„Abfahrt auf Gleis ölf!“. Als ich das hörte, dachte ich, oje, ölf wie zwölf, oder? Wo kommt der gute Zugbegleiter bloß her? Aber ganz klar: aus Bremen! Es war wohl noch in der Grundschule, als mich meine Lehrerin, die ansonsten eine ganz nette und liebe war, korrigierte, denn auch ich sagte damals ölf statt elf. Das hat sich bei mir gewissermaßen festgefressen, ab da hieß es bei mir nur noch ELF. Mit vier ein halb Jahren war ich mit meinen Eltern und Geschwistern aus Pforzheim nach Bremen gekommen und sprach einen schwäbisch–südfränkischen Dialekt, sodass mich keiner in hohen Norden richtig verstand. Diesen Dialekt legte ich schnell ab und nahm – völlig unbewusst – den Bremer Dialekt an … Es ist schon erstaunlich, wie schnell man als Kind eine solche Sprache annimmt.
Der Bremer Dialekt (bremisch: Bremer Schnack, auch: Bremer Snak) ist eine in Bremen verbreitete Umgangssprache, genauer: es ist Missingsch, eine Mischsprache aus Hoch- und Niederdeutsch und dadurch entstanden, dass „niederdeutsche Muttersprachler Standarddeutsch zu sprechen versuchten“. Oft wird der niederdeutsche Satzbau beibehalten und volkstümliche Lehnübersetzungen niederdeutscher Wendungen ins Standarddeutsche übertragen (z.B. Schnacken von snacken für sprechen, reden). In Hamburg gibt es ein ähnliches Messingsch (und Käpt’n Blaubär spricht es auch: Moin-Moin, Kinners!).
Was mich allerdings am meisten überrascht, ist die Feststellung, dass ich auch heute noch viele Begriffe des Bremer Schnack nicht nur verstehe, sondern tatsächlich spreche (zumindest im Wortschatz habe). Und ich habe lange Zeit ziemlich stark genuschelt und Buchstaben – besonders die letzte Silbe eines Wortes – ‚verschluckt’ (Brem’n statt Bremen) – beides sind Charakteristika des Bremer Dialektes. „Man sagt auch: ‚Der Bremer Dialekt kann mit wenig Kraftanstrengung gesprochen werden – man braucht die Zähne ja nicht auseinander zu machen.’ Die Intonation mehrsilbiger Wörter fällt oft nach der ersten Silbe ab.“ (Quelle: de.wikipedia.de). Ich musste mir angewöhnen, ‚die Zähne weiter auseinander zu bekommen’.
Natürlich s-tolpern Bremer auch gern über den s-pitzen S-tein (hängt mit dem Niederdeutschen, also Plattdeutschen zusammen). Allerdings gibt es eine wenig nachvollziehbare ‚umgekehrte Regel’, aufgrund der ST und SP in Fremd- und Lehnwörtern englischer oder vermeintlich englischer Herkunft wie SCHT bzw. SCHP ausgesprochen werden, z.B. Illuschtrierte oder Pischtole.
Während der schwäbisch-südfränkischen Dialekt, mit dem ich sprechen gelernt hatte, aus dem Oberdeutschen stammt, verwendet der Bremer Dialekt wie gesagt niederdeutsche Elemente.
Es gibt also Wörter und Sätze, die ich heute durchaus noch verwende: So heißt z.B. backen auch kleben (Der Zuckerguss backt wie Teufel), und verschüttet man ein Getränk, so plörrt man (zu dünn geratener Kaffee ist eine Plörre). Und wenn jemand nicht in Gang kommt, so fordert man ihn zur Eile auf: Hau ma’ ’n Schlach ran (Hau’ einmal einen Schlag ’ran) oder: Komm inne Puschen (Komm’ in die Puschen = Filz-Hausschuhe). Einen Putzlappen nenne ich so auch heute noch Feudel und aufwischen ist feudeln. Nur die Elf ist bei mir keine Ölf mehr oder die Birne keine Bürne bzw. die Kirsche keine Köhrsche mehr.
siehe auch: weser-kurier.de – Bremer Mundart gerät in Vergessenheit
Volker Ernsting: Bremer Freimarkt
Ischa Freimaak!
Bedrohte Sprache: Halunder
Bedrohte Sprachen in Deutschland