Romananfänge (2): Schweinehund(e)

In meiner Vorbetrachtung läutete ich gewissermaßen einen Wettbewerb für gekonnt formulierte Romananfänge ein. Dazu bin ich, wie geschrieben, durch John Irving angeregt worden. Eine ‚Ursache’ besteht aber auch in vielen Romananfängen, die ich selbst verfasst habe und über die ich meist kaum hinausgekommen bin. So fand ich in den Notizen und Aufzeichnungen aus dem Jahre 1982, die ich vor kurzem hervorgekramt hatte, folgende Skizze, Mitte Februar 1982 verfasst, die ich nach und nach ausbauen wollte – wozu es dann aber nicht kam. Dreißig Jahre nach dem Verfassen dieser wenigen Sätze fragte ich mich natürlich, warum ich den Titel Schweinehund(e) gewählt hatte? Einer dieser Schweinehunde sollte sicherlich auch der ‚innere Schweinehund’ sein. Hier die ersten vier Absätze. Kleiner Hinweis: Berlin, hier Ausgangspunkt, ist ja inzwischen wieder Metropole im Sinne von Hauptstadt.

Willi und die Romananfänge

Schweinehund(e)

Geboren wurde ich. Das soll vorkommen. Dabei war es kalt im Februar. Und man wunderte sich sehr. Die Nabelschnur hatte ich um den Hals. Gehängt. Väter wurden nervös. Gesicht schon blau. Erste Atemluft eine Qual. „Laßt die Kindlein.“ Das noch mit Mitte dreißig, fui. Was kann man schon dagegen tun. Geschenkt. So lebe ich und darf dankbar sein. Ich denke: muß. Aber auch so wird man alt. Wer will schon anders. Leben nach dem Tode. Erst einmal leben, dann weitersehen. Kann nur nicht so ohne weiteres. Kopf voll – zunächst einmal Windeln voll …

Hermann, der Wehrmann, sprach leis ein Flehen aus. Ei der Daus, was kommt da raus? Klaus? (Einen Klaus, oder sind’s schon zwei, genügen der Familie. So bekundet mein Vater seinen Friedenswillen, meine Mutter erinnert sich an gefallene Brüder: heißt mein Bruder kämpferisch …).

Geboren in einer Großstadt, ehemals Metropole, jetzt überaltert – aber auch viel Jungvolk, nur das Mittelalter fehlt. Dafür ist es in Stein erhalten. Dem Mann am Klavier, bitte ein Bier – mit Strohhalm: Berliner Weiße mit Schuß in den Ofen. Grün mit Waldmeister, rot mit Himbeer.

Am Ku’damm grasen keine Bullen. Stück weiter am Zoo treibt man sich rum. Und Züge der Reichsbahn. Eine letzte Bulette, bestrichen mit Senf, statt Eckkneipe Dosenbier. Rückreise … Uhr … An einer Leine Wachhunde, was mir zwischendurch einfällt. Übereinander gestapelt pennt einer, einer kratzt sich am Bein, einer liest, einer nuckelt an übriggebliebenem Bier, eine liest was über Grass, eine schaut ins Leere, mittendrin sucht einer seine Fahrkarte. Im Scherz: 10 Mark für die Reinigung! Schuhe runter – vom Sitz, vom Fuß. Sucht schon Geld, findet doch noch [die] Fahrkarte. Alles jubelt listig: Den Schaffner doch hereingelegt, wieso eigentlich?

Soweit das. Kunst der Kunst wegen (L’art pour l’art) mag ich eigentlich nicht. Gerade eine Erzählung, ein Roman sollte auch immer einem Zweck dienen, aufklären, zum Denken anregen. Trotzdem hatte ich damals geplant, viele stilistische Mittel in mein Geschreibsel einfließen zu lassen. Davon zeugt die hier (ausschnittweise) wiedergegebene Übersicht:

Rückwärts schreiben -> Sätze (Warum lügt er? -> Er lügt warum?)
Silbentrennung (Don-Au-Dam-Pf-Schi-Fff-Ahrt-Skapi-Tän)
Kunstsprache
Sinnlose Sprache
diagrammäßige Schrift
Ornamentale Schrift
zwischendurch leere Blätter („frei für Notizen“)
„Skizzen aus dem Büro“

überhaupt alle Stilmittel:
– Lyrik (Gedichte, Balladen etc.)
– Prosa (Kurzgeschichten, auch Essays …)
– Tagebuch, Briefe
– Anmerkungen – Skizzen, Notizen, Spickzettel
– Aphorismen, Anekdoten, Witze („Sprach Hinz zu Kunz: „Laß uns mal …“)
– Einkaufszettel, Rechnungen, amtl. Briefe (Bw).
– Märchen, Legenden
– Programme (Radio/TV)
– Zitate
– Bibliographie / Discographie (?)

einfach alles, das irgendwie, irgendwann zu Papier gebracht wurde …:
– Liedertitel, Buchtitel, Zeitungsschlagzeilen
– Reklamen (Slogans), Plakate, Plattenhüllen (-> Blodwyn Pig)
– auch Englisch (-> Wörterbücher: Langenscheidt/ Duden / etc.)
– Reiseberichte (Übersichten / Pläne -> Randbemerkung)
– Kleidungsgrößen – Körpermaße
– Lehrsätze der Mathematik / Physik / Chemie
– Wortdefinition (verschiedene -> Lexika / Duden / Wörterbücher)
– aus der Geschichte der Sprachen

Über WilliZ

Wurde geboren (in Berlin-Schöneberg), lebt (nach einem Abstecher nach Pforzheim, längere Zeit in Bremen und Hamburg) in dem Örtchen Tostedt am Rande der Lüneburger Heide - und interessiert sich für Literatur, Musik, Film und Fotografie (sowohl passiv wie aktiv) ... Ach, und gern verreise ich auch!

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