Vor längerer Zeit habe ich diesen Roman einmal zu meinen liebsten Büchern gezählt: Der Gehülfe von Robert Walser. Dieser Roman wurde 1907 geschrieben und 1908, also vor über 100 Jahren, veröffentlicht. Er handelt von dem 24-jährigen Joseph Marti, Gehülfe des Ingenieurs Carl Tobler, und wie dieser während eines halben Jahres als Hausangestellter den Ruin einer erfolglosen Erfinder-Familie erlebt. Am Ende geht Joseph Marti wieder seiner Wege. Der Roman spielt in der Schweiz und hat autobiografische Bezüge.
Robert Walser war ein Sonderling. Und so sind seine Romane, Erzählungen und Gedichte von einem sonderbaren Charme geprägt. Hermann Hesse schreibt 1936, zwar sei der „Gehülfe voll von Stimmungen vom Anfang des 20. Jahrhunderts“, doch bezaubere die „Erzählung durch die zeitlose Anmut ihres Vortrags, durch die zart und absichtslos spielende Magie“. In einem Nachwort zum Roman schrieb Anne Gabrisch , „Herr und Diener [seien] gleichermaßen närrisch – ein Paar von fürchterlicher Komik. Und von weit her an Don Quijote und Sancho Pansa erinnernd.“ Dem ist von meiner Seite nicht hinzuzufügen.
Eines Morgens um acht Uhr stand ein junger Mann vor der Türe eines alleinstehenden, anscheinend schmucken Hauses. Es regnete. »Es wundert mich beinahe,« dachte der Dastehende, »daß ich einen Schirm bei mir habe.« Er besaß nämlich in seinen früheren Jahren nie einen Regenschirm. In der einen nach unten grad ausgestreckten Hand hielt er einen braunen Koffer, einen von den ganz billigen. Vor den Augen des scheinbar von einer Reise herkommenden Mannes war auf einem Emailleschild zu lesen: C. Tobler, technisches Bureau. Er wartete noch einen Moment, wie um über irgend etwas gewiß sehr Belangloses nachzudenken, dann drückte er auf den Knopf der elektrischen Klingel, worauf eine Person kam, allem Anschein nach eine Magd, um ihn eintreten zu lassen.
»Ich bin der neue Angestellte,« sagte Joseph, denn so hieß er. Er solle nur eintreten und hier, die Magd zeigte ihm die Richtung, nach unten ins Bureau gehen. Der Herr werde gleich erscheinen.
Joseph stieg eine Treppe, die eher für Hühner als für Menschen gemacht schien, hinunter und trat rechter Hand ohne weiteres in das technische Bureau ein. Nachdem er eine Weile gewartet hatte, ging die Türe auf. An den festen Schritten über die hölzerne Treppe und am Türaufmachen hatte der Wartende sogleich den Herrn erkannt. Die Erscheinung bestätigte nur die vorausgegangene Gewißheit, es war in der Tat niemand anderes als Tobler, der Chef des Hauses, der Herr Ingenieur Tobler. Er machte ziemlich große Augen, er schien ärgerlich zu sein und war es auch.
[…]
»Von Herzen!« sagte der Gehülfe. Sie ergriff zum letzten Mal das Wort:
»Ich werde es ihm ausrichten, es wird ihn freuen. Er hat es um Sie verdient, daß Sie ihm nicht grollen, er hat Sie gern gehabt, wie wir alle. Sie sind unser Angestellter gewesen – nein, gehen Sie jetzt. Viel Glück, Joseph.«
Sie bot ihm die Hand und wandte sich dann zu ihren Kindern, als sei gar nichts weiter geschehen. Er nahm seinen Handkoffer vom Boden auf und ging. Und dann verließen die beiden, Marti und Wirsich, den Abendstern.
Unten auf der Landstraße angekommen, machte Joseph halt, zog einen Toblerschen Stumpen aus der Tasche, zündete sich denselben an und drehte sich noch einmal nach dem Haus um. Er grüßte es in Gedanken, dann gingen sie weiter.
Robert Walser: Der Gehülfe (u.a. als HTML)