1925, S. 116-117 (nach Th. Benecke aus Harburg)