Was ist bloß mit Ian los? Teil 25: Warchild, Mrs. Palmer & Kashmir

Hallo Wilfried,

wie es meine Art ist, komme ich direkt und ohne Umschweife auf Deine letzte mail zu sprechen:

Zu Queen: Diese Gruppe, die nach Deiner Einschätzung meine Lieblingsband ist, hat das kommerzielle Gebaren von JT bei weitem übertroffen. Dazu gehört nicht nur das Queen-Musical; diese Entwicklung setzte bereits viel früher ein: In den 80er Jahren hatte die Gruppe keine Skrupel, auf den Zug der disco-orientierten Popmusik aufzuspringen. Das war unverzeihlich. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, wie der Tod von Freddy Mercury von der hinterbliebenen Band vermarktet worden ist, merkt man sehr deutlich, dass das Musik-Geschäft auch nur ein Geschäft ist. Auch zu Idolen aufgestiegene Rockmusiker sind nicht davor gefeit, um das goldene Kalb zu tanzen. Mit Queen geht es mir übrigens ähnlich wie mit Jethro Tull: Die frühen Werke, mit Ausnahme der ganz Frühen, erachte ich als die Besten. Danach war für mich nichts mehr dabei. Bei beiden Bands sind es jeweils nur eine Handvoll Alben, die die Qualität der Gruppe für mich ausmachen.

Ich kann überhaupt nicht einschätzen, wie Mr. Anderson zu anderen Musikern steht. Einzig den Namen Led Zeppelin erwähnte er hin und wieder in seinen Livekonzerten. Dabei scheint ihn eine Art Hass-Liebe mit dieser Gruppe zu verbinden: Oft verballhornt er den Namen oder einige Lieder von LZ, andererseits hat er in der jüngerer Vergangenheit eine (grauenhafte) Coverversion von Kashmir live zu Gehör gebracht.

Da hast Du’s: Wie von Dir befürchtet, bringe ich wieder negative Attribute mit Mr. Anderson in Verbindung. Es hat den Anschein, als hätten wir uns in unserem kleinen Gedankenaustausch auf unsere Rollen festgelegt: Ich greife Mr. Anderson fast zwangsläufig an und Du verteidigst ihn ebenso automatisch. Advocatus diaboli versus Advocatus Dei. Gleichwohl: Wenn ich Mr. Anderson so negativ einschätzen würde, wie es bei Dir den Anschein hat, würde ich kaum so viel Zeit auf ihn verwenden. Er ist in meinen Augen ein herausragender Musiker, Entertainer (und Geschäftsmann!), aber keine Lichtgestalt. Wenn wir uns auf diese Formel einigen können, müssen wir nicht befürchten, dass uns unsere gemeinsame Basis unter den Füßen zerbröckelt.

Zu Mr(s). Palmer: Auf der Rückseite des Warchild-Covers ist er gar an exponierter Stelle zu sehen. Auf diesem Cover sind etliche Personen (natürlich auch Shona) in Kostümen zu sehen, die einen Bezug zum Album haben. So stellt Mr. Palmer so etwa wie Gottvater dar. Bezeichnenderweise steht er in dieser Rolle gleich neben dem Meister, fast auf gleicher Höhe mit ihm. Aber eben nur fast.

Zurück zur Musik von Mr. Anderson:
Stell‘ Dir vor, Du müsstest jemandem, der JT nicht kennt, ein Lied der Gruppe nennen, das repräsentativ für das musikalische Werk der Gruppe steht. Nur ein Lied. Kein zweites und erst recht kein Album. Welches Lied würdest Du auswählen ?

Das war’s für heute.
Wir bleiben in Verbindung.

Lockwood

21.10.2006

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Hallo Lockwood,

da bin ich wieder. Zu Queen, Kommerz und Musikindustrie will ich mich nicht so ausführlich äußern. Das würde viel zu weit führen. Wie so vieles so wird auch hier global vermarktet, was es zu vermarkten gibt. Und die gute Firma Sony ist für mich da nur eine Art Stellvertreter für all die Firmen, denen es eigentlich nicht um die Musik an und für sich, sondern nur ums Geldscheffeln geht. Damit habe ich eigentlich schon genug gesagt.

Ich habe nichts gegen Queen, auch nichts gegen Led Zeppelin. Es ist richtig, dass Anderson z.B. „Thick as a Brick“ einmal als „Whole lotta Brick“ angekündigt hat (so 1977 im Golders Green Hippodrome zu London). Und beim Tampa Konzert von 1976 ist es wiederum „Thick as a Brick“ als das berühmte Lied von Johnny Cash.

Zur Cover-Version von Led Zeppelins Kashmir: Dein Urteil ist wieder einmal vernichtend: grauenhaft. Ich weiß nicht, woher Du das Stück kennst. Ich denke, es ist die Amateuraufnahme, die im Internet kursiert (www.cupofwonder.com). Allein die Aufnahme ist schon grauenhaft, ein Soundbrei, der nicht unbedingt ein objektives Urteil zulässt. Also um es gleich zu sagen: Mein Lieblingsstück wird das auch nie werden. Und eigentlich ist es eine Solonummer der guten Lucia Micarelli, die von Tull mehr oder weniger gut begleitet wird. Von daher war ich bisher nicht in der Verlegenheit, das Stück mit zu den anderen Tull-Videos auf meine Website zu nehmen. Du magst das Gedudele einfach nicht und damit basta: grauenhaft! Den meisten Zuschauern muss es aber gefallen haben, sonst hätten die nicht so geklatscht. Vielleicht hörte es sich dort im Saal auch wesentlich besser an, als auf der Videoaufnahme … Wenn es Dir nicht gefällt und Du es als grauenhaft einstufst, so ist das Deine Einschätzung. Mir gefällt schon das Stück als solches nicht sonderlich. Da brauche ich also nicht noch eine Tull-Lucia-Coverversion.

Also was ich von der Idolisierung von Musikern usw. halte, habe ich an anderer Stelle schon einmal geschrieben. Nicht so viel! Daher kann selbst ein Ian Anderson, den ich sehr hoch schätze, nicht so etwas wie eine Lichtgestalt für mich sein. Von daher habe ich auch keine Probleme, wenn Du wieder und wieder Herrn Anderson mit negativen Attributen belegst. Das ist Deine Meinung. Ich habe manchmal eine andere. Ist nun einmal so im Leben.

Jethro Tull: War Child

David/Dee Palmer und War Child: Da bin ich mir nicht so ganz sicher, ob das Palmer ist, der wie Gottvater neben Anderson steht. Gandalf (aus Herr der Ringe) wäre vielleicht passender. Aber er muss es sein, da er wieder einmal für die Orchesterbearbeitung sorgte und so auch namentlich auf dem Cover erwähnt ist. Allerdings finde ich für ihn keinen Songtitel, der seiner Darstellung entsprechen könnte. Oder? Anderson und Palmer, das ist schon ein eigentümlich musikalisches Paar. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Ian Anderson gern etwas andere Musik gemacht hätte, wenn man ihn nur gelassen hätte. Palmer hat das irgendwie kompensiert. Aber Palmer selbst ist nicht so richtig zu fassen. Mit Bart und Pfeife war er/sie eigentlich der typische Mann. Und dann in dem Alter noch an sich herumschnippeln zu lassen: Da gehört schon einiges an Mut zu. Es gibt irgendwie noch eine Aufnahme des Stückes „Elegy“, ziemlich neu – und nur mit Frau Palmer am Keyboard und Anderson an der Querflöte.

Mr. David Palmer Mrs. Dee Palmer
Mr. David Palmer Mrs. Dee Palmer

Ach, das Kopftuch. Da habe ich doch bei www.youtube.com eine gar nicht so schlechte Coverversion von „Crosseyed Mary“ gefunden – von einem Typ mit den Initialen LC. Und zu Ehren des Meisters trägt der Typ – ein Kopftuch! Sag also nichts: Kopftücher kommen in Mode!

Lass Dich nicht erschüttern.
Wilfried

23.10.2006

English Translation for Ian Anderson