Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze

Wer sich für Prag interessiert und Kafka liest, kommt an Jaroslav Hašek (1883 – 1923) und seinem braven Soldaten Schwejk nicht vorbei. Ich habe mir für meinen bevorstehenden Urlaub Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk (auch als Kindle Edition) als Lektüre herausgesucht und bereits den ersten von vier Teilen gelesen. Der Schwejk ist immer wieder köstlich.

Wie sein weltberühmter Held so war auch Jaroslav Hašek ein Prager Original. Er durchwanderte von 1903 bis 1907 ganz Mitteleuropa. Wie Schwejk handelte er eine Zeitlang mit Hunden und war Soldat in der k.u.k. Armee. Und er war dafür bekannt, dass er gern redete und sehr viel trank. „Jaroslav Hašek war beinahe immer betrunken. Der Rausch löste seine Zunge, und er begann, in den Schankstuben den Leuten verschiedene Dinge zu erzählen. Dabei blieb sein feistes Gesicht, das eine frappante Ähnlichkeit mit dem Balzacs hatte, immer ganz ernst, nur seine Schweinsäuglein schienen ironisch zu blinzeln – aber das konnte auch Täuschung sein. Er erzählte das Unwahrscheinlichste, die Einwände seiner Zuhörer widerlegte er, und dann nahm er ein Briefpapier, schrieb alles nieder und trug die Geschichte in die nächstgelegene Redaktion, das Honorar zu vertrinken.“ („Der rasende Reporter“ aus Prag, Egon Erwin Kisch: Auf den Tod eines tschechischen Humoristen).

Und er gründete die „Partei des gemäßigten Fortschritts in den Grenzen des gesetzmäßig Erlaubten“ (auch: Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze (PFGFIDSDG), tschechisch: Strana mírného pokroku v mezích zákona (SMPVMZ)), eine Partei im Kaiserreich Österreich-Ungarn, die sich 1911 unter seiner Führung in Form einer Parodie am Wahlkampf für den österreichischen Reichsrat beteiligte. Für diese Partei hielt Hašek über tausend Wählerversammlungen ab. „Am Schluß einer jeden sammelte er für den Wahlfonds, über dessen Zweck er jeden Zweifel ausschloß. Er versoff ihn an Ort und Stelle.“ (Egon Erwin Kisch, s.o.)

    Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze // Strana mírného pokroku v mezích zákona

Unter den Zuschauern dieser Rednerabende war mit Sicherheit auch Franz Kafka und dessen Freund Max Brod. Hauptmittel Hašeks „war die frei improvisierte Rede, wobei er in langen Assoziationsketten Wichtiges mit Unsinnigem, Fakten mit Scheinfakten verband. So erklärte Hašek in einer Wahlkampfrede“ (siehe: de.wikipedia.org):

„Über uns wachen Ordnungsgesetze und Sicherheitsämter, ohne deren Aufsicht uns nicht einmal ein Haar vom Kopfe fällt. Das ist Fortschritt. Schauen wir anderswohin, nach China zum Beispiel, wo die Sicherheitsorgane den Leuten die Köpfe abschlagen, dann müssen wir selber zugeben, daß bei uns Fortschritt herrscht.“ (Jaroslav Hašek: Die Partei des maßvollen Fortschritts in den Grenzen der Gesetze. Frankfurt a.M. 1971, Anhang, S. 139f.)

Mit zunehmender Dauer der Veranstaltungen wurden die Argumentationsketten allerdings immer absurder:

„Freunde, wir sind an einem Punkt, an dem wir nicht sein wollten. So wie der Mann, der nach Budweis wollte und in einen Zug in die Gegenrichtung geriet. Er wurde vom Schaffner in der 2. Klasse erwischt, obwohl er nur einen 3. Klasse-Fahrkarte hatte und in Bakov aus dem Zug geworfen. Und weil schon einer der Wegbereiter unserer Partei, Herr Galileo Galilei einmal sagte: ‚Und sie bewegt sich doch’, so sage auch ich jetzt: Bewegen Sie sich doch, Fräulein Bożenka, und bringen Sie bitte eine neue Runde: Noch drei Bier für mich, einen Allasch für Opočenský, ein Viertel Weißwein für Langer, ein Bier und einen Magador für Diviš und ein Mineralwasser für Gottwald. Das ist der Beweis für Galileos Worte ‚Und sie bewegt sich doch’ und ein überdeutlicher Beleg dafür, dass die Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze weiß, wie sie sich durchsetzt und sich darum kümmert, was ihre Wähler wollen.“ (tschechisch in František Langer: Byli a bylo. Prag 1963)

siehe auch: (Auszug aus) Die Geschichte der Partei des …

Vielleicht mag die Idee zur Parteigründung aus einer Bierlaune heraus entstanden sein. Aber am Ende war es wesentlich mehr als eine Spaßpartei, denn Hašek schuf mit seiner Partei und seinen Auftritten gewissermaßen eine neue Kunstform, die sich mit Dada-Veranstaltungen und später mit Happenings vergleichen lässt.

Übrigens: Das Wahlprogramm des Kandidaten für den Wahlbezirk Prag-Weinberge, Jaroslav Hašek, umfasste sieben Punkte (Jan Berwid-Buquoy: Die Abenteuer des gar nicht so braven Humoristen Jaroslav Hašek. Berlin 1989, S. 175–185.):

1. Die Wiedereinführung der Sklaverei.
2. Verstaatlichung der Hausmeister („auf die gleiche Weise wie in Rußland [..], wo jeder Hausmeister gleichzeitig ein Polizeispitzel ist“).
3. Die Rehabilitierung der Tiere.
4. Die Einrichtung von staatlichen Anstalten für schwachsinnige Abgeordnete.
5. Die Wiedereinführung der Inquisition.
6. Die Unantastbarkeit der Geistlichen und der Kirche („Falls ein Schulmädchen von einem Geistlichen defloriert wird“).
7. Die obligatorische Einführung des Alkoholismus.

Nun der Suff brachte den Schöpfer des Schwejks um. Sternhagelvoll traf ihn mit noch nicht einmal 40 Jahren der Schlag. Ein seriöser Schriftsteller war er nicht, überhaupt war er kein seriöser Mensch. Aber es ist von ihm mehr geblieben als von all diesen k.u.k. Franz Josefs und Ferdinanden – Schwejk sei Dank!

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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